Archiv für März 17th, 2009

“Wir hätten das niemals erlaubt”

“Nicht jugendfrei”, das Jugendportal der “Waiblinger Zeitung” hat mit dem Vater von einem der Mädchen geredet, die bei dem Amoklauf in Winnenden am vergangenen Freitag ums Leben gekommen sind, und über deren Leben und Sterben auch “Bild” in größter Aufmachung berichtet hat:

Uwe Schill kann reden in seiner Trauer. Von sich aus hat der Vater der getöteten Chantal unsere Redaktion aufgesucht, und es hat sich ein Gespräch ergeben über die Dankbarkeit des Hinterbliebenen für den großen Beistand. Und über den Schmerz darüber, wie Bild-Zeitung und Fernsehsender sich des Bildes der getöteten Tochter bemächtigen; und wie Bekannte über Opfer und Täter sprechen und er dies wehrlos im Fernsehen mitverfolgt.

Zwei Stunden nachdem Chantal gestorben war, stand ein Reporter bei Schills in der Haustür und wollte Bilder von Chantal. “Kein Ausdruck des Beileids, keine Rücksicht, kein Mitgefühl . . . Mein ältester Sohn hat ihn dann von der Tür gewiesen.” (…)

Das Bild der getöteten Tochter wird fremdbestimmt: “Die Bild-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder von Chantal erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt.” (…)

Schill vermutet, dass die Fotos seiner Tochter aus dem Schüler-VZ stammen, einem Internetverzeichnis, das bei Schülern äußerst beliebt ist und in das die große Mehrheit der Schülerinnen und Schüler Fotos von sich hineinstellt — meist in dem Gefühl, dass nur andere Schüler dieses Verzeichnis anschauen, dass Jugendliche und Kinder unter sich wären in dieser Abteilung des Internets. Aber Internet ist immer Weltöffentlichkeit. Die Bildbeschaffer bestimmter Medien nützen dies aus. “Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen”, sagt Schill. (…)

“Bild” lässt Schläger-Opfer für sich kämpfen

Es ist nicht Neues, dass “Bild” Probleme mit der Tatsache hat, dass für Kriminelle die gleichen Rechte gelten wie für alle anderen Bürger.

Wenn ein junger Mann, der wegen versuchten Mordes im Gefängnis sitzt, seine langjährige Freundin heiraten will, mit der er ein Kind hat, ist das für “Bild” etwa ein “Trick”, um der Abschiebung zu entgehen. Wenn ein Anwalt nach Unregelmäßigkeiten während der Polizei-Verhöre Freispruch für seinen Mandanten fordert, nennt die Zeitung diesen Vorgang “unfassbar”.

Auch braucht es in der Regel mehrere Gerichtsurteile, bis “Bild” zähneknirschend und unter “Aber die Pressefreiheit!”-Gemurmel darauf verzichtet, aktuelle Fotos von freigelassenen Ex-Terroristen zu zeigen.

Was also ist es für “Bild”, wenn einer der Münchener “U-Bahn-Schläger” vor dem Landgericht Hamburg erwirkt, dass die Zeitung sein Foto nicht mehr unverfremdet zeigen darf?

Na sicher:

Skandal um U-Bahn-Schläger

“Bild” ereifert sich aber nicht selbst, sondern überlässt die Empörung jemandem, bei dem sie jeder noch so skeptische Leser nachvollziehen kann: dem Opfer.

Prügelopfer entsetzt über Gerichtsurteil

Spiridons Opfer Bruno N. (76): “Ich kann das nicht verstehen. Die wollten mich totschlagen. Bei so einer Tat gibt es keinen Anspruch auf Privatsphäre. BILD hat die Leser aufgeklärt, indem Fotos der Täter veröffentlicht wurden.”

Quasi über Bande kann die “Bild”-Redaktion so deutlich machen, was sie von dem Urteil hält, ohne sich selbst zu Wort zu melden.

Na ja, fast:

Gegen das Foto-Urteil wird BILD Berufung einlegen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Unverbesserlich VII

"Die Mutter vom Container-Baby: Sie hielt ihrem Jungen Mund und Nase zu, bis er nicht mehr atmete"

So berichtet “Bild” heute über eine Mutter, die ihren Säugling umgebracht und in einem Altkleider-Container abgelegt haben soll. “Bild” zeigt ein unverfremdetes Foto der Frau und nennt die Straße und den Stadtteil, wo sie wohnt.

Die “Bild”-Zeitung tut also das, was sie andauernd in solchen Fällen tut: Sie zeigt, dass der Pressekodex und die Spruchpraxis des Presserats ihr herzlich egal sind – vom Persönlichkeitsrecht der Mutter ganz zu schweigen.

ProSieben, Schwarzer, Stewart, Davies

1. “Winnenden: 100 Euro für eine Tränen-Aufnahme”
(wuv.de, Jochen Kalka)
“Schülern wurde gegen Cash diktiert, was sie vor laufender Kamera sagen sollten. Auch der Satz ‘Tim wurde von seinen Mitschülern gemobbt’, soll gekaufte Filmware gewesen sein. Andere Schüler wurden, ebenfalls gegen ein Entgeld von 20 bis 100 Euro, gebeten, Blumen oder Kerzen abzulegen und sich dann weinend zu umarmen.”

2. “Gibt es noch recherchierende Journalisten?”
(carta.info, Marvin Oppong)
Alice Schwarzer belegt ihre Thesen in der Welt und im Standard zu den Auswirkungen von Pornografie mit Untersuchungen von Henner Ertel vom G.R.P. Institut für Rationelle Psychologie. Dieses wurde aber 2008 von Jochen Paulus in der Zeit als unseriös enttarnt. Gegen Henner Ertel läuft ein Strafverfahren, ihm “wird vorgeworfen, die Grade ‘Doktor’ und ‘Professor’ zu Unrecht zu führen.”

3. Pro7 Newstime täuscht Nachrichten vor
(dwdl.de, Jochen Voß)
“Am Wochenende verstörte ProSieben seine Zuschauer mit Programmtrailern im Stil einer echten Nachrichtensendung.” Auf YouTube zu sehen einmal das in Rekordzeit gealterte Baby, einmal der von Insekten angegriffene Mann.

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