Archiv für Februar 24th, 2011

Heidi Opossum, schielen Oscar

Während sich alle fragen, wer in diesem Jahr bei den Oscars abräumt, scheint Bild.de eher in Richtung Pulitzer-Preis zu schielen:

Das Opossum Opossum Heidi ist voll Oscar du verstehste hier

Der dazugehörige Artikel hält, was die Überschrift verspricht:

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So geht das noch drei Absätze weiter, bevor angekündigt wird: “Mehr aktuelle News aus Leipzig und Umgebung lesen Sie hier auf leipzig.bild.de.”

Aber jetzt mal im Ernst: Entweder es handelt sich hierbei um einen versehentlich online gestellten Artikel-Setzkasten oder ein dem Dadaismus wohlgesonnener Redakteur hat den Kern der gesamten “Bild”-Berichterstattung über Heidi, das schielende Opossum, endlich prägnant auf den Punkt gebracht. Chapeau!

Mit Dank an Andi!

Nachtrag, 25. Februar: Unglaublich. Da lobt man Bild.de endlich mal und dann lassen die den Artikel einfach verschwinden. Da wird Heidi aber Augen machen.

Bild  

“Man darf nicht bescheißen!”

Nach der Volks-Pizza, dem Volks-Joghurt und dem Volks-PC präsentiert “Bild” heute stolz das neueste Mitglied der Produktpalette: das Volks-Kammerergebnis.

87% Ja-Stimmen beim BILD-Entscheid: "Ja, wir stehen zu Guttenberg!"

Das Ergebnis der großen Telefon- und Fax-Abstimmung (BILDblog berichtete) unterscheidet sich marginal von der Umfrage auf Bild.de, auf die die Redaktion inzwischen aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr verlinkt:

Er sollte zurücktreten, meinen 56% der Leser.
Da “Bild” seine Leser auch gebeten hatte, Begründungen für ihr Votum einzureichen, war die Seite 2 heute schnell gefüllt: 19 Pro-Guttenberg-Leserzuschriften stehen drei gegenüber, die den Minister zum Rücktritt auffordern — womit das Abstimmungsergebnis exakt repräsentiert wird.

Unter den Leserbriefen finden sich Meinungen wie diese:

“Fehler machen wir alle. Wir und unsere Kinder brauchen Politiker wir Herrn zu Guttenberg. Deshalb, Herr Minister: Bleiben Sie bitte im Amt.”

Svenja R. (41), Golf-Managerin aus Sch. (NRW)

(Alle Anonymisierungen von uns.)

Auch Leute, die sich mit Berufsehre auskennen, kommen zu Wort:

“Als Handwerksmeister werde ich nach meinen handwerklichen Fähigkeiten beurteilt. Ob ich einen Doktortitel habe, spielt dabei keine Rolle. Das gleiche muss auch für Politiker gelten!”

Hermann R. (76), ehem. Installateurmeister aus Sch. (Hessen)

Doch nicht alle Zuschriften sind so schlüssig:

“Im Dritten Reich musste mein Vater ins Gefängnis, weil er sich für die Wahrheit eingesetzt hat. Auch heute haben in Deutschland nur wenige den Schneid, eigene Fehler einzugestehen. Herr Guttenberg hat das getan. Deshalb wünsche ich mir, dass er Minister bleibt.”

Amoene Sybille R. (75), Rentnerin aus W.

Es lohnt sich, mal wieder einen Blick in die Archive zu werfen: Nachdem die Spitzenkandidatin der hessischen SPD, Andrea Ypsilanti, im Jahr 2008 beim Versuch einer Regierungsbildung von ihrem ursprünglichen Vorhaben abgelassen hatte, “keine Zusammenarbeit” mit der Linkspartei einzugehen (“weder so noch so”), nannte “Bild” sie fortan einigermaßen konsequent “Frau Lügilanti” und veröffentlichte damals Leserbriefe wie diese:

Jedem Arbeitnehmer, der seinen Chef belügt, droht die fristlose Kündigung (“Vertrauensbruch”). Frau Ypsilanti hat ihren Arbeitgeber, den hessischen Steuerzahler, aufs Tiefste belogen.

Christian L., O. (Niedersachsen)

Sie ist doch in guter Gesellschaft. Und da wundern sich die Politiker, wenn die Wahlbeteiligung zurückgeht. Ich habe schon lange den Glauben an die Aufrichtigkeit der Politiker verloren.

Gerhard H., C. (Niedersachsen)

Franz Josef Wagner schrieb damals einen (selbst für seine Verhältnisse bemerkenswerten) Brief an die “Liebe Lüge” und erklärte:

Wenn ich mich über die Lügnerin Ypsilanti empöre, dann muss ich mir die Frage gefallen lassen, ob ich selbst ein wahrheitsliebender Mensch bin. Als Kolumnist ja, glaube ich. Privat – das ist Ansichtssache.

Schon im Februar 2008 hatte Wagner an Andrea Ypsilanti geschrieben:

Frau Ypsilanti, Sie müssen sich an Ihre Wahlversprechen halten, weil sonst das Bescheißen überhandnimmt. Der Diebstahl am Arbeitsplatz, die Steuerhinterziehung. Wenn Lügen in Deutschland schick werden, dann haben wir einen nationalen Notstand. Ich fordere Sie auf, nicht zu betrügen, weil wir doch alle moralisch sein wollen.

Im November 2008 schrieb Wagner an sie:

Sie haben technische Fehler zugegeben, aber keine moralischen.

Und im Januar 2009:

WER EINMAL LÜGT, DEM GLAUBT MAN NICHT.

Wagner gerierte sich lange als Verteidiger des einfachen Volkes. Über unrechtmäßig erlangte Erfolge schrieb Wagner im Januar 2008:

Lieber Oskar Lafontaine,

ich habe Ihnen noch gar nicht zu Ihren Wahlerfolgen (7,1 und 5,1 Prozent) gratuliert. Ich sage Ihnen, warum. Weil ich einem Doping-Betrüger auch nicht gratuliere. Sie dopten Ihre Wähler mit den Drogen “Weg mit Hartz IV”, “Weg mit der Rente mit 67”, “Raus aus Afghanistan”.

Das ist, wie wenn man verspricht: nie mehr Zahnweh, nie mehr Liebeskummer, nie mehr Insektenstiche.

Auf dem Höhepunkt von Ulla Schmidts “Dienstwagen-Affäre” schrieb er:

Was mich empört ist, dass die Mächtigen glauben, dass das alles normal ist. Als wären sie Könige, etwas Besseres. Mehr als wir.

Den Post-Chef Klaus Zumwinkel, der wegen Steuerhinterziehung vor Gericht stand, wollte Wagner “wegen Heuchelei” zu drei Jahren Gefängnis verurteilen. Doch das ging leider nicht:

Heuchelei ist kein Straftatbestand. Sie heuchelten Tugendhaftigkeit nach außen, aber in Ihrem Inneren waren sie nicht sittlich.

Und dann war da noch die Supermarkt-Kassiererin, die wegen der Unterschlagung von Pfandbons im Wert von 1,30 Euro entlassen worden war, und der Wagner ins Stammbuch schrieb:

Es ist der kleine Beschiss, Du nimmst dir was mit aus Deiner Firma, einen Kugelschreiber, eine Tintenpatrone für deinen Computer daheim. (…) Was ich denke, ist: Man darf nicht im Kleinen und im Großen bescheißen.

Man darf nicht bescheißen!

Was fast klingt wie ein göttliches Gebot, ist wohl eher als Regel zu verstehen. Und die werden bekanntlich von Ausnahmen bestätigt.

Mit besonderem Dank an Christoph S. und die vielen anderen Hinweisgeber!

Guttenberg, Gaddafi, Franz Josef Wagner

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Pro-Guttenberg-Kampagne im Zwielicht”
(spiegelfechter.com, Jens Berger)
Jens Berger befasst sich mit der von “Bild” ausgerufenen, kostenpflichtigen Telefonabstimmung über den Verbleib von Karl-Theodor zu Guttenberg im Amt des Verteidigungsministers (BILDblog berichtete). Dazu: Hintergründe zur inzwischen über 270.000 Nutzer umfassenden Facebook-Seite “Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg”.

2. “Bundeswehr plant Werbekampagne bei ‘Bild'”
(ftd.de)
“Mit Blick auf die Aussetzung der Wehrpflicht plant die Bundeswehr eine große Werbekampagne für den Dienst in der Truppe. (…) Den Angaben des Ministeriums zufolge soll die Kampagne im März beginnen und bei den Zeitungen ‘Bild’ und ‘Bild am Sonntag’ sowie der Online-Ausgabe von ‘Bild’ laufen.”

3. “Die heikle Iran-Mission der BamS-Reporter”
(ndr.de, Video, 7:58 Minuten)
“Zapp” bezweifelt die Auslanderfahrung der über Monate vom Iran festgehaltenen “Bild-am-Sonntag”-Mitarbeiter Marcus Hellwig und Jens Koch. Und befragt andere Journalisten zur Recherche ohne Journalistenvisum.

4. “Dummheit und Gefahr”
(taz.de, Katajun Amirpur)
Auch die “taz” blickt zurück auf die Reise in den Iran: “Jetzt, wo die beiden frei sind, kann man es aussprechen: Diese Reise war eine Mischung aus Dummheit und Verantwortungslosigkeit.”

5. “Enden Sie bloß nicht wie Hemingway”
(zeit.de, Harald Martenstein)
Harald Martenstein schreibt eine Ode an Franz Josef Wagner: “Ich mag das Pathos, die starken Bilder. Ironie ist Tarnung. Ironie ist für Feiglinge. Sie haben keine Angst davor, sich lächerlich zu machen. Sie ziehen sich aus und zeigen der Welt Ihren nackten Arsch – wegen des Wortes ‘Arsch’ werde ich sicher Briefe von empfindsamen Seelen bekommen. Ohne Mut zum Risiko kann man nichts erreichen, auch nicht als Autor.”

6. “Libya: Kadafi’s other foe — copy editors”
(opinion.latimes.com, Paul Whitefield, englisch)
Muammar al-Gaddafi – ein Name in vielen Varianten.