Archiv für Dezember 8th, 2010

Lolas Rente*

Der Filmkritiker Rüdiger Suchsland wartet. Er wartet darauf, dass ihm jemand von ARD und ZDF verrät, wie viel Geld die öffentlich-rechtlichen Sender für die Rentenbezüge ihrer ehemaligen Angestellten ausgeben. Immerhin wartet er offenbar nicht allein; er schreibt: “Wir warten.”

Suchsland hat für das Online-Magazin “Telepolis” einen Artikel verfasst, in dem er seinem Frust darüber Ausdruck verleiht, dass ARD und ZDF immer weniger so sind, wie sie seiner Meinung nach sein sollten. Er ist damit nicht allein, und die meisten Belege, die er für seine These nennt, dass die öffentlich-rechtlichen ihre “Verpflichtungen immer weniger erfüllen, weil sie den Privatsendern immer ähnlicher werden”, sind bekannt: weniger Dokumentationen, mehr Talkshows.

Unter Suchslands Text liegt ein ohrenbetäubendes Raunen. Denn er reichert die übliche (deshalb aber natürlich nicht unberechtigte) Kritik mit diversen Gerüchten an. Das heißeste davon lautet:

50 Prozent aller Rundfunk-Gebühren entfallen zur Zeit allein auf Zahlung der Rentenbezüge ehemaliger Angestellter (…).

Suchsland hat diese Information offenbar exklusiv “aus den zweifellos gut unterrichteten Kreisen der Chefetage eines großen öffentlichen Senders”. Und er flucht:

Solche Informationen sind bislang nicht öffentlich. Warum eigentlich? Gibt es kein Recht auf Transparenz bei der Verwendung von Rundfunkgebühren — ähnlich wie die Bürger das Recht haben zu erfahren, was mit den Steuergeldern passiert?

Sollte die Information aus der Chefetage nicht zutreffen, wäre es für die Sender jedenfalls ein Leichtes, diese zu widerlegen, indem sie die Zahlen offen legt. Wir warten.

Apropos “ein Leichtes”: Es gäbe da etwas, das Herr Suchsland tun könnte, anstatt mit spitzem Finger auf die Tischplatte zu tippen. Er könnte auf die Internetseite der “Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten” (KEF) gehen, die nicht nur genau das tut, was ihr Name sagt, sondern darüber sogar öffentlich Rechenschaft ablegt. Er fände dort ein ganzes Kapitel über die “Betriebliche Altersversorgung”. In vielen Tabellen könnte er nachlesen, wie viel Geld die einzelnen öffentlich-rechtlichen Sender dafür pro Jahr ausgeben. Die Kommission hat sich sogar die Mühe gemacht, den Nettoaufwand zu errechnen, der neben den Ausgaben für die Altersvorsorge auch korrespondierende Erträge berücksichtigt und die “effektive Belastung des Gebührenzahlers” darstellen soll. Sie verfolge nämlich, schreibt die Kommission, wie Suchsland zum Hohn, “stetig das Ziel, eine größere Transparenz in der Darstellung der Verwendung der Rundfunkgebühren für die betriebliche Altersversorgung der Rundfunkanstalten zu erreichen”.

Für 2010 zum Beispiel rechnen ARD, ZDF und Deutschlandradio insgesamt mit einem Nettoaufwand von 377,6 Millionen Euro für die Altersversorgung. Dem stehen 8,5 Milliarden Euro Einnahmen gegenüber — davon stammen über 85 Prozent aus den Rundfunkgebühren, also mehr als 7,2 Milliarden Euro.

Es scheint, als würden ARD, ZDF und das Deutschlandradio nicht fünfzig, sondern fünf Prozent der Gebühren, die sie bekommen, für Rentenbezüge ausgeben. Wenn die gut unterrichteten Kreise der Chefetage eines großen öffentlichen Senders tatsächlich über jeden Zweifel erhaben sind, muss sich Suchsland wohl verhört haben.

Jedenfalls könnte er jetzt aufhören zu warten (und den anderen Bescheid sagen).

Mit großem Dank an den Hinweisgeber.

Nachtrag, 10. Dezember, 0.00 Uhr. “Telepolis” hat dem Artikel folgende “Ergänzung” hinzugefügt:

Nachdem die Zahlenangaben für viel Unruhe gesorgt haben, will der Autor demnächst dazu weiter berichten.

Wir warten.

Nachtrag, 11. Dezember, 16.30 Uhr. Rüdiger Suchsland räumt nun in einer “persönlichen Stellungnahme” auf “Telepolis” ein, dass seine Behauptung, 50 Prozent aller Rundfunk-Gebühren entfielen auf Rentenbezüge, “nicht zu halten” sei und nennt die Kritik an seinem Eintrag “gerecht”. Er verteidigt jedoch grundsätzlich das ahnungslose Publizieren von irgendwo Aufgeschnapptem:

Grundsätzlich halte ich allerdings daran fest, dass es gerade der Sinn von Blogs mit ihrer Möglichkeit zur Leserreaktion ist, auch das zu publizieren, was ich hier mal “partytalk” nennen will. Da hört man nämlich neben reinen Gerüchten immer wieder Dinge, die namentlich nie zur Veröffentlichung gesagt werden und trotzdem stimmen.

Indirekt scheinen auch ARD und ZDF selbst Schuld zu sein, dass Leute wie er falsche Meldungen über sie in die Welt setzen:

Jetzt könnte man zwar auch darüber räsonnieren, was es denn über den ÖR sagt, dass man solche Informationen erstmal glaubt, bzw. hier immer mit dem worst case rechnet, aber das würde dann wie eine Ausrede klingen, und das soll es nicht.

*) Lola Öber-Klöben, langjährige ZDF-Archivarin (Name geändert)

Wohin hinkt Brüderles Vergleich?

“Stasivergleiche machen immer was her”, muss sich Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) gedacht haben, als er gestern auf dem fünften nationalen IT-Gipfeltreffen in Dresden folgende Worte sagte:

Manches, was ich bei Wikileaks da entnehme, erinnert mich an die Sammelwut, die früher Institutionen im Osten hatten, die Stasi dabei.

Beim absehbaren kollektiven Aufschrei, etwa auf Twitter, hinterher gab es allerdings ein Problem: Wen oder was genau hat Brüderle denn jetzt eigentlich mit dem berüchtigten DDR-Geheimdienst verglichen?

Für die “Financial Times Deutschland” war ganz klar die US-Botschaft gemeint:

Wikileaks-Enthüllungen Brüderle vergleicht US-Sammelwut mit Stasi Die Enthüllungen auf Wikileaks erregen noch immer die Gemüter der Liberalen. Der Wirtschaftsminister sieht Parallelen zwischen der US-Botschaft und dem Überwachungsapparat der früheren DDR. Das geht selbst Parteifreunden zu weit. Brüderle rudert zurück.

Ähnlich berichteten gestern die Nachrichtenagentur dpa und “Focus online”, sowie in jeweils abgeschwächter Form “Spiegel Online” und die “Süddeutsche Zeitung”.

Auch Brüderles Parteifreund Wolfgang Kubicki, der den Wirtschaftsminister nach dessen Rede heftig kritisierte, sah hier einen Affront gegen die Amerikaner. Der “Leipziger Volkszeitung” sagte er laut Vorabbericht:

Die Depeschen der US-Botschaften mit Stasi-Unterlagen zu vergleichen, heißt erstens das Unrecht der DDR zu relativieren und heißt zweitens, einen Rechtsstaat mit einem Unrechtsstaat zu vergleichen. Beides sollte sich von selbst verbieten.

Dennoch hatte eine ganze Reihe anderer Medien und Blogs aus Brüderles Aussage einen ganz anderen Adressaten herausgehört — nämlich die Enthüllungsplattform Wikileaks selbst.

Bild.de etwa titelte:

Internet-Portal: Brüderle vergleicht Wikileaks mit Stasi. Minister: Eine "Sammelwut, die früher Institutionen im Osten hatten"

Im Artikel heißt es:

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hat die Internet-Plattform Wikileaks scharf attackiert. Das Vorgehen der Enthüllungsplattform bereite ihm Unbehagen und erinnere ihn an die DDR-Staatssicherheit!

Ähnlich sehen das die Presseagentur dapd, “Welt online” und zunächst auch netzpolitik.org und “Carta”. Beide Blogs schwächten allerdings im Laufe des gestrigen Abends ihre Artikel noch ab.

Aber wer ist denn nun wirklich gemeint? BILDblog hat beim Wirtschaftsministerium nachgefragt und von Pressesprecherin Beatrix Brodkorb die Bestätigung erhalten: Brüderle habe tatsächlich nicht die US-Botschafter mit der Stasi vergleichen wollen, sondern den Überbringer der Nachricht, Wikileaks. Der Wirtschaftsminister sei unter anderem wegen der Ankündigung weiterer Veröffentlichungen zu den Geschäftspraktiken amerikanischer Großbanken in Sorge.

Alle Unklarheiten beseitigt? Dann empören Sie sich jetzt!

Wikileaks, Beckedahl, Kochshows

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Wetten dass..?’-Unfall: Wie das ZDF die Probenstürze herunterspielt”
(faz-community.faz.net/blogs, Peer Schader)
Peer Schader geht es nicht darum, den Verantwortlichen die Schuld am Unfall in der Sendung “Wetten, dass..?” zuzuschieben: “Aber ganz so einfach, wie man es sich beim ZDF derzeit mit der Behauptung macht, bei der Vorbereitung habe nichts dafür gesprochen, dass die Wette furchtbar schiefgehen kann, ist die Angelegenheit wohl nicht.”

2. “Wikileaks’ Julian Assange verhaftet”
(perlentaucher.de, Anja Seeliger)
Für Anja Seeliger hat die Veröffentlichung der Diplomatendepeschen “die ganze Welt irgendwie durchsichtiger gemacht”: “Diese Depeschen haben fast alle Nationen beschämt. Und das ist gut! Kann man nicht plötzlich ganz neu reden, wenn auf jeden ausgestreckten Zeigefinger zurückgezeigt werden kann? Soll doch jeder erst Mal vor der eigenen Haustür kehren!”

3. “Chaos Computer Club fordert Informationsfreiheit im Netz”
(ccc.de)
“Die Verbreitung der von Wikileaks veröffentlichten Dokumente stellt nach Auffassung des CCC einen legitimen Akt der öffentlichen Meinungsbildung dar und ist eine Wahrnehmung des Grundrechts auf Publikationsfreiheit.”

4. “Defend WikiLeaks or lose free speech”
(salon.com, Dan Gillmor, englisch)
Dan Gillmor ruft Journalisten zur Einsicht auf, dass Angriffe auf Whistleblower auch Angriffe auf sie selbst sind.

5. Interview mit Markus Beckedahl
(epd.de)
Ein ausführliches Gespräch mit Markus Beckedahl von netzpolitik.org. Er glaubt, dass das Klickverhalten der Nutzer auf sie selbst zurückfällt: “Die Nutzerwelt sollte sich nicht beschweren, wenn überall nur Polemiken zu finden sind, denn das wird letztendlich geklickt oder geflattred. Aber vielleicht führen ja solche Dienste und die Evaluation der Nutzungsverhalten allmählich dazu, dass sich das verändert.”

6. “Deutschlands größte Fans von TV-Kochshows werden jetzt künstlich ernährt”
(kojote-magazin.de)