Archiv für April 20th, 2011

Bild  

Die Speerspitze der Pressefreiheit

Es geht – wie bei “Bild” üblich – nicht um die kleinen Themen: Gleich die komplette Pressefreiheit war in Gefahr, als der damalige brandenburgische Innenminister Rainer Speer gerichtlich dagegen vorging, dass sich “Bild” bei seinen privaten E-Mails bediente.

Im September 2010 hatte “Bild” erstmals über eine mutmaßliche Unterhaltsaffäre des damaligen brandenburgischen Innenministers Rainer Speer berichtet und dabei aus Quellen zitiert, die der Anwalt der Axel Springer AG selbst als “trübe” bezeichnet hatte. Speer war gerichtlich gegen die publizistische Nutzung der angeblichen privaten E-Mails vorgegangen und hatte zunächst Recht bekommen (BILDblog berichtete).

Dass Speer gleichzeitig versucht hatte, eine Berichterstattung zu dem Thema generell verbieten zu lassen, weil sie ausschließlich sein Privatleben betreffe, darf ruhigen Gewissens als taktisch unklug bezeichnet werden, denn es ging immerhin um den Vorwurf des Sozialbetrugs: Speer soll, so “Bild”, eine frühere Mitarbeiterin, mit der er ein uneheliches Kind hatte, dazu angehalten haben, ihn als Vater zu verleugnen, damit das Jugendamt den Unterhalt zahle. Diese Vorwürfe (und ein paar andere) führten letztlich binnen kürzester Zeit zu Speers Rücktritt. Wochen später räumte Speer ein, dass es sich tatsächlich um sein Kind handle, er davon aber bisher nichts gewusst habe. Speer zahlte die Unterhaltsvorschüsse zurück, die Ermittlungen gegen ihn wegen einer falschen Erklärung an Eides statt wurden im November eingestellt, die “Süddeutsche Zeitung” schrieb: “Von dem vermuteten Sozialbetrug ist nichts geblieben”.

Speer hatte “Bild” mit seinem unbeholfenen Vorgehen aber auch eine Steilvorlage geliefert: In den wenigen Tagen zwischen der ersten Niederlage vor Gericht und Speers Rücktritt brannte die Zeitung ein buntes Feuerwerk ab. In durchaus überraschendem Ausmaß trommelte die Zeitung für die vorgebliche Pressefreiheit:

Diese Geschichte darf BILD nicht schreiben: Ein Minister und der Vorgang um den Verdacht einer Straftat, die uns Steuerzahler ganz viel Geld kostet

Andere Medien und der Deutsche Journalistenverband schlossen sich dieser Kritik an und so geriet schnell in Vergessenheit, wie “Bild” überhaupt auf das Thema gekommen war.

Im September 2010 war beim Jugendamt und der Staatsanwaltschaft Potsdam ein anonymer Brief eingegangen, der auf einer beiliegenden CD-Rom und in Ausdrucken private E-Mails zwischen Speer und seiner früheren Geliebten dokumentierte. Diese E-Mails stammten wahrscheinlich von Speers Laptop, der ihm etwa ein Jahr zuvor gestohlen worden war, und müssen einen eher dubiosen Weg genommen haben. Sie sollen auch verschiedenen Journalisten angeboten worden sein — und schließlich hatte “Bild” über den Fall berichtet.

Am Montag nun entschied das Berliner Kammergericht, dass “Bild” nicht in direkter oder indirekter Rede aus den privaten E-Mails zitieren dürfe, da aus ihnen “ein besonderes persönliches Vertrauensverhältnis” erkennbar sei und sie “überwiegend wahrscheinlich” durch “Straftaten Dritter” beschafft worden seien. Die Berichterstattung über die Affäre selbst sei aber rechtmäßig gewesen, da ein “hohes Informationsinteresse” bestanden habe.

Verschiedene Medien bewerten die Entscheidung als “Erfolg” oder “Teilerfolg” Speers.

“Bild” sieht das erwartungsgemäß anders:

BILD darf weiter über Skandal-Minister berichten. Berlin – Es ist ein Teil-Sieg für die Pressefreiheit. Und eine Niederlage für den Minister, der die Presse mundtot machen wollte.

Auch in einer Pressemitteilung feiert die Axel Springer AG ihren “Teilerfolg”. Gleichzeitig erklärt Sprecher Tobias Fröhlich:

Dass die Einstweiligen Verfügungen in Bezug auf das direkte oder indirekte Zitieren dennoch bestätigt wurden, halten wir für falsch. Um Klarheit für die Nutzung von Quellen in der journalistischen Arbeit zu bekommen, werden wir diesen Fall im Hauptsacheverfahren und, wenn nötig, bis zur höchstrichterlichen Entscheidung weiter führen.

Speer wiederum verklagt die Axel Springer AG gerade auf Schadenersatz in Höhe von angeblich 150.000 Euro.

Fast-Zusammenstoß mit der Realität

Ob Flugzeug oder Hubschrauber — wann immer in luftiger Höhe etwas schief geht, haben “Bild” und Bild.de eine passende Schlagzeile parat. Besonders, wenn ein Prominenter eine Rolle spielt. Und so bedachte Bild.de am Mittwoch einen Zwischenfall, bei dem ein Flugzeug mit Michelle Obama an Bord zu einem Ausweichmanöver veranlasst worden war, gleich mit zwei Schlagzeilen:

Zuerst, um 7.18 Uhr:

Beinahe-Zusammenstoß mit Militärtransporter! Michelle Obama entkommt Flugzeug-Katastrophe Schon wieder ein Fluglotsenfehler?

Dann noch einmal um 13.57 Uhr:

‘Michelle

Und tatsächlich hat die US-Flugaufsicht FAA einen Vorfall bestätigt, bei dem die Flugzeuge allerdings “zu keinem Zeitpunkt” in Gefahr gewesen seien. Immerhin war Michelle Obama wirklich an Bord — was ja sonst nicht zwingend erforderlich ist, um Beinahe-Katastrophen “knapp” zu entgehen.

Doch was war jetzt eigentlich los?

Sehr spät aber noch rechtzeitig bemerkten die Piloten, dass ein Militärtransporter (Typ C-17) der landenden Obama-Maschine in die Quere kommen könnte. Der Transporter wollte starten, es war jedoch nicht klar, ob er dies rechtzeitig schaffen würde. Zeitweise waren die beiden Maschinen nur 4,5 Kilometer voneinander entfernt! Vorgeschrieben sind aber mindestens 8 Kilometer, um gefährliche Turbulenzen zu vermeiden.

Wie ein am Boden stehendes Flugzeug Turbulenzen verursachen soll, die eine kilometerweit entfernte Boeing 737 in Schwierigkeiten bringen, erscheint rätselhaft. Die Auflösung ist jedoch einfach: offenbar hat Bild.de Start- und Landebahn verwechselt. Nach dem Bericht der “Washington Post”, auf die sich Bild.de bezieht, wollte der Militärtransporter nicht etwa starten, sondern setzte kurz vor der Regierungs-Maschine zur Landung an.

Die Flugzeuge drohten zu keinem Zeitpunkt in der Luft zu kollidieren. Sehr wohl bestand aber die Möglichkeit, dass die Boeing 737 in Turbulenzen geraten könnte, die von dem voranfliegenden Militärflugzeug verursacht worden waren. Damit auch die Landebahn sicher geräumt war, musste die Maschine mit Michelle Obama an Bord lediglich eine Warteschleife drehen.

Grund für die Verwechslung ist wahrscheinlich eine Meldung der Nachrichtenagentur AFP, die bereits um 2.11 Uhr gemeldet hatte:

Beim Landeanflug bemerkten die Fluglotsen in Andrews den Berichten zufolge, dass die Boeing einem Militärtransporter in die Quere kommen könnte, der im Begriff war zu starten. Sie fürchteten, die Militärmaschine würde nicht rechtzeitig abheben, und wiesen die Präsidentenmaschine an, eine Extrarunde zu drehen. Der Tower am Armeestützpunkt wies die Verantwortung für den Fehler einem zivilen Fluglotsen in der Region Washington zu.

Von AFP hat wohl auch sueddeutsche.de die Verwechslung übernommen:

Obamas Pilot hatte bereits zum Anflug auf die Andrews Air Force Base angesetzt, als die Fluglotsen des Stützpunktes bemerkten, dass die Boeing einem Militärtransporter vom Typ C-17 in die Quere kommen könnte, der im Begriff war zu starten. Da Gefahr bestand, das Militärflugzeug könnte nicht rechtzeitig abheben, wiesen sie die Präsidentenmaschine an, eine Extrarunde zu drehen.

Mit Dank an Hans E., Markus S. und Till G.

Zukunst

Für die folgende Lektüre empfiehlt sich die Titelmusik von “Akte X” als Soundtrack.

Es ist ein ungewöhnlicher Ort für Prophezeiungen, die denen des Nostradamus gleichen. Und doch: Beim letztjährigen Wettbewerb “Jugend creativ” der Volksbanken und Raiffeisenbanken hat die damals 16-jährige Monja aus Hünfeld ein “nahezu hellseherisches” Bild gemalt, auf dem sie die Katastrophen in Japan vorausgesehen hat!

So berichtet zumindest die “Fuldaer Zeitung”:

"Da saß der Schock erstmal tief" Überschwemmungen, Erdbeben, Tsunamis, Atomkrise - das sind die modernen Geißeln der Menschheit. In nahezu hellseherischer Fähigkeit hat die 17-jährige Monja die aktuellen Katastrophen der Welt bereits vor einem Jahr auf einem Bild vorausgesehen

Und natürlich sprang auch “Bild”, das Fachjournal für alles Mysteriöse, sofort auf den Zug auf:

Unheimlich Schülerin (17) malte Japan-Unglück vor einem Jahr! Auf dem Bild zu sehen: Die Tsunami-Welle trifft ein Atomkraftwerk (oben rechts)

Ganz Clevere könnten die Mystery-Stimmung jetzt natürlich mit kritischen Fragen kaputtmachen: Warum sind denn da Eisbären? Ist damit das frühe Ableben von Knut gemeint? Was sollen die toten Bäume und der Tornado? Was hat der Sturm links oben im Bild mit Japan zu tun? Und warum sehen die Menschen so gar nicht japanisch aus?

Die Antwort auf diese Fragen hat einen so geringen Mystery-Faktor, dass Sie den Soundtrack jetzt besser stoppen: Der Titel des Wettbewerbs lautete nämlich “Mach dir ein Bild vom Klima” und genau das ist der Grund, warum auch die anderen Bilder im Wettbewerb ziemlich apokalyptisch wirken.

Bei der “Fuldaer Zeitung” ist das eigentlich bekannt:

[Monja G.] habe damals versucht, für den Wettbewerb mit dem Thema “Klima” möglichst viele entsprechende Probleme in der Illustration unterzubringen. Sie habe sich damals an die Tsunami-Wellen von 2004 erinnert, und von der Tschernobyl-Katastrophe hat sie viel gehört (…)

Dennoch schreibt die Autorin nur einen Absatz später, als hätte es das Rahmenthema des Wettbewerbs nie gegeben und als wäre Monja gerade einmal sieben Jahre alt gewesen als sie das Bild anfertigte:

Monjas Bild ist erschreckend, beklemmend (…). Keine hübsche Blumenwiese, keine freundliche Sonne am hellblauen Himmel, die die Erde in einen paradiesischen Zustand taucht, keine friedliche Naturwelt waren dargestellt, wie so oft der Fall in dieser Altersklasse. Statt dessen: beängstigende Wirklichkeit.

Immerhin dient die ganze künstliche Aufregung einem guten Zweck:

Damit Monja ihr Werk behalten kann, will die VR-Bank Faksimiles in A3-Größe, also Nachdrucke, erstellen. Diese sollen für eine Spende ab zehn Euro abgegeben werden.

Die Spendenbereitschaft würde vermutlich deutlich ansteigen, wenn sich Monja in Zukunft auf Lottozahlen spezialisiert und dabei am besten nicht immer alle 49 dafür in Frage kommenden Zahlen malt.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

GEZ, Focus, Tripolis

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wie die Medien ticken”
(kontextwochenzeitung.de, Rainer Nübel)
Rainer Nübel beschreibt das Affirmationsprinzip, dem viele Leser folgen: “Bestätigt das Medium durch Berichte oder Kommentare meine eigene Position, ist es gut und seriös – stellt es meine eigene Sichtweise in Frage, negiert oder karikiert sie sogar, dann ist es schlecht und ein Paradebeispiel für den inhaltlichen Verfall der Presse.” Weiter konstatiert Nübel einen die Glaubwürdigkeit untergrabenden Mangel an Transparenz bei den Medien.

2. “Gefangene Gaddafis – mit Swimming Pool und türkischem Bad”
(welt.de, Alfred Hackensberger)
Journalisten in Tripolis stehen unter Hausarrest, schreibt Alfred Hackensberger: “Die organisierten Ausflüge sind immer an Regime-Jubelveranstaltungen gekoppelt. Wie aus dem Nichts tauchen Gaddafi-Anhänger auf, die mit Postern und Fahnen ein aufdringliches Spektakel inszenieren.”

3. “Aphrodites Fingerzeig”
(tagesspiegel.de, Gerd Höhler und Sonja Pohlmann)
Wegen der “Focus”-Titelgeschichte “Betrüger in der Euro-Familie” reichen sechs Griechen Strafanzeige gegen Herausgeber Helmut Markwort ein: “Gegen ihn sowie neun Redakteure und Mitarbeiter des Magazins ermittelt die griechische Staatsanwaltschaft wegen Verleumdung, übler Nachrede und Verunglimpfung der Symbole des griechischen Staates.”

4. “Der Pressekodex – nur ein stumpfes Schwert im Kampf um eine faire Berichterstattung?”
(mediensalat.info, Ralf Marder)
Wie Boulevardmedien über einen in Berlin festgenommenen Fussballspieler aus der 3. Liga berichten.

5. “Personen, Posen, Prominente”
(journalist.de, Anna-Kristine Wipper)
Fotos: Was ist presserechtlich erlaubt und was nicht?

6. “Die fetten Jahre sind nicht vorbei”
(faz.net, Michael Hanfeld)
Nach Ansicht von Geschäftsführer Hans Buchholz benötigt die Gebühreneinzugszentrale GEZ mit dem vereinfachten Gebühreneinzug ab 2013 rund vierhundert neue Mitarbeiter.