Archiv für Juli 27th, 2006

Verrechneter Sommer

“Bild” ist ja gerade wieder mal dabei, “Die Große Geld-Debatte” zu führen. Heute sind die Beamten dran:

"Soviel verdienen deutsche Beamte"

Im Text heißt es:

Es ist das Top-Thema in Deutschland: Die großen Gehalts-Listen von BILD! Heute sagt BILD, wie viel unsere rund zwei Millionen Staatsdiener verdienen (…) Ihr Job ist sicher, Kündigung ausgeschlossen. (…) Pensionen: Im Alter 71,75 % des letzten Gehaltes (steuerpflichtig).

Huch?! Nee, Verzeihung! Das war ja der Text, den “Bild” vor ziemlich genau zwei Jahren unter der Überschrift “So viel verdienen deutsche Beamte” druckte. Heute steht in “Bild”:

Die große Geld-Debatte: Ganz Deutschland diskutiert, wer wieviel Geld für seine Arbeit bekommt. Heute sagt BILD, was die rund zwei Millionen deutschen Beamten verdienen (…) Nicht jeder Staatsdiener verdient sehr viel — dafür hat er einen sicheren Arbeitsplatz, weniger Abgaben und eine gute Pension (71,75 % vom letzten Brutto).

Und was vor zwei Jahren irreführend war, ist es noch immer. Zum Beispiel die “Bild”-Angabe zu den Pensionen. Zwar beträgt die höchstmögliche Beamten-Pension tatsächlich 71,75 Prozent, allerdings muss man dafür 40 Jahre verbeamtet gewesen sein. Denn das Ruhegehalt berechnet sich nach § 14 BeamtVG. Bei 30 Dienstjahren kommt man so auf rund 54 Prozent “vom letzten Brutto”, bei 20 Dienstjahren nur auf 36 Prozent.

Anders als vor zwei Jahren, als “Bild” bei den meisten Einkommen noch eine Einkommensspanne angegeben hatte, will sie es diesmal ganz genau wissen und gibt dafür im Kleingedruckten “Berechnungs-Annahmen” an:

35jähriger verheirateter Beamter, der mit 23 Jahren verbeamtet wurde; ohne Weihnachtsgeld und Zulagen

Wir haben mal ein paar Stichproben gemacht und festgestellt, dass die Annahmen bei manchen Berufsgruppen zu recht abenteuerlichen Konstellationen führen. Wer z.B. nach 12-jähriger Dienstzeit mit 35 Jahren immer noch Gefreiter ist, der hat definitiv was falsch gemacht. Andererseits sind Generalbundesanwälte oder Richter am Bundesgerichtshof für gewöhnlich etwas älter als 35.

Noch weiter neben der Realität liegt “Bild” beim Staatsanwalt:

Staatsanwälte werden nach Besoldungsgruppe R1 [pdf] bezahlt. Demnach kommt man in Westdeutschland als 35-Jähriger auf 3.695,38 Euro und im Osten auf 3418,23 Euro Grundgehalt. Der Familienzuschlag für Verheiratete beträgt 105,28 Euro, bzw. 97,38 Euro. Wie “Bild” auf die eigenen Zahlen (s.o.) kommt, ist uns ehrlich gesagt schleierhaft.

Ähnlich sieht’s beim Richter am Landessozialgericht (Besoldungsgruppe R2) aus:

Nach unserer Rechnung ergibt sich für einen 35-Jährigen ein Bruttoeinkommen von 4.261,50 Euro (West) und 3.941,88 Euro (Ost). “Bild” hat auch hier sehr viel höhere Beträge raus (s.o.).

Und wenn “Bild” schon möchte, dass “ganz Deutschland” darüber diskutiert, “wer wieviel Geld für seine Arbeit bekommt”, dann wünschte man sich dafür doch wenigstens eine korrekte Grundlage. Sonst kann man sich ja die Infos gleich selber zusammensuchen.

Mit Dank an Robert T., Oliver H., Marcel H., Jan G. und Benjamin S. für die sachdienlichen Hinweise.

Es muss nicht immer Apfelsaftschorle sein

Nichts als Ärger, und wir fassen zusammen:

  • “Bild” veröffentlicht von “BILD-Leser-Reportern” eingesandte Fotos von Prominenten, die durch die Veröffentlichung ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sehen.
  • “Bild” veröffentlicht von “BILD-Leser-Reportern” eingesandt Fotos von Nicht-Prominenten, die gar nicht das zeigen, was “Bild” behauptet.
  • Und heute veröffentlicht “Bild” von “BILD-Leser-Reportern” eingesandte Fotos wie dieses:

    [Am 1. Mai 2010 entfernt.]

    In “Bild” heißt es dazu:

    [Der “Bild”-Leser] aus Düsseldorf entdeckte dieses Sonderangebot…

    Wo der “Bild”-Leser es “entdeckte”, lässt “Bild” offen. Entdecken können hätte er es beispielsweise im Februar bei Spiegel Online, im Oktober 2005 hier, im September 2005 hier oder bereits im Februar 2005 hier.

AUFGEMERKT! “Bild” zahlt für lustige Internetfotos 500 Euro.

    Ach ja, angekündigt werden den “Bild”-Lesern die heutigen “Bild”-Leserfotos übrigens mit den Worten:

    "Laß dich nicht verar..."

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nachtrag, 22.17 Uhr: Die “Süddeutsche Zeitung” berichtet heute, dass “Bild” wegen der Veröffentlichung eines Laienpaparazzifotos von David Odonkor eine Unterlassungserklärung abgegeben habe.

Nachtrag, 1.5.2010: Wir haben das Foto, das in diesem Eintrag zu sehen war, auf Wunsch des Urhebers entfernt. Auch von allen der oben verlinkten Seiten ist es verschwunden.

Allgemein  

Biere zu Apfelsaftschorlen

Hä? Am Montag zahlte “Bild” zwei “BILD-Leser-Reportern” 500 Euro für ein Foto, das einen Polizisten beim Apfelsaftschorle-Trinken zeigt.
 
Aber vielleicht sollte man die Geschichte ein wenig anders erzählen. Denn “Bild” behauptete u.a. (zumindest in Teilen ihrer Auflage und online), auf dem Foto sei “ein Polizist beim kühlen Bierchen am Vormittag” zu sehen. Darüber hinaus hieß/heißt es suggestiv eher vage:

[Die “Bild”-Leser] erwischten diesen relaxten Polizisten beim Trinken. Ein Bierchen oder doch nur eine Apfelschorle? Hoffentlich hatte der schon Feierabend

Allerdings stand anderntags in der “Korrekturspalte” von “Bild”:

Das Polizeipräsidium Bielefeld legt Wert auf die Feststellung, daß der Beamte der Stadtwache auf Fußstreife in der Innenstadt war und bei seiner kleinen Pause kein Bier getrunken hat.

Deutlicher wurde die “Neue Westfälische”, die ebenfalls gestern ausführlich über das falsch beschriftete “Bild”-Foto berichtete (siehe Ausriss):

Das vermeintlich kühle Bier ist eine Apfelsaftschorle, die der Polizeikommissar vormittags am Stehtisch auf der Bahnhofstraße (…) trank. “In diesem Geschäft gibt es nicht einmal Bier”, sagt Polizeisprecher Martin Schultz.

Was abermals die Frage aufwirft, wie es dazu kommen kann, wenn “Bild” tatsächlich (wie behauptet) die Leserfotos genauso prüft wie die Angebote professioneller Fotografen. Eine Frage, auf die wir von “Bild” bislang noch keine Antwort bekommen haben.

Mit Dank an Jan. G, padeluun, Dirk B. und Markus P. für die Scans.

Carrells letzter Wunsch war nicht sein letzter Wille

Manchmal reicht es einfach nicht, die halbe Wahrheit zu kennen.

Kurz nachdem Rudi Carrell gestorben war, wusste “Bild”, dass der Showmaster eingeäschert und neben seiner zweiten Frau Anke begraben werden wolle. “Bild” wusste außerdem, dass die Urne seiner zweiten Frau im Garten seines Grundstückes beigesetzt worden sei. Und aus beidem folgerte “Bild” nun offenbar, dass nun auch Carrell in seinem Garten beigesetzt werden wolle.

Das war eine weitreichende Schlussfolgerung. Deshalb fragte “Bild” schon am ersten Tag der Berichterstattung über Carrells Tod unheilvoll: “Bleibt Rudi Carrells letzter Wunsch etwa unerfüllt?” Und fragte beim Bürgermeister von Carrells Wohnort Syke nach, ob so eine Bestattung im Garten überhaupt erlaubt sei, und der Bürgermeister verneinte und sagte, es gebe noch nicht einmal einen entsprechenden Antrag.

Vielleicht hätte man sich an dieser Stelle schon fragen können, ob das Fehlen des Antrags nicht auch bedeuten könnte, dass Carrell womöglich gar nicht im eigenen Garten bestattet werden wollte. Vielleicht hätte auch jemand im langen Interview nachlesen können, das Carrell erst im März dem “SZ-Magazin” gegeben hat. Darin antwortete er auf die Frage, ob er nicht auf dem Grundstück neben seiner Frau Anke beerdigt werden wolle: “Ich überlege noch, ob wir vielleicht ein gemeinsames Grab mit beiden Urnen nehmen, auf einem normalen Friedhof.”

“Bild” zitierte stattdessen nun den Ordnungsamtsleiter von Syke, der sagte, es werde keine Ausnahmegenehmigung für Carrell geben. “Bild” fragte auch beim niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff nach, der der Zeitung sagte, er würde es “außerordentlich begrüßen”, wenn die zuständige Behörde die Genehmigung doch erteilen würde. Und weil in der Welt von “Bild” demokratische Abläufe und gesetzliche Vorschriften keine große Sache sind, machte die Zeitung daraus gleich die Überschrift: “Rudi darf in seinem Garten beigesetzt werden”.

Während nun andere Zeitungen das Thema aufgriffen, ohne die Grundannahme zu überprüfen, wurde es in “Bild” selbst ein bisschen ruhig um die Urne-im-Garten-Geschichte. Bis gestern, als “Bild” berichtete, Carrell sei auf dem Friedhof in Heiligenfelde beigesetzt worden — neben seiner Frau, deren Urne offensichtlich überführt worden sei. Heute schreibt “Bild” wieder über Carrells “letzten Willen”. Und zitiert seinen Schwiegersohn Dieter Klar mit den Worten: “Das Haus soll auf alle Fälle verkauft werden. Das wollte Rudi so. Er hat deshalb auch angeregt, nicht auf seinem Grundstück bestattet zu werden, sondern außerhalb.”

Danke an Stefan S.!