Archiv für Februar 2nd, 2010

Mehr recht als “schlecht”

Umfragen sind für Online-Medien eine feine Sache: Sie suggerieren Leserbindung, liefern Klicks und lassen sich mit geringem technischen und intellektuellen Aufwand erstellen. Außerdem kann man sie meistens einfach unbegrenzt online lassen, weil das Ergebnis eh niemanden interessiert — zumindest niemanden in den Redaktionen.

Die Online-Ausgabe der “Berliner Morgenpost” hat sich zum hunderttägigen Jubiläum der Bundesregierung dazu entschieden, ihre Leser die einzelnen Kabinettsmitglieder “benoten” bzw. “beurteilen” zu lassen.

Während Kanzlerin Merkel und alle übrigen Minister die Noten “sehr gut”, “gut”, “es geht so”, “nicht so gut”, “schlecht” und “sehr schlecht” bekommen können, hat sich Morgenpost.de bei Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen – die in der Umfrage noch als “Bundesfamilienministerin” geführt wird – für ein etwas anderes Notenspektrum entschieden:

Ursula von der Leyen (CDU) ist Familienministerin. Wie beurteilen Sie ihre bisherige Arbeit? sehr gut, gut, es geht so, nicht so gut, gut, sehr gut

Überraschend, dass trotz der vielen positiven Optionen das Urteil eher mittelzufrieden ausfällt:

Umfrageergebnis: sehr gut: 3%, gut: 13%, es geht so: 25%, nicht so gut: 34%, gut: 4%, sehr gut: 20%

Weiterhin überraschend, dass man unter der Überschrift “Mehr zum Thema” auch über Bundesarbeitsminister Franz Josef Jung befinden kann, der bekanntlich seit dem 27. November 2009 nicht mehr im Amt ist. Aber die Umfrage ist auch vom 24. Oktober — und somit wohl einfach unbegrenzt online gelassen.

Mit Dank an Alfons Sch.

Nachtrag, 3. Februar: Die “Morgenpost” hat Frau von der Leyen jetzt zur “Arbeitsministerin” ernannt und die Optionen “schlecht” und “sehr schlecht” zugelassen.

Willemsen, Häppchenepisoden, Haiti

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Interview mit Roger Willemsen
(sueddeutsche.de, Christina Maria Berr)
Roger Willemsen glaubt, “dass das Fernsehen mittlerweile einen komplett fiktiven Charakter bekommen hat. Es wird nichts mehr geglaubt. Man glaubt die Polschmelze, die Vogel- und die Schweinegrippe nicht, man glaubt auch nicht, dass die Wirklichkeit vor der eigenen Haustür stehen könnte. Es besteht ein ganz grundsätzlicher Vertrauensverlust in das, was Medien sagen.”

2. Interview mit Alexander Kissler
(tt.com, Christiane Fasching)
Bei den sogenannten Talentshows wie “Deutschland sucht den Superstar” oder “Germany‘s Next Topmodel“ geht es “letztendlich nicht darum, dass man die beste Stimme oder das hübscheste Mädchen findet – vielmehr ist alles als Soap angelegt. Von Anfang an werden bestimmte Persönlichkeiten herausgezogen, denen man Geschichten andichten kann, die wichtiger sind als die Frage, ob sie singen oder stöckeln können.”

3. “Wir brauchen eine kontroverse politische Öffentlichkeit. Keine subventionierten Zeitungen.”
(blog.kooptech.de, Nikolaus Huss)
“Wenn alle Medien von der Hand in den Mund leben und die Redaktionen so ausgedünnt sind, dass keine echten Kontroversen mehr geführt werden, brauchen wir keine 70 Bühnen. Für die Häppchenepisoden aus dem Kanzleramt, aus Kundus oder sonst woher auf denen das selbe in belanglos unterschiedlichen Varianten verkündet wird, braucht es keine Vielzahl von Tageszeitungen mehr.”

4. “Die Methode Diekmann”
(stefan-niggemeier.de)
Stefan Niggemeier beleuchtet in einem langen Beitrag die Blog-Aktivitäten von “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann und seines Teams. “Man muss Diekmann dazu gratulieren, wie erfolgreich seine Strategie war und wie sehr ihm die unterhaltungssüchtigen Journalisten auf den Leim gegangen sind.”

5. “4 Magazine, für die ich auf dem iPad bezahlen würde”
(agorazein.de, Torsten Meise)
Torsten Meise denkt sich Magazine aus, die er gerne auf dem iPad lesen würde.

6. “Die Blicke der Überlebenden”
(taz.de, Hans-Ulrich Dillmann)
In einem persönlichen Bericht, in dem auch die Rolle der Medien zur Sprache kommt, schildert Hans-Ulrich Dillmann, was er nach dem Erdbeben in Haiti angetroffen hat.