Archiv für Juni, 2010

Die Geschäftswelt ist nicht genug

Sie wussten das sicher schon, aber: “Alle werden fündig bei Saturn auf der Wilferdinger Höhe in Pforzheim.” So erklärt es die “Pforzheimer Zeitung” in einem Video auf ihrer Internetseite.

Die gleiche Sprecherin, die sonst für die Redaktion Bilder von Volksfesten kommentiert, preist diesmal die Vorteile des Elektronikmarkts an: Die Lage (“verkehrsgünstig”), die 150 Parkplätze (“für Kunden kostenlos”), die Preise (“dauerhaft tief”), das Angebot (“faszinierende Produktvielfalt in großer Auswahl”).

Dass es sich bei dem Beitrag eigentlich nicht um einen redaktionellen Inhalt handeln kann, wird spätestens klar, wenn die Sprecherin plötzlich in die erste Person wechselt:

Wir waren der erste Saturn-Markt in Baden-Württemberg, seit über zehn Jahren sind wir mit mehr als 60 Fachkräften für unsere Kunden da.

Aufmerksame Zuschauer hätten ahnen können, dass das Video “Saturn – die Kompetenz in Pforzheim” gar nicht als redaktioneller Inhalt gedacht war. Gut, es stand in der Rubrik “Aktuelles” zwischen Berichten über Tierheime und Fußgängerzonen, aber man konnte es doch sehen:

Aus der Geschäftswelt

Wir haben bei der “Pforzheimer Zeitung” nachgefragt, welchen Hintergrund die leicht unbeholfenen Werbefilmchen haben, die in der Rubrik “Aus der Geschäftswelt” zu sehen sind und mit bloßem Auge nur durch einen Schriftzug (und plumpeste Unternehmensanpreisung) von redaktionellen Inhalten zu unterscheiden sind.

Die Redaktion bezeichnete die Videos als “PR-Anzeigen in Bewegtbildern”, als “Imagefilme” für lokale Unternehmen, die auch selbst die Texte verfassen.

Allerdings, das räumte auch die “Pforzheimer Zeitung” überraschend deutlich ein, müsste das Video eigentlich als Anzeige deklariert werden. Auch sei es ein Fehler, dass das Werbevideo von Saturn (übrigens auch Kooperationspartner der “PZ” bei einer “Playstation-WM”) unter “Aktuelles” einsortiert worden sei — ein Fehler, der auch schon beim Werbevideo fürs Autohaus Gerstel (dessen Besucher “viel Lob” für den neuen Opel Meriva “übrig hatten”) unterlaufen war. Man werde das auf alle Fälle ändern.

Scheint aber eine zeitaufwendigere Sache zu sein.

Mit Dank an Marcel.

Bild  

Von dünner und von heißer Luft

Das wirkte ja wirklich mitunter sehr komisch:

Wir haben über sie gelacht, über die Fliegenfänger im Tor von England, Algerien, Australien und Paraguay. Weil sie richtig blöd aussahen bei den Toren, die sie kassierten.

“Bild” wäre nicht “Bild”, wenn sie nicht einen Experten für dieses Thema aufgetan hätten — und wenn dieser Experte nicht Lothar Matthäus hieße:

Rekordnationalspieler Lothar Matthäus (49) hat eine Erklärung gefunden: “Der Ball fliegt in der Höhenluft ganz anders. Alle Teams haben mit ihren Pässen Probleme. Sehr oft fliegt die Kugel über die Köpfe der Adressaten ins Aus.”

Das mag grundsätzlich stimmen. In dem Kontext, in dem “Bild” Matthäus zitiert, taugt diese Erklärung aber exakt zur Hälfte, denn von den vier oben genannten Mannschaften hatten zwei ihre Torwartprobleme in Durban (Deutschland – Australien) bzw. Kapstadt (Italien – Paraguay), jeweils knapp oberhalb des Meeresspiegels.

Mit Dank an Kerstin.

Medienjunta, Segeln, Bildergalerie

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Nach der Machtergreifung der Medien erläutern Pressegeneräle ihr Programm”
(magda.de, Tom Schimmeck)
Tom Schimmeck malt sich aus, wie eine Medienjunta aus den Journalisten Kai Diekmann, Dirk Kurbjuweit, Gabor Steingart, Rainer Hank und Josef Joffe die Verantwortung übernimmt. “Wir hatten Rot-grün, Schwarz-rot und Schwarz-gelb heruntergeschrieben. Jetzt mussten wir selbst ran.”

2. “Wegsehen kann auch richtig sein…vor allem bei solchen Klickstrecken”
(medialdigital.de, Ulrike Langer)
“Wegsehen kann auch richtig sein” schreibt Julia Hohenadel in einem Kommentar zu einem Busunglück in Lohmar auf ksta.de. Dazu serviert wird eine Bildergalerie mit 17 Fotos vom Unglück – geknipst von Julia Hohenadel.

3. “Bild Bams Glotze”
(heise.de/tp, Peter Mühlbauer)
Für Peter Mühlbauer sind die privaten Sender nicht schlechter als die öffentlich-rechtlichen. Qualitätsunterschiede gebe es “zwar bei einzelnen Sendungen, aber keineswegs mehr grundsätzlich”.

4. “Expertenwissen”
(seefieber.de, Uwe Röttgering)
Uwe Röttgering entdeckt Fehler in der Segelberichterstattung von “Spiegel Online” und “Welt Online”: “Nun geht von diesen Fehlern nicht die Welt unter. Schwamm drüber, es geht ja nur ums Segeln. Was mir aber zu denken gibt, ist, dass uns diese Leute auch die Wirtschaftskrise und die große Politik erklären wollen. Es ist zu befürchten, dass sie davon genau so wenig Ahnung wie vom Segelsport haben.”

5. “Anleitung: So werden Sie beim nächsten Mal Chef”
(blog.persoenlich.com, Roger Schawinski)
Roger Schawinski erklärt, wie man es “in der Schweizer Medienlandschaft aufs höchste Treppchen” schafft.

6. “WM-Übertragung in England”
(faz.net, Gina Thomas)
Der britische TV-Sender ITV erhält mehr als fünftausend Beschwerden, nachdem die “1,5 Millionen HD-Zuschauer statt des Führungstors von Gerrard eine Werbung für Hyundai zu sehen bekamen”.

Bild, dpa  etc.

Wir basteln uns eine “Splitterbombe”

Irgendwas ist am Samstag bei einer Großdemonstration in Berlin passiert. Was genau es war, darüber sind sich die Ermittlungsbehörden noch nicht ganz sicher.

Die Deutsche Presse Agentur und zahlreiche andere Medien sprechen seit Tagen von einer “Splitterbombe”, die explodiert sei — eine Erklärung, die die Staatsanwaltschaft ausschließt.

Die “taz” hat eine Chronologie darüber verfasst, wie aus einem unklaren Fall “Linksterror” wird:

B.Z.  

Niemals geht man so ganz

Die potentiellen Vereinswechsel von Profifußballern sind traditionell ein Quell munterer (und oft genug hilfloser) Berichterstattung. Da wird einfach mal so drauf los spekuliert, da werden harmlose Fragen in den Raum gestellt, die es einem hinterher ermöglichen, es im Zweifelsfall immer schon gewusst zu haben.

So gesehen kann es eigentlich nicht mehr lange dauern, bis die Internetseite der “B.Z.” Michael Ballack auch mit den verbliebenen 16 Bundesligisten in Verbindung gebracht hat:

Wechselt Michael Ballack zum HSV? [...] Geht Ballack jetzt zu Schalke 04?

China, Sperrfristen, Content & Curation

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die China-Berichterstattung in den deutschen Medien”
(boell.de)
Die Heinrich-Böll-Stiftung untersucht detailiert die Berichterstattung deutscher Medien über China (PDF, 304 Seiten, 2,46 MB). Beklagt wird unter anderem Eurozentrismus, eine Fokussierung auf eine konfliktträchtige Kernagenda, eine “teilweise ideologische Berichterstattung” und ein starker Fokus auf “auf deutsche Elite-Personen und Unternehmen”.

2. “Raufende Ermittlungen”
(sueddeutsche.de, W. Janisch)
Für W. Janisch ist das Klima für Medien, die über laufende Ermittlungen berichten, rauer geworden: “Das liegt auch daran, dass dort ein Geschäftsfeld für Medienrechtsanwälte entstanden ist, die auf der Seite der Betroffenen agieren. Promi-Anwalt Matthias Prinz war ein Wegbereiter, Christian Schertz in Berlin und Michael Nesselhauf in Hamburg gehören zu den aktivsten Klagevertretern.”

3. “hysterie im web2.0 – chronographie einer twitter-ente”
(stenographique.wordpress.com)
Ein lauter Knall in Göttingen und die Folgen bei Twitter: “so schnell die aufregung kam, so schnell ist sie auch wieder verstummt. gerade einmal 15minuten und mehrere hundert nachrichten lagen zwischen panikähnlichen zuständen und business as usual. 11.15 uhr: man wendet sich wieder der kaffeetasse, dem lernskript oder dem terminplaner zu. als wäre nichts gewesen…”

4. “Skandalöse Rezensionspraktiken im Fall Christa Wolf”
(freitag.de/community/blogs, Michael Angele)
Michael Angele beachtet die Sperrfrist des Suhrkamp-Verlags zum neuen Roman von Christa Wolf, andere Medien aber nicht. Das sei auch “ein Betrug am Leser, denn der kann das besprochene Buch ja noch gar nicht kaufen”.

5. “Content Is No Longer King: Curation Is King”
(businessinsider.com, Steve Rosenbaum, englisch)
“‘Content is King’ — no longer. Today, the world has changed. ‘Curation Is King.'”

6. “Holzmedien versuchen HTML”
(hetjens.com, Philip Hetjens)
Philip Hetjens prüft die Websites einiger deutschsprachigen Zeitungen mit dem W3-Validator. “Im Boulevard scheint gutes HTML beliebt zu sein, aber sonst sieht es oft eher mässig aus. Den Vogel schiesst aber definitiv das Handelsblatt ab: Bei über 1300 Fehler auf der Homepage müssen die schon absichtlich eingebaut werden.”

Fernsehgarten, Focus, Futurezone

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wir Meinungsspekulanten”
(taz.de, Wolfgang Storz)
Für den Ex-Chefredakteur der “Frankfurter Rundschau”, Wolfgang Storz, ist “die gute alte Zeit, in der nur Bild dummmachte”, vorbei. “Auf die immer komplizierteren Entscheidungssituationen der Politik reagieren die meisten Journalisten mit immer banaleren Personalisierungen, die Ereignisse in Duelle umwandelt: Merkel gegen …, Wulff gegen …, Gabriel für …, Niederlage oder Sieg, Schwarz oder Weiß.”

2. “Focus enthüllt”
(dieganzewahrheit.blog.com, Thomas Weiss)
Thomas Weiss liest eine “Focus”-Story mit dem Titel “Die junge Republik – Präsident mit 51: Das aufwühlende Leben des Christian Wulff”.

3. “Sarkozy will über die Welt bestimmen”
(fr-online.de, Axel Veiel)
Die französische Regierung redet mit im Bieterverfahren um die Zeitung “Le Monde”. “Wenn zutrifft, was das Konkurrenzblatt Libération schreibt, dann ist Sarkozy die Vorstellung, die drei könnten die Kontrolle über Le Monde übernehmen, so unangenehm, dass er Fottorino gar mit dem Entzug staatlicher Unterstützung für die Modernisierung der Zeitungsdruckerei gedroht hat.”

4. “Fall Kölle: Dünger für Andrea Kiewel”
(sueddeutsche.de, Antje Hildebrandt)
Nach Informationen von sueddeutsche.de soll der “Wert der sogenannten Produkthilfen” (Pflanzen und Gartenzubehör), die eine private Firma dem ZDF-Fernsehgarten in einer vertraglich festgesetzten Kooperation zur Verfügung stellt, 250’000 Euro betragen.

5. “Die Futurezone, der VÖZ und die Politik.”
(datum.at, Jacqueline Godany)
Jacqueline Godany bloggt über die Einstellung, die der ORF Futurezone droht. “Zeitungsverleger sollten für Informationsfreiheit stehen. Stattdessen lassen sie per Gesetz die Konkurrenz abschalten.”

6. “Ist das Gleichberechtigung?”
(raul.de, Raul Krauthausen)
Rollstuhlfahrer Raul Krauthausen wird beim Telefonieren das iPhone aus der Hand gerissen. “Im Grunde bin ich froh, dass mir nicht mehr passiert ist. Sie hätten mir auch locker den Arm brechen oder mich zusammenschlagen können. Insofern hatte ich Glück im Unglück. So langsam kommt auch wieder meine sarkastische Seite hoch und fragt sich, ob es nicht auch irgendwie eine Form der Gleichberechtigung ist, wenn sogar vor Behinderten nicht Halt gemacht wird.”

Bravo  

Der wahre Loser

“Bravo”-Chefredakteur Philipp Jessen scheint ernstlich aufgebracht:

Feiges Cyber-Mobbing! Heute schreibe ich mal nicht über Stars. Warum? Weil mir ein anderes Thema besonders am Herzen liegt. Immer mehr Leser berichten uns, dass sie Opfer von Diss-Attacken im Internet geworden sind. So was ist wirklich das Letzte: fies, feige und gemein! Wer andere online beschimpft - und damit auch noch vor anderen prahlt - ist für mich der wahre Loser. Was Cyber-Mobbing anrichten kann und wie Du Dich dagegen wehrst, wenn Du selbst betroffen bist, erfährst Du auf Seite 56.

“Feiges Cyber-Mobbing”? Wie kommen die jungen Menschen nur immer auf solche Ideen?

Ach ja:

7. Auf seiner Online-Pinnwand postet Du: "Ich hab Windeln in deiner Größe gefunden. Jetzt musst du nicht mehr täglich die Bettwäsche wechseln!" 10. Du schreibst der Lehrerin, die er nicht ausstehen kann, eine Liebes-E-Mail von seinem Account. 7. Du setzt mit einem Bildbearbeitungs-Programm ihren Kopf auf ein Nacktmodell und schickst das Foto an all ihre Bekannten!
Mit erneutem Dank an Stefan W.

Bild  

“Ein Missbrauch der Pressefreiheit”

Was der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt von der Griechenland-Berichterstattung in “Bild” hält, hat er Giovanni di Lorenzo im aktuellen “Zeit-Magazin” verraten:

ZEITmagazin: Wo ist die Grenze zwischen rhetorischer Überzeugungskraft und purer Demagogie?

Schmidt: Ich kann das an einem Beispiel festmachen: Wenn ich lese, wie die auflagenstärkste europäische Tageszeitung, genannt Bild, in den letzten Wochen beinahe jeden Tag den Lesern klargemacht hat, dass man sein eigenes Geld nicht dafür verwenden sollte, dem aus eigener Schuld in Not geratenen Nachbarstaat Griechenland zu helfen, dann ist das in Wirklichkeit Demagogie oder, wenn Sie so wollen, ein Missbrauch der Pressefreiheit.

ZEITmagazin: Es ist auch ein Indiz dafür, dass Zeitungen in Versuchung geraten, solche Positionen einzunehmen, wenn es im Parteienspektrum niemanden gibt, der das tut.

Schmidt: Für Demagogie, sei es seitens einzelner Politiker oder politischer Parteien, einer Zeitung oder einer Fernsehanstalt, gibt es niemals eine Entschuldigung. Es gibt immer eine Erklärung, aber keine Entschuldigung.

Mit Dank an Martin Sch. für den Hinweis.

Der erste Millionär ist immer der Schwerste

Wenn sie bei Bild.de besonders erregt sind, bleiben sie schon mal auf der Feststelltaste ihrer Tastatur stehen:

DEUTSCHLANDS ERSTER MILLIONÄR FORDERT DIE REICHEN-STEUER!

Bild.de meint übrigens nicht den ersten Millionär in der Geschichte der Bundesrepublik, sondern etwas anderes:

Reeder Peter Krämer: Erster Millionär fordert Reichen-Steuer

Langjährige BILDblog-Leser werden sich anhand des Signalworts “erster” schon denken können, was jetzt kommt: Obwohl Peter Krämer die Wiedereinführung der Vermögenssteuer seit mindestens zwei Jahren befürwortet, ist er nicht der erste Millionär, der das tut.

In Deutschland hat sich um den Millionär Reiner Menter eine Gruppe gebildet, die sich für die für die Wiedereinführung der Vermögensteuer stark macht. Bis Ende 2002 hoffen sie, 200 Unterschriften von Millionären zu sammeln.

schrieb die Gewerkschaft ver.di anlässlich ihrer “Steuergerechtigkeit Kampagne 2002/2003” irgendwann im Jahr 2002.

Mit Dank an Marco S.

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