Archiv für September 11th, 2005

Nachverurteilung

Nachdem die “Bild”-Zeitung am Dienstag sich und Andreas Türck von jeder Schuld reingewaschen und behauptet hatte, die “Justiz” habe “ein schmutziges Gerichtsspektakel” inszeniert, machte sich “Bild” am gestrigen Samstag daran, Andreas Türcks TV-Karrierechancen einzuschätzen:

Das ging schnell! Kaum war Andreas Türck (36) im Vergewaltigungsprozeß freigesprochen, kam schon das erste neue TV- Angebot. Er soll für RTL ins “Dschungelcamp” gehen. Dabei sah es während des Verfahrens lange danach aus, daß kein Sender ihn mehr nehmen würde.

Wie zum Vergleich zählte “Bild” anschließend auf, “welche TV-Stars auch den Weg von der Anklagebank zurück auf den Bildschirm geschafft haben” (siehe Ausriss) – und übersah dabei, dass die Prominenten, die “Bild” aufzählt, im Gegensatz zum freigesprochenen Türck größtenteils vorbestraft sind: Karsten Speck wegen Betrugs, Martin Semmelrogge wegen wiederholten Fahrens ohne Führerschein, Michel Friedman wegen Kokain-Besitzes, Carsten Spengemann wegen Unterschlagung.

PS: Da es der “Bild” offenbar egal ist, wie und mit welchem Ergebnis man vor Gericht steht, könnte man — eine ähnlich oberflächliche Sichtweise wie die der “Bild” vorausgesetzt — ebenso behaupten, dass es Kai Diekmann, der einst wegen seines Penis vor Gericht stand, “zurück” in die “Bild”-Redaktion geschafft habe. Aber lassen wir das – ebenso wie den Hinweis auf die “Bild”-Zeitung vom vergangenen Dienstag, in der die Zeitung den Eindruck erwecken konnte, Carsten Spengemann habe es womöglich doch nicht so richtig “zurück ins TV” geschafft.

Mit Dank an Johannes S. und die Malteser in Dortmund.

Eskalierende Privatfehde

Seit einiger Zeit taucht Oskar Lafontaine in der Berichterstattung von “Bild” und “Bild am Sonntag” vor allem als “Luxus-Linker” auf, dessen Lebenswandel angeblich in krassem Gegensatz zu den Forderungen der Linkspartei steht. Die Frage, ob Lafontaine die Teilnahme am sogenannten “Wählerforum” der “Bild am Sonntag” davon abhängig gemacht hat, dass die Zeitung ihm die Anreise in einem Privatjet bezahlt, ist mittlerweile Gegenstand mehrerer gerichtlicher Auseinandersetzungen und größerer Schlagzeilen in der Zeitung (“Lafontaine lügt!”). Heute nun macht “Bild am Sonntag” mit der Schlagzeile auf:

Lafontaine im Privatjet zu Talkshow ...und das ZDF bezahlte

Und wer nach der Vorgeschichte diese Seite 1 liest, muss zu folgendem Schluss kommen: Wie im Fall von “Bild am Sonntag” hat Lafontaine anscheinend seine Teilnahme an der Talkshow “Berlin Mitte” von der Luxusanreise abhängig gemacht (“obwohl es auch Linienflüge gab”!) — nur dass das ZDF im Gegensatz zur “Bild am Sonntag” wohl bereit war, dieser Forderung nachzukommen. Was für ein unbelehrbarer, gieriger, verlogener Politiker!?

Erst im Klein(er)gedruckten verrät die “Bild am Sonntag” ihren Lesern, wie es wirklich war: Nicht Lafontaine, sondern das ZDF bestand auf dem teureren Flug. Ein Sendersprecher wird mit den Worten zitiert:

“Herr Lafontaine teilte uns Flugzeiten von Linienflügen mit — mit keiner der genannten Maschinen hätte er die Sendung pünklich und sicher erreicht. Die Redaktion prüfte Alternativen. Aber das Risiko einer Verspätung war zu groß.”

Auch der Sprecher der Linkspartei Hendrik Thalheim (von “Bild am Sonntag” als “Lafontaines Sprecher” bezeichnet) bestätigt diese Darstellung, indirekt ebenso ein von der Zeitung nicht genannter “TV-Insider”.

Ob Lafontaine nun ein verlogener “Luxus-Linker” ist oder nicht — die Anreise zur ZDF-Talkshow, die “Bild am Sonntag” einen “Luxus-Auftritt” nennt und von gleich zwei Fotografen mit Fotos im Paparazzi-Stil dokumentieren ließ, bestätigt diesen Vorwurf jedenfalls nicht.

Wir wissen nicht, wer in der eskalierenden Privatfehde zwischen “Bild am Sonntag” und Oskar Lafontaine die Wahrheit sagt. Die heutige Berichterstattung von “Bild am Sonntag”, die zu nichts anderem dient, als einen falschen Eindruck zu erwecken, ist jedenfalls alles andere als eine vertrauensbildende Maßnahme.

Nachtrag, 22.15 Uhr: Gegenüber dem “Tagesspiegel” widerspricht ZDF-Sprecher Alexander Stock der “Bild am Sonntag” ausdrücklich:

“Nach Rücksprache mit dem Landeskriminalamt und den Fluggesellschaften sowie nach Prüfung der verfügbaren Linienflüge stand fest, dass es keine andere Möglichkeit gab, dass Lafontaine rechtzeitig zu der Live-Sendung erscheint.”

Er sei von der “Bild am Sonntag” im übrigen falsch zitiert worden: Weder Lafontaine noch sein Büro hätten Flugzeiten durchgegeben. Der ganze Vorgang sei von der ZDF-Redaktion geplant, organisiert und durchgeführt worden.