Archiv für Juli 30th, 2010

Kachelmann: Zitieren für Anfänger

Das ist irgendwie unglücklich gelaufen für “Bild”: Mitten in die immer noch laufende Berichterstattung zum Loveparade-Desaster und den Rosenkrieg bei Lothar Matthäus wurde am Donnerstag auch noch Jörg Kachelmann aus der U-Haft entlassen.

Aber zum Glück hat Kachelmann ja direkt am Freitag dem freien Journalisten Jan Mendelin ein Interview gegeben, das nicht nur bei “Brisant” und “Exklusiv” zu sehen war, sondern auch auch auf Bild.de.

Der Einfachheit halber hat Bild.de das knapp vierminütige Gespräch zu weiten Teilen exzerpiert und zusammengefasst:

Von der Frau, die ihn der Vergewaltigung bezichtigt, spricht Kachelmann nur von “dieser Person”: “Das wünsche ich niemand anderem auf der Welt, was diese Person mir angetan hat.”

Ja, äh … fast.

Was Kachelmann sagt (ab 1:40), ist:

Man kann ja selber nichts an seiner Situation ändern. Das ist etwas, was ich niemandem wünschen möchte, niemandem auf der Welt, was dieser Mensch mir auch angetan hat.

Oder für Bild.de-Mitarbeiter: Er wünscht es niemandem. Auch nicht Kai Diekmann oder Mathias Döpfner. Aber auf zwei Millionen Euro will er “Bild” Medienberichten zufolge trotzdem verklagen.

Mit Dank an Martin R. und Hauke W.

Warum Kerner so angenehm unaktuell ist

Sven Gantzkow hat sich für “Welt Online” die gesamte gestrige Ausgabe von “Kerner” auf Sat.1 angeschaut und ist bass erstaunt:

Wo alle über die 21 Opfer von Duisburg sprechen, sprach JBK über Lachforschung und Botox gegen Migräne. Von einer Aufarbeitung der Geschehnisse auf der Loveparade ließ der Gebrannte die Finger, was gemessen an seinen eben erwähnten schlechten Erfahrungen mit solchen Tragödien wahrscheinlich auch gut war.

Und obwohl Gantzkow es offensichtlich für eine gute Idee hält, dass Johannes B. Kerner, der mit einer Sondersendung nach dem Amoklauf von Erfurt vor acht Jahren unrühmlich aufgefallen war, diesmal auf eine Beschäftigung mit so einem ernsten Thema verzichtet, kommt er immer wieder darauf zurück:

Vielleicht wollte sich die Redaktion aber auch einfach nicht ihre gute Laune verderben lassen, die unzweifelhaft vorgeherrscht haben muss. Anders ist es nicht zu erklären, dass man einen Beitrag durchgehen ließ, in dem ein unerträglich aufgekratzter Außenreporter harmlose Pärchen in der Hamburger Fußgängerzone mit Fragen nach ihrem gegenseitigen Wissen über den Partner behelligte.

Im Vorspann erklärt “Welt Online” dann gar:

Überraschenderweise hat Kerner das Loveparade-Drama in seiner Sendung völlig verschwiegen.

Die Überraschung wird vielleicht ein bisschen kleiner, wenn man weiß, dass bis einschließlich 5. August noch “Kerner”-“Sommerausgaben” laufen, die bereits im Juni aufgezeichnet wurden, wie uns Sat.1 auf Anfrage bestätigte.

Mit Dank an Bernd V. und Bastian.

Wie der Vater so der Sohn

Ganz schön rüstig! Mit 57 Jahren tritt Wendelin Wiedeking, der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Porsche, als Rennfahrer ausgerechnet beim Porsche Sports Cup an — zumindest meldete dies die Deutsche Presseagentur (dpa) am Donnerstag unter der Überschrift “Wiedeking gibt Gas”:

In der Öffentlichkeit hat sich Ex-Porsche- Chef Wendelin Wiedeking nach seinem dramatischen Abgang vor einem Jahr rargemacht. Der Spaß an schnellen Autos scheint dem Manager aber nicht vergangen zu sein: Der ehemalige Lenker der Sportwagenschmiede steht auf der Teilnehmerliste des Porsche Sports Cup in Oschersleben bei Magdeburg.

Bei dpa hat man mittlerweile gemerkt, dass nicht der Ex-Porsche-Chef auf der Teilnehmerliste steht, sondern sein 25-jähriger Sohn gleichen Namens, und heute morgen um 11:50 Uhr eine Korrektur mit der Überschrift “Sohn von Wiedeking gibt Gas” verschickt. Darin heißt es jetzt:

(…) Der Spaß an schnellen Autos scheint zumindest seinem gleichnamigen Sohn aber nicht vergangen zu sein (…)

Bis zu Volksstimme.de, Ortsdienst.de oder Bild.de hat sich die Korrektur aber noch nicht herumgesprochen. Andererseits ist sie auch bei weitem nicht so spannend wie die Ursprungsversion.

Mit Dank an Thomas L.

Nachtrag, 31. Juli: Bei Volksstimme.de darf mittlerweile der Sohn Gas geben.

Löschdebatte

Seit am 20. April die Bohrinsel “Deepwater Horizon” explodierte und zwei Tage später unterging, sprudelt nicht nur das Öl — auch die Mutmaßungen über Ursachen und Verantwortlichkeit wollen nicht versiegen. Es ist ein Schwarzer-Peter-Spiel für Fortgeschrittene — keiner will’s gewesen sein und alle Parteien versuchen den jeweiligen Widersacher verantwortlich zu machen, immerhin handelt es sich um die größte Umweltkatastrophe der Vereinigten Staaten.

Seit zwei Tagen ist dieses Spielchen nun in einer neuen Runde (mehr dazu bei Mediamatters) — und glaubt man der Berichterstattung auf Bild.de, dann hat eine “neue Enthüllung zur Öl-Pest im Golf von Mexiko” ergeben, dass die “explodierte Plattform (…) möglicherweise durch Löschwasser versenkt” wurde.

Weiter schreibt Bild.de über das Löschen mit Salzwasser:

Offenbar ein folgenschwerer Fehler! Denn durch die enorme Last des Löschwassers geriet die brennende Plattform zunehmend aus dem Gleichgewicht, kippte zur Seite – und versank zwei Tage später im Meer.

Nun hat das US-amerikanische “Center for Public Integrity“, eine Nichtregierungsorganisation für kritischen Journalismus, tatsächlich vor zwei Tagen einen recht ausführlichen Bericht über den Einfluss der Löschschiffe veröffentlicht, der in der Tat den Verdacht erweckt, ohne das Löschwasser wäre die Plattform nicht gesunken — zumindest dann, wenn man den Beitrag nicht ganz bis zum Ende liest.

Dort stellen die Autoren des “Center for Public Integrity” nämlich einen Dozenten der Universität Texas vor, der im Grunde alle Vermutungen, Mutmaßungen und all das Geraune zuvor ganz grundsätzlich in Frage stellt:

“Ich glaube nicht, dass irgendjemand geglaubt hat, das Feuer sei mit Schaum oder Wasser zu löschen,” sagt jener Paul Bommer da, “das Feuer war zu groß und zu heiß.”

(Übersetzung von uns.)

Was genau an diesem 20. April geschah — das wissen also selbst die Experten nicht so recht und stochern mehr oder minder im Dunkeln, erwägen, mutmaßen und raten. Für die Redaktion von Bild.de aber, für die der Beitrag des “Center for Public Integrity” zu lang und zu kompliziert war, sieht die Sache recht eindeutig aus — und so können die Leser von Bild.de jetzt annehmen, dass all das Öl im Golf von Mexiko letztlich der Unfähigkeit der Löschschiffe anzulasten sei. Und der Schwarze Peter? Macht weiter munter die Runde.

Mit Dank an den Hinweisgeber.

Leserreporter, Hamburger, Migrationsthemen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Kuranyi! Im Urlaub!! Auf Ibiza!!!”
(fr-online.de, Daniel Bouhs)
Seit vier Jahren arbeitet “Bild” mit Leserreportern zusammen. Daniel Bouhs zieht ein vorläufiges Fazit. “Das Unglück von Duisburg zeigt: In Zeiten, in denen Handys jeder Preisklasse mit Foto- und Videokameras ausgerüstet sind, entgeht der Öffentlichkeit nichts mehr. Das wollen auch professionelle Medienmacher für sich nutzen – allen voran die Bild-Zeitung.”

2. “Das Lachen nach dem Schluss”
(stijlroyal.de, Huck Haas)
Huck Haas denkt nach über die Privataufnahmen von der Loveparade in Duisburg und ihre Aufnahme bei Twitternutzern. Trotz aller Härte hält er die “Demokratisierung der Bilder von der Basis” wichtig. “Wir Zuschauer können nicht die ganze Verzweiflung begreifen und nachvollziehen, aber so ist sie ein bisschen gegenwärtig, man versteht ein bisschen warum selbst gestandene Sanitäter weinend zusammengebrochen sind. Man kann es erahnen.”

3. “Daily Mail and Sun pay out to Tamil hunger striker”
(guardian.co.uk, Sam Jones, englisch)
Auf den Online-Portalen entschuldigen sich “Sun” und “Daily Mail” bei Parameswaran Subramanyam, dem sie 2009 unterstellt haben, während eines Hungerstreiks Hamburger gegessen zu haben. Der Hungerstreikende dazu: “I have been shunned, publicly abused and received numerous extremely distressing and frightening telephone calls and text messages. I have received death threats and on occasions felt unable to leave my home for fear that I may be attacked.”

4. “Brad Pitt und die Kochprofis”
(klatschkritik.blog.de, Antje Tiefenthal)
Schauspieler Brad Pitt schneidet sich den Bart ab und begleitet seine Frau zu einer Filmpremiere. Eine Ausgangslage, die Klatschmagazine zu Spekulationen anregt, die in alle Richtungen gehen.

5. “Journalistin mit Migrationshintergrund”
(taz.de, Cigdem Akyol)
Cigdem Akyol fragt sich, warum Journalisten aufgrund ihres Migrationshintergrunds von ihr immer wieder Texte über Migrationsthemen fordern. Sie habe “Völkerrecht studiert, nicht Einwandererdasein”. – “Ja aber, sie müssen doch mehr dazu sagen können, gerade Sie, mit ihrem Namen”.

6. “Best Leak Ever”
(thedailyshow.com, Video, 8:59 Minuten, englisch)
Jon Stewart begutachtet die investigativen Fähigkeiten, mit denen US-amerikanische TV-Sender Informationen zu den Afghanistan-Protokollen von Wikileaks verarbeiten.