Archiv für Mai 24th, 2005

Trapattoni fliegt nicht

Es ist seltsam: Der Fußballtrainer Giovanni Trapattoni ist gerade mit seiner Mannschaft Benfica Lissabon portugiesischer Meister geworden und jetzt “fliegt” er. So steht’s jedenfalls bei Bild.de:

Trap feiert – und fliegt!

Und im Text heißt es dann:

Trotzdem hat Trap fertig. Fans und Presse lästern über seinen Mauer-Fußball.

Wir wissen natürlich nicht, welche Presse und welche Fans da gemeint sind, wundern uns aber doch etwas, dass hier zum Beispiel dieses steht:

Die Fans von Benfica Lissabon liegen “Maestro” Giovanni Trapattoni zu Füßen. (…) Auch die Gazetten stimmten in den Jubel-Chor um “Trap” ein. “Er kam, sah, triumphierte und sagt jetzt auf Wiedersehen”, titelte die Zeitung “A Bola”. “Die Großen sind unter Trapattoni wieder auferstanden”, schrieb Zeitung “Record”, “Danke, Trap, Benfica ist wieder da”, meinte “A Capital”.

Entsprechend ist auch die Überschrift bei Bild.de natürlich völliger Unsinn. Trapattoni “fliegt” nicht, er denkt lediglich über seinen Rücktritt nach, weil er seine Familie vermisst. Und das weiß sogar “Sport Bild”.

Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Schon M.

Nichts dagegen tun

In jeder Stadt und in jeder kleinen Gemeinde gibt es Menschen, die man nicht so sympathisch, vielleicht auch etwas merkwürdig findet und neben denen man deshalb nicht wohnen möchte. Manchmal kann man sich das allerdings nicht aussuchen.

Dann ruft man einfach die “Bild”-Zeitung an. Und die schreibt daraufhin:

Horror-Nachbarn - ...und wir können nichts dagegen tun

So stand’s am 14. Mai in der Ausgabe Mainz/Wiesbaden. Außerdem wusste “Bild”:

“Sie sind wie Heuschrecken, die von Ort zu Ort ziehen und Verwüstung hinterlassen: Deutschlands Horror-Mieter. Eine dieser Familien lebt jetzt in Westhofen.”

Ein Nachbar erklärte “Bild”:

“Die übergeben sich aus dem Fenster, lassen ihre Hunde wild in den Garten, verwüsten hier alles.”

Und “Bild”-Autorin Pilar May hat nicht nur recherchiert, dass die “Müll-Mieter” die Mietwohnung ihres letzten Wohnorts in Trümmern hinterlassen haben, sondern auch, dass die Familie eine “240-Quadratmeter-Edel-Wohnung” nun “auf Kosten der Gemeinde” bewohnt und zitiert Heiner Michel, Pressesprecher der Kreisverwaltung Alzey, der “zugibt”:

“Ja, die Familie bekommt von uns Arbeitslosengeld II, davon wird auch die Miete bezahlt.”

Darüber hat sich Michel ziemlich geärgert. Zum einen, weil natürlich nicht die Kreisverwaltung die Wohnung bezahlt, sondern die Agentur für Arbeit, wie er es der “Bild”-Reporterin gesagt hat, und zweitens, weil “Bild” nicht erwähnt, dass die Wohnung laut Auskunft der Agentur für Arbeit für neun Personen angemessen teuer ist und deshalb den ALG-II-Vorschriften entsprechend bezahlt wird.

Forscht man ein bisschen weiter nach, erfährt man, dass die Großfamilie mit ihrem kleinen Zoo in Westhofen zwar nicht allzu beliebt ist, sich aber in ihrer neuen Wohnung bisher nichts zu schulden kommen ließ.

Das Veterinäramt, das laut “Bild” in der vergangenen Woche “endlich einschreiten” wollte, ist eingeschritten – und konnte keinen Verstoß gegen eine artgerechte Haltung der Haustiere feststellen. Den Hunden gehe es gut, versichert Michel.

Dem Ordnungsamt der Verbandsgemeinde Westhofen liegen keine konkreten Beschwerden vor, sagt Leiter Lothar Renz. Nicht über Leute, die sich aus dem Fenster übergeben und ebenso wenig über Wohnungen, die in Trümmer gelegt wurden. Auch für das Jugendamt gab es bisher keinen Anlass, aktiv zu werden.

Die “Bild”-Berichterstattung scheint dennoch gewirkt zu haben: Seit der Beitrag erschienen ist, haben sich die Nachbarn, die sich schon vorher nicht leiden konnten, offenbar gar nichts mehr zu sagen. Stattdessen müssen die in “Bild” abgebildeten Wohnungsbesitzer nun wenig freundliche Kommentare der ungeliebten Nachbarn über sich ergehen lassen. Ein Sat.1-Team war auch schon in Westhofen. Manch einer spricht schon von einer “Hexenjagd”.

Bislang kam es zu keiner Auseinandersetzung, die so heftig war, dass die Polizei einschreiten musste. Hoffentlich bleibt das so.

Traurige Fakten

Schwer zu sagen, ob das “brutale Grand-Prix-Debakel” (also die Tatsache, dass der deutsche Beitrag beim Eurovision Song Contest in Kiew am vergangenen Samstag auf dem letzten Platz landete) “jetzt” tatsächlich “Konsequenzen” hat, wie es heute in der “Bild”-Zeitung steht, ob es also irgendwie gerechtfertigt ist, wenn “Bild” behauptet:

0 points! ARD feuert Grand-Prix-Chef

Tatsache ist, dass der für den Grand Prix zuständige NDR bereits gestern bekannt gab, der bisherige Grand-Prix-Verantwortliche Jürgen Meier-Beer höre “auf eigenen Wunsch” auf.

Tatsache ist auch, dass die Nachrichtenagentur ddp daraufhin schrieb:

“Meier-Beer unterstrich, sein Abgang habe nichts mit dem Grand-Prix-Debakel (…) zu tun (…). Die Gespräche über eine neue Aufgabe für ihn hätten bereits vor einem halben Jahr begonnen.”

Und der NDR legte heute, nach den “ARD feuert Grand-Prix-Chef”-Behauptungen, mit einer zweiten Pressemitteilung nach, in der es heißt:

“Spekulationen in Teilen der Presse, der NDR habe seinen Grand-Prix-Verantwortlichen strafversetzt oder gar gefeuert, entbehren jeder Grundlage (…). Tatsächlich hat Herr Dr. Meier-Beer bereits vor sechs Monaten darum gebeten, nach zehn Jahren mit einer neuen Aufgabe betraut zu werden. Zu diesem Zeitpunkt haben wir gemeinsam begonnen, seinen Wechsel vorzubereiten (…)”

Und wenn sich der NDR nun abermals (und derart ausdrücklich) an die Öffentlichkeit wendet und betont, die Personalie stehe “in keinem Zusammenhang mit dem Abschneiden der Sängerin Gracia beim ‘Eurovision Song Contest'”, dann sollte man sich den “Bild”-Text vielleicht doch noch einmal genauer anschauen. Schließlich findet man dort zwar jede Menge Ausrufezeichen (“Gracia Letzte! Miese Quote! Falsches Konzept!”, “Das brutale Grand-Prix-Debakel in Kiew, jetzt hat es Konsequenzen!”, “Die ARD feuert Grand-Prix-Chef Jürgen Meier-Beer (53)!”, “Null Punkte für den Ex-Unterhaltungs-Chef!”, “Sinkende Einschaltquote!”, “Katastrophales Ergebnis!”, “Hohe Kosten!”, “Falsches Auswahlsystem!”) — aber kein einziges Indiz für die Behauptung, Meier-Beer sei gefeuert worden.

Stattdessen findet man unter dem Stichwort “Traurige Fakten” den Satz:

2000 schauten noch 12 Millionen zu, dieses Jahr nur rund 7 Millionen.

Und das ist in der Tat traurig, weil es nämlich 2000 nicht “12 Millionen”, sondern 10,03 Millionen Zuschauer waren, was hier nur deshalb Erwähnung finden soll, weil “Bild” nicht einmal dort, wo sie ausdrücklich mit “Fakten” aufwartet, mit Fakten aufwartet.

Nachtrag, 18.6.2005:
Bild.de muss eine Gegendarstellung des NDR-Intendanten Jobst Plog u.a. veröffentlichen, in der es heißt, “daß Herr Dr. Meier-Beer bereits vor mehreren Monaten darum gebeten hat, mit einer neuen Aufgabe betraut zu werden und bereits vor Durchführung des ‘Eurovison Song Contest’ feststand, daß Herr Dr. Meier-Beer den Posten des „Grand-Prix-Chefs“ abgeben würde.” Der “Bild”-Artikel selbst ist online nicht mehr verfügbar.

Reizthema Jugendwahn

Jugendwahn! Sat.1 schmeißt Fritz Egner (55) raus

So berichtete “Bild” am Montag über die Ablösung Fritz Egners als Moderator der Sat.1-Show “Die witzigsten Werbespots der Welt” durch Ingo Oschmann. Die (ebenfalls im Springer-Verlag erscheinende) “Welt” hatte darüber bereits am 11.12.2004 ausführlich berichtet – und alles weitere überlassen wir gern dem Online-Medienmagazin DWDL.de, wo es dazu heißt:

Erschreckend an der Geschichte sind zweierlei Dinge: Zunächst die fast ernst gemeinte Sorge, wieso Fritz Egner es nötig hat, mit Monate alten Themen noch einmal durch die Boulevard-Presse zu ziehen. Auf der anderen Seite aber erschreckt die Art und Weise, wie hier der Leser getäuscht wird. Eine Meldung bei “Bild” bedeutet einmal mehr nicht, dass es auch eine Neuigkeit sein muss. Ein sechs Monate altes Thema wird mit Kampagnen-Journalismus der Marke “Wir packen das Reizthema Jugendwahn noch aus” aufgewärmt.