Archiv für Juli 9th, 2010

Wo ist der Meineid?

Eine interessante Logikschleife flicht uns heute das “Hamburger Abendblatt” auf seiner Internetseite:

Wenn es ganz dick kommt, muss Armstrong unter Meineid vor Gericht aussagen. Sollte er dann nachweislich lügen, droht eine Haftstrafe wie bei Sprinterin Marion Jones.

Aber wenn der Radrennfahrer Lance Armstrong unter Meineid lügt — hat er dann nicht alles richtig gemacht?

Nachtrag, 10. Juli: abendblatt.de hat den Fehler im Vorspann korrigiert — an der oben zitierten Stelle steht immer noch “Meineid”.

Nachtrag, 11. Juli: Im Laufe des gestrigen Tages ist auch der zweite “Meineid” aus dem Artikel verschwunden.

Das englische Patient

Neulich hat mich ein Freund gefragt, wo eigentlich immer diese internationalen Pressespiegel herkommen, die man in Zeitungen lesen oder im Radio hören kann. Ob die von den Redaktionen selbst zusammengestellt und übersetzt werden — und wer dann all diese Fremdsprachen spricht.

Diese Pressespiegel kommen von Nachrichtenagenturen, zum Beispiel von dpa, zum Beispiel zum WM-Halbfinale Deutschland gegen Spanien.

Und da steht dann zum Beispiel so was drin, zum Beispiel auf Bild.de:

New York Times (USA): "Der Patient Spanien serviert einen K.o."

Spanien. Wer denkt da nicht gleich an das riesige Lazarett, das Trainer Vicente del Bosque dazu zwang, mit einem letzten Aufgebot nicht-verletzter Spieler zu spielen?

Das ist natürlich völliger Quatsch. Was die “New York Times” schrieb, war vielmehr:

Patient Spain Delivers a Knockout

Das könnte man in anderen Fällen mit “Der Patient Spanien serviert einen K.o.” übersetzen, aber sehr viel mehr Sinn ergibt es, wenn man “Geduldiges Spanien teilt einen K.o. aus” schreibt.

Diese schwer merkwürdige Überschrift ist aber nicht nur bei der dpa niemandem aufgefallen, sondern auch bei vielen Online-Medien: ftd.de, mopo.de, “Welt Online” (als Teil 83 einer 86-teiligen Klickstrecke), hna.de (Teil 89 von 91).

Bei tagesschau.de, wo anfangs auch die falsche Übersetzung stand, haben sie den Fehler inzwischen bemerkt und unauffällig korrigiert.

Mit Dank an Uwe.

Fanartikel-Plunder, Leif, Putzteufel

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Spiel ohne Ball”
(merkur.de, Reinhard Lüke)
Reinhard Lüke resümiert die TV-Berichterstattung zur Fußball-WM und wähnt sich beim ZDF-Morgenmagazin beim Kinderkanal: “Nicht allein, dass das Berliner Studio in schwarz-rot-goldenem Fanartikel-Plunder versinkt und auf der Wetterkarte statt Sonne und Wolken Sonnenbrillen und Regenschirme in den Nationalfarben erscheinen, nein, zum Finale jeder Ausgabe streifen sich Moderatoren wie Patricia Schäfer und Wulf Schmiese, immerhin ausgebildete Journalisten, auch noch Trikots über und stellten sich in eine Vorrichtung mit Stangen, die einem Tischfußballspiel nachempfunden ist, um darin gegen Studiogäste vor den Ball zu treten.”

2. “Erstmals im Halbfinale”
(ad-sinistram.blogspot.com, Roberto J. De Lapuente)
Mehrere Quellen schreiben, dass Spanien noch nie ein Halbfinale einer Fußball-WM erreicht habe. “In einem klassischen Halbfinale, nach K.-o.-Schema, standen die Iberer tatsächlich noch nie – aber an einer Runde der letzten vier Mannschaften, und nichts anderes ist ja ein Halbfinale, durfte man schon mal teilnehmen.” (1950)

3. “Korrekte Bezahlung für die Texte? Ist nicht vorgesehen!”
(offensichtlich.wordpress.com, Daniela Warndorf)
Eine ungenannte Zeitung arbeitet nicht mehr mit einer ungenannten freien Zeitungsjournalistin zusammen, nachdem diese darauf beharrt hatte, dass ein für 180 Euro bestellter und nachträglich gekürzter Auftrag im Umfang von “10.000 Zeichen mit mehreren Fotos” bezahlt wird.

4. “Italiens Medien streiken”
(derstandard.at)
Keine Zeitungen sollen heute in Italien erscheinen. Der Journalistenverband FNSI protestiert damit gegen geplante Strafen für Medien und Journalisten, die “‘unrechtmäßig’ Ermittlungsakten oder mitgeschnittene Gespräche veröffentlichen”.

5. Interview mit Thomas Leif
(meedia.de, Christine Lübbers)
Thomas Leif sieht eine wachsende Zahl “seelenloser Verleger”, “die weiter rigide auf Kosten der Qualität sparen, obwohl sie respektable Renditen ausweisen”.

6. “Die Ausputzerin”
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Kerstin Greiner)
Petra Weingart, selbständige Unternehmerin in der Ein-Personen-Firma “Käthes Putzteufel”, arbeitet “zwischen 12 und 20 Stunden am Tag, etwa 85 Stunden die Woche” und verdient damit rund 3000 Euro brutto.