Archiv für Juni 4th, 2010

And here are the results of the “RP Online”-Jury

Bekanntlich ist keine Bild.de-Meldung zu blöd, um nicht vom Online-Ableger der “Rheinischen Post” besinnungslos abgeschrieben zu werden.

Nachdem Bild.de also heute Nacht auf Basis einer einzigen Jurywertung erklärt hatte, dass Lena Meyer-Landrut den Eurovision Song Contest mit einem noch größeren Vorsprung gewonnen hätte, wenn nur das Publikum hätte abstimmen dürfen (BILDblog berichtete), wusste “RP Online” heute Mittag nachzulegen:

Eurovision Song Contest: Lena punktete vor allem bei den Fans

Der Artikel ist im Großen und Ganzen eine eher halbherzige Paraphrasierung der Bild.de-Geschichte, doch im Vorspann wird die Unfugs-Schraube noch etwas fester angezogen:

Obwohl “Lovely Lena” mit ihrem Song “Satellite” auch den Großteil der Jurys der jeweiligen Länder überzeugen konnte, haben vor allem die Anrufe der Fernsehzuschauer zu Lenas Sieg in Oslo beigetragen.

Mit Dank an Basti.

Nachtrag, 17.25 Uhr: “RP Online” hat den gesamten Artikel offline genommen.

2. Nachtrag, 21.25 Uhr: Bei “tonight”, dem Nightlife-Portal von “RP Online”, existiert der Artikel weiterhin.

3. Nachtrag, 5. Juni: Jetzt ist der Artikel auch bei “tonight” offline.

Ein Beerendienst

Es ist ja nicht so, dass die Umfrage der “Hamburger Morgenpost” von irgendeiner Relevanz wäre, aber irgendwie kann das mit den Balken trotzdem nicht so ganz stimmen:

Haben Sie dieses Jahr schon Erdbeeren gegessen?

Mit Dank an Stefan S.

Keine Wettkönige fürs Schloss Bellevue

Tageszeitungen leiden darunter, aufgrund ihres langwierigen Produktionsprozesses immer wieder Nachrichten-Ereignissen hinterherzuhinken. Deshalb ist die Versuchung groß, etwas als Tatsache vorwegzunehmen, das in Wahrheit noch gar nicht feststeht. Das ist nicht ohne Risiko.

Selbst die nicht für Zögerlichkeit oder Angst vor übertriebenen Zuspitzungen bekannte “Bild”-Zeitung mochte am Donnerstag noch nicht mit Sicherheit behaupten, dass die Favoritin Ursula von der Leyen tatsächlich die Kandidatin der Regierungsparteien für das Amt des Bundespräsidentin werden würde. Die “Westdeutsche Allgemeine Zeitung” wollte dagegen sogar darauf wetten:

Das “Hamburger Abendblatt” hätte nicht dagegen gehalten und verstieg sich in die Formulierung, Ursula von der Leyen sei “am Ziel ihrer Träume”:

Und der “Berliner Kurier” sah das Rennen (angesichts der Bildauswahl offenbar leider) als gelaufen an:

Besonders bitter ist es natürlich für die WAZ, dass ihre Schlagzeile aufgrund des Feiertages in Nordrhein-Westfalen auch heute noch als aktuelle Ausgabe an den Kiosken liegt.

(Titelbilder via “Meedia”.)

And here are the results of the Bild.de-Jury

Nachdem Lena Meyer-Landrut den Eurovision Song Contest gewonnen hatte (“wir” also mutmaßlich Grand Prix “sind”), schrieb “Bild”-People-Experte Alexander von Schönburg am Montag:

Künftig wollen wir sie öfter auf unserer Seite sehen.

Das klang angesichts der Tatsache, dass die junge Sängerin nicht mit “Bild” sprechen will, schon beinahe wie eine Drohung. Und tatsächlich sind Zeitung und Onlineauftritt seit Tagen voll von Lena — oder genauer: von irgendwas, was “Bild” und Bild.de mit dem Wort “Lena” versehen können.

Da wurde Bekanntes und Vermutetes zusammengetragen (BILDblog berichtete), Horst Köhlers Rücktrittsrede in “Lena-Sprech” übersetzt und der Versuch einer Exegese der Danksagungen in Lenas vor fast vier Wochen erschienener CD zur Seite-1-Story (“Den wichtigsten Menschen in ihrem Leben sagt sie jetzt Danke!”) verdreht.

Heute jetzt erklärt Bild.de:

Lena Meyer-Landrut: So wählten die Fans beim Grand Prix wirklich

Hätten NUR die Fans wählen dürfen, Lena Meyer-Landrut (19, “Satellite”) wäre NOCH weiter vorne gewesen …

Bild.de ist sich sicher:

Hätte es in diesem Jahr keine Jury-Entscheidung gegeben, die zu 50 Prozent zählte, wäre Lenas Sieg (246 Punkte) noch viel höher ausgefallen!

Wie genau die Fans “wirklich” abgestimmt haben, weiß auch Bild.de nicht, aber anders als bei weiten Teilen der sonstigen Lena-Berichterstattung gibt es immerhin Belege:

So erhielt Lena zum Beispiel von der rumänischen Jury keinen Punkt. Die rumänischen Anrufer wählten sie jedoch unter die Top 5. Ergebnis: 3 Punkte aus Rumänien.

Das “Beispiel” hat nur einen kleinen Haken: Rumänien scheint das bisher einzige von 39 Ländern zu sein, das seine Jury-Wertungen veröffentlicht hat. Die übrigen Ergebnisse werden irgendwann in den nächsten Tagen und Wochen bekannt gegeben.

Erst wenn alle 39 Jurywertungen bekannt sind, kann man also ausrechnen, wie groß die theoretischen Abweichungen gegenüber dem offiziellen Endergebnis tatsächlich wären.

PS: Und dann war da noch die Bild.de-Klickstrecke “So stimmte Europa für Lena”, die mit dieser geographischen Sensation aufwartete:

Georgien gab 0 Punkte: Nix für uns, 12 Punkte für Nachbar Weißrussland. Gemein!

Mit Dank an Bertha, Daniel P. und die vielen anderen Hinweisgeber.

Nachtrag, 28. Juni: Die European Broadcasting Union hat die Punktezahlen nach Jury- und Zuschauervotes getrennt veröffentlicht.

Das überraschende Ergebnis: Hätten nur die Fans wählen dürfen, hätte Lena Meyer-Landrut 243 Punkte bekommen (statt 246) und ihr Abstand zur zweitplatzierten Türkei hätte statt 76 Punkten nur noch 66 Punkte betragen.

Bild.de lag also voll daneben.

Hauptstadtjournalismus, Nationalhymnen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Über die Verwahrlosung des Hauptstadt-Journalismus-Journalismus”
(visdp.de, PDF, 1.9 MB, Sebastian Esser)
Sebastian Esser zum Lamento über die Hauptstadtjournalisten. “Es stimmt immer irgendwie, dass Polit-Journalisten in Berlin eitel und oberflächlich, gleichgeschaltet und unkritisch sind. Aber irgendwie auch nicht: Es gibt so viele Journalisten dort, dass eine wenig differenzierte Bewertung unter einer fetten Überschrift sich verbietet.”

2. “Lautsprecher, Leisetreter”
(tagesspiegel.de, Sonja Pohlmann)
Sonja Pohlmann befasst sich mit den Sprechern der Politiker: “Fast alle Sprecher von Spitzenpolitikern haben vorher als Journalisten gearbeitet. Sie kennen den Alltag in den Redaktionen und der Bundespressekonferenz, sind deshalb darauf gefasst, dass ihre Ex-Kollegen nach dem Seitenwechsel stets versuchen werden, mehr aus ihnen herauszulocken, als sie sagen dürfen.”

3. “Ist er von einem Blogger gestürzt worden?”
(faz.net, Michael Hanfeld)
Ein Beitrag im “heute journal” (zdf.de, Video, 3:11 Minuten) “vertritt die steile These, ein Blogger habe Köhlers Sturz erzwungen. Es lässt dabei alle anderen Faktoren außer Acht.”

4. “Das Elend der Medienkritik in der Schweiz”
(persoenlich.com, Roger Blum)
Medienwissenschaftler Roger Blum beschreibt den Zustand der Medienkritik in der Schweiz als “ganz elendiglich”, als “abwesend oder schwach”. “Medienjournalisten müssten die Hofnarren des Unternehmens sein, die dem Fürsten alles ins Gesicht sagen dürfen. Wenn sie hingegen für das eigene Unternehmen Public Relations betreiben müssen, dann schafft man sie klüger ab.”

5. “Die deutschen Spieler müssen die Nationalhymne singen!”
(malte-welding.com)
Malte Welding über den von Bild.de inszenierten “Hymnen-Streit”, der die deutsche Fußball-Nationalmannschaft aufteilt in Sänger und Schweiger. “Das hat man nun davon, wenn man Spieler für Deutschland spielen lässt, bloß weil sie in Stuttgart (Khedira) oder Gelsenkirchen (Özil) geboren sind. Am Ende singen sie nicht mal die Hymne und was kann dabei schon rauskommen? Zum Beispiel der Weltmeistertitel.”

6. “The Wilhelm Times”
(fuenf-filmfreunde.de, Renington Steele)
“Offensichtlich geht es den Produzenten von TV-Serien seit Jahren dermaßen schlecht, dass sie zur Ausstattung immer dieselbe Zeitung benutzen müssen.”