Archiv für Juli 14th, 2006

Sein altes Leben

Da scheinen die Profis von “Bild” ja wieder eine richtige Exklusiv-Geschichte ausgegraben zu haben. Groß lacht heute Jürgen Klinsmann von der Seite 1, und daneben steht:

JÜRGEN KLINSMANN: Sein neues Leben. Traumvilla! Traumfrau! Traumwetter!

Wobei der aufmerksame “Bild”-Leser sich an dieser Stelle schon fragen könnte: Traumvilla? Traumfrau? Traumwetter? Ist das nicht exakt das alte Leben des Jürgen Klinsmann?

Sein neues Leben nach dem Rücktritt

“Welcome to Klinsi Beach” steht über dem Artikel im Inneren. Und: “Sein neues Leben nach dem Rücktritt”. Frisch und erholt sieht Klinsmann auf den vielen Fotos aus, die das “neue Leben” illustrieren. So, als hätte die WM gar keine Spuren hinterlassen.

Ach so: Hat sie auch gar nicht. Die Fotos, auch das fast halbseitige, stammen aus einer Zeit, als Klinsmann noch gar nicht Bundestrainer war. Und wenn man genau liest, steht das auch da. “So zeigte er sich den BILD-Reportern schon bevor er Bundestrainer wurde”, heißt es in einem Bildtext. Und im Artikel steht:

BILD erklärt, wie Klinsi (…) am Pazifikstrand Kraft tanken will für die Zukunft. Dazu zeigt BILD Fotos von früheren Besuchen bei Klinsi.

Alles korrekt als Symbolfotos gekennzeichnet also.

Aktuelle Fotos von Klinsmann am “Klinsi-Beach” kann es auch schon deshalb nicht geben, weil er anscheinend noch gar nicht wieder in Kalifornien ist. Aber im Dezember 2004 war er es. Und damals hatte “Bild”-Autor Walter M. Straten ihn dort getroffen und darüber berichtet (“BamS-Besuch beim Bundestrainer”). Was er damals sah (und was “Bild” bis kurz vor der WM regelmäßig anprangerte), hat er einfach noch einmal aufgeschrieben.

Dass sich das “neue Leben” des Jürgen Klinsmann so wunderbar mit den Fotos aus dem alten Leben des Jürgen Klinsmann illustrieren lässt, liegt daran, dass sich beide offenbar nicht unterscheiden. Das macht zwar die große “Bild”-Schlagzeile abwegig. Aber wenigstens war es so für “Bild” leichter, Klinsmanns Zukunft optisch “nachzuempfinden”.

“Bild” verwechselt sich mit Deutschland

(…) you have to be for partnership with America. Otherwise, you can’t work for us, you can’t come – you have to sign it in your contract.

Kai Diekmann am 5. Mai 2006 zu George W. Bush.

Man kann wahrlich nicht behaupten, dass “Bild” dem Besuch von George Bush bei Angela Merkel wenig Platz einräumt. Die Seiten 2 und 3 der heutigen Ausgabe sind voll davon. “Bild” zeigt Händeschüttel-Fotos, Kuss-Fotos (gleich vier!), Bush beim Grillen, Bush beim Radfahren, Bush beim Baby-Hochhalten usw. “Bild” berichtet über “Wirtin Hanni”, die sich “die Hand nicht mehr waschen” will, weil Bush ihr ein Autogramm darauf gegeben hat, und “Bild” druckt ein “Minuten-Protokoll des historischen Besuchs”. Das alles (und ein wenig mehr) unter der großen Überschrift: “Deutschland fliegt auf die Bushs” (siehe Ausriss).

Das “Minuten-Protokoll” glänzt mit Detailverliebtheit. Ein paar Auszüge:

Bush duscht, zieht seinen schwarzgrauen Anzug mit blauer Krawatte an, frühstückt. (…) Auf dem Tisch: Extra eingeflogenes US-Mineralwasser (“Deer-Park”) – doch Bush trinkt lieber Cola light. (…) Mittagessen. Lachs und Heilbutt aus der Ostsee, Entenbrust mit grünem Spargel, Waldbeeren mit weißer Schoko-Mousse. Dazu Mineralwasser, danach Espresso. (…) Das Präsidentenehepaar hat sich zum Grillfest umgezogen (Bush: hellblaues Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln, Laura Bush: beigemelierter Hosenanzug) (…) Gemeinsam mit dem Ehepaar Merkel (in Jeans und Blazer) und Sauer (beige Hose, offenes Hemd) begrüßen die Bushs fünfzig handverlesene Gäste. Das von Gastwirt Olaf Micheel selbstgeschossene 30-Kilo-Wildschwein (eineinhalb Jahre alt), seit sechs Stunden auf dem Grill, ist fertig. (…) Merkel und ihr Mann bringen Laura und George W. Bush zu ihrem Hubschrauber. Er startet in die Abendsonne – Angela Merkel und ihr Mann winken ihren Gästen noch lange hinterher.

Wenn man das alles so liest, bekommt man tatsächlich den Eindruck, dass Deutschland auf die Bushs fliegt. Jedenfalls erwähnt “Bild” heute mit keinem Wort, dass es Proteste und Demonstrationen gegen den Besuch von George Bush gab. In Stralsund und auch in anderen deutschen Städten. Das ist zumindest bemerkenswert. Andere Medien schaffen es nämlich ohne Probleme, das ein oder andere Wort über die Anti-Bush-Demonstrationen zu verlieren.

Mehr als bemerkenswert, man könnte sagen irreführend oder sogar gelogen, ist allerdings die Überschrift. Tatsächlich fliegt “Deutschland” (was immer “Bild” auch damit meint) nicht auf die Bushs. Und damit meinen wir gar nicht die demonstrierende und protestierende Minderheit, sondern rund die Hälfte der Deutschen. Laut einer repräsentativen Umfrage der Forsa im Auftrag des “Stern” bewerten nämlich 52 Prozent den Bush-Besuch negativ und nur 41 Prozent positiv. Auch davon erfahren die “Bild”-Leser freilich nichts. Dabei wäre eigentlich genügend Platz gewesen.

Mit Dank auch an Valon N. für den Hinweis.