Archiv für Januar 4th, 2006

“Bild” entdeckt die alte Zahl des Satans neu

Guten Tag, hier spricht der Teufel. Vielen Dank für Ihren Anruf. Meine Nummer hat sich geändert. Wählen Sie bitte in Zukunft statt der 666 die Durchwahl 616. Vielen Dank und auf Wiederhören. Piep.

616 - Die neue Zahl des Satans

Jawohl, in großer Aufmachung auf Seite 1 und mit der Ortsmarke “Vatikan” informiert die “Bild”-Zeitung heute ihre Leser über eine “Neuigkeit”. Andreas Englisch, der “Vatikan-Experte” von “Bild” hat herausgefunden:

Nicht 666, sondern 616 ist die Zahl des Satans!

Im 2. Jahrhundert schrieben Theologen die 666 dem Teufel zu. (…) Die Theologen beriefen sich auf das “Buch der Apokalypse” des Evangelisten Johannes. Wie sich jetzt herausstellte, ein Übersetzungs- und Abschreibfehler!

Forscher fanden nun im griechischen Originaltext die richtige Satanszahl: Es ist die 616 und nicht die in jeder Bibel genannte 666!

Wir haben keine Ahnung, wie “Bild” jetzt auf diese Geschichte kommt. In der britischen Tageszeitung “The Independent” erschien bereits am 1. Mai 2005 ein Artikel mit der Überschrift: “Revelation! 666 is not the number of the beast (it’s a devilish 616)” Ein entsprechendes Papyrus-Fragment aus dem 3. Jahrhundert ist bereits 1999 veröffentlicht worden. Am 4. Mai 2005 berichtete “Die Zeit” über technische Fortschritte bei der Entschlüsselung der Papyrus-Fragmente aus Oxyrhynchus und erzählte auch die 616/666-Geschichte.

Schon vor über 120 Jahren diskutierte ein gewisser Friedrich Engels, wie man die “sehr alte Lesart” der Offenbarung/Apokalypse des Johannes erklären könne, wonach 616 die “Zahl des Tiers” sei. Und schon vor über 1800 Jahren wusste Irenäus von Lyon, dass in vielen Schriften statt der 666 die 616 zu lesen war — nur entschied er sich damals, die 616 für einen Schreibfehler zu halten und nicht die 666.

Genau umgekeht entschied sich übrigens der Schweizer Reformator Huldrych Zwingli. Deshalb steht auch nicht “in jeder Bibel” die 666 als Satanszahl, wie “Bild” behauptet, sondern in der auf Zwingli zurückgehenden “Zürcher Bibel” die Zahl 616.

Tja. Und nun? Fragen wir Andreas Englisch, und der hat anonymen “Vatikan-Experten” die bahnbrechende Zusage entlockt:

“Wenn die Zahl 666 falsch ist, wird das in den kommenden Bibelausgaben geändert.”

Unsere Prognose aber lautet: Wenn diese ganze Geschichte Humbug ist, wird “Bild” das nie zugeben.

Kurz korrigiert (48)

Wir wissen nicht, was Angela Merkel für ein Mobiltelefon hat. Ehrlich gesagt, interessiert es uns auch nicht. Das unterscheidet uns von “Bild” und “Bild”-Kolumnist Hugo Müller-Vogg. Die wollen es nämlich heute unter der Überschrift “Angela Merkel ist die erste Handy-Kanzlerin” ganz genau wissen, was für ein Mobiltelefon Angela Merkel hat – und behaupten deshalb, es handele sich dabei um:

“das Handy-Modell ‘S 65’ von Siemens (…), ein funktionales ‘Business Handy’ ohne Schnickschnack wie integrierte Kamera oder Spiele.”

Und das finden wir dann doch interessant, weil zum Lieferumfang des S65 von Siemens nämlich auch eine integrierte 1,3-Megapixel-Kamera und drei vorinstallierte Spiele gehören.

Mit Dank an Sebastian F. für den Hinweis.

Springer redet “Bild” klein

Nach Ansicht von Experten ist die große Macht von “Bild” eines der Haupthindernisse bei der Fusion des Axel-Springer-Konzerns mit ProSiebenSat.1. Vor diesem Hintergrund sagt der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner in der “Frankfurter Allgemeinen” heute:

Daß die “Bild”-Zeitung mit ihrer hohen Auflage eine starke Marktstellung hat, ist unbestritten. Aber wir verschieben die Gewichte, wenn “Bild” zu einer Art Gegenregierung aufgebaut wird. Dann verlagern wir die politische Autorität auf die Straße. Die “Bild”-Zeitung ist eine Unterhaltungs- und Boulevardzeitung. Sie ist aber nur so wichtig, wie sie von politischen Eliten genommen wird. Man sollte die “Bild”-Zeitung nicht zum vorherrschenden politischen Leitmedium überhöhen. Das ist für die Redaktion zwar ein Kompliment, aber ob es das auch für den geistigen Zustand unserer Republik ist, da habe ich meine Zweifel. Die Boulevardisierung der Qualitätsmedien und die Boulevardisierung weiter Teile der Politik sind das Problem.

Zum Vergleich: Im Herbst 2004, als die Macht von “Bild” noch kein Problem für Springer war, schrieb “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann in einer E-Mail an seine Mitarbeiter:

Wir sind in der Tat — und das wird selbst von unseren strengsten Kritikern eingeräumt — DAS LEITMEDIUM. Mit unserer exzellenten Sport-Berichterstattung, mit unseren Enthüllungen aus Politik und Unterhaltung, mit unseren präzisen Recherchen und Scoops im Nachrichtenbereich aus dem In- und Ausland, mit unseren Top-Themen in über 30 Lokal- und Regionalausgaben.

Symbolfoto XXII

Obiger Ausriss zeigt laut Bild.de eine Innenansicht der Eislaufhalle in Bad Reichenhall, nachdem dort am 2.1.2006 die Decke eingestürzt ist. Bild.de schreibt dazu:

“Unter den Trümmern starben mindestens elf Menschen”

Der Ausriss unten hingegen zeigt laut Bayerischem Rundfunk eine Innenansicht des Badezentrums Krefeld Bockum, nachdem dort am 18.8.2000 die Decke eingestürzt war.

Und jetzt raten Sie mal, was stimmt?

Mit Dank an nakir für den Hinweis.

Nachtrag, 11:00:
Mittlerweile hat man bei Bild.de das obige Foto aus der Bilderschau zur “Katastrophe von Bad Reichenhall” entfernt.

Kurz korrigiert (47)

Aus aktuellem Anlass berichtet Europas größte Tageszeitung:

“Am 18. Oktober 1977 – nachdem ihre RAF-Genossen eine Lufthansa-Maschine nach Mogadischu entführt und die Freilassung der Häftlinge gefordert hatten, aber von der GSG 9 überwältigt worden waren – erschossen sich Baader
und Ensslin mit geschmuggelten Pistolen in ihrer Zelle.”

Und man mag es für eine Auslegungssache halten, wenn “Bild” die vier palästinensischen Terroristen, die 1977 die “Landshut” entführten, RAF-Genossen nennt. Oder für falsch. Anders verhält es sich mit der “Bild”-Behauptung, die RAF-Terroristen Andreas Baader und Gudrun Ensslin hätten sich mit geschmuggelten Pistolen erschossen. Das ist keine Auslegungssache. Um es faktisch und politisch korrekt mit der “taz” zu sagen:

“In Zelle 720 hängt Gudrun Ensslin am Gitterrost des rechten Zellenfensters. Um ihren Hals ist das Kabel ihrer Lautsprecherboxen geschlungen.”

Mit Dank an Christian H. für den Hinweis.