Archiv für Juli 21st, 2006

Müll auf Seite 1

Auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung ist heute zu lesen:

Es geht um das Ende der Mülltrennung in Deutschland. Denn, so “Bild”:

Das Umweltbundesamt prüft derzeit eine neue Ein-Tonnen-Lösung (Name: “GiG”, Kurzform für “Gelb in Grau”).

Und sachkundig kommentiert wird diese Nachricht auch noch — vom “Bild”-Kommentator Willi Schmidt:

Der Gelbe Sack wird wieder gefaltet, er war nur ein Windbeutel.

Seit 13 Jahren wird getrennt, nun soll es enden. Warum erfahren wir erst jetzt die Wahrheit? Braucht man wirklich so lange, um einen Fehler im Recycling-System zu bekennen?

Das Umweltbundesamt (UBA) hält die “Bild”-Berichterstattung für “irreführend”. Artikel und Kommentar “verkürzen zudem grob”, heißt es in einer Pressemitteilung. Dort steht auch, dass es tatsächlich Untersuchungen gebe, die Mülltrennung in Deutschland zu vereinfachen und zu modernisieren — allerdings nicht, wie “Bild” behauptet, “derzeit”:

Bereits seit mehreren Jahren testen verschiedene Abfall-Entsorger Anlagen, die die Abfälle aus Haushalten vollautomatisch nach Wertstoffen wie Kunststoff, Glas, Metall oder Papier trennen. Solche Test-Anlagen stehen unter anderem in Essen und Trier. In den Medien wurde in den vergangenen Jahren bereits mehrfach über diese Anlagen berichtet.

In einem Sachstandbericht des UBA wird zudem nachdrücklich festgehalten, dass es “derzeit” keine Alternative zur Praxis der getrennten Sammlung gebe. Der Bericht stammt aus dem Jahr 2004. Und UBA-Sprecher Martin Ittershagen sagt uns, daran habe sich bis heute nichts geändert. Ebensowenig übrigens wie an der von “Bild” zitierten Meinung der FDP-Frau Birgit Homburger. Deren O-Ton steht — quasi wortgleich — nicht nur in der “Rheinischen Post” von heute, sondern beispielsweise auch im “Berliner Kurier” vom März 2004 bzw. einer FDP-Pressemitteilung von damals oder einem FDP-Antrag vom Dezember 2003.

Der UBA-Sprecher nennt die “Bild”-Meldung übrigens “kalter Kaffee” und sähe sie am liebsten mit einer “gelben Sommerlochente” bebildert. Soll er haben.

Programmtipp aus dem All

Jeden Tag hat “Bild” neue, tolle Geschichten im Blatt.

Wie ist das möglich?

Am gestrigen Donnerstagabend zeigte der britische TV-Sender BBC Two die Dokumentation “Tutunkhamen’s Fireball”, die sich (so der bereits vorab verbreitete, ausführliche BBC-Pressetext) mit einem rätselhaften Skarabäus des ägyptischen Pharaos Tut-Anch-Amun beschäftigte — und über eine “außergewöhnliche neue Theorie” berichtete, wonach Tut-Anch-Amuns Schmuck was mit einem Meteoriten zu tun habe soll.

Und einen Tag später steht in “Bild”:

"Tut-Anch-Amun - Königs-Schmuck kam aus dem All"

Jetzt haben Geologen herausgefunden: Das wichtigste Juwel des Herrschers aber kam aus dem All!

(…) Schon vor zehn Jahren hatten Gemmologen den Skarabäus untersucht: Glas! Aber jetzt die Sensation: Es stammt (…) aus einer Zeit lange vor Beginn der ägyptischen Zivilisation.

Wie ist das möglich?

Das Rätsel ist gelöst!

Das Glas kommt aus der Sahara — Überrest einer gigantischen Meteoriten-Bombe. Inzwischen wurde auch der Einschlagskrater gefunden: an der Grenze zwischen Ägypten und Libyen.

Und natürlich ist es schwer vorstellbar, dass “Bild”-Autor Paul C. Martin seinen Artikel für Europas größte Tageszeitung mehr oder weniger komplett aus dem BBC-Programmhinweis abgeschrieben hat. Auffällig ist allerdings, dass “Bild” nichts über den “Königs-Schmuck” zu berichten weiß, was nicht auch im BBC-Pressetext steht. Sogar der Wissenschafter, den “Bild” zitiert, sagt im BBC-Tipp ungefähr das, was “Bild” zitiert.

Und worin “Bild” “jetzt die Sensation” erkannt zu haben glaubt (“Das wichtigste Juwel des Herrschers kam aus dem All”), war z.B. im Oktober 2000 schon in der Zeitschrift “Geo” nachzulesen. Ja, selbst die allerneusten Erkenntnisse dazu (“Inzwischen wurde auch der Einschlagkrater gefunden”) sind immerhin schon seit mehr als einem Vierteljahr bekannt — und außerdem umstritten.

Mit Dank an Takuro K. für die sachdienliche Anregung.

Schröder zu privat

Am 21. Januar dieses Jahres veröffentlichte “Bild” eine ganze Reihe von Fotos, die Altkanzler Gerhard Schröder, Doris Schröder-Köpf und ihre beiden (unkenntlich gemachten) Töchter “auf Kurzurlaub in Italien” zeigten. Nicht weniger als sieben dieser Fotos druckte “Bild” auf der letzten Seite und eines auf der Titelseite. Die Seite-1-Schlagzeile lautete:

"Schröder ganz privat"

Damit traf “Bild” den Kern der Sache schon ganz gut.

Die Schröders waren sogar so privat, dass Fotos davon gar nicht hätten veröffentlicht werden dürfen. Das jedenfalls entschied jetzt das Landgericht Hamburg. Die Schröders hatten gegen die Veröffentlichung in “Bild” (und in “Bunte”, wo die gleichen Fotos Anfang Februar zu sehen waren) geklagt, und das Gericht gab den Schröders Recht. Die Veröffentlichung verletze das Persönlichkeitsrecht, weil “die Abbildungen den Kläger bei einem Zusammensein mit seiner Familie in einer nicht bewusst der breiten (Medien)Öffentlichkeit zugewandten Eltern-Kind-Situation zeigten”, wie uns ein Gerichtssprecher erklärt.

Anders ausgedrückt: Gerhard Schröder mag zwar als Altkanzler eine absolute Person der Zeitgeschichte sein, deren Persönlichkeitsrecht eingeschränkt ist. Das rechtfertigt aber nicht, dass man Fotos von ihm und seiner Familie beim ganz privaten Zusammensein im Urlaub veröffentlicht, wie “Bild” es getan hat.

Mit Dank an Michael G. für den Hinweis.

Vorsicht, Paparazzi! (2)

Die “LeserReporter“-Aktion von “Bild” zeigt offenbar Wirkung. Jedenfalls bei den Fußballspielern Lukas Podolski und David Odonkor. Von beiden veröffentlichte “Bild” in den letzten Tagen Leser-Fotos, ohne die Einwilligung dafür zu haben, wie der “Tagesspiegel” berichtet:

(…) Fotos von Lukas Podolski auf Mallorca und David Odonkor auf einem Parkplatz sind in diesen Tagen erschienen, beide Male sollen die “Leser-Reporter” mit 500 Euro für das Einsenden der Handy-MMS belohnt werden. Die Fußballer gehen dagegen vor, sagte ihr Spielerberater Kon Schramm dem Tagesspiegel. Ihr Anwalt Christian Schertz bestätigte, in beiden Fällen Unterlassungserklärungen zu fordern. Er fühlt sich an Orwells “1984” erinnert: Der “Bild”-Aufruf an die Leser führe dazu, “dass ganz Deutschland versucht, Abschüsse aus dem Privatleben herzustellen”. Dieser Art von Hetzjagd müsse ein Riegel vorgeschoben werden. Trotzdem werden es manche nicht lassen können.

Mit Dank an Mathias H. für den Hinweis.