Archiv für März, 2011

Inszenierungen, ICorrect, Dirndl

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Inszenierungen nehmen zu”
(tagesspiegel.de, Sonja Pohlmann)
Für den abtretenden Vorsitzenden der Bundespressekonferenz, Werner Gößling, sind nicht nur die Politiker für für Inszenierungen verantwortlich, sondern auch die Medien, die “sehr schnell” darauf eingehen: “Wenn ein Minister mit dem Fahrrad vorfährt oder sich ein Verteidigungsminister bei den Soldaten in Pose setzt, dann werden diese Bilder sofort gezeigt.”

2. “Stimmt ja gar nicht”
(taz.de, Julia Niemann)
Julia Niemann stellt die Website icorrect.com vor. “Dort können Prominente, und solche die sich oder ihr Unternehmen dafür halten, Falschmeldungen korrigieren – gegen Gebühr.”

3. “Sport Bild-Watch (16)”
(el-futbol.de, Sidan)
“Sport Bild” weiß ein wunderbares Geschenk für Lothar Matthäus zum 50. Geburtstag: “Trainer bei Bayern München – als Nachfolger von van Gaal”. Außerdem: Das “Beschreiben-einer-Person-per-Einstreuen-einer-völlig-abwegigen-und-unpassenden-Information”. “Über Jupp Heynckes heißt es, nach dem eine Aussage von ihm wiedergegeben wurde, folgendes: ‘Das darf man dem 65-jährigen, den ein künstliches Kniegelenk stützt, ruhig glauben.'”

4. “Bild bei Schlecker – ‘Nicht mit uns!’ sagt der Wettbewerb”
(mediatribune.de)
“Nach Informationen von Media Tribune will die Axel Springer AG das Verkaufsstellennetz für ihr Flaggschiff Bild jetzt um 8.000 bis 8.500 Schlecker-Filialen ausbauen.”

5. “Wie sich die Krone von einem Dirndl provoziert fühlt”
(kobuk.at, Marlene Altenhofer)
Die Politikerin Alev Korun habe die österreichische Trachtentradition verspottet, weil sie in einer Sitzung des Nationalrats ein Dirndl trug, schreibt die “Kronen Zeitung”.

6. “Here’s a Washington Post Story With All the Editor’s Notes In It”
(gawker.com, englisch)
“The Washington Post mistakenly posted this health story by Laura Ungar online with ALL OF THE EDITOR’S ALL-CAPS NOTES INCLUDED.”

Falsch vorstanden

Magath heute weg! Rangnick neuer Schalke-Trainer

Heute Vormittag wurde Gewissheit, was “Bild” schon heute früh als Tatsache verkündet hatte: Der FC Schalke 04 hat sich von seinem Trainer und Manager Felix Magath getrennt.

Bild.de hat die Ereignisse in einem der gerade so populären Liveticker aufbereitet, in dem es unter anderem heißt:

Als Aufsichtsratsmitglied hat Magath das Anrecht, vom Aufsichtsrat gehört zu werden, der nun ohne ihn tagt. Vermutlich wird er nun aus dem Gremium gewählt – damit verliert Magath laut Vertrag auch die Position als Trainer und Manager.

Das ist ziemlicher Quatsch: Magath war nie Mitglied des Aufsichtsrats. Er gehörte bis heute Vormittag dem Vorstand des Vereins an:

Vorstand: Felix Magath, Peter Peters, Horst Heldt

Auch war Magaths Vertrag als Vorstand und Trainer von seiner Abberufung als Vorstand nicht berührt und wurde schon gar nicht automatisch gekündigt, wie Bild.de behauptet. Inzwischen hat er ihn allerdings selbst gekündigt, wie uns Magaths Umfeld bestätigte.

Mit Dank an KiB und Arno.

Mats Hummels, Fischstäbchen, Trude Herr

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Ich bin kein Draufgänger”
(falter.at, Ingrid Brodnig)
Nahost-Korrespondent Karim El-Gawhary erzählt von den Veränderungen seiner Arbeit: “Ich erinnere mich an eine absurde Situation: Ich stehe im Norden von Bagdad im Supermarkt und kaufe gerade mein Abendessen. Da ruft die deutsche Radiostation an und sagt: ‘Gerade eben ist im Süden von Bagdad eine Bombe explodiert. Wie ist die Atmosphäre? Wir gehen gleich auf Sendung.’ Und ich stehe im Supermarkt und denke mir: Bitte, was ist jetzt los?”

2. “Die Fischstäbchen sind sicher!”
(faz-community.faz.net, Peer Schader)
Peer Schader fragt sich angesichts der ARD-Sondersendung “Atom-GAU in Japan – Was heißt das für uns?”, wie angemessen es ist, wenn sich die Deutschen “um ihr Mittagessen und ihren Urlaub Gedanken machen, während auf der anderen Erdhälfte gerade die Welt untergeht.”

3. “Der innere Emmerich”
(volkerstruebing.wordpress.com)
Volker Strübing beobachtet sich beim Konsum von neuen Nachrichten aus Japan: “Ein Teil von mir ist nicht betroffen, sondern angefixt, ein Teil hat kein Mitleid, sondern will mehr sehen. Ein Teil wird enttäuscht sein, wenn die ganz große Katastrophe ausbleibt und die piefige deutsche Innenpolitik wieder die Nachrichten bestimmt.”

4. “Fußballer Mats Hummels verlängert bei Borussia Dortmund (BVB) bis 2014 und dementiert BILD-Bericht via Facebook”
(pottblog.de, Jens Matheuszik)
Fußballer Mats Hummels dementiert auf Facebook eine “Bild”-Meldung, er verlängere seinen Vertrag bei Borussia Dortmund bis 2016.

5. “Vor 20 Jahren – Sentimentalität und Brutalität”
(koeln-inside.blogspot.com, Martin Rath)
Anlässlich des 20. Todestags von Trude Herr blickt Martin Rath zurück auf die “Bild”-Titelseite vom 18. März 1991.

6. “Redundanter Bild(er)-Gau”
(filmrisss.blogspot.com)
Explosionswolken auf bild.de im Vergleich.

Bild  

Jäger des vermuteten Schatzes

Fast zwei Wochen war “Bild” in Guatemala auf “Gold-Expedition”. Gemeinsam mit dem “Forscher” Joachim Rittstieg hoffte die Zeitung dort einen “Maya-Schatz” zu finden.

Das Expeditionsteam fand nichts, sorgte aber für einige Aufregung in dem zentralamerikanischen Land und in der Wissenschaftsgemeinde.

Daniel Schleusener vom Blog “The Complete Mesoamerica (and more)” hat die “Schatzsuche” von “Bild” die ganze Zeit über aufmerksam verfolgt und für uns einen Gastbeitrag verfasst:

Kepplinger, Liveticker, Hauptstadt-Magazin

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Ein Teil der Medien instrumentalisiert Kernkraft, um Politik zu machen”
(derstandard.at, Doris Priesching)
Die Berichterstattung über das Erdbeben in Japan habe sich schnell vom zu beobachtenden Elend auf die Risiken der Kernkraft verlagert, stellt Hans Mathias Kepplinger fest – das tatsächliche Leid von hunderttausenden Menschen werde so über weite Strecken ausgeblendet. “Die Mehrheit der deutschen Journalisten ist gegen Atomkraft. Sie sehen ihre Chance, durch intensive Berichterstattung über Gefahren der Kernkraft ihre Sicht mitzuteilen.”

2. “Verloren im Stimmengewirr”
(nzz.ch, Florian Coulmas)
Florian Coulmas, Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio, stellt eine Sehnsucht fest nach “eindeutigen, zuverlässigen Aussagen, nach denen man sich richten kann”. “Eine Konsequenz der Internet-Revolution ist, dass man ausserhalb des Erdbebengebiets viel mehr weiss und vermeint zu wissen als dortselbst; denn die Infrastruktur ist dort völlig zusammengebrochen. Während man sich in Zürich, Houston und Nairobi Bilder von dem weggeschwemmten Flughafen von Sendai betrachtet, weiss man davon zehn Kilometer weiter noch nichts.”

3. “Japan-News: der Boom der Live-Ticker”
(meedia.de, Alexander Becker)
Alexander Becker fragt bei Online-Portalen zu den vermehrt für alle möglichen Themen verwendeten Livetickern nach: “Sowohl Plöchinger wie auch Böcking widersprechen dem Gerücht, dass Ticker zudem den wirtschaftlichen Vorteil hätten, dass sie helfen, redaktionelle Manpower einzusparen.” Zum Thema schreibt auch Alexander Kissler auf “The European”.

4. “Kuhn-Interview sorgt für viel Aufregung”
(20min.ch, Daniela Gigor)
Ein vom Zürcher “Hauptstadt-Magazin” veröffentlichtes Interview mit René Kuhn, Autor des Buchs “Zurück zur Frau: Weg mit den Mannsweibern und Vogelscheuchen”, ist frei erfunden. Auf seiner Website nimmt Kuhn dazu ausführlich Stellung.

5. “Grosse Jagd auf kleine Fehler”
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Nick Lüthi stellt das Blog fehler.li vor, das sich um Fehler in Schweizer Medien kümmert.

6. “Gloves Off in German Media Scramble”
(nytimes.com, Eric Pfanner, englisch)
Die Beziehung zwischen “Bild” und “Spiegel” aus US-amerikanischer Sicht.

taz.de  

Nochmal Schwein gehabt

Reiner Metzger hat auf taz.de seiner Wut auf die Informationspolitik der Atomlobby freien Lauf gelassen:

Dieses Vertuschen und Verzögern ist ein unfassbarer Skandal: Die Methoden der Atomlobby KOMMENTAR VON REINER METZGER

Verglichen mit einem japanischen Kernreaktor scheint sich das Gemüt eines stellvertretenden Chefredakteurs der “taz” jedoch einigermaßen leicht abkühlen zu lassen. Denn wie man an der URL erkennen kann, war die Überschrift bei Veröffentlichung des Artikels noch deutlich deftiger:

die-dreckschweine-von-der-atomlobby

Es ist vielleicht ganz gut, dass die “taz” den ursprünglichen Titel geändert hat, denn wer andere Menschen als “Dreckschweine” bezeichnet, befindet sich in schlechter Gesellschaft.

Mit Dank auch an den Hinweisgeber.

Bild  

Besoffenheitsjournalismus (2)

Alle Jahre wieder wird “Bild” zur meistzitierten Tageszeitung Deutschlands erklärt. Das hat nur bedingt mit Qualität zu tun und liegt unter anderem daran, dass “Bild” schneller als andere Medien ungeprüfte Informationen als Tatsachen ausgibt.

Als etwa am Rosenmontag in Bonn ein Fahrzeug vom obersten Deck eines Parkhauses stürzte, glaubt “Bild” schon bald darauf zu wissen:

Beifahrer (19) tot 16-Jährige raste betrunken vom Parkhaus

Und im Text heißt es:

Nach BILD-Informationen waren beide Jugendlichen betrunken.

Davon, dass die beiden Jugendlichen betrunken gewesen sein sollen, berichteten dann auch die Bonner Lokalzeitung “General-Anzeiger” und das Nachrichtenportal von t-online — beide unter Berufung auf “Bild”.

Wie zuverlässig “BILD-Informationen” letztlich sind, zeigte sich einen Tag später, als sich Fred Apostel, der Sprecher der Staatsanwaltschaft, gegenüber der “Rhein-Zeitung” zu dem Unglück äußerte:

Spekulationen einer Boulevardzeitung, wonach die Fahrerin nach Informationen des Blattes betrunken unterwegs gewesen ist, widersprach Apostel energisch: “Das jetzt vorliegende Ergebnis der Blutprobe sagt eindeutig, dass das Mädchen mit 0,0 Promille voll nüchtern war.”

Vielleicht wäre “Bild” nicht mehr die meistzitierte Tageszeitung, wenn andere Medien darauf verzichteten, genau solche “Spekulationen einer Boulevardzeitung” weiterzuverbreiten.

Mit Dank an Tobias G.

Tim K., Gefechte, Yokoso News

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Der doppelte Tim K.”
(taz.de, Julia Walker)
Tim K. aus Bremen wurde am 11. März 2009 von vielen als der Amokläufer von Winnenden angesehen. “Wer kommt eigentlich auf die Idee, dass jemand aus Bremen über 600 Kilometer nach Stuttgart fährt, um dort an einer Schule Amok zu laufen?”

2. “USA – Australien – Bild.de”
(wahrheitueberwahrheit.blogspot.com)
Thomas spürt der Herkunft des von “Bild” beschriebenen Supermonds nach.

3. “Inszenierte Gefechte?”
(sueddeutsche.de, Christina Maria Berr)
Wie realistisch ist die von Helmut Scheben auf journal21.ch aufgeworfene Behauptung, die meisten Bilder von Kampfhandlungen seien gestellt? Christina Maria Berr fragt in der Medienbranche nach.

4. “Betr. Erdbebenkatastrophe als geschmackloses ZDF-‘Musikvideo'”
(carta.info, Martin Oetting)
Martin Oetting schreibt an das ZDF, weil das “heute-journal” Bilder vom Erdbeben in Japan musikalisch unterlegt. “Dass Sie nicht davor zurückschrecken, diese schlimmen Bilder zum Rhythmus von Musik zu schneiden, also daraus sozusagen eine Unterhaltungsshow zu formen, ist aus meiner Sicht schockierend.”

5. “Die Unerträglichkeit von Twitter”
(netzwertig.com, Martin Weigert)
Martin Weigert erlebt Twitter am Wochenende als “als Hort von Desinformation und Panikmache”.

6. “Katz Ueno: Das Ein-Mann-Katastrophen-Social-Media-TV”
(fastvoice.net, Wolfgang Messer)
Wolfgang Messer stellt den Livestream von Yokoso News vor.

Indizien-Express

Es ist immer das Gleiche: Eine Zeitung behauptet, ein Fußballspieler stehe vor einem Vereinswechsel, und der Spieler dementiert. Erst im Nachhinein lässt sich sagen, wer recht hatte — das Verhältnis dürfte etwa bei 50:50 liegen.

Insofern ist es mit Vorsicht zu genießen, wenn Marco Reus von Borussia Mönchengladbach heute auf der Vereins-Website beteuert, er habe keinerlei Wechsel-Ambitionen, die ihm der “Express” für den Fall des Abstiegs aus der ersten Bundesliga unterstellt hatte.

Doch der “Express” hatte noch mehr geschrieben:

Sein neuer Audi Q 5, mit dem er am Dienstag zum Gladbacher Training erschien, hat bereits ein Dortmunder Kennzeichen…

Der 21-jährige gebürtige Dortmunder hat dafür eine recht einleuchtende Erklärung:

Und zu der Sache mit dem Nummernschild: Meine Eltern leben in Dortmund, deshalb das Dortmunder Kennzeichen, und das nicht neuerdings, sondern schon lange.

Mit Dank an Marcus M. und Lukas K.

Zensoren unter sich

Das ganz große Fass der von der prothesenproduziernden Industrie gesponserten Vergleiche hat Bild.de aufgemacht:

Zensur wie in China! Berliner Stadtbibliothek sperrt Bild.de

In einer Stadtteilbibliothek in Steglitz hatte ein “Bild”-Leser festgestellt, dass Bild.de auf den dortigen Internet-PCs nicht aufgerufen werden kann.

Die Bibliothek, die die Sperre mit Filtersoftware aus dem Ausland begründet, verhält sich nach Ansicht von Bild.de also wie die chinesische Regierung — oder eben wie Bild.de, das seine eigene Website für iPad-Nutzer sperrt, damit diese die kostenpflichtige “Bild”-App nutzen.

Leserkommentare, die auf die iPad-Geschichte hinwiesen oder den China-Vergleich als übertrieben kritisierten, hat Bild.de gelöscht und die Kommentarfunktion abgeschaltet. Eben Zensur wie in China der Stadtbibliothek.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

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