Archiv für Mai 4th, 2005

Porno auf der Titelseite

Jetzt wird’s erstmal stinklangweilig, denn laut Umsatzsteuergesetz unterliegen hierzulande u.a. Zeitungen und andere Erzeugnisse des graphischen Gewerbes – mit Ausnahme der Erzeugnisse, für die die Hinweispflicht nach § 4 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften besteht oder die als jugendgefährdende Trägermedien den Beschränkungen des § 15 Abs. 1 bis 3 des Jugendschutzgesetzes unterliegen, gemäß Anlage 2 (zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2) dem ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent. Darüber hinaus aber beträgt die Steuer gemäß UstG § 12 Abs. 1 für jeden steuerpflichtigen Umsatz sechzehn Prozent der Bemessungsgrundlage.

Anders gesagt: Pornohefte beispielsweise sind jugendgefährdende Schriften oder Trägermedien und u.a. deshalb so teurer, weil in ihrem Verkaufspreis der volle Umsatz- oder Mehrwertsteuersatz von sechzehn Prozent enthalten ist, wohingegen die meisten Zeitungen und Zeitschriften mit nur sieben Prozent besteuert werden.

Und jetzt kommt “Bild”:

Überschrift: "Politiker wollen Pornos teurer machen"

Weiter heißt es in der gerade mal 27-zeiligen Meldung auf der Titelseite:

Politiker von SPD und Union fordern, daß die Mehrwertsteuer auf Sexmagazine von zur Zeit sieben auf 16 % erhöht wird!

Im Anschluss zitiert “Bild” dann u.a. den niedersächsischen SPD-Fraktionschef Sigmar Gabriel mit der Aussage:

“Das ist doch obszön! Uns fehlt das Geld (…), aber gleichzeitig subventionieren wir Pornohefte.”

Das Zitat fiel, wie man nicht aus “Bild”, wohl aber aus Gabriels Büro erfährt, tatsächlich in der “Sabine Christiansen”-Sendung vom vergangenen Sonntag — und ist (peinlicherweise) sachlich falsch, weil Pornohefte, wie gesagt, ohnehin mit dem “normalen” Steuersatz von 16 Prozent besteuert werden.

Und man kann nun spekulieren, ob von Gabriel womöglich gar nicht Pornohefte, sondern “Schmuddelhefte” (also frei verkäufliche Druckerzeugnisse mit mehr oder weniger nackten, sexuell anregenden Inhalten wie “Playboy”, “Coupé”, “Bild”…) gemeint waren, um deren Besteuerung offenbar schon länger gestritten wird. Man kann es auch mit Recht schlimm finden, dass Politiker öffentlich über Dinge reden, von denen sie offensichtlich nichts verstehen, aber…

… aus dem Porno-Unsinn eine ähnlich unsinnige Seite-1-Schlagzeile machen und ohne jeden Sachverstand daherreden, Pornohefte könnten in Deutschland bald deutlich teurer werden”, kann man eigentlich nicht.

“Bild” hat es getan.

Meistzitierter Unsinn

Die “Bild”-Zeitung schreibt Blödsinn, und alle schreiben’s ab. Die rührende Geschichte von den “Unfallforschern”, die angeblich “ermittelt” hätten, was doch nur eine schlichte Umrechnung von Stundenkilometern in Meter pro Sekunde ist, zieht Kreise.

Nachrichtenagentur ddp, 3. Mai, 03:16 Uhr:

Laut “Bild” ermittelten Unfallforscher, dass ein Auto bei einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde etwa 14 Meter pro Sekunde ungebremst weiterfährt, während der Fahrer nach einer fallengelassenen Zigarette sucht.

Nachrichtenagentur AFP, 3. Mai, 04:25 Uhr:

Laut “Bild” ermittelten Unfallforscher, dass ein Auto bei einer Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometer etwa 14 Meter pro Sekunde ungebremst weiterfährt, während der Fahrer nach einer fallengelassenen Kippe sucht.

Nachrichtenagentur vwd, 3. Mai, 06:30 Uhr:

Laut “Bild” ermittelten Unfallforscher, dass ein Auto bei einer Geschwindigkeit von 50 km pro Stunde etwa 14 m pro Sekunde ungebremst weiterfährt, während der Fahrer nach einer fallengelassenen Zigarette sucht.

sueddeutsche.de, unter Bezug auf dpa/AP, 3. Mai, 08:16 Uhr:

Laut Bild ermittelten Unfallforscher, dass ein Auto bei einer Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometer etwa 14 Meter pro Sekunde ungebremst weiterfährt, während der Fahrer nach einer fallengelassenen Kippe sucht.

diepresse.com, 3. Mai:

Nach Angaben der “Bild” ermittelten Unfallforscher, dass ein Auto bei einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde etwa 14 Meter pro Sekunde ungebremst weiterfährt, während der Fahrer nach einer fallen gelassenen Zigarette sucht.

Nachrichtenagentur AFP, 3. Mai, 16:29 Uhr:

Laut “Bild” ermittelten Unfallforscher, dass ein Auto bei einer Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometer etwa 14 Meter pro Sekunde ungebremst weiterfährt, während der Fahrer nach einer fallengelassenen Kippe sucht.

Nachrichtenagentur ddp, 4. Mai, 08:41 Uhr:

Laut “Bild”-Zeitung ermittelten Unfallforscher, dass ein Auto bei einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde etwa 14 Meter pro Sekunde ungebremst weiterfährt, während der Fahrer nach einer fallengelassenen Zigarette sucht.

usw. usf.

Und mit zunehmender Zeit nimmt die Fehlerhaftigkeit natürlich nicht ab, sondern zu. Bei “Stern Online” ist aus den “Unfallforschern” schon eine ganze “Studie” geworden, die plötzlich zu Ergebnissen kommt, die nur scheinbar mit den bekannten “Ermittlungen” identisch sind:

Nach Auffassung des SPD-Verkehrsexperten Peter Danckert kann eine brennende Zigarette den Fahrer jedoch ebenso wie ein klingelndes Telefon ablenken. Er verwies auf eine Studie, nach der ein 50 Stundenkilometer schnelles Auto mindestens 14 Meter weiterrolle, wenn der Fahrer nach einer Zigarette sucht.

(Tja, daraus könnten Unfallforscher Siebtklässler dann errechnen, dass das Suchen nach einer heruntergefallenen Zigarette mindestens etwas mehr als eine Sekunde dauerte.)

Jetzt wissen wir, was es bedeutet, dass “Bild” die meistzitierte deutsche Tageszeitung ist.

Danke auch an Michael B.