Recherche ist ein zeitraubendes und oft gar nicht besonders interessantes Ding. Man wird in den seltensten Fällen für sie bezahlt, und 99,97% aller Leser des fertigen Artikels nehmen Dahinbehauptetes entweder für bare Münze oder sind zu träge, sich zu beschweren […]
schrieb Kathrin Passig in ihrem Grußwort zum Start von “BILDblog für alle”.
Apropos Dahinbehauptetes: Am Montag erschien bei FAZ.net ein Artikel über das Betahaus in Berlin, der schon ein paar Wochen vorher in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” gestanden hatte. Dort heißt es unter anderem:
Frau Passig schreibt uns dazu:
Ich war 3x im Oberholz und kann Tag und Anlass noch genau benennen, keinmal davon mit Holm.
Und falls Sie geglaubt haben, das mit “Tag und Anlass benennen” sei nur so ein Spruch: Pah!
Ich war zum ersten Mal im St. Oberholz am 21. Januar 2009 so um 17:00 herum, wie man hier nachlesen kann: http://twitter.com/kathrinpassig/statuses/1136565300
Ich habe mit niemandem geredet und ein Buch gelesen. Holm Friebe war nicht dabei.
Zum zweiten Mal war ich am 20. März 2009 kurz vor drei dort, um Sebastian Sooth zu einem Treffen im Gorki Park abzuholen. Ohne Holm Friebe.
Zum dritten Mal war ich anlässlich der pl0gbar am Abend des 31. März 2009 im St. Oberholz. Es waren viele Menschen anwesend, Holm Friebe aber nicht.
Holm Friebe lässt sich zu den Vorwürfen dem Geschehen wie folgt zitieren:
Ich war in den letzten zwei Monaten unter Garantie nicht da.
Von ihrem erfundenen Auftauchen im Trendlokal mal ab, so Frau Passig weiter, sei der ganze Rest “auch Unfug” und das Betahaus (oder “Betahaus Kreuzberg”, wie es auf betahaus.de heißt) stehe in Kreuzberg — anders als die “FAZ” schreibt:
Als die Staatsanwaltschaft vor dreieinhalb Jahren am Ende des Vergewaltigungs-Prozesses gegen den ehemaligen Fernsehmoderator Freispruch beantragte, kommentierte “Bild”, dass dieser Fall nie vor Gericht hätte landen dürfen. Der Moderator sei Opfer einer Justiz geworden, “die diesen Prozeß zuließ und vier Wochen lang ein schmutziges Gerichtsspektakel inszenierte”.
Dass Türck auch Opfer der Medien wurde und insbesondere einer großen deutschen Boulevardzeitung, kam “Bild” nicht in den Sinn. Über Wochen hatte die Zeitung genüsslich intimste Details ausgebreitet, ihn verurteilt und u.a. getitelt: “So hat Türck mich vergewaltigt”. In der “Bild am Sonntag” hatte ein Redakteur namens Stefan Hauck das Leben Türcks ein “erbärmliches Leben” genannt und erklärt, man müsse “kein Mitleid” mit ihm haben. Die Überschrift: “Hier steht Andreas Türck ein letztes Mal im Licht”.
Noch nachdem Türck freigesprochen wurde, behauptete “Bild”, es handele sich nicht um einen “Freispruch erster Klasse”, weil die Tat bloß nicht mit Sicherheit hätte bewiesen werden können, zählte auf, wie viel “Schmutz” an ihm hängen bleibe und fragte süffisant: “Der schöne Andreas ist 1,93 Meter groß, sportlich, schlank, lächelt gern — aber für was soll er jetzt sein Gesicht ins Fernsehen halten?” Später landete Türck wegen seines Prozesses in einer “Bild”-Kolumne mit der Überschrift “Peinliche Promis”.
Der Ruf eines unschuldigen Mannes war ruiniert. Daran, dass Andreas Türck in diesem Sinne zum Opfer wurde, hatte sicher die Justiz ihren Anteil. Aber am wirkungsvollsten war die “Bild”-Zeitung mit ihren riesigen, vernichtenden Schlagzeilen.
Die Zeitung hat, nicht nur in diesem Fall, jede Verantwortung für die Folgen ihrer Berichterstattung abgelehnt. Schon deshalb hat sie aus dem Fall Türck nichts gelernt. Es gab da für “Bild” nichts zu lernen.
Wie das Verfahren gegen die Sängerin ausgehen wird, die zur Zeit in Untersuchungshaft sitzt, weil ihr vorgeworfen wird, im Wissen um ihre HIV-Infektion ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, ist offen. Natürlich kann es sein, dass es — anders als der Prozess gegen Andreas Türck — mit einem Schuldspruch endet und die Frau für viele Jahre ins Gefängnis muss. Aber bislang ist gegen sie noch nicht einmal Anklage erhoben worden, und ihr Ruf ist schon vollends ruiniert.
Spätestens im Nachhinein wird man fragen müssen, in welchem Maß die Sängerin selbst oder die Justiz dafür verantwortlich ist. In welchem Maß “Bild” dafür verantwortlich ist, wird man “Bild” nicht fragen müssen. Schlimmstenfalls kann sich das Blatt ja darüber empören, dass die Justiz so ein “schmutziges Gerichtsspektakel” zuließ und eine Frau zum Opfer machte.
Luca Toni, Mittelstürmer beim FC Bayern, hat in seiner italienischen Heimat ein Interview gegeben. Natürlich ging es dabei auch um die Situation beim FC Bayern und die Diskussion um dessen Trainer Jürgen Klinsmann. Also fragte der Interviewer den Fußballer, wie es denn weitergehe in München, dass es Gerüchte über potentielle Nachfolger gebe und dabei auch der Name eines italienischen Trainers gefallen sei — ob er denn dazu etwas sagen wolle.
So richtig wollte Toni anscheinend nicht, denn sein erster Satz in der Antwort lautet:
“Nein, ich weiß nicht, was passieren wird. Jetzt werden wir sehen, ob sie [die Bayern] mit Klinsmann weiter machen wollen.”
Danach sagt er etwas, was vermutlich sogar jeder Fußball-Laie unterschreiben würde:
“Ich denke, es wird viel vom Ende der Saison abhängen. Dann wird der Verein sehen.”
Und schließlich sagt er noch, so diplomatisch wie es eben geht, über den durchaus renommierten Trainer und Landsmann Mancini folgendes:
“Es ist klar, wenn ein italienischer Trainer kommen würde — so gut wie Mancini — ich denke, es kann dem Ganzen nur gut tun und auch den Bayern!”
Man würde also dem Interview nicht unrecht tun, wenn man es so zusammenfassste: Luca Toni weiß nicht, wie es in der Trainerfrage in München weitergeht. Und er hält Italiener im Allgemeinen und Mancini generell für gute Trainer (was keine sonderlich exotische Meinung ist).
Das liest sich indessen aktuell in vielen deutschen Medien ganz anders. “Bild”, dem Bayern-Trainer in herzlicher gegenseitiger Abneigung verbunden, titelt:
Konsequenterweise lässt Bild.de die User aktuell schon mal über den bevorzugten neuen Bayern-Trainer abstimmen. Die Möglichkeit, für Klinsmann zu votieren, ist dabei erst gar nicht vorgesehen.
Die ‘Bild”-Überinterpretation wird eifrig übernommen:: Bei T-Online behauptet man, Toni habe sich “bereits Gedanken über einen Nachfolger gemacht” und “empfiehlt einen italienischen Landsmann”. Bei sport1.de geht man sogar soweit zu behaupten, Toni habe Mancini als “Ideallösung genannt” (das behauptet nicht mal “Bild”). Und schließlich geriet Toni sogar “ins Schwärmen”, als er auf Mancini angesprochen wurde, zumindest dann, wenn man sport.de (rtl.de) glaubt.
Ziemlich untergegangen ist in der Toni-schwärmt-von-Mancini-Euphorie, dass sich auch noch ein anderer Spieler des FC Bayern zu Wort gemeldet hat. In der “Süddeutschen Zeitung” steht heute:
“Klinsmann macht derzeit eine schwere Phase durch. Die ganzen Attacken treffen ihn persönlich, aber auch uns Spieler und den gesamten Verein (…) In den letzten sieben Partien werden wir uns für ihn zusammenreißen. Um deutscher Meister zu werden, müssen wir alle zusammenhalten.”
Es hat etwas von Trotz, wenn die “Bild”-Zeitung heute den Fall der Sängerin, der vorgeworfen wird, vor mehreren Jahren einen Mann mit HIV infiziert zu haben, noch einmal auf die Titelseite nimmt. Denn nichts von dem, was dort steht, ist neu.
Aber die Sängerin hat beim Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung erwirkt, die es “Bild” verbietet, weiter über den Fall zu berichten, und “Bild” hat sich entschlossen, diese einstweilige Verfügung demonstrativ zu ignorieren.
Die Zeitung hat kein Recht dazu — trotz des Widerspruchs, den sie gegen die Entscheidung eingelegt hat. Wenn das Verbot der Berichterstattung auf Dauer aufrechterhalten bleibt, muss “Bild” für diesen hartnäckigen Rechtsverstoß erhebliche Summen zahlen. Er kann auch dazu führen, dass der Sängerin ein höheres Schmerzensgeld von “Bild” zusteht.
Sollte eine spätere Instanz allerdings entscheiden, dass “Bild” über den Fall so berichten durfte, obwohl er die Intimsphäre der Sängerin betrifft, bliebe dieser Verstoß gegen die einstweilige Verfügung folgenlos. “Bild” erhöht also das mit seiner Berichterstattung verbundene eigene Risiko.
Die Entscheidung des Landgerichts nennt “Bild” heute einen “Irrsinn” und einen “Justiz-Skandal”. Die erfolgreiche Sängerin sei “Vorbild für Millionen deutsche Jugendliche”: “Wenn ausgerechnet solch ein Star straffällig wird, muss man darüber berichten dürfen — und das wird BILD auch weiter tun!” (Ob die Sängerin tatsächlich straffällig geworden ist, ist allerdings noch offen. “Bild” schafft es aber naturgemäß nicht, auf eine Vorverurteilung zu verzichten.)
“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann vergleicht den Fall mit dem Skiunfall des thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus und den “Steuerlügen” des ehemaligen Post-Chefs Klaus Zumwinkel und kommentiert:
Wenn schwere Straftaten Privatsphäre sind, kann die Presse über nichts mehr berichten. Dann kann man die Pressefreiheit auch gleich abschaffen.
Auch die meisten anderen Medien berichten weiterhin über den Fall. Die Nachrichtenagentur dpa verbreitete in mehreren Meldungen, sie teile “nicht die Auffassung des Anwalts der Sängerin, wonach diese keine absolute Person der Zeitgeschichte sei und es sich auch nicht um eine spektakuläre Straftat handele.” Der Anwalt hatte in einer Pressemitteilung die Meinung vertreten, die Berichterstattung sei rechtswidrig, so lange keine Anklage erhoben wurde: “Das gilt umso mehr, als die Sachverhalte, die jetzt zum Gegenstand des Vorwurfes gemacht wurden, mehrere Jahre zurück liegen und die Intimsphäre der Mandantin betreffen.”
Der “Kölner Stadtanzeiger” und der “Express” haben gestern [Nachtrag: fast] alle Berichte über den Fall aus ihren Online-Angeboten entfernt.
Das gleiche tat die “Welt”. Während sie nur noch berichtet, dass sie nicht mehr berichten darf, finden sich auf den Internet-Seiten ihres Schwesterblatts “Berliner Morgenpost” nach wie vor alte und neue Berichte über die Vorwürfe gegen die Sängerin. Das unterschiedliche Vorgehen hat einen ebenso einfachen wie bizarren Hintergrund: Die einstweilige Verfügung der Sängerin richtet sich gegen “Bild” und die Axel Springer AG. “Welt” und “Berliner Morgenpost” werden zwar von einer gemeinsamen Redaktion produziert. Aber die “Welt” wird von der Axel Springer AG verlegt; die “Morgenpost” dagegen erscheint in der Ullstein GmbH, einer Tochter des Unternehmens — die somit nach Ansicht der Verlagsjuristen von der Verfügung nicht unmittelbar betroffen ist.
1. Das große Unverständnis(Carta, Matthias Schwenk)
Warum die alten Medien skeptisch sind: “Die Netz-Evangelisten prahlen mit Reichweite und Netzwerkmacht, während die Skeptiker zurecht die Frage nach den Umsätzen stellen”, schließlich sei derzeit auch für gute Blogs die Luft in Sachen Monetarisierung reichlich dünn.
2. Gute Überschriften gegen die Krise(JakBlog, Christian Jakubetz)
Ein Bild-Haudegen trainiert die Redaktion der Passauer Neuen Presse – und Jakubetz ätzt: “Ein über 60-jähriger Ruheständler soll jetzt also als probates Krisenmittel altgedienten Zetungsredakteuren zeigen, wie man Überschriften und Bildtexte macht. Sprechen wir uns doch mal, sagen wir, im Sommer 2010 wieder.”
3. Medien-Blogger unter der Armutsgrenze(Ruhrbarone, David Schraven)
Bernd Ziesemer, Chefredakteur des Handelsblatt auf Wirtschaftsjournalismus-Tagung in Köln: “Eine ‘besondere Kategorie von Dummschwätzern’ finde sich unter den Medien-Bloggern (…) die versuchten ‘ein paar lousy Pennys zu verdienen, dabei aber nicht mal auf Hartz-IV-Regelsatz kommen’. Diese würden dennoch den Journalisten täglich empfehlen, ihre Printprodukte einzustampfen und nur noch auf Online zu setzen – obwohl dort offenbar nicht so viel Geld zu verdienen sei.”
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