Archiv für Juli, 2007

Im Solidarpakt mit dem Steuerzahlerbund

Der Bund der Steuerzahler hat da mal was ausgerechnet. Und zwar folgendes:

"Die Soli-Sauerei! Wir zahlen 32 Milliarden mehr, als der Osten braucht"

Na ja, so sieht jedenfalls die Übersetzung dessen, was der Bund der Steuerzahler (BdSt) sich zusammenreimt, in der heutigen “Bild”-Titelschlagzeile aus. Konkret zitiert “Bild” den BdSt-Präsidenten Karl-Heinz Däke mit den Worten:

“Wenn man unterstellt, dass die Einnahmen aus dem Soli auf jährlich 13 Milliarden Euro steigen, dann kommen wir auf Gesamteinnahmen von 189,1 Milliarden zwischen 2005 und 2019. Dagegen beläuft sich der Solidarpakt II, das ist die Summe, die gebraucht wird, nur auf 156,5 Milliarden Euro.”

Logisch, könnte man meinen. Wenn “der Osten” laut Solidarpakt II 156,5 Milliarden braucht, “wir” aber 189,1 Milliarden an Solidaritätszuschlag zahlen, dann zahlen “wir” über 32 Milliarden mehr, als “der Osten” braucht. Oder auch, “32 Milliarden Euro zu viel”, wie “Bild” auf Seite 2 schreibt.

Zuschlag vs. Pakt

Der Solidaritätszuschlag wurde eingeführt, um zu helfen, die Kosten der Wiedervereinigung zu decken. Allerdings ist er eine Steuer (die übrigens sowohl in West- als auch in Ostdeutschland erhoben wird), die allein dem Bund zusteht und nicht zweckgebunden eingesetzt werden muss. Der Solidarpakt II hingegen ist eine Vereinbarung, nach der der Bund sich schlicht verpflichtet, den neuen Bundesländern von 2005 bis 2019 insgesamt 156,5 Milliarden Euro zukommen zu lassen.

Eine lehrreiche Darstellung dazu findet sich im Magazin “brand eins” (09/04, pdf).

Nur haben, anders als “Bild” und der BdSt-Präsident den Eindruck erwecken wollen, Solidaritätszuschlag und Solidarpakt II nichts miteinander zu tun (siehe Kasten).

Entsprechend lehnte der Petitionsausschuss des Bundestags im Februar eine Petition auf Abschaffung des Solidaritätszuschlags mit fast entwaffnender Deutlichkeit ab (pdf):

Der Solidaritätszuschlag wird zusammen mit der Einkommensteuer erhoben und dient allgemein der Verbesserung der Steuereinnahmen des Bundes. (…) Es besteht somit weder eine explizite Zweckbindung, noch sind alle Mittel aus dem Solidaritätszuschlag zwingend für Aufgaben in den neuen Bundesländern bestimmt. (…) Insofern ist auch eine (…) Gegenüberstellung von Solidaritätszuschlag und Verwendung der Mittel aus dem Solidarpakt II nicht möglich.

Das muss einem nicht gefallen. Und man kann an Solidaritätszuschlag und Solidarpakt sicher berechtigte Kritik üben. Man kann die Abschaffung des Solis fordern, oder dessen Reduzierung, wie der heutige “Bild”-Kommentar — allerdings nicht mit irreführenden Rechenbeispielen. Insofern scheint es nicht ganz abwegig, wenn ein Sprecher des Finanzministeriums die heutige “Bild”-Rechnung des BdSt-Präsidenten als “populistisch” und an der Grenze zur “Volksverdummung” kritisiert.

Mit Dank an Holger R. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 29. Juli: Die “Bild”-Zeitung bleibt bei ihrer unsinnigen Rechnung. In ihrer Samstags-Ausgabe wiederholte sie:

Bis 2019 zahlen wir alle nach Berechnungen des Steuerzahler-Bundes voraussichtlich über 32 Milliarden Euro mehr an Soli, als wir für den Aufbau Ost wirklich brauchen.

6 vor 9

Verwirrung zur vollen Stunde
(blogs.radio24.ch, Christoph)
Gestern Mittwoch habe ich meinen Dienst um 8 Uhr angetreten. Bis 16 Uhr war ich für die halbstündlichen Nachrichten bei Radio 24 verantwortlich. Eine News hat mich von Anfang bis Ende meines Dienstes verfolgt – und der Inhalt änderte sich manchmal im Halbstundentakt drastisch.

Nachdenken über Hafechäs
(nzz.ch)
Zwei Jahre lang schrieb ein IT-Spezialist in einem Blog darüber, wie er als Deutscher die Schweiz erlebt. Nun hört er auf. Zum Abschied lud er seine Leser zu sich nach Hause ein. Ein Dutzend kamen.

Exzesse der Selbstausbeutung
(freitag.de, Wolfgang Kil)
Alternativ, urban, unabhängig. Die Berliner Stadtzeitung “Scheinschlag” war ein publizistisches Experiment.

In Hollywoods Kloschüssel
(netzeitung.de, Sophie Albers)
Spears, Lohan, Hilton, Richie. Im Jahr 2007 darf die Öffentlichkeit zusammen mit ihren Stars in die Kloschüssel gucken. Aber wollen wir das eigentlich, fragt Sophie Albers.

In erster Linie lustig
(faz.net, Peer Schader)
Der Fernsehsender RTL 2 erzürnte mit Sexreportagen die Moralisten und mit ?Big Brother? die Feingeister. Jetzt sucht man ein neues Profil, lustig soll es sein, aber auch seriös. Um dieses Image zu stärken, starten die Münchner in den kommenden Wochen eine Reihe neuer Formate.

“Wir glauben unwidersprochen an den Fortschritt”
(jetzt.sueddeutsche.de, Lars Weisbrod)
Die Riesenmaschine, enthusiastischer Beobachter aller technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und schönstes deutsches Weblog, gibt es seit heute auch in Buchform, mit ausgewählten Beiträgen aus Rubriken wie ?Supertiere?, ?Nachtleuchtendes? und ?Alles wird besser?. jetzt.de hat mit den Redakteuren Holm Friebe und Michael Braake im hektisch-betriebsamen Riesenmaschine-Büro gesprochen.

Den Finger in die Wunder gelegt

“Bild” meldet heute:

Irrste Zeitung der Welt (…) wird nach 28 Jahren eingestellt

Nein, nicht was Sie jetzt denken…! (“Bild” ist ja auch schon 55.)

“Bild” berichtet heute bloß darüber, dass das US-Magazin “Weekly World News” (in dem “alles garantiert erfunden” sei) eingestellt werde. Und zum vermeintlichen “Aus und vorbei”* druckt “Bild” heute “noch einmal die besten Schlagzeilen der ‘WWN'”, also beispielsweise:

“Russen klonen 600 Hitlers!” — “Hitler war ein Vampir – darum war er tagsüber so unentspannt” — “Staubsauger saugt Deutschem das Gehirn raus!” — “Deutscher Erfinder kann aus Katzen Benzin machen – für eine Tankfüllung reichen 20 Miezen” — “UFO-Sekte will jetzt Hitler klonen!” — “Wird süßer Knut jetzt totgespritzt?” — HALT! STOPP! Die letzten drei Beispiele stammen ja gar nicht aus den “WWN” und sind uns hier leider irgendwie dazwischengerutscht…

Aber wo wir gerade schon bei irren Schlagzeilen sind, am 8.1.1996 beispielsweise berichtete “Bild”:

Nach Blitzschlag — Mann friert nie mehr
Elektriker Harold Deal wurde vom Blitz getroffen. So heftig, daß das Kleingeld in seiner Hosentasche zu einem Klumpen verschmolz. Nebenwirkung: Seitdem friert der Amerikaner nicht mehr. Der Handwerker aus South Carolina kann selbst bei minus 20 Grad Celsius mit Shorts und T-Shirt ins Freie gehen.

Am 27.8.1999 hieß es:

Nach einem Blitzschlag: Frau steht unter Strom
(…) Kein Witz! Flaminia Cima (29) aus Cremona (Norditalien) wurde von einem Blitz getroffen und überlebte. Seitdem sprechen Ärzte von ihr als “medizinisch höchstseltenen Fall”. Denn der Blitzschlag hat die Frau elektromagnetisch dermaßen aufgeladen, dass es ihr unerträglich ist, mit anderen Elektro-Abstrahlern in Berührung zu kommen. Sie darf kein Fernsehen mehr gucken, Computer, Telefone, Küchengeräte, sogar das Radio, von allem muss sie die Finger lassen. Inzwischen ist der Strom abgestellt, sie hat Kerzen aufgestellt.

Und am 14.7.2005:

Beim Knutschen von Blitz getroffen
Stockholm – Magnus (20) und Elin (19) aus Göteborg (Schweden) lernten sich am Strand kennen, küßten sich. Als ein Unwetter aufzog, suchten sie unter dem Dach einer Hütte Zuflucht. Beim Knutschen wurden sie plötzlich von einem Blitz getroffen! Beide bekamen einen starken Stromschlag ab. Das Wunder der Liebe: Sie wurden kaum verletzt.

Womit wir immerhin wieder bei der heutigen “Bild” angelangt wären. Denn heute berichtet “Bild” mit zwei Wochen Verspätung auf der Titelseite unter der Überschrift “1. Papst-Wunder?” (siehe Ausriss), dass ein italienischer Polizist einen Blitzeinschlag offenbar unbeschadet überlebt hat.

Das Fragezeichen ist angebracht — nicht nur, weil im Pressekodex steht: “Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.” Und auch nicht, weil beispielsweise ilGiornale.it schrieb: “Es wird kein Wunder gewesen sein…”

Nein, um das erste Papst-Wunder kann es sich schon deshalb nicht handeln, weil “BILD-Vatikan-Sonder-Korrespondent” Andreas Englisch, der die heutige Meldung verfasste, schließlich schon am 28. August vergangenen Jahres Zeuge eines Papst-Wunders geworden war — des legendären “Wunders von Castel Gandolfo”!

*) Dass die “Weekly World News” offenbar nur ihre Print-Ausgabe einstellt, um ausschließlich im Internet weiterzuarbeiten, verschweigt “Bild” ebenso wie die Tatsache, dass “Bild” selbst in der Vergangenheit nicht davor zurückschreckte, unter Berufung auf “die US-Zeitschrift ‘Weekly World News'” deren Fake-Meldungen (“Castro trained killer sharks to attack U.S.”) mehr oder weniger distanzlos (“Schickt Castro Hai-Guevaras nach USA?”) weiterzuverbreiten…

Mit Dank an Max M. für die Anregung sowie Silke und Mandy fürs Italienisch.

Ganz kurz korrigiert (441)

Liebes Bild.de, bislang 30 Hinweise (den ersten schon um 15.27 Uhr) haben wir bislang zu dieser Sache bekommen:

Mit Dank an Frederik Alexander T., Gregor D., Markus O., den, Thorsten M., Moritz D., Markus S., den anderen Markus S., Kathrin, Sven S., Johannes, Ingo K., Martin H., Martin K., Verena, Thorsten K., Jana H., Kai K., Jan A., Misch K., Peter R., das Wortschnittchen, Hendrik L., Dieter B., Peter K., Holger, Alexander, Klemens, Michael F. und Martin für den Hinweis.

Nachtrag, 27.7.2007: Danke, äh, danke.

Kurz korrigiert (440)

Mag sein, dass China “uns” im nächsten Jahr überholt und “Export-Weltmeister” wird. Das prognostiziert jedenfalls eine Umfrage des Industrie- und Handelskammertages (DIHK), aus der “Bild” heute eine gewaltige Schlagzeile gemacht hat. Darunter “erklärt” das Blatt die “neue SUPERMACHT CHINA”:

Keine andere Wirtschaft wächst so explosionsartig! Wachstum derzeit: 11,9 % (Deutschland 0,5 %).

Da waren die Wirtschaftsexperten von “Bild” anscheinend so beeindruckt von dem asiatischen Überholmanöver, dass sie sicherheitshalber noch Äpfel mit Sojasprossen verglichen. Die chinesische Zahl beschreibt das Wachstum in einem Jahr, die deutsche in einem Quartal. Innerhalb eines Jahres wächst das deutsche Bruttoinlandsprodukt aktuell immerhin um 3,3 Prozent.

PS: Und wenn “Bild” schon eine Rangliste der am explosionartigsten wachsenden Wirtschaften der Welt aufstellen will, lägen da genau genommen sogar noch so unwahrscheinliche Kandidaten wie Aserbaidschan, Äquatorialguinea und einige andere vor China.

Vielen Dank an Joachim L.!

Kurz korrigiert (439)

Manche Schlagzeilen sind einfach zu schön, um sie nicht zu machen:

Die Beckhams in Amerika. SIE steckt im Liebeskampf. ER im Abstiegskampf

Und im zugehörigen Bild.de-Artikel heißt es ja auch:

Die Beckhams in Amerika — ER steckt mit seinem Club im Abstiegskampf, SIE im Liebeskampf.

Blöd nur, dass David Beckham mit seinem Verein Los Angeles Galaxy überhaupt nicht absteigen kann. Auf- oder Abstieg kennt die amerikanische Profiliga Major League Soccer nämlich nicht.

Danke an Michael R. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 15.45 Uhr. Victoria Beckham muss nun alleine kämpfen: Von einem “Abstiegskampf” ihres Mannes ist bei Bild.de keine Rede mehr.

6 vor 9

Mit Shakespeare zur Kasse gehen
(taz.de, Steffen Grimberg)
Stern-Shortlist, das neue Anhängsel des Sterns im Netz, ist ein schlecht getarnter Amazon-Warenkorb. Und soll helfen, die Vormachtstellung von Spiegel Online zu knacken.

P.M.-Magazin: Die Besserwisser
(tagesspiegel.de, Paul Janositz)
Opulente Optik, sinnliche Texte – wie sich das “P.M.”-Magazin aufgepeppt hat, um die Position am heiß umkämpften Markt der Wissensmagazine zu sichern.

Wandelndes Klumpenrisiko
(weltwoche.ch, Roger Köppel)
Fernsehchefin Deltenre und ihre Vorgesetzten empören sich über Kritik der Weltwoche. Die Empfindlichkeit verwundert. Deltenres Interessenkonflikte sind offensichtlich.

Die Deutschen und die Verdächtigen
(jungle-world.com, Elke Wittich)
ARD und ZDF übertragen die Tour de France nicht mehr, aber gedopt sind trotzdem immer nur die anderen.

Guerilla-Protest auf Bild-Plakaten
(journalist-und-optimist.de)
Bereits seit mehreren Wochen finden sich an Bushaltestellen im Raum Pinneberg auf Bild-Plakaten Aufkleber mit der Aufschrift ?Lügt! Lest bildblog.de?. Interessanter Weise sind sie anscheinend teilweise von den zuständigen Firmen auch beim Wechsel der Plakate nicht entfernt worden.

Lektion: Sprachlehre Showisch – Deutsch
(fernsehenff.blogspot.com, Kurt Schiller)
Heute wollen wir die Fernsehsprache “Showisch” lernen.

Zaubern mit Bedingungen

Wenn die kleine Lisa sich richtig anstrengt und in Mathe, Physik und Chemie immer Einsen schreibt, kann sie Chirurgin werden, hat die Klassenlehrerin ihr gesagt. Lisa ist dann aber leider von der Schule geflogen, weil sie behauptete, die Lehrerin hätte von einem “Karriere-Wunder!” gesprochen und gesagt: “Lisa wird Chirurgin!” Lisa ist dann stattdessen zur “Bild”-Zeitung gegangen, wo man den Unterschied zwischen einer Prognose, die unter bestimmten Bedingungen eintritt, und einer Tatsache auch nicht kennt.

"Job-Wunder! 5 Millionen neue Stellen für Deutschland"

Die guten Nachrichten vom Arbeistmarkt reißen nicht ab! In Deutschland werden bis zum Jahr 2020 fast 5 Millionen neue Jobs entstehen — davon alleine 1 Mio. in den neuen Bundesländern. Das ist das Ergebnis einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Die Studie des DIW, über die “Bild” heute auf der Seite 1 berichtet, gibt es tatsächlich. Und auch andere Medien schreiben darüber. Allerdings finden sich in den meisten Artikeln dazu Formulierungen, die die “5 Millionen” neuen Stellen insgesamt und die eine Million Jobs in Ostdeutschland etwas weniger unumstößlich erscheinen lassen. Da heißt es dann bei sueddeutsche.de etwa die Zahl von Stellen “könne” auf 4,6 Millionen ausgebaut werden.

In der “Rheinischen Post” heißt es:

Unter bestimmten Voraussetzungen können (…) bis zum Jahr 2020 vor allem im Dienstleistungssektor Stellen entstehen.

“Spiegel Online” schreibt:

Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sieht die Chance auf eine Million neue Arbeitsplätze in den neuen Ländern — wenn intelligente Dienstleistungsjobs stärker gefördert werden.

Bei Reuters heißt es:

Durch die Förderung hochwertiger Dienstleistungen könnten in Ostdeutschland bis 2020 eine Million neuer Arbeitsplätze entstehen.

Und die “Lausitzer Rundschau” schreibt:

In Ostdeutschland könnten laut einer Studie bis zum Jahr 2020 gut eine Million neue Arbeitsplätze in der Dienstleistungswirtschaft geschaffen werden. Dafür müsse aber mehr in die schulische Ausbildung, in Hochschulen und andere Forschungseinrichtungen investiert werden (…). Demnach können in Deutschland insgesamt bis 2020 fast fünf Millionen neue Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich entstehen.
(alle Hervorhebungen von uns)

Und dem hätten wir noch hinzuzufügen, dass die Voraussetzungen für das “Job-Wunder” laut der Studie “Beschäftigungspotenziale in Ostdeutschen Dienstleistungsmärkten” (pdf) außerdem noch beinhalten, dass Deutschland bis 2020 auf ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent kommen muss.

Mit Dank an Max M.

Den Wald vor lauter Kastanien

Der “Bild”-Artikel beginnt mit dem Satz:

Baum ist eigentlich Baum.

Und damit fängt das Drama schon an. Denn obwohl Baum eigentlich Baum ist, kann man doch unterscheiden zwischen kranken Bäumen und gesunden Bäumen, Kastanien-Bäumen und Linden-Bäumen, Bäumen, die sicher stehen, und Bäumen, die nicht sicher stehen.

Für “Bild” ist das, scheint’s, alles eins.

In ihrer Berliner Ausgabe erzählte sie gestern die traurige Geschichte von zwei Kastanien. Einer am Spandauer Mühlengraben, deren Schicksal niemanden interessiert und die jetzt gefällt werden soll. Und einer am Kreuzberger Landwehrkanal, für deren Rettung sogar Menschenketten gebildet wurden und die jetzt von massiven Betonklötzen vor dem Abrutschen ins Wasser geschützt wird.

“Bild”-Autorin Hildburg Bruns versteht das nicht. Und das erste, was man ihr vielleicht sagen sollte, ist, dass die “Kastanie” in Kreuzberg, die mit Betonklötzen geschützt wird, wie “Bild” sogar zeigt, keine Kastanie ist, sondern eine Linde. Es sollen zwar auch Kastanien gestützt werden, aber nicht in Kreuzberg, sondern am Corneliusufer in Tiergarten, und verwirklicht wurde das noch nicht.

“Bild” schreibt: “Krank und nicht mehr standsicher sind beide [Kastanien].” Aber die Bäume am Kreuzberger Landwehrkanal, für die so viele Menschen kämpfen, sind nicht krank; nur das Ufer, auf dem sie stehen, ist kaputt. Genau das ist der Grund für die Empörung vieler Bürger: Dass ein “Todesurteil” (“Bild”) über gesunde Bäume gefällt wurde.

Apropos fällen — “Bild” schreibt über die Folge der Proteste in Kreuzberg: “Jetzt sollen nur noch 22 abgeholzt werden!” Tatsächlich sind diese 22 Bäume aber längst abgeholzt worden: Vor knapp drei Wochen, in einer überraschenden Aktion, die in Berlin für einiges Aufsehen gesorgt und über die auch “Bild” kurz berichtet hatte.

Schließlich müsste man Frau Bruns vielleicht noch erklären, was ein Baum-Register ist. Sie schreibt über die traurige kranke Spandauer Kastanie, der niemand nachtrauert:

Sie ist im Baum-Register verzeichnet (Nr. 141) — und soll jetzt trotzdem gefällt werden.

“Trotzdem”? Bäume stehen im Baum-Register, damit man sie beobachten und gegebenenfalls auch über ihre Fällung entscheiden kann — das ist ganz normal. Ebenso wie die Fällung kranker Bäume und ebenso wie die Tatsache, dass für die Rettung kranker Bäume selten Menschen demonstrieren.

Aber natürlich nur, wenn man nicht glaubt, dass Baum Baum ist.

Mit großem Dank an Daniel B.!

6 vor 9

«Swiss shrine of freedom under fire»
(nzz.ch, sig.)
Spielt Calmy-Rey mit verdeckten Karten, wie die «Frankfurter Allgemeine» meint? Liegt die «New York Times» richtig, wenn sie das private Sponsoring einer Nationalfeier als Ausdruck des schweizerischen Staatsverständnisses bezeichnet? Und weshalb beschäftigen sich die renommiertesten Blätter der Welt mit einer Schweizer Wiese?

Journalistisches Profil nicht länger gefragt
(faz.net, Michael Hanfeld)
Als er hörte, er müsse nach dem Urlaub nicht mehr kommen, hielt er es zuerst für einen Scherz: Ein Gespräch mit Thomas Kausch, dem bisherigen Nachrichtenchef von Sat.1, den sein Sender von jetzt auf gleich seiner Pflichten enthob.

Auf die neue Tour
(taz.de, Andreas Rüttenauer)
Eurosport hat sich in der Live-Berichterstattung von der Tour de France als kritischer Begleiter des Radzirkus profiliert – mit besseren Quoten als Sat.1.

Wie das Netz die US-Politik revolutioniert
(spiegel.de, Christian Stöcker)
Der durch Youtube gefütterte Vorwahlkampf der US-Demokraten markiert einen Wendepunkt der politischen Kultur in den USA. Das Netz wird zum zentralen Ort der politischen Debatte. Einziges Manko: Diesmal noch musste das TV als Medium mithelfen.

stern.de will Spiegel Online überholen
(turi-2.blog.de, Peter Turi)
Wundertüte 2.0: Fünf bis sechs Jahre Vorsprung hat Spiegel Online vor stern.de nach Meinung von Chefredakteur Frank Thomsen. Doch jetzt will stern.de aufholen – und möglichst bald überholen. Dazu setzen Thomsen und sein Team auf zusätzliche Community-Angebote. Im großen Interview berichtet stern.de-Chefredakteur über seine Angriffspläne, über Onlinelust (schnelle Interaktion) und Onlinefrust (wichtigtuerische Techniker).

Opa – erzählst du nochmal vom Blog?
(netzeitung.de, Maik Söhler)
Die Geschichte der deutschsprachigen Weblogs. Außerdem: Google Earth hilft der Steuerfahndung & Biometrie im Irak. Der Blogblick.

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