Es sieht ganz so aus, als trügen die Nachrichtenagenturen AFP und AP eine Mitschuld an dieser Bild.de-Geschichte:
AP hatte nämlich gestern eine Meldung unter der Überschrift veröffentlicht “US-Amerikaner saß fast 30 Jahre unschuldig in Haft”, während AFP letzte Nacht eine Meldung unter der Überschrift veröffentlicht hatte “US-Bürger saß 27 Jahre unschuldig hinter Gittern”. Allerdings ließ sich dem AFP-Text entnehmen, dass der US-Bürger John White zwar 1980 wegen einer Vergewaltigung — die er, wie sich jetzt rausstellte, nicht begangen hatte — zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. 1990 aber wurde er auf Bewährung* entlassen und 1997 sei er wegen eines Diebstahls** wieder ins Gefängnis gekommen.
Das macht nach unserer Rechnung insgesamt 20 Jahre Gefängnis, von denen White jedoch lediglich 10 Jahre unschuldig gesessen hätte. Es wäre also für Bild.de gar nicht mal so schwer gewesen, die Überschrift als Unsinn zu entlarven.
Ach ja, AFP hat ihre Meldung heute um kurz nach 13 Uhr korrigiert.
Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.
*)Dass es bei Bild.de fälschlicherweise heißt, der Mann sei 1990 “begnadigt” worden, liegt demnach nicht an der AFP-Meldung, wahrscheinlich aber an der AP-Meldung.
**) Auch hier irrt die deutsche AFP. Tatsächlich wurde John White 1997 wegen Raubes verurteilt, nicht wegen Diebstahls, wie sich auch der englischsprachigen Version der AFP-Meldung entnehmen lässt. Die scheint aber auch insofern ungenau zu sein, als White offenbar zudem 1993 wegen eines Drogendelikts zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Das wiederum berichtet die Nachrichtenagentur ap in einer englischsprachigen Meldung.
Klaus Vater, 61, ist seit über fünf Jahren Sprecher der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Er leitet die Pressestelle des BMG und war zuvor schon Sprecher des Bundesarbeitsministeriums. Seine berufliche Karriere begann der gelernte Politikwissenschaftler als Journalist; er war u.a. Redakteur bei der SPD-Zeitung “Vorwärts”. 2004 berichtete der “Tagesspiegel”, Vater schreibe nebenbei an einem Roman (“Mittvierzigerin im großen Ministerium, die einer Verschwörung auf die Spur kommt”). Auf die Frage, was daraus geworden ist, antwortet er heute, er sei “derzeit nicht so in der Laune”. Von Vater verfasste Pressemitteilungen beginnen auch schon mal mit den Worten: “‘Bild’ lügt.”
Von Klaus Vater
Liebe Bildblog-Gucker(innen)! Ganz aufgeregt — seit Tagen aufgeregt — wartete ich heute auf “Bild” von heute. Wenn ich schon der Blogger des Tages sein soll, dann soll’s auch eine irgendwie besondere Ausgabe sein.
Ergebnis: Nix da. Was die Deutschen verdienen, verspricht “Bild” heute. Nicht ‘n paar Deutsche, sondern die. Also alle, ausnahmslos. Jeder und Jede. Sofort im Alphabet rum gerutscht. “A”, dann “B”, dann “C” – wie Chefredakteur “Bild”. Keine Angabe. Nix über K.D. Also verdient der auch nichts. Oder? Anschließend unter Vorstandsvorsitzende nachgeschaut. “V” wie Döpfner zum Beispiel. Schon wieder nichts. Hmmmm. Möglich wäre ja, dass man ihm Verluste im Geschäft vom Gehalt abgezogen hat. Dann würde er schon aus der Tabelle raus fallen. Also ein Klassiker wird die Gehälter-Tabelle in “Bild” nicht.
Dafür bietet “Bild” unten auf der Seite freilich einen echten Klassiker. Nämlich, dass die Deutschen zu einem Drittel an Heiligabend Würstchen mit Kartoffelsalat essen. Gänse fliegen mit 19 Prozent abgeschlagen hinterher. Eine Zeitschrift namens “Bella” will das herausgefunden haben. Um das zu wissen, hätte keine Zeile von “Bella” zu “Bild” springen müssen. Weiß doch jeder, dass es Heiligabend Würstchen gibt! Selber Würstchen! Dazu passt allerdings nicht, links neben dem Kartoffelsalat gedruckt, dass die Deutschen zu wenig sparen. Vielleicht findet “Bild” ja heraus, dass die Deutschen weniger sparen, weil sie mehr und größere Würste sowie noch mehr Kartoffelsalat essen. Paris Hilton soll übrigens wieder in Berlin sein. Was ich persönlich nicht glaube. Denn sie kennt laut “Bild” Knut nicht.
Aus meinem “Zuständigkeitsbereich” Gesundheit und damit Verbundenes habe ich fast nichts gefunden. Außer dass Chef-Kommentator Hoeren auf Seite zwei irgendwie schlecht aussieht. Hängt vielleicht mit dem Thema zusammen. Erbschaftssteuer. Wenn ich ihn richtig verstanden habe (3 x gelesen), will er die Erbschaftssteuer weg haben. Er meint, die Politik solle nichts tun, dann würde sie keine große Chance vertun. Das soll einer verstehen. Halt. Stopp. Nur nichts übersehen? Auf Seite eins steht, es gebe in Deutschland wieder mehr Geburten. Und dann steht da der Satz — Zitat: “Eigentlich gingen die Forscher auch für dieses Jahr von einem Rückgang aus.” Die Forscher! Da ich fünf Kinder habe, könnte mich die ganze Sache ja eiskalt lassen. Aber was zum Teufel haben die Forscher mit der Geburtenrate zu tun? Männer, deutsche Männer, traut den Forschern nicht. Wehrt Euch!
Letzter Blick auf die Zeitung: 50 Cent. Na ja. Dafür gibt’s andere Verwendungen. Beim nächsten Besuch im Einstein leg ich drei Euro für den Cappu zu 2,50 Euro auf den Tresen. “Stimmt so”. Dafür krieg’ ich ein nettes Lächeln der hübschen Frau hinter dem Tresen. Das ist gut angelegte Kohle.
Was hat John Wayne beim Pferdeholen mit dem Nobelpreis zu tun? Eigentlich nichts, aber als am Montag die Nobelpreise in Stockholm und Oslo verliehen wurden, nahm Al Gore seinen Friedensnobelpreis in Cowboy-Stiefeln entgegen. Diese Tatsache war für “Bild” offenbar so wichtig, dass sie sich gestern in der Klatsch-Rubrik auf der letzten Seite ausführlich damit beschäftigte. Rund die Hälfte des Textes über die “Nobelpreis-Überreichungs-Zeremonie” drehte sich allein darum.
Nicht so wichtig war für “Bild” hingegen, wer da eigentlich sonst noch wofür irgendwelche Nobelpreise bekam:
Genauso höflich verneigten sich seine deutschen Preisträger-Kollegen bei Schweden-König Carl Gustaf XVI. (61): die Physik-Nobelpreisträger Professor Gerhard Ertl (71) und Professor Peter Grünberg (69).
Gerhard Ertl bekam den Chemie-Nobelpreis, während der Physik-Nobelpreis an den Deutschen Peter Grünberg und den Franzosen Albert Fert ging.
Medien mit Migrationshintergrund (bundblog.espace.ch, Artur Vogel)
Wenn etwas vom Staat an uns Journalisten herangetragen wird, sei es in Form einer Empfehlung, einer Anregung oder eines Befehls, werde ich hellhörig. Staat und Medien, das verträgt sich nur auf Distanz; es ist immer wieder zu beobachten, wie einer, wenn er die alleinige Herrschaft anstrebt — sei dies Putin in Russland, Mugabe im Simbabwe, Chavez in Venezuela oder Mubarak in Ägypten — stets zuerst versucht, die Medien unter Kontrolle zu bringen.
Zensur? Nein, Zivilität (tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Anstatt gleich Zensur zu schreien, sollte sich das deutsche Online-Völkchen lieber Verantwortung auf die Fahnen schreiben. So frei wie das Medium Internet ist, so stark hat es sich in der Vergangenheit kommerzialisiert und verlangt der Kontrolle.
Der Süddeutschen wird das Internet zuviel (telepolis.de, Florian Rötzer)
Zuerst ließ man einen Redakteur eine Breitseite gegen den Internetpöbel reiten, dann schließt man das Forum über Nacht und am Wochenende vor den Barbaren aus der Tiefe des virtuellen Raums.
Weißer Mann, was nun? (Lesetipp) (zeit.de, Andrea Jeska)
Die Zweifel am Engagement Prominenter für die Armen der Welt wachsen. Eine Reise mit dem Kölsch-Rocker Wolfgang Niedecken nach Uganda
Enteignet Springer! (youtube.com, Video, 0:20 Minuten)
Spontane Aktion der Grünen Jugend Münster gegen Medien-Mogul Springer, anläßlich dessen Beteilung an der Aktion “Licht aus”.
Blogs in plain english (youtube.com, Video, 2:58 Minuten)
A video for people who wonder why blogs are such a big deal.
Hier zum Vergleich eine wirklich geheimnisvolle Antwort. Die Frage lautet ungefähr: Herr Oettinger, sind Sie von “Bild” dazu getrieben worden, in der Zeitung zu verkünden, dass Sie sich von Ihrer Frau getrennt haben? Seine Antwort steht heute in den “Stuttgarter Nachrichten” und lautet:
Oettinger wäre nicht der erste Prominente, der berichten würde, dass die Zeitung ihn mit einer Mischung aus Drohungen und Angeboten dazu gebracht hätte, ihrem Willen nachzugeben, etwa, indem sie ihm verschiedene mögliche Formen der Berichterstattungen aufzeigt, je nach Grad der Kooperation mit “Bild”.
Zuerst berichtete das Blatt in seiner Stuttgarter Regionalausgabe, Inken Oettinger habe 170 hochmögende Damen der Gesellschaft beim Adventskaffee in der Berliner Landesvertretung mit dem Hinweis auf das Fußballtraining des Sohnes einfach sitzen gelassen. Dann titelte sie in der Deutschlandausgabe “Deutschlands seltsamstes Politiker-Ehepaar”. Nun wurde Stufe drei gezündet: “Ehe kaputt”.
Auch die “Stuttgarter Nachrichten” formulieren, Oettinger habe “dem Druck der ‘Bild’-Zeitung nachgegeben” und berichten aus der Stuttgarter Regierungszentrale:
“Die haben dem Chef doch das Messer auf die Brust gesetzt”, meint einer. Was das heißen könnte? “Bild” soll gedroht haben, die Ehe-Probleme öffentlich zu machen. So viel ist klar: In der vergangenen Woche soll es ein Telefonat zwischen “Bild”-Chef Kai Diekmann und der Regierungszentrale gegeben haben.
Seit Monaten schon habe “Bild” Oettinger angeboten, “seine privaten Dinge über den Boulevard zu regeln”, was der Ministerpräsident abgelehnt habe, schreiben die “Stuttgarter Nachrichten”, und:
“In Berlin wird kolportiert, der Springer-Konzern habe für diese Woche mit der Veröffentlichung von Details aus dem Privatleben des Paares gedroht. Das aber wollten sich die Oettingers ersparen.”
In einem Leitartikel kritisieren die “Stuttgarter Nachrichten” Oettingers Art des Coming-Outs:
Politiker und Journalisten in Baden-Württemberg wissen seit langem von den Schwierigkeiten der Eheleute Oettinger – aus Respekt vor der Privatsphäre haben sie geschwiegen. Viele Redakteure, auch dieser Zeitung, haben Oettinger auf seine Ehe angesprochen – die Antwort “Kein Kommentar” wurde stets respektiert.
Auf die Frage, warum Oettinger sein Schweigen exklusiv für und in “Bild” brach, sei im Staatsministerium von einer “Zwangslage” die Rede: “Wir konnten doch nicht anders.”
Zu groß ist offenbar die Angst christlich-konservativer Landespolitiker mit Ambitionen in Richtung Berlin, es sich mit “Bild” zu verderben. Sicherheit gibt da wohl nur das Gefühl, von “Bild” geliebt zu werden, egal um welchen Preis.
Und der Boulevard dankt: Als “einen der mächtigen CDU-Kronprinzen” titulierte “Bild” den baden-württembergischen Ministerpräsidenten gestern prompt. Man kann das auch anders sehen: Ein mächtiger Kronprinz braucht ein starkes Rückgrat, er braucht Souveränität, er knickt auch vor “Bild” nicht ein.
Der Kommentar schließt:
Günther Oettinger […] lässt sich am Ende des “Bild”-Berichtes mit einem Satz zitieren, der angesichts der zweidrittelseitigen Aufmachung seines Ehe-aus-Bekenntnisses so absurd wie verzweifelt anmutet: “Wir haben die Bitte, dass die Öffentlichkeit unsere Privatsphäre akzeptiert.” Wir gehen davon aus, dass sein Appell nicht dieser und anderen seriösen Zeitungen gilt. Sondern der “Bild”-Zeitung, gern auch exklusiv. Seine Chancen stehen nicht schlecht. Den Preis für künftige Wohlbehandlung hat Oettinger schließlich schon bezahlt.
Christian Schertz, 41, ist Medienanwalt in Berlin. In den vergangenen Jahren setzte er in “Bild” und “BamS” u.a. Gegendarstellungen für Sabine Christiansen, Oliver Pocher, Nadja Auermann, Natalie Wörner, Katja Flint, Hannelore Hoger, Nora Tschirner, Karsten Speck, Sibel Kekilli, Cosma Shiva Hagen, Dieter Wedel, Günther Jauch und Alexandra Neldel durch. Schertz lehrt u.a. Medienrecht an der Potsdamer HFF und der FU Berlin — und stellt heute in Berlin gemeinsam mit Thomas Schuler das Buch “Rufmord und Medienopfer” vor.
Von Christian Schertz
Kein Zweifel: Auf BILDblog ist es angezeigt, sich kritisch mit “Bild” auseinanderzusetzen. Nur: Kritik kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet sinngemäß: “Die Kunst der Beurteilung”. Blattkritik — zu der ich von “Bild” noch nie eingeladen wurde — heißt also auch, Positives zu erwähnen. Daher mein Selbstversuch, die heutige “Bild”-Ausgabe nach Punkten zu durchforsten, die mir positiv auffallen, gewissermaßen als dialektischer Gegenentwurf zu BILDblog.
And here are the results:
Auf der Titelseite ist Nicolas Sarkozy “Verlierer” des Tages. “Bild” prangert zu Recht an, wie der französische Staatspräsident dem libyschen Staatschef Gaddafi (“Folter, Zensur und Menschen, die einfach verschwinden!”) fünf Tage einen roten Teppich ausrollt, um ihm ein Atomkraftwerk zu verkaufen.
Auf Seite 2 deckt Hugo Müller-Vogg in seinem Kommentar die Bigotterie christdemokratischer Politiker auf, die zumindest über Jahre ausschließlich das Lebensmodell “verheiratet mit Kindern” als Ideal gefeiert und vor allem dem Volk verkauft haben, dieses Modell aber immer seltener selbst leben nach dem Motto: “Wasser predigen und Wein trinken.” Müller-Vogg gelingt das Ganze auch noch, ohne bei den beschriebenen Fällen (Wulff, Oettinger, Pofalla) die Intimsphäre zu verletzen, da er lediglich öffentlich bekannte Fakten mitteilt und hieraus seine Schlüsse zieht. Hinzutritt, dass Frau Oettinger in einem Artikel neben dem Kommentar immerhin Fragen der “Bild” zu der Trennung, wenngleich abwiegelnd, beantwortet und damit selbst den heutigen Titel “Nach Ehe-Aus: Das sagt Frau Oettinger” ohne Not befördert hat. Wahrscheinlich war es wieder ein Überrumpelungsanruf, bei dem als presserechtliche Grundregel eigentlich gilt: Wenn man weitere Berichterstattung nicht befördern will, sagt man nichts, njet, kein Kommentar. Anders offenbar im Fall Oettinger.
Weiterhin fällt auf, dass die heutige “Bild” im Wesentlichen auch sonst ohne massive Eingriffe in die Privatsphäre auskommt. Lediglich ein “Abschuss” von Britney Spears, der sie beim Stehlen eines Feuerzeuges im Wert von 99 Cent an einer Tankstelle zeigt, lässt sich finden. Indes dürfte auch dieses Foto rechtlich nach der medialen Inszenierung von Frau Spears sogar zulässig sein.
Noch zu diesem Thema: Tatsächlich, ich kann es gar nicht glauben, ich finde kein Leser-Reporter-Foto! Jedenfalls in der Printausgabe. Mehrfach blättere ich die Zeitung durch. Ich finde keins.* Da wurde über Monate “das Phänomen Leser-Reporter” in den Feuilletons der überregionalen Tagespresse und den Medienmagazinen in Funk und Fernsehen diskutiert und angeprangert. Auch ich selbst war hieranbeteiligt (“Massenweiser Aufruf zum Rechtsbruch”). Und dann stellt man fest, dass die “Bild”-Zeitung in ihrer Printausgabe jedenfalls eine tägliche Rubrik “Leser-Reporter” offensichtlich aufgegeben hat. Völlig unbemerkt. Nach dem Abklingen der Diskussion.
Vielleicht muss “Bild” ja auch die Privatsphäre von Menschen nicht mehr verletzen, da seit geraumer Zeit Prominente jeglicher Couleur zumeist unaufgefordert, jedenfalls ohne Not, sich zu dem aktuellen Zustand ihres Liebes- und Privatleben äußern. Während in der Vergangenheit viele Celebrities gut daran getan haben, ihre Privatsphäre zu schützen, häuft sich die Anzahl derjenigen, die mit O-Tönen wie: “Ja, es stimmt. Wir sind ein Paar.”; “Ja, es stimmt. Wir haben uns getrennt.” oder gleich in der Kombi “Ja, es stimmt. Ich habe mich getrennt und bin jetzt zusammen mit…” in die Öffentlichkeit gehen. BUNTE-Republik Deutschland.
Dennoch ist der Selbstversuch misslungen: Was die “Bild”-Zeitung heute auf Seite 2 mit dem offensichtlich traumatisierten Folter-Opfer Al-Masri macht (“Brandstifter und Schläger vor Gericht”) ist unfassbar, unentschuldbar, ein Nachtreten in Richtung Presserat und Betroffenen. Das Leben ist nicht fair.
*) Nachtrag zum misslungenen Selbstversuch, 16.47 Uhr: Jetzt habe ich sie doch gefunden, Leser-Reporter-Fotos auf Seite 12, insgesamt 5 Fotos von Frauen mit Rückentatoos. Dabei handelt es sich aber im Wortsinne nicht um Leser-Reporter-Fotos, sondern um Leser-Fotos — offensichtlich mit Einwilligung der Abgebildeten. In den Anfängen der Leser-Reporter-Fotos waren es noch vielfach Abschüsse von Prominenten ohne deren Zustimmung. Das erklärt auch, warum die Rubrik Leser-Reporter nicht mehr offensichtlich ins Auge fiel.
Es ist nicht ganz einfach mit dem Zählen. Gerade im Dezember sind viele angehalten, kleine Papptürchen in der richtigen Reihenfolge zu öffnen. Da kann man bei komplexeren Sachverhalten schon mal den Überblick verlieren.
Tagesansatz: 100 Franken (klartext.ch, Cyrill Pinto)
Die Südostschweizer Mediengruppe zahlt freien JournalistInnen miese Honorare und verletzt das Urheberrecht. Jetzt klagt eine Journalistin.
Kloppen und klicken (stefan-niggemeier.de)
Das ist der Stand der Dinge: Die Online-Medien mischen Werbung und Redaktion und zwingen ihre Leser dazu, dutzendfach zu klicken, um einen einzigen Artikel zu lesen, und empören sich darüber, dass man ihnen vorwirft, Werbung und Redaktion zu mischen und ihre Leser als Klickvieh zu missbrauchen.
12 Tipps für ein erfolgreiches Onlineangebot (falk-lueke.de)
Pageviews sind nach wie vor das Maß aller AdImpressions-bezahlten Dinge. Und auch Durchklickrate ist nicht zu verachten. Wie kann man also richtig reich werden mit diesem Interdings? Eine fast wertungsfreie Übersicht der Möglichkeiten.
“Wir wollen auf jeden Bildschirm” (welt.de, Dirk Nolde und Lars Winckler)
Chad Hurley hat gemeinsam mit zwei Freunden YouTube gegründet. Auf WELT ONLINE erklärt der 30-jährige Multimillionär, wie er das Videoportal endlich profitabel machen will, wie er es aufs iPhone geschafft hat – und wie er sich früher auf Weihnachtsbaum-Plantagen durchschlagen musste.
Markus Beckedahl von Netzpolitik.org im Blogpiloten-Interview (blogpiloten.de, Video, 10:32 Minuten)
Markus Beckedahl, Autor des Weblogs Netzpolitik.org, spricht über den digitalen Graben in der Politik, Netzneutralität und die Chancen, die das Mitmachnetz gerade kleinen Organisationen bietet.
Miriam Meckel, 40, ist Professorin für Corporate Communication und
Direktorin des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen. Nach ihrer Promotion 1994 wurde sie an der Uni Münster 1999 Deutschlands jüngste Professorin. Sie arbeitete vor und hinter der Kamera u.a. für den WDR, Vox, RTL und n-tv und war in NRW Staatssekretärin für Medien und Regierungssprecherin von Wolfgang Clement sowie Staatssekretärin für Europa, Internationales und Medien. Meckels jüngstes Buch “Das Glück der Unerreichbarkeit” ist im September erschienen. Ihre Lebensgefährtin ist Anne Will, wie beide vor drei Wochen der “Bild am Sonntag” und der “Welt” bestätigten (wir berichteten). Meckel bloggt selbst unter miriam-meckel.de
Von Miriam Meckel
Als wir aus dem Restaurant treten, geht das Blitzlicht los, erhellt die Straße und das Umfeld des Restaurants im Sekundentakt. Das aktuelle zeitgeschichtliche Ereignis lautet: Eine Fernsehmoderatorin und ihre Freundin essen in einem Berliner Restaurant zu Abend. Wahnsinn, unfassbar, einfach unglaublich! Davon muss es Bilder geben!
Wir gehen los, gemäßigten Schrittes, versuchen die dauernde unfreiwillige Erleuchtung zu ignorieren. Nach einigen Minuten stelle ich fest: Es ist nicht nur eine ungewöhnliche Erfahrung, dass ein Mensch über fast einen Kilometer im Rückwärtskriechgang vor uns her hampelt und hunderte von Fotos schießt. Es ist auch einigermaßen entwürdigend. Ich fühle mich peinlich berührt, auch durch die Reaktion der anderen Passanten (“Guck mal, was ist denn da los?”), irgendwann werde ich einfach sauer.
Anlässlich des Todes von Lady Diana habe ich mich ausführlich damit beschäftigt, was es heißt, eine absolute oder relative Person der Zeitgeschichte zu sein. Letzteres ist man dann, wenn man im Zusammenhang mit einem zeitgeschichtlichen Ereignis in den Blick der Öffentlichkeit gerät. Es kommt also auf den zeitlichen Kontext an und die dadurch begründete öffentliche Aufmerksamkeit. Das ist nachvollziehbar, aber es ist nicht alles. Inzwischen lerne ich: Die relative Person der Zeitgeschichte beinhaltet auch, dass sich alles relativiert, was man bislang für absolut selbstverständlich gehalten hatte: das Recht auf Privatsphäre und das Recht am eigenen Bild. Es wird zum Recht der anderen auf das fremde Bild.
Die Protagonisten jener Beschaffungswelt machen Fotos von Menschen, die essen gehen, einkaufen, über die Strasse laufen oder anderen zeitgeschichtlich bedeutsamen Tätigkeiten öffentlichen Interesses nachgehen. Sie treten häufig zu mehreren auf: Einer verfolgt das Fotoobjekt und informiert die anderen, wann es wo eintrifft, damit die dann blitzlichtartig zuschlagen können. Als Reaktion auf diese Rudelbelagerung entwickeln die Betroffenen irgendwann absonderliche Schutzreaktionen: Kein Schritt aus dem Haus ohne nach rechts und links zu schauen, ob da wieder jemand wartet. Kein Licht im Hausflur, damit sich der eigene Ausgang nicht ankündigt. Fahrten um die Ecke mit dem Taxi, um wenigstens von dort unverfolgt zu Fuß weitergehen zu können.
Auf die Frage “Wer sind Sie und für wen arbeiten Sie?” bekommt man von den Fotoparasiten keine andere Antwort als einen gebetsmühlenartig repetierten Satz: “Sie kennen doch die Branche!”
Nein, diese “Branche” kenne ich nicht. Ich kenne den Journalismus, ziemlich gut sogar. Diese Profession, die dafür sorgt, dass eine Gesellschaft sich über die für sie meinungs- und entscheidungsrelevanten Tatsachen und Entwicklungen informieren kann, sich orientieren und sozial abgleichen kann. Das ist eine wichtige und nicht immer leichte Aufgabe, die zu Recht Verfassungsrang hat. Mit den beschriebenen Fotojägern, dieser Bastardgattung aus Voyeur, Privatdetektiv und Söldner, hat sie rein gar nichts zu tun.
Ich habe jetzt beschlossen: Wenn andere das Recht auf das fremde Bild haben, dann gilt das auch für mich. Doch der Versuch, die Fotospanner selbst zu fotografieren, zeitigt interessante Reaktionen zwischen Panik, Aggression und Flucht (siehe Video rechts). Der Fotojäger wird zum Gejagten. Das, was die Bildbelagerer von anderen Menschen wollen, möchten sie umgekehrt für sich selbst nämlich keinesfalls zulassen. Warum aber soll beim Kampf ums Bild nicht zumindest Waffengleichheit herrschen? Ab sofort wird zurück fotografiert!
Seit dem Wochenende führt Bild.de die Leser in die Irre.
Auf der Startseite erscheint für wenige Sekunden eine vermeintliche Störung: Anstelle einer redaktionellen Schlagzeile ist kurzzeitig das unscharfe Foto einer Quietscheente und der Schriftzug “In wenigen Tagen schalten wir diese Website ab!!!” zu sehen — versehen mit dem Hinweis “Hacked by Cyberduckz”.
BILDblog-Leser Kevin W. schreibt uns, dass man ihm bei Bild.de auf die Frage, warum eine Ente die Startseite ziert, mitgeteilt habe, “dass Bild.de in Kürze einen‘Relaunch’ haben wird und es so gewollt ist”.
Nachtrag, 11.12.2007:Heise Online zitiert inzwischen aus einer Mail des “Bild”-Leserservices, in der es heißt:
Unsere Webseite erlebt in den nächsten Tagen eine komplette Renovierung (…). Sollten Sie in den nächsten Tagen kleinere “Störungen” auf unserer Website bemerken, seien Sie unbesorgt: Diese sind völlig harmlos, selbstverständlich auch für Ihren Computer. Mit dieser Aktion wollen wir unsere Leser auf das bevorstehende Ereignis aufmerksam machen.
Nachtrag, 13.12.2007: Unter der Titelschlagzeile “Wir sind neu!” präsentiert Bild.de heute den neu gestalteten Online-Auftritt. Neu ist u.a., dass der Hinweis auf den (Noch-)Partner T-Online aus dem Bild.de-Logo verschwunden ist. Und auch die Werbeidee, auf den Relaunch durch angebliche Störaktionen aufmerksam zu machen (s.o.), wird durch Einbindung der albernen bisherigen “Cyberduckz”-Layer öffentlich als solche eingestanden.