Archiv für August 17th, 2010

Das Rauschen im Hanfblätterwald

Dass die wilden 70er schon lange zurückliegen, erkennt man an einer Meldung der Deutschen Presseagentur dpa über die Pläne der Bundesregierung, verschreibungspflichtige Cannabis-Medikamente zuzulassen. Dort heißt es unter anderem:

Eigentlich ist Cannabis ein Rauschgift, das aus Hanfblättern gewonnen und meist als Haschisch oder Marihuana konsumiert wird.

Profikiffern dürfte angesichts dieser naiven Aussage der Kragen platzen — wenn sie nicht so lethargisch wären. Erstens ist Cannabis nämlich kein Rauschgift, sondern lediglich der wissenschaftliche Name der vielseitig einsetzbaren Pflanze Hanf. Zweitens werden Marihuana und Haschisch nicht aus Hanfblättern, sondern aus den Blüten bzw. ihrem THC-haltigen Harz gewonnen. Für Marihuana werden zwar auch die kleinen Blättchen über den Blüten der weiblichen Pflanze mitverarbeitet, doch das, was in der dpa-Meldung gemeint ist und was im Zusammenhang mit Cannabis überall abgebildet wird, hat abgesehen von einer abführenden überhaupt keine Wirkung.

Das hat sueddeutsche.de, “Zeit Online”, “Spiegel Online”, fr-online.de und viele mehr aber nicht daran gehindert, diesen Unfug weiterzuverbreiten. Wenigstens ftd.de und Bild.de haben den Joint gerochen und die betreffende Stelle einfach ausgelassen.

Mit Dank an Sara.

Nachtrag, 20.31 Uhr: Bei “Zeit Online” hat sich inzwischen das Bewusstsein erweitert und der Fehler ist korrigiert. Bei “Spiegel Online” wurden zwar wenigstens die wirkungslosen Hanfblätter geerntet, aber man hat immer noch nicht verstanden, dass Cannabis Hanf ist und nicht aus Hanf gewonnen wird:

Eigentlich ist Cannabis ein Rauschmittel, das aus Hanf gewonnen und meist als Haschisch oder Marihuana konsumiert wird.

Nachtrag, 19. August. dpa hat sich an einer Korrektur versucht, was allerdings nur halb gelungen ist. In einer neuen Fassung der Meldung heißt es nun:

Der Cannabis-Wirkstoff Tetrahydrocannabinol ist eigentlich ein Rauschgift, das vor allem aus den Blättern der Hanfpflanze gewonnen und meist als Haschisch oder Marihuana konsumiert wird.

Auf die “Berichtigung” macht dpa in einem “redaktionellen Hinweis” aufmerksam:

Im letzten Satz wurde klargestellt, dass der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol das Rauschmittel darstellt und vor allem aus der Blüte gewonnen wird, nicht aus den großen Blättern.

“Wurde klargestellt” hier offenbar in der Bedeutung von “hätte klargestellt werden sollen”.

Man trifft sich immer zwei Mal im Leben

Genau genommen ist da nichts falsch an diesem Foto oder seiner Beschriftung:

Göktan (l.) und Di Salvo (r.) jubeln über das Weiterkommen im DFB-Pokal gegen den SC Verl

Es sind Berkant Göktan und Antonio di Salvo, die sich über den Sieg von 1860 München gegen den SC Verl im DFB-Pokal freuen.

Zur Bebilderung der aktuellen Pokalrunde taugt das Foto aber nur bedingt, denn es entstand bereits am 4. August 2007, als der TSV 1860 München erstmalig gegen den SC Verl spielte und gewann.

So steht es auch in der Datenbank der Sportfoto-Agentur Witters:

04.08.2007, Verl, Jubel 0:1 v.l. Berkant Goektan, Antonio Di Salvo 1860 DFB-Pokal 1.Runde SC Verl - TSV 1860 Muenchen

Es gibt auf dem Bild etwa drei Anhaltspunkte, dass es sich nicht um ein aktuelles Foto handeln kann: Berkant Göktan verließ 1860 am 21. Oktober 2008, Antonio di Salvo am 12. Januar 2010 und der Verein hat in dieser Saison ganz andere Trikots.

Mit Dank an Markus W., Andreas Sch. und den anderen Hinweisgeber.

Nachtrag, 23.51 Uhr: Bild.de hat das Foto entfernt.

Traumschiffe, Kulturjournalisten, Street View

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wie das Fernsehen der Kreuzfahrtindustrie verfiel”
(faz-community.faz.net, Peer Schader)
Peer Schader schreibt zur Begeisterung öffentlich-rechtlicher TV-Sender für Kreuzfahrtschiffe. “Die Veranstalter von Safarireisen und Arktisexpeditionen müssen grün sein vor Neid. In jedem Fall steht die Fülle der Sendungen, die sich mit dem Thema beschäftigen, in keinem Verhältnis zu dessen tatsächlicher Bedeutung.”

2. “Traumschiff, ahoi!”
(klatschkritik.blog.de, Antje Tiefenthal)
Und nochmals Schiffe: Antje Tiefenthal vergleicht die Informationen verschiedener Zeitschriften zu den Reisekosten, der Urlaubsbegleitung und der Crewgröße eines Luxus-Yacht-Aufenthalts von Heidi Klum und Familie.

3. “Eine Frage des Gehalts”
(faz.net, Michael Hanfeld)
Michael Hanfeld kommentiert die transparent gemachten Gehälter der Intendanten öffentlich-rechtlicher Sender. “Das sind mitnichten geringe Summen, vor allem, wenn man zum Vergleich das Jahreseinkommen der Bundeskanzlerin heranzieht, das sich auf 199.000 Euro beläuft. Das ist mitnichten übertrieben viel, schaut man auf die Spitzeneinkünfte in großen Fernseh- und Medienkonzernen oder etwa auch darauf, was der Chef der britischen BBC einkassiert – stolze 800.000 Pfund pro Jahr.”

4. Interview mit Norbert Bolz
(journalist.de, Christina Lissmann)
Norbert Bolz kritisiert politisierende Kulturjournalisten: “Eine intelligente Romanrezension könnte sehr viel mehr über die Gesellschaft Deutschlands heute sagen als ein dritter Aufguss irgendeiner Antikapitalismuskritik auf Seite eins des Feuilletons.”

5. “Streetview für Deutschland längst online”
(taz.de, Johanna Kleinschrot)
Ein zukünftiges Google Street View löst Wellen der Empörung aus. Derweil ist der Konkurrent sightwalk.de längst mit Bildern online. So findet sich Dorin Popa (nice-bastard.blogspot.com) dort “mal schön verpixelt, mal aber auch nicht gepixelt”.

6. “Ich bin gegen Google Street View und das zeige ich! Auf GoogleMaps!”
(spreeblick.com, Philipp Jahner)