Archiv für April, 2009

dpa  

Es muss so sein, weil es so sein muss

Vorab: Natürlich wissen wir, dass es letztendlich keinen wirklichen Unterschied macht, ob man von einem Auto oder einem Lastwagen überfahren wird. Das Ergebnis wird in der Konsequenz in beiden Fällen eher unerfreulich sein. Insofern könnte man die nachfolgende kleine Geschichte auch prima unter der Rubrik “kurz korrigiert” veröffentlichen. Wir finden aber, dass sie dennoch einer etwas ausführlicheren Betrachtung wert ist. Weil sie nicht nur ein paar unwesentliche Kleinigkeiten durcheinander bringt, sondern in der Konsequenz jemand anfängt zu fabulieren, ähnlich wie es die Berliner Morgenpost unlängst getan hat. Nach dem Motto: Es muss so sein, weil es so sein muss.

Erzählen wir erst einmal, was passiert ist: In der Nähe des nordrhein-westfälischen Ibbenbüren sollten zwei Polizeibeamte einen Gegenstand auf der Fahrbahn wegräumen. Weswegen sie, so der Polizeibericht, an eine Einbuchtung nahe einer Notrufsäule fuhren und dort ganz rechts anhielten. Kurz dahinter lieferten sich zwei Lkw eines der gefürchteten Elefantenrennen, was wiederum einem dahinter fahrenden Niederländer entschieden zu langsam ging. Er wich mit seinem Auto nach rechts auf den Standstreifen aus und wollte die beiden “Elefanten” überholen. Das auf dem Seitenstreifen stehende Polizeiauto nahm er eher ungerührt zur Kenntnis. Statt abzubremsen nutzte er einfach die Lücke zwischen dem rechten Lkw und dem Streifenwagen und zog – in Millimeterschärfe – durch die beiden hindurch.

Der Landesdienst NRW der dpa meldet die Geschichte ein klein wenig anders: Aus dem rasanten Autofahrer wird plötzlich ein Lkw-Fahrer, dem die Nerven durchgingen:

Der Beamte wollte gerade einen Gegenstand am Standstreifen wegräumen, als ein Fernfahrer ihm den Schock seines Lebens versetzte: Der Mann hatte bei einem «Elefanten-Rennen» zwischen zwei Lastern vor ihm die Geduld verloren und die Kollegen auf dem Pannenstreifen überholt.

Das ist wirklich hochinteressant: Von einem “Fernfahrer”, von einem “Kollegen” ist in der Pressemitteilung der Polizei nicht einmal die Rede; der wird hinzufabuliert (dass der Autofahrer laut Polizei 21 Jahre alt ist, der “Fernfahrer” der dpa hingegen 25, ist in diesem Zusammenhang auch schon beinahe egal.)

Vielleicht ja auch nur deswegen, weil es eben so sein muss. Man kennt ja diese Lkw-Fahrer.

Mit Dank an Thorsten F.

Strehle, Lübbe, Jarvis, Bild & RTL

1. “Zielvorgabe: die eigene Belegschaft durch den Fleischwolf drehen”

(weltwoche.ch, Kurt W. Zimmermann)

Zum Chefredakteurswechsel beim Tages-Anzeiger: “Noch nie wurde hierzulande ein neuer Chefredaktor geholt, damit er die eigenen Leute feuert. Es gab zwar auch in der Vergangenheit Chefredaktoren, die während ihrer Dienstzeit zu finanziellen Anpassungen gezwungen waren. Noch nie aber, bis diesmal, war der Auftrag zum Arbeitsplatzabbau die Bedingung einer journalistischen Beförderung.”

2. “Der revolutionäre Res”

(woz.ch, Daniel Ryser)

Einer des neuen Führungs-Duos des Tages-Anzeigers ist Gründungsmitglied der WOZ: “Strehle, laut ehemaligen WOZ-KollegInnen ein ‘brillanter Kopf’, fungierte in einem Parallel­leben als intellektueller Vordenker der Zürcher Autonomen. Bis in die späten neunziger Jahre, als er ‘WOZ’, ‘Weltwoche’, ‘Facts’ schon hinter sich hatte und den Chefsessel des ‘Magazins’ übernahm, referierte er vor Kleingruppen und schrieb Bücher zu Kapital und Krise.”

3. Wie Bild und RTL an der Skandalisierung von DSDS verdienen

(badische-zeitung.de)

“Bild treibt RTL zahlungswillige Annemarie-Fans in die Arme. Im Gegenzug darf die Zeitung am selbst entfachten Rummel mitverdienen.”

4. “Wir sind doch alle mediengeil”

(cicero.de, Jürgen Busche)

Hermann Lübbe, Philosoph, sagt: “Es ist erstaunlich, wie ungeniert Journalisten Politikern in Interviews unpassende Fragen stellen, souverän, aber nicht abgestützt durch Kenntnisse.”

5. “Es gibt keinen Online-Journalismus”

(dondahlmann.de)

“Online und Print brauchen einander. Auf beiden Seiten sitzen hervorragende Journalisten, die, wenn man sie nur lassen würde, den Berufsstand aus seinem injiziertem Dornröschenschlaf holen könnte. Und es gibt auch keinen Unterschied, zwischen Online- und Printjournalismus. Es gibt nur einen zwischen schlechten, miesen, abnickenden und kritischem, scharfen und selbstbewussten Journalismus.”

6. “You blew it.”

(buzzmachine.com, Jeff Jarvis)

Journalistikprofessor Jeff Jarvis hat kein Mitleid mit den Zeitungsverlagen. Wer die 20 Jahre seit dem Start des Webs ungenutzt verstreichen habe lassen, müsse nicht klagen. Auch Wut darüber sei nicht angebracht: “That’s pretty much all I see before me: angry, old, white men – you have no right to anger. Instead, you are the proper objects of anger.”

Germany’s next Missverständnis

Die “Berliner Morgenpost” weiß Neuigkeiten über Pro Sieben:

Der Privatsender hat Verona Pooth als Jurymitglied für die nächste Staffel von “Germany’s Next Topmodel” von Heidi Klum eingekauft, die ab Juni laufen soll. Neben ihr sollen DJ Bobo und Comedian Elton darüber fachsimpeln, welches Mädchen als neues “Topmodel” die Europatournee Bobos im kommenden Jahr begleiten darf.

Interessanterweise findet sich diese erfreuliche Nachricht (noch) nicht auf der Homepage des Münchener Senders. Wohl aber mehrere Artikel zu den aktuellen Krisen um die Pooths. Etwa Ausführungen zu “Verona Pooth im Visier der Steuerfahnder” oder “Verona Pooth trinkt Kaffee mit Steuerfahndern”. Vielleicht will Pro7 auf Nummer Sicher gehen – und den Ausgang der Ermittlungen abwarten, bevor es seine Show offiziell mit Glamourgirl Verona bewirbt.

Bei der “Mopo” herrscht lesbares Erstaunen: Da hatte also Pro Sieben einen spektakulären Personaleinkauf vorgenommen und ihn gleichwohl verschwiegen — zumindest auf der sendereigenen Homepage. Dabei sind Verona, Elton und Bobo als Topmodel-Jury doch ein echter Kracher!

Es kann also, Möglichkeit eins, nur so sein, wie die “MoPo” vermutet: dass Pro Sieben seinen Coup schon unter Dach und Fach gebracht hat und mit der Bekanntgabe so lange warten will, bis Verona Pooth auch juristisch wieder unbedenklich ist.

Es könnte aber auch, Möglichkeit zwei, so sein, dass die “MoPo”-Kollegen die Pressemitteilung von Pro Sieben hoffnungslos falsch gelesen haben. Dort nämlich heißt es:

Der Traum von der ganz großen Bühne? Bei “Germany’s next Showstars” wird er wahr! (…) Im Frühjahr 2010 geht der erfolgreiche Schweizer World Music Award-Gewinner [DJ Bobo] mit seinem Ensemble wieder auf Europa-Tour und sucht dafür gemeinsam mit Verona Pooth und Elton nach einer neuen, außergewöhnlichen Performance.

Um Heidi Klum muss sich also vorerst niemand Sorgen machen. Nicht mal die “MoPo”.

Mit Dank an Lisa A.

Nachtrag, 22:40 Uhr: Weil eine Korrektur vermutlich zu aufwendig gewesen wäre, hat die “Morgenpost” den Artikel einfach offline genommen

Kontakt-Anzeige für Lukas Podolski

Wenn er schlau war, der Kölner “Express”, hat er Lukas Podolski einfach selbst angezeigt. Das kostet nichts, lässt sich anonym machen, ist folgenlos — bringt aber richtig gut Publicity.

Podolski hatte bekanntlich beim Spiel der Fußball-Nationalmannschaft Michael Ballack geohrfeigt. Irgendjemand hat deshalb Strafanzeige wegen Körperverletzung erstattet. Und der Journalist Volker Roters berichtete ganz aufgeregt, exklusiv und fast wortgleich gestern im Kölner “Express” und in der Berliner “B.Z.” darüber.

Die Sache liest sich dramatisch:

Eine Ohrfeige gilt laut Gesetz auch dann als vollendete einfache Körperverletzung, wenn das Opfer keine Schäden davonträgt und sich der Täter später entschuldigt. (…)

Die Tat — also die Ohrfeige — wurde im Ausland begangen. Dann ist die Staatsanwaltschaften am Wohnort des Opfers befugt dazu, Ermittlungen einzuleiten. Die einfache Körperverletzung ist mit Geldstrafe oder im schlimmsten Fall mit Haft bedroht. Lukas Podolski ist nicht vorbestraft.

Ein kleines Detail über den Tatbestand der Körperverletzung ließ er bei all dem juristischen Wortgeklingel weg. In den Worten des Düsseldorfer Strafverteidigers Udo Vetter:

Körperverletzung wird lediglich auf Antrag verfolgt. Diesen Antrag kann nur der Verletzte stellen. Stellt er ihn nicht, wird die Staatsanwaltschaft nicht tätig. Es sei denn, sie bejaht ein besonderes öffentliches Interesse. Nach den bisher bekannten Umständen ist aber kaum damit zu rechnen, dass Michael Ballack einen Strafantrag stellt. Und noch weniger, dass irgendein Staatsanwalt sich zur Lachnummer machen möchte.

Wenn man das weiß, ist die Meldung von der Strafanzeige gegen Poldi natürlich keine Meldung. Aber das wäre doch schade.

Und so griffen die Nachrichtenagenturen dpa und sid die Sache auf — und deshalb steht die Geschichte vom “Nachspiel” und dem “Ärger” für Podolski heute u.a. in der “Welt”, in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung”, in der “Süddeutschen Zeitung”, in der “Frankfurter Rundschau”, bei “Spiegel Online” und in “Bild”.

Es ist aber auch zu interessant, was mit so einer Anzeige passiert. Von Köln ist sie gerade auf dem Weg zur Staatsanwaltschaft München II, die für das Umland zuständig ist, in dem Podolski lebt. Dort ist sie aber noch nicht angekommen!

Die “Süddeutsche Zeitung” erklärt:

“Fristen von bis zu einer Woche sind bei einer Weiterleitung aber durchaus normal”, sagte der Münchner Leitende Oberstaatsanwalt Rüdiger Hödl der SZ. “Wir bearbeiten ja hier 45 000 Fälle, das dauert alles seine Zeit.”

Und der “Express” weiß:

Da die Strafanzeige aus dem Kölner Justizpalast per Post nach München verschickt wurde, kann Anton Winkler, der dortige Sprecher der Staatsanwaltschaft, noch keinen Eingang bestätigen.

Ob sich schon Teams von N24 und “RTL aktuell” bereithalten, um in Breaking News live von der Ankunft des Dokuments in der Poststelle in München zu berichten, ist nicht bekannt.

Der IQ ist nur was für Schlaue

Anscheinend halten in Deutschland plötzlich ganz viele Eltern ihre Kinder für hochbegabt. “Der Spiegel” mokiert sich darüber in seiner aktuellen Ausgabe. Eine “Hochbegabten-Hysterie” sei ausgebrochen, zitiert das Nachrichtenmagazin einen Schulpsychologen. Dabei gebe es keinen Beweis, dass die Kinder in Deutschland tatsächlich mit einem Mal so viel intelligenter geworden seien:

Nach allem, was Forscher wissen, hat sich indes kein Evolutionssprung ereignet in der Blauen Lehmkuhle und anderen Soziotopen der Republik: Der Anteil der Hochbegabten mit einem IQ von über 130 liegt konstant bei etwa zwei Prozent.

Das ist — uns fällt in diesem Kontext leider kein treffenderes Wort ein — ein etwas dummer Satz. Der Anteil der Hochbegabten mit einem Intelligenzquotient von über 130 liegt immer konstant bei etwa zwei Prozent. So ist er nämlich definiert.

Der IQ ist keine absolute, sondern eine relative Größe. Er gibt an, wie intelligent eine Person im Vergleich zur Gesamtbevölkerung ist — man spricht deshalb auch vom “Abweichungs-Intelligenzquotienten”. Ein IQ von 100 entspricht nicht irgendeiner bestimmten Menge von Intelligenz, sondern der jeweiligen durchschnittlichen Intelligenz. Die Skala ist so definiert, dass 50 Prozent der Bevölkerung einen IQ von mindestens 100 haben, 16 Prozent einen IQ von mindestens 115 und 2,2 Prozent einen IQ von 130 oder mehr.

Einen “Evolutionssprung” könnte man also am IQ nicht messen — und an der Zahl der über den IQ definierten “Hochbegabten” auch nicht. Das sind, per definition, immer gut zwei Prozent.

Klingt komisch, ist aber so. Und könnte man eigentlich wissen, wenn man einen großen Artikel über Hochbegabte schreibt.

Mit Dank an Hauke S.

Der Unterschied zwischen Sein und Schein

Der 60-jährige Koch aus Dingolfing, der gestern in einem Gerichtsgebäude in Landshut um sich schoss und dabei seine Schwägerin tötete, muss ein gefährdeter Mann gewesen sein. Einer, der zu seiner Sicherheit unbedingt eine Waffe braucht. Und einer, der neben seiner Tätigkeit als Koch auch noch andere Jobs gemacht hat. Polizist beispielsweise. Oder Bodyguard. Deswegen durfte er seine Waffen samt Munition auch in der Öffentlichkeit tragen, im Gegenzug allerdings musste er seinen Waffenschein alle drei Jahre neu beantragen.

Sie staunen? Unsinn, sagen Sie?

Stimmt. Der 60-jährige Koch aus Dingolfing hätte die Voraussetzungen für einen Waffenschein mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erfüllt und einen solchen auch nicht bekommen. Und dass man ihm diesen Waffenschein auch noch gleich 40 Jahre lang gewährte hätte, ist ebenfalls sehr unwahrscheinlich. Tatsächlich war der Mann also Inhaber einer Waffenbesitzkarte, die deutlich leichter zu erhalten ist als ein Waffenschein.

Das hat weniger mit den eigentlichen Waffen zu tun, die man besitzen darf, als vielmehr mit den damit verbundenen Auflagen. Inhaber einer Karte sind zum Besitz bzw. Tragen  einer Waffe lediglich auf dem eigenen Grundstück oder eigenen Wohnung oder (im Falle von Jägern) auf dem Jägerstand berechtigt. Bei einem Transport müssen Waffen und Munition getrennt voneinander aufbewahrt werden. Gegen all diese Auflagen hat der 60-jährige Täter gestern also schon verstoßen, bevor er um sich schoss. Wäre er Besitzer eines Waffenscheins gewesen, wäre sein Vorgehen (Tragen einer — auch geladenen — Waffe in der Öffentlichkeit) nicht zu beanstanden gewesen.

Der Berliner Kurier sieht trotzdem einen Zusammenhang – und schreibt:

Die Tat auszuführen, war für Franz N. kein Problem: Als Sportschütze hatte er seit 1974 einen gültigen Waffenschein für drei Revolver.

Den vermeintlich kleinen, aber entscheidenden Unterschied zwischen Karte und Schein lassen auch andere weg: Bild.de deklariert den Mann ebenfalls als Inhaber eines Waffenscheines. Die Zeitungen direkt vor (Tat-)Ort machen es auch nicht besser: Sowohl Passauer Neue Presse als auch Straubinger Tagblatt schreiben ungerührt von einem “Waffenschein”.

Nebenher bemerkt: Bei Bild.de ist immer noch die Rede von einem “Amoklauf”. Als ziemlich gesicherte Erkenntnis allerdings gilt inzwischen, dass es sich bei der Schießerei um eine geplante Tat in einem Familienstreit handelt.

Mit Dank an Micha B. und Matthias K.!

NPD, Weischenberg, Pudel

1. “Rechtsextreme und die Medien”

(youtube.com, Video, 5:04 Minuten)

Report Mainz berichtet vom Parteitag der NPD. Eine Reporterin testet Parteimitglieder, ob sie Kopfrechnen können und will wissen, was 7 x 9 ist. Am Schluss kommt der Bericht, durch den ständig ein Fuchs läuft, zum Schluss: “Fragen beantworten oder rechnen können ist nun mal nicht jedermanns Ding.” Die Menge im Saal skandiert: “Die Presse lügt, die Presse lügt, …”

2. “AP erklärt News-Verwertern den Kampf”

(spiegel.de)

“Kampfeslust in Zeiten der Medienkrise: Die Nachrichtenagentur AP will nicht länger hinnehmen, dass ihre Inhalte von anderen Webseiten verwendet werden. Sie plant einen Aufstand der News-Produzenten gegen Aggregatoren und Abschreiber.”

3. Interview mit Siegfried Weischenberg

(sueddeutsche.de, Thomas Fromm)

“Noch vor wenigen Monaten dominierten in der deutschen Wirtschaftsberichterstattung neoliberale Positionen. Alles, was mit Regulierung zu tun hatte, war Teufelszeug. Das hat sich im Zuge der Finanzkrise ins Gegenteil verkehrt: Heute besteht die Gefahr, dass nur noch auf der Linie staatlicher Interventionen argumentiert wird. Früher waren die Manager die Könige, heute ist es Finanzminister Peer Steinbrück.”

4. “FOCUS-SCHULE klagt gegen Baden-Württemberg”

(focus.de)

“Das Bildungsmagazin FOCUS-SCHULE klagt gegen das Land Baden-Württemberg auf Auskunft. Die Zeitschrift fordert von Kultusminister Helmut Rau den presserechtlich garantierten freien Zugang zu staatlichen Informationen ein.”

5. Interview mit Don Alphonso

(meedia.de, Alexander Becker)

“Viele Zeitungen werden sterben. Es werden die überleben, die Qualität liefern und Haltung zeigen. Medien sind eine Pudelzucht. Die heutigen Journalisten sind Schosshündchen, sehen alle schick aus und sind gut dressiert. Die Leser wollen aber Wölfe anstatt Pudel.”

6. “Das Orakel vom Axel-Springer-Platz”

(manager-magazin.de, Alexander Hämmerli)

Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner: “Hätten Sie vor einem Jahr 1000 Euro in Aktien des amerikanischen Medienkonzerns Gannett investiert, hätten Sie heute noch 69 Euro übrig. Hätten Sie damals für den gleichen Betrag Holsten gekauft, hätten Sie viel Bier trinken können und könnten obendrein noch für 238 Euro Leergut einlösen.”

Kurzer Prozess mit “Schnaps-Killern”

Heute demonstriert uns Bild.de an einem anschaulichen Beispiel, was diese komischen Medienethiker eigentlich mit dem Begriff “Vorverurteilung” meinen:

Dritter Schnaps-Killer festgenommen

(Es geht um den Getränkelieferanten des türkischen Hotels, in dem Schüler aus Lübeck gepanschten Wodka tranken, was für drei von ihnen tödliche Folgen hatte.)

Bitte beachten Sie neben dem Urteil in der Überschrift und der im Original unverpixelten Abbildung der Verdächtigen auch den Artikel selbst, in dem es heißt:

Frank-Eckard Brand, Anwalt der Familie des verstorbenen Rafael N. (21), bezog sich zunächst auf eine türkische Anwältin, als er die Verhaftung des Getränkelieferanten veröffentlichte. Am Abend sagte er jedoch, es sei noch nicht klar, ob es sich bei dem Mann um den gesuchten Getränkelieferanten handele.

Inzwischen hat Bild.de der Überschrift immerhin ein halbherziges “?” spendiert.

Mit Dank an Bernhard W.!

Die EU will unser Hartz IV den Asylanten geben!

Mit dieser Schlagzeile brachte die “Bild am Sonntag” am vergangenen Wochenende einen vier Monaten alten Entwurf der Europäischen Kommission in den Blickpunkt der Öffentlichkeit:

Nach dem Vorschlag der Kommission sollen Asylbewerber in Europa prinzipiell die gleichen Leistungen erhalten wie einheimische Sozialhilfeempfänger. Darüber kann man politisch natürlich streiten. Die Art, wie diese Diskussion sich gerade entwickelt, ist aber wesentlich von den Verkürzungen und Verdrehungen geprägt, mit denen die “Bild am Sonntag” den Entwurf gemeinsam mit konservativen Politikern skandalisiert hat.

Die “Bild am Sonntag” schrieb über den Entwurf:

Der Kontrast, den die Zeitung zwischen “Bislang” (Sachleistungen) und “Künftig” (viel Geld) aufmacht, ist grob irreführend. Denn der Entwurf der EU-Kommission betont ausdrücklich, dass die Unterstützung weiterhin auch “in Form von Sachleistungen, Geldleistungen oder Gutscheinen” gewährt werden kann. Auch die Unterbringung zum Beispiel in Unterkünften für Asylbewerber gehört dazu.

Dank der Nachrichtenagentur dpa, die die “BamS”-Meldung am Sonntagvormittag ungeprüft übernahm und weiterverbreitete, fand der falsche Gegensatz mit den Sachleistungen seinen Weg in viele Medien.

Die “Bild am Sonntag” zitierte aus dem Entwurf:

Vielleicht interessiert Sie, was anstelle der “(…)” steht:

…, auf den sich die Asylbewerbern im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen belaufen, …

Mag natürlich sein, dass die drei “Bild am Sonntag”-Autoren diesen Nebensatz wegen des grauenhaften Beamtendeutsches weggelassen haben (Lesehilfe: das “die” bezieht sich auf “Leistungen”). Andererseits hätte die Formulierung von den “materiellen Leistungen” dem unbefangenen Leser vielleicht eine Ahnung davon gegeben, dass hier keineswegs nur die Rede von Barzahlungen ist.

Dass sich der Satz auch in vielen anderen Zeitungen nur gekürzt wiederfand, liegt ebenfalls an dpa. Die Agentur zitierte noch am Sonntagnachmittag den Text lieber aus der “BamS” (“Im Kommissions-Entwurf heißt es laut Zeitung”) anstatt einfach im Internetangebot der EU-Kommission das Orignal nachzuschlagen und sich — wie die Konkurrenz von AP — ein eigenes Bild zu machen.

Die “Bild am Sonntag” erwähnte übrigens auch nicht, wie hoch der heutige Anspruch von Asylbewerbern auf Leistungen ist, die den 351 Euro von Arbeitslosengeld-II-Empfängern (“Hartz IV”) entsprechen: 224,97 Euro. Der Betrag ist seit 1993 unverändert, wurde also seit 15 Jahren nicht der Inflation angepasst.

Stattdessen zitierte das Blatt den CSU-Politiker Weber mit dem Satz: “Es ist nicht akzeptabel, dass ein Asylbewerber die gleichen Leistungen erhält, wie jemand der jahrzehntelang Steuern und Sozialabgaben bezahlt hat.” Ein Hinweis, dass diese Leistungen auch ein deutscher Staatsangehöriger erhält, der in seinem Leben keinen einzigen Cent Steuern und Sozialabgaben bezahlt hat, erschien den “BamS”-Leuten wohl nicht opportun.

Stern  

Verwechslung mit einem Amokläufer

Die “Bild”-Zeitung, das Pro-Sieben-Magazin “taff” und die “Welt am Sonntag” waren nicht die einzigen, die im Bilderrausch nach dem Amoklauf von Winnenden Fotos von Unschuldigen zeigten und behaupteten, es handle sich um den Täter Tim K.

Am Tag der Tat hatte stern.de noch die atemlos bloggenden und twitternden Amateure im Netz, den “Pöbel”, dafür verantwortlich gemacht, dass Unbeteiligte mit dem Amokläufer verwechselt wurden. Die Profis vom “Stern” dagegen schafften es, noch eine Woche später ein Foto zu veröffentlichen, das ihnen nun folgende Gegendarstellung einbrachte:

Gegendarstellung. In der Ausgabe des stern Nr. 13 vom 19. März 2009 wurde auf Seite 37 rechts oben ein Foto, welches u. a. mich zeigt, mit der Bildunterschrift "Der Sieger: Tim wird 2005 Bezirksjugendmeister im Tischtennis" veröffentlicht. Hierzu stelle ich fest: Das Bild zeigt mich und nicht Tim K[...]. Erdmannhausen, den 23. März 2009 Marius Jenner. Marius Jenner hat recht. Wir bedauern das Versehen. Die Redaktion

Immerhin scheint das im selben “Stern”-Artikel abgebildete “Freundschaftsbuch einer Klassenkameradin”, in das Tim K. als Neunjähriger schrieb, dass seine Lieblingsfarbe “blau” sei, und in dem er sein Leibgericht mit “Kroketen” angab, authentisch gewesen zu sein. Das ist doch was.

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