Archiv für März 16th, 2009

“Bild” im Abwrackwahn

Die Rechnung mit der Abwrackprämie ist im Grunde ganz einfach: Jeder, der seit mindestens einem Jahr Halter eines mindestens neun Jahre alten Autos ist, bekommt, wenn er es verschrotten lässt und sich einen Neu- oder Jahreswagen kauft, einen Zuschuss von 2.500 Euro (erstaunlicherweise können laut “Bild” offenbar auch neun Jahre alte Autos noch “fast neu” sein). Da die Bundesregierung dafür insgesamt 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat, reicht das also für 600.000 Fahrzeuge.

Laut dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) sind bis heute, 16. März 2009, “bereits 246.853 Anträge auf Gewährung der Umweltprämie eingegangen”:

Bei der Berechnungsgrundlage von 600.000 möglichen Anträgen können noch 353.147 Anträge gestellt werden.

Vergangenen Freitag schrieb “Bild”:

"Abwrackprämie nur noch für 147.000 Autos"

“Bild” hat diese Zahl vom Kfz-Händlerverband ZDK, laut dem bis vergangenen Donnerstag “rund 453.000 Neu- und Jahreswagen mit Prämie (2500 Euro) verkauft” worden seien. Das ist durchaus möglich, da es sicherlich einige Zeit dauert, bis alle Anträge beim BAFA eingehen.

Am Samstag aber berichtete “Bild”:

"Ansturm auf die Autohäuser: Abwrackprämie heute ausverkauft?"

Das scheint weniger eine Überschrift zu sein, als eine Text-Aufgabe, deren Beantwortung selbst Leuten mit rudimentären Mathe-Kenntnissen leicht fallen dürfte. Denn der ZDK rechnete laut “Bild” damit, dass am Samstag “noch mal 30.000 Autos mit Abwrackprämie abgesetzt werden.” Das machte dann also 483.000 Autos, wenn man die ZDK-Zahlen vom Freitag zugrunde legt, und die Prämie würde noch für rund 117.000 Fahrzeuge reichen. “Bild” löst die Aufgabe im Text denn auch richtig, aber nicht sehr präzise:

Damit dürften bis heute Abend rund 500 000 Autos mit Prämie verkauft worden sein. Das Geld (1,5 Milliarden Euro) reicht für insgesamt 600 000 Fahrzeuge, ist in Kürze aufgezehrt.

Und während “Bild” es sich offenbar zum Ziel gesetzt hat, die Leute scharenweise in die Autohäuser zu treiben, indem sie einen so nicht vorhandenen Zeitdruck suggeriert (vergangenen Donnerstag hieß es in “Bild” noch: “Abwrackprämie reicht nur noch für vier Wochen”), berichtet beispielsweise die “Welt” heute schon über das “Risiko Abwrackprämie”:

Das Staatsgeld verführt manche auch bei leerer Haushaltskasse zum Autokauf

(…) Verbraucherzentralen warnen bereits, dass die Abwrackprämie Menschen verlockt, sich ein neues Auto zu kaufen, obwohl sie es sich eigentlich nicht leisten könnten. “Die Kunden fühlen sich wie im Schnäppchenmarkt, und die Autohändler nutzen diese Situation aus”, sagt Leif Rättig von der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein.

Es sieht nicht so aus, als ob die “Bild”-Zeitung sich die Aufgabe gesetzt hat, dem entgegen zu wirken.

Mit Dank an Rainer S., Georg G., Heiko T., Melvin B., Björn K., Philipp W.

Dieter Althaus in der “Bild”-Reha

Ob die “Bild”-Zeitung positiv über jemanden berichtet, ist unter Chefredakteur Kai Diekmann nicht unbedingt eine Frage der Ideologie. Viel entscheidender ist es, ob jemand bereit ist, mit “Bild” zu kooperieren. Das wichtigste Prinzip ist das des Geben und Nehmens.

Wie das funktioniert, lässt sich sehr plastisch am Fall des thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus zeigen. Althaus gibt der “Bild”-Zeitung exklusive Informationen. Dafür gibt “Bild” ihm die Berichterstattung, die er sich wünscht.

  • Schon im vergangenen Sommer nutzte Althaus die “Bild”-Zeitung, um Gerüchte zu dementieren, er habe ein Kind mit seiner Sekretärin. “Bild” nannte diese Gerüchte prompt eine “BABY-LÜGE”.
  • Im Februar veröffentlichte “Bild” das erste Foto von Althaus nach dem Unfall. Es zeigt ihn beim Spaziergang in Konstanz, in der Nähe seiner Reha-Klinik. “Bild” druckte es unter der Überschrift: “Es geht ihm endlich wieder besser!”
  • Bei der Beerdigung seines Vaters wurde Althaus von Polizisten und Sicherheitsleuten mit Regenschirmen abgeschirmt; Fotos und Fernsehaufnahmen waren nicht erlaubt. Für den Fotografen der “Bild”-Zeitung scheint Althaus dann aber noch einmal am Grab posiert zu haben, so dass sie ein Exklusiv-Foto präsentieren konnte. Wie zum Dank machte die Zeitung eine Kehrtwendung und beschrieb sein Auftreten bei der Beerdigung nun nicht mehr als “geschwächt”, sondern stark — ganz wie der designierte Spitzenkandidat und seine Partei es wünschten (wir berichteten).
  • Auch über die Verurteilung Althaus’ zu einer Geldstrafe berichtete “Bild” ganz in seinem Sinne (wir berichteten).

Vorgestern nun nominierte die CDU Althaus zu ihrem Spitzenkandidaten — in Abwesenheit. Der Kandidat war offensichtlich noch nicht fit genug, um vorbeizuschauen, er schickte nicht einmal eine Videobotschaft. Die Aufgabe, alle Zweifel auszuräumen, ob sein Gesundheitszustand gut genug ist, übernahm — “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann höchstpersönlich.

“Exklusiv” und “als erster Journalist” traf er “jetzt” den Ministerpräsidenten “in der Reha-Klinik” und berichtet darüber in größter Aufmachung in der gestrigen “Bild am Sonntag” und der heutigen “Bild”:

Daran, wie es Althaus geht, lässt Diekmann nicht den Hauch eines Zweifels:

Gedanken, Erwartungen: Wie wird er wohl aussehen? Gebrechlich? Vielleicht sogar gebrochen? Stützen ihn seine Leibwächter vom Landeskriminalamt? Muss er nach Worten ringen? Verliert er im Gespräch immer wieder den Faden? NICHTS VON ALLEDEM. Es ist kurz nach 13 Uhr, als der Ministerpräsident Dieter Althaus vor dem Hotel aus einem schwarzen Suzuki-Geländewagen steigt. Aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe. Er trägt eine schwarze Hose, einen schwarzen Pullover, dazu ein weißes Hemd mit dunkelrot gestreifter Krawatte. Mit schnellen Schritten durchquert er den Kreuzgang des uralten Hauses, sein Händedruck ist kräftig. Ein wenig schmaler ist er geworden, seine Augen schauen hell und wach, als hätte es den Albtraum auf der Riesner-alm nie gegeben. Ein älteres Ehepaar schaut verblüfft herüber, sie flüstert: "Ist das nicht der Althaus, der mit dem Unfall?"

Heute in “Bild” muss man sogar nur die Bildtexte lesen, um die entscheidende Botschaft des Interviews zu erfahren (die Botschaft, die mit der identisch ist, die Althaus und seine Partei den zweifelnden Wählern, Parteimitgliedern und Kommentatoren vermitteln wollen):

So funktioniert “Bild”: “Bild” hat eine große Exklusiv-Geschichte, Althaus hat eine Berichterstattung in seinem Sinne, und alle sind glücklich. (Außer vielleicht diejenigen, die eine unabhängige, wahrheitsgemäße Berichterstattung erwarten.)

Wohlgemerkt: Es kann durchaus sein, dass Althaus wirklich wieder stark und gesund ist und einen kräftigen Händedruck und helle, wache Augen hat. Nur ist “Bild” dafür keine verlässliche Quelle.

Mit Dank an Falk H.

Neven DuMont, Darwin, Winnenden

Fordert Charaktere in den Medien: Alfred Neven DuMont (Keystone, Archiv)
1. Interview mit Cigdem Atakuman
(spiegel.de, Daniel Steinvorth)
Cigdem Atakuman, Chefredakteurin von Bilim ve Teknik, wird nach einer Titelgeschichte über Charles Darwin entlassen: “Die Titelgeschichte über Darwin sei ein großer Fehler gewesen, ein unentschuldbarer Fehler. Im jetzigen politischen Klima in der Türkei könne so was als Provokation verstanden werden.”

2. Interview mit Alfred Neven DuMont
(sueddeutsche.de, Hans Werner Kilz)
Verleger Alfred Neven DuMont glaubt, den Zeitungen heute brauchen vor allem Charakter, um sich unentbehrlich zu machen: “Wenn Sie unsere Öffentlichkeit anschauen – von den Bischöfen bis zur Politik, Unternehmer, Gewerkschaften -, es ist eigentlich mehr ein ineinander übergehender Einheitsbrei. Ich will nicht gerade sagen charakterlos, das klingt vielleicht ein bisschen wild, aber charakterarm, profilarm.”

3. “Die hohle Hand beim Staat ist kein Rezept gegen die Medienkrise”
(onlinereports.ch, Peter Knechtli)
“Wenn sich die Medieninhalte immer stärker am Showbizz-, Beauty- und Promi-Barometer und seinem beliebigen Wahrheitsgehalt orientieren, während gleichzeitig die Mittel für tiefgründige Analysen und Recherchen fehlen, dann verlieren die Medien ihre fundamentale Funktion als Informations-Vermittlerin.”

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