Es könnte etwas anstrengend werden mit der deutschen Presse und der Piratenpartei: Spätestens seit die Partei bei den Europawahlen in Schweden einen Sitz errungen hat und der Ex-SPD-Abgeordnete Jörg Tauss jetzt als “Pirat” im deutschen Bundestag sitzt (wenn auch nur bis zur Wahl im September), ist die Partei ein Thema für die Medien. Nur die Bereitschaft, sich auch mit der Partei und ihren Zielen zu befassen, ist gering.
Bereits direkt nach der Europawahl war dpa bei dem Versuch gescheitert, die Piratenpartei zu erklären, und hatte ihr eine Verbindung zur Download-Suchmaschine Pirate Bay unterstellt, die es so nicht gibt (BILDblog berichtete).
Heute ist es Bernd Graff, stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Kulturredaktion von sueddeutsche.de, der die beiden Gruppierungen mit ähnlichen Namen nicht auseinander halten kann und deshalb in einem Artikel über Pirate Bay schreibt:
Blöd für Graff, dass ihm das ausgerechnet in der gedruckten “Süddeutschen” passiert ist — hätte es nur bei sueddeutsche.de gestanden, hätte er sich ja damit rausreden können, dass man den “Idiotae” im Netz eh nichts glauben dürfe.
Verehrter Ex-Tennisstar Michael Stich, mit Verlaub… — Sie sind ein Macho! Da beginnt das wichtigste Tennisturnier der ganzen Hemisphäre und Sie, Stich, Sie mosern rum, dass es zumindest im Damenwettbewerb doch wieder nur um das Eine (nein, nicht um Sport) gehe.
Wundern Sie sich da noch, dass die Sport-Gleichstellungsbeauftragten von Bild.de daraus sogleich eine dicke Schlagzeile machen?
Und wer könnte Stich berechtigter zum “Macho” erklären als das Tennis-Fachorgan “Bild”, das den Stich-Artikel online mit zwei Fotogalerien (“Sexy Fotos: So schön ist Ana Ivanovic” und “Sexy Kalenderfotos: Maria Scharapowa in Bademode”) illustriert und die Dinge im Damen-Tennis ohnehin erst kürzlich auf den Punkt brachte?
… um sich anschließend in kreativer Namensgebung für Sportlerinnen (Sportart + Vorname + Körbchengröße) zu betätigen:
Ach ja: Nach Bild.de hat sich dann übrigens auch die gedruckte “Bild” Stichs “Macho-Attacke” angenommen — neben den Brüsten von Simona Halep (“Lässt tief blicken”) und unter dem Titel:
Was nun insofern in die Irre führt, als Stich in der Geschichte ebenfalls zu Wort kommt. Allerdings wie folgt:
Michael Stich zu BILD: “Die Zitate sind aus dem Zusammenhang gerissen. (…)” Das mit dem Sex-Appeal habe er so nie gesagt, es sei doch allen klar, dass die Tennisspielerinnen Wert auf ihr Äußeres legen.
Es ist eine sensationelle Geschichte, die die “Westdeutsche Allgemeine Zeitung” (“WAZ”) da vor zwei Wochen im Essener Lokalteil versteckt hatte: die eines Jungen, neben dem ein Meteorit einschlug, als er auf dem Weg zur Schule war.
Auf Fotos zeigte der 14-jährige Gerrit in der “WAZ” den etwa erbsgroßen Meteoriten; den Krater, den dieser beim Aufprall in der Asphaltdecke hinterließ, und eine Brandnarbe auf dem Handrücken, die er selbst beim Einschlag davongetragen hat.
Ob die Geschichte tatsächlich stimmt, lässt sich schwer sagen: Sie klingt sehr unwahrscheinlich, ist aber nicht unmöglich. Experten sind sehr skeptisch, sich aber auch uneins. Wir haben mit den Eltern des Jungen Kontakt aufgenommen, aber die möchten mit keinem Medienvertreter mehr sprechen.
Andere Medien haben offenbar nicht einmal den Versuch unternommen, der Geschichte auf den Grund zu gehen, und schrieben lieber munter ab, was woanders stand: “Bild” fasste den “WAZ”-Artikel kurz zusammen, hielt sich dabei aber noch an die bisher bekannten Fakten und übertrieb es lediglich bei der Überschrift:
Dann kam “Central European News” ins Spiel, eine in Wien ansässige Nachrichtenagentur, die sich offenbar darauf spezialisiert hat, deutschsprachige Meldungen ein bisschen aufgeplustert nach Großbritannien zu verkaufen (wie im vergangenen Jahr die Geschichte von Josef Fritzl und seiner Hautcreme).
Britische Medien berichteten anschließend so über den Fall:
Wie man auf die Zahl von 30.000 Meilen pro Stunde (48.280 km/h) kommt, ist schwer nachvollziehbar: Beim Eintritt in die Atmosphäre sind Geschwindigkeiten von bis zu 260.000 km/h denkbar, unten auf der Erde würde ein Meteorit aber nur noch mit Fallgeschwindigkeit (etwa 200 km/h) ankommen, wie der Scienceblogger Phil Plait anmerkt.
Der “Daily Telegraph” wusste aber sowieso mehr als alle anderen:
[Gerrit] said: “At first I just saw a large ball of light, and then I suddenly felt a pain in my hand.
“Then a split second after that there was an enormous bang like a crash of thunder.”
“The noise that came after the flash of light was so loud that my ears were ringing for hours afterwards.
“When it hit me it knocked me flying and then was still going fast enough to bury itself into the road,” he explained.
Damit wissen wir immerhin, wie viel Energie so ein Aufprall auf dem Weg von Essen nach England aufnimmt, denn in der “WAZ” war der Junge noch so zitiert worden:
“Erst habe ich nur einen großen, weißen Lichtkegel gesehen. Meine Hand hat weh getan, dann hat es geknallt.” […]
“Nachdem ich das weiße Licht gesehen habe, habe ich an meiner Hand etwas gespürt. Ich denke, dass mich der Meteorit gestreift hat. Vielleicht war es aber auch nur die Hitze”, berichtet er und zeigt den Rücken seiner linken Hand. Die rund zehn Zentimeter lange Brandwunde überdeckt bereits eine Kruste. “Das Geräusch, das folgte, klang wie das Reißen einer Steinplatte und war ziemlich laut”, erinnert sich Gerrit und deutet auf den kleinen Kreis aufgeplatzten Asphalts zu seinen Füßen.
Die “WAZ” hatte in einem weiteren Artikel Ansgar Korte von der Essener Walter-Hohmann-Sternwarte erklären lassen, wie man herausfinden könne, ob es sich tatsächlich um einen Meteoriten handele. Korte sagte uns auf Anfrage, er habe zum Zeitpunkt des Interviews nichts von dem konkreten Fall gewusst und halte diesen im Nachhinein auch nicht für glaubwürdig.
Entsprechend vorsichtig hatte sich der Experte auch in der “WAZ” geäußert:
“Ist es tatsächlich ein echter Meteorit, dann hat das Exemplar sogar einen gewissen Wert für Sammler und Mineralogen.”
Oder auf … ähm, Englisch:
Ansgar Kortem, director of Germany’s Walter Hohmann Observatory, said: “It’s a real meteorite, therefore it is very valuable to collectors and scientists.”
Auch sonst war der “Telegraph” sehr früh allen anderen voraus:
Chemical tests on the rock have proved it had fallen from space.
Dabei wird der Stein nach unseren Informationen zur Zeit zwar in München untersucht. Ein Ergebnis steht aber noch aus.
Der Artikel im durchaus renommierten “Daily Telegraph” war der Startschuss für eine internationale Karriere der Meldung: AmerikanischeMedien bezogen sich auf den “Telegraph”-Artikel, die Geschichte erreichte u.a. Rumänien, die Türkei, Brasilien, Vietnam und die Ukraine. “Sky News” verbreitete die gleichen falschen Zitate, woraufhin die australische Nachrichtenseite news.com.au aufschrieb, was Korte “Sky News” erzählt haben soll.
Und nachdem sich erst kaum jemand in Deutschland für Gerrit und den Meteoriten interessiert hatte, näherte sich die Geschichte letzte Woche dann wieder ihrem Ursprungsort.
Zunächst machte sie einen kurzen Zwischenstopp beim österreichischen “Standard”, der mit dieser beeindruckenden Quellenangabe aufwartete:
Doch was nach reiner Fiktion klingt, hat sich tatsächlich so zugetragen, berichtet die britische Zeitung Telegraph.
Merkur-online.de:
“Die Chance, diesen Vorfall zu überleben, steht eins zu einer Million. Gerrit Blank aus Essen hat seine Chance genutzt – und die ganze Welt reißt sich um die Geschichte.
Bald schrieben Zeitungen über die Attacke aus dem All. Die Geschichte schwappte über die Landesgrenzen, nach Großbritannien und in die Türkei. Sogar ein australisches Nachrichtenmagazin schreibt über Gerrit Blank, der sich derzeit von seiner Verletzung erholt. (…)”
In erstaunlicher Meta-Form (siehe Kasten) schlug die Geschichte vergangenen Montag schließlich im Online-Auftritt des “Münchner Merkurs”, der “Allgemeinen Zeitung”undanderen* auf, wo man sich sogleich an eine Rückübersetzung einzelner Zitate machte:
“Meine Ohren haben noch Stunden danach geklingelt”, beschreibt der Schüler.
*) Der wortgleiche Text, der ursprünglich auch im Online-Angebot der “Hessisch-Niedersächsichen Allgemeinen” gestanden hatte, ist dort inzwischen verschwunden.
“Die ‘New York Times’ ist die beste Zeitung der Welt – aber ihrem Verlag droht die Insolvenz: Das Internet macht Konkurrenz, Anzeigen bleiben aus. Muss die Zeitung bald ihren eigenen Tod vermelden?”
Der Spiegel und die Firma QS Quality Service haben die gleiche Adresse, nämlich Brandstwiete 19, Hamburg. Die Spiegel Gruppe macht was mit Journalismus, die Tochterfirma QS, zuständig für die Aboverwaltung der Muttergesellschaft, verkauft Fischölkapseln.
“Warum tun sich junge Leute das an, vor einem Millionenpublikum gedemütigt zu werden? Kein Masochismus zwingt sie dazu, sondern die Sehnsucht nach deutlichen Worten, die ihnen die Gesellschaft verweigert.”
Armin Wolf, twitternder Moderator der ORF-Nachrichtensendung “Zeit im Bild”, hält eine Rede vor FH-Absolventen und gibt Tipps: “Ein guter Journalist sollte jeden Tag fünf neue Menschen kennenlernen. Pressesprecher und andere Journalisten zählen nicht. Schaffen sie sich ein ordentliches Adressbuch an, egal ob digital oder noch ganz analog auf Papier – und dieses Adressbuch sollte jeden Tag um fünf Namen voller werden.”
(ad-sinistram.blogspot.com, Roberto J. De Lapuente)
“Diese Ich-muß-zu-jedem-Thema-meinen-Senf-dazugeben-Mentalität dominiert das Medienspektakel. Nachrichten sind ein Sammelsurium aneinandergereihter Ein-Satz-Statements und hohler Schnellphrasen.”