Archiv für August 16th, 2007

Papa eiskalt, Zeitung widerwärtig

In einem “Stern”-Interview kommentiert Verbraucherminister Horst Seehofer (CSU) das “lückenlose mediale Trommelfeuer” nach der “Bild”-Schlagzeile “Baby mit heimlicher Geliebten!” vom 16. Januar wie folgt:

Als Politiker wird man immer mit Privatangelegenheiten konfrontiert. Das gehört dazu. Nicht aber, dass Privates instrumentalisiert wird. Bei mir war das teilweise kampagnenartig. Ich möchte die Schlagzeile einer Ausgabe der “Bild am Sonntag” herausgreifen: “Papa eiskalt”. Ich habe in 40 Jahren nichts Widerwärtigeres erlebt.

Wie das? Da hatte die “Bild am Sonntag” Seehofer kurz nach der Geburt des Kindes doch bloß (1) eine Titelseite gewidmet (“Nur 1 Stunde für sein Baby. Er schiebt unwichtige Termine vor. Er lässt zwei Frauen zappeln und lacht dabei”). Eine “Bild am Sonntag”-Reporterin hatte ihm vor und nach einem beruflichen Termin bloß (2) viele, viele indiskrete Fragen gestellt (“Wie wollen Sie Ihr Privatleben regeln?” — “Was sagt Ihre Frau zu der Geburt Ihrer Tochter?” — “Verraten Sie den Namen Ihrer Tochter?” — “Wollen Sie auch das gemeinsame Sorgerecht?”), die Seehofer zum Teil mit “(Schweigen)” beantwortete, wie die “BamS” dokumentierte. Unter der Überschrift “Papa Eiskalt” war doch bloß (3) eine “BamS-Montage” von “Seehofers Terminkalender” abgebildet (“Freitag: Telefongespräche zu Hause … 13.05 Uhr: Lufthansa-Flug LH223 nach München”). In einem Artikel hatte die “BamS” im Zusammenhang mit Seehofer doch bloß (4) Begriffe wie “gefühlsarm” “eiskalt” und “joborientiert” benutzt, weil Seehofer “fröhlich Wahlkreistermine” wahrnehme, während “die junge Mutter Anette F. im fernen Berlin blass in einem zweckmäßig eingerichteten Einzelzimmer auf der Wöchnerinnenstation” liege. Und in einem “BamS”-Kommentar hatte es doch bloß (5) geheißen, Seehofer habe sich am Tag der Geburt seiner Tochter hinter Terminen “verschanzt”, “seelenruhig” zu Mittag gegessen und beim Besuch der Mutter im Krankenhaus “noch nicht einmal Blumen” und “kein Kuscheltier” dabeigehabt.

Wieso also “widerwärtig”? Die “Bild am Sonntag” nannte den sichtlich angenervten Politiker doch ganz fried- und freundlich “wohlgelaunt”…

Künstlerische Freiheit

Für “Bild” war die Sache einfach — und wichtig genug, um sie am Montag in eine kleine Meldung zu verwandeln, deren zentraler Satz lautet:

Ausländische Künstler müssen auf ihre Gagen für hiesige Auftritte künftig 40 Prozent (statt 20) Steuern zahlen.

Und auch, wenn beispielsweise die “Berliner Zeitung” schreibt, das Thema sei “nicht leicht zu durchschauen”: Die “Bild”-Behauptung ist falsch.

Richtig müsste es offenbar laut Bundesfinanzministerium heißen: Ausländische Künstler haben künftig die Wahl, ob sie lieber auf ihre Nettogage für hiesige Auftritte 40 Prozent Steuern zahlen oder wie bisher auf ihr Bruttogage 20 Prozent.

Um es mit “Bild” zu sagen:

Durch hohe Aktualität, Engagement und beispiellose Nähe zum Leser versteht es BILD, Nachrichten (…) täglich auf den Punkt zu bringen.

6 vor 9

stern: Pharma-Schleichwerbung in der ARD
(stern.de)
Pharmakonzerne haben nach einem Bericht des Hamburger Magazin stern in der ARD-Ärzteserie ?In aller Freundschaft? jahrelang Schleichwerbung für Medikamente platziert. Das geht aus einem bisher unveröffentlichten Protokoll der PR-Agentur hervor, die die Deals eingefädelt hat. Dabei ist in Deutschland Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente beim Laienpublikum grundsätzlich verboten.

»Der Kritiker ist nicht mehr attraktiv«
(jungle-world.com, Doris Akrap)
Lutz Hachmeister war unter anderem Medienredakteur des Berliner Tagesspiegel, Leiter des Adolf-Grimme-Instituts, gründete das Institut für Medien- und Kommunikationspolitik in Charlottenburg und drehte den Film »Schleyer – eine deutsche Geschichte«. Er veröffentlichte mit »Die Herren Journalisten« die erste Monographie über die NS-Kontinuitäten im deutschen Nachkriegsjournalismus. Im Mai erschien das Buch »Nervöse Zone. Politik und Journalismus in der Berliner Republik«.

Das Ende der Medienmarken?
(werbewoche.ch, Jürgen Häusler)
Umwälzungen im Medienmarkt gefährden die grossen Marken. Doch auch das Gegenteil gilt: Gerade unter verschärften Bedingungen sind die Leistungen von Marken höher denn je einzuschätzen.

Die Entwurzelung des Wissens
(faz.net, Thomas Thiel)
Darf das Internetlexikon Wikipedia als seriöse wissenschaftliche Quelle dienen? Die Geschichtswissenschaft liefert derzeit eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen – und Wikipedia muss sie fürchten.

Die unerträglichste Sendung im TV: Das Model und der Freak
(jetzt.sueddeutsche.de, Stefan Winter)
Wie Pro7 mit einer merkwürdigen Ratgeber-Sendung die Art und Weise verändert, wie man über die Liebe denkt.

Chinese sports anchor exposed his thigh on LIVE?
(youtube.com, Video, 1:16 Minuten)
Was auch immer davon zu halten ist. Aber der Blick auf die untere Bildhälfte ist ziemlich irritierend.