Archiv für Januar 27th, 2006

In Amerika sind die Türken Indianer

Wir müssen über den “Brief von Wagner” von gestern reden. Das ist, wie so oft bei den Kolumnen von Franz Josef Wagner, nicht so leicht, also fangen wir mit einem schlichten Fehler an:
Wagner behauptet, dass eine Berliner Schule ihren überwiegend aus ausländischen Familien stammenden Schülern “ab sofort” vorschreibt, auf dem Pausenhof ausschließlich deutsch zu sprechen. Dabei gilt die Regel schon seit fast einem Jahr.

Soweit die Kleinigkeiten.

Doch Wagner gibt in seinem Brief den “lieben türkischen Schülern” noch gute Ratschläge mit:

Wenn Deutschland zu Eurem Land werden soll, dann müßt Ihr fließend Deutsch sprechen. Oder Ihr übernehmt die Rolle der Indianer in Amerika. Straßenräuber, Drogenkranke, Geächtete.

Ohne Deutsch kein Schulabschluß, ohne Deutsch keine Lehrstelle, ohne Deutsch ein Indianer.

(…) Eine schöne Wohnung, ein Auto in der Garage, eine Topfpflanze auf dem Balkon, geachtet von den Nachbarn – all das kriegst Du, wenn Du deutsch kannst. In unserer Sprache heißt das Glück.

Hoppla. Die Rolle der Indianer in Amerika ist es, zugedröhnt unschuldige Leute zu überfallen? Wissen das die Indianer? Und hätten sie das verhindern können, wenn sie nur rechtzeitig
aufgehört hätten, ihre komischen Dialekte zu sprechen?

Da kommt man natürlich ins Grübeln, wie die amerikanische Geschichte verlaufen wäre, wenn die Indianer sich nur rechtzeitig an die Gepflogenheiten ihres Gastlandes… Moment: Gastland? Waren nicht die Indianer zuerst da? Wären dann nicht die Bleichgesichter die Türken Amerikas? Also quasi die Indianer? Oder, ganz anders, waren die Indianer einfach nicht integrationswillig genug, um es in der amerikanischen Geschichte zu einer anständigen Rolle zu bringen? Und wer hat hier auf dem Pausenhof wieder gekifft?

Und schon haben wir uns fröhlich in einer Kolumne von Wagner verlaufen und finden den richtigen Ausgang nicht mehr. Denn womöglich müsste man sich ernsthaft damit auseinandersetzen, dass Wagner unter der wirren Oberfläche hier eine klare Ideologie vertritt, welche Rolle Türken seiner Meinung nach in Deutschland haben sollten: brave Konsumenten, die ihren (deutschen) Nachbarn nicht unangenehm auffallen. Glückliche Türken sind die, die “wir” gar nicht als Türken erkennen.

Man spricht deutsch

“Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. (…) Und sie sprachen untereinander: (…) Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. Da fuhr der HERR hernieder, daß er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, laßt uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, daß keiner des andern Sprache verstehe!”
(1. Mose 11, 1-7)

Soweit die Bibel über diese Turmbau-Sache zu Babel damals, die auch für Wolfgang Amadeus Mozart weitreichende Folgen haben sollte. Na, klar: Hätte der Mann etwa sonst seine Opern in Deutsch geschrieben, damit sie, äh, jeder versteht? Wohl kaum. Und außerdem gäbe es ohne die aus dem biblischen Bauvorhaben resultierende babylonische Sprachverwirrung vermutlich keine deutsche Version des Internetsuchdienstes Google, wo sich inzwischen deutlich mehr Einträge zu “Mozart” als zu “Motorrad” finden lassen*, was ja wohl zweifelsfrei beweist, dass Mozart ein großer Musiker war, größer jedenfalls als dieses Ding mit zwei Rädern und einer Wärmekraftmaschine und wahrscheinlich sogar der größte Musiker aller Zeiten! Dabei hatte er noch nicht mal einen Motorradführerschein.

Kurzum: Wer diese Begründung jetzt – warum auch immer – komplett bescheuert findet, hat vermutlich Recht.

Als Grund Nr.2 der “100 Gründe, warum Mozart der größte Musiker aller Zeiten ist”, schreibt “Bild” heute aber trotzdem:

“Bei Google gibt es 21,9 Millionen Einträge zu Mozart – zu Gott nur 12 Millionen.”

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.

*) Die Anzahl der Google-Suchergebnisse kann variieren.

Wogegen sich Kai Diekmann wehrt III

“Bild”-Chef Kai Diekmann, der ja bekanntlich eine gewisse Art von Gegendarstellungen “gerne” drucke, “weil sie zeigen, wie hier das Recht der Gegendarstellung im Kern mißbraucht wird”, hat mal wieder eine Gegendarstellung durchgesetzt. Diesmal gegenüber der “Berliner Zeitung”.

In deren Silvesterausgabe hatten Mitarbeiter des Blattes notiert, was ihnen 2005 in den Medien gefiel und was nicht. Ein Beitrag war von Christoph Schultheis, einem der Betreiber dieser Seite. Seine persönlichen Plus-Punkte des Jahres gingen so:

Matthias Reim (Sänger), Claudia Roth (Politikerin), Anke Engelke (Entertainerin), Alexandra Neldel (Schauspielerin), José Manuel Barroso (EU-Kommission) und Steffi (16). Sie konnten sich erfolgreich gegen falsche Behauptungen der Bild-Zeitung wehren. Ihre Gegendarstellungen endeten mit dem kleinlauten Eingeständnis der Redaktion, dass das, was “Bild” berichtet hatte, nicht stimmte.

Gegen diesen Text hat Diekmann eine Gegendarstellung erwirkt. Er stellt darin fest:

Die Gegendarstellung von Alexandra Neldel haben wir ohne eine derartige Erklärung abgedruckt.

Diekmann hat Recht — wenn man unter “wir” ausschließlich die gedruckte “Bild”-Zeitung versteht. Der Online-Auftritt von “Bild” dagegen hat sehr wohl eine derartige Erklärung abgedruckt. Nur die Papier-“Bild” hat es nicht getan. Sie hat es unterlassen, ihre Leser darüber zu informieren, dass ein Zitat, das ihre Kolumnistin Christiane Hoffmann der Schauspielerin Alexandra Neldel untergeschoben hat, tatsächlich frei erfunden war.

Kai Diekmann hat also eine Gegendarstellung durchgesetzt, damit niemand fälschlicherweise annimmt, er habe eine von seiner Zeitung verbreitete Lüge über Alexandra Neldel in seiner Zeitung korrigiert. Das muss ihm wichtig gewesen sein.

Nachtrag, 30. Januar: Die Gegendarstellung ist bislang nur online erschienen. In der gedruckten Ausgabe der “Berliner Zeitung” soll sie voraussichtlich am Mittwoch stehen.