Archiv für April 12th, 2005

Allgemein  

“Jetzt” II

Das ist eine merkwürdige Frage, die die “Bild am Sonntag” am vergangenen Wochenende stellte:

Spionierte ER den Papst für die Stasi aus?

Merkwürdig nicht nur, weil die “BamS” die Antwort kennt und diese Antwort unwidersprochen ist: Ja, dieser Mann spionierte den Papst für die Stasi aus. Merkwürdig auch, weil diese Antwort seit vielen Jahren bekannt ist.

Ein Teil der Geschichte stand bereits am 17. Januar 1999 in der “Bild am Sonntag”:

Die Stasi bespitzelte sogar den Papst. Das geht aus Unterlagen der Gauck-Behörde hervor, die erst jetzt entschlüsselt werden konnten. Danach lieferten zwei Spione mit den Decknamen “Lichtblick” und “Antonius” 760 Informationen aus dem Vatikan an Markus Wolfs Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) in Ostberlin (…). “Antonius” wurde in den 60er Jahren angeworben und soll für die Katholische Nachrichtenagentur gearbeitet haben.

Wer sich hinter “Antonius” und “Lichtblick” verbarg, ist ebenfalls schon lange kein Geheimnis mehr. Nachzulesen war es z.B. in der Ausgabe 1/2000 der kritischen Kirchenzeitschrift “Imprimatur”. Bernd Schäfer vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden nannte darin nicht nur den Namen des IM “Antonius”, sondern auch, was aus ihm wurde:

Nach seinem Ausscheiden aus der [Katholischen Nachrichtenagentur] KNA wurde er, trotz kirchlicher Kenntnis über seine MfS-Verbindungen, Leiter der Koblenzer Pressestelle des Bistums Trier und inzwischen sogar Ordinariatsrat.

Diese Karriere kann man — wie Schäfer — scharf kritisieren. Aber was die “Bild am Sonntag” aufschreibt und was laut “Bild am Sonntag” “jetzt entschlüsselt” wurde, ist lange bekannt. Die “BamS” erzählt es einfach alles noch einmal nach und tut so, als sei es neu. Kein Wunder, dass der Trierer Bistumssprecher gegenüber der Zeitung “Trierischer Volksfreund” den Bericht als “Alten Hut” bezeichnet:

“Das ist doch alles lange bekannt, eine uralte Geschichte. (…) Wir wissen, was damals gelaufen ist. Die Einstellung des Mannes lief unter dem Stichwort Versöhnung. Das steht uns Christen gut an.”

Danke an Tim R. für den sachdienlichen Hinweis.

Ups, verfragt

Hallo zusammen, schön, dass Sie Zeit gefunden haben, an unserem kleinen Kurs “Journalismus für Anfänger” teilzunehmen. Beginnen wir gleich mit der ersten Lektion: “Wie stelle ich die richtigen Fragen?” Nehmen wir einmal an, eine Sängerin sei nach Manipulationsvorwürfen aus den deutschen Musik-Charts ausgeschlossen worden. Weil sie sich in diesen Charts gut platziert hatte, durfte sie über eine “Wildcard” am Vorentscheid zum Schlager-Grand-Prix teilnehmen. Dort wurde sie von den Fernsehzuschauern zur Siegerin gewählt und darf nun nach Kiew zum Finale reisen. Was wäre dann die Frage, die wir stellen müssten? Irgendwelche Vorschläge? Ja, da hinten, die Herren Schommers und Wos von “Bild”?

Chart-Verbot für Gracia. Darf sie jetzt noch für Deutschland beim Grand-Prix singen?

Richtig. Gut gemacht. Nun müssen wir uns nur noch entscheiden, wem wir diese Frage stellen sollten. Wir haben da mal ein paar Antwortmöglichkeiten vorgegeben:

a) Dem Bürgermeister von Kiew.
b) Dem “Hitparaden”-Gründer Dieter Thomas Heck.
c) Irgendeiner Frau, die ihre Brüste zeigt.
d) Dem deutschen Grand-Prix-Chef.

Na, Herr Schommers? Herr Wos?

Darf Gracia jetzt noch beim Grand Prix auftreten?

Hitparaden-Gründer Dieter-Thomas Heck (67) zu BILD: „Nein. Wenn gemogelt worden ist, dann ist Gracia raus. Dann darf sie nicht nach Kiew.“

Ah, schade, falsch. Nein, Herr Schommers, c) ist auch nicht richtig. Die richtige Antwort wäre d) gewesen, und schauen Sie mal, Herr Schommers, Herr Wos, die Nachrichtenagentur AP wusste das und hat für Sie schon beim deutschen Grand-Prix-Chef nachgefragt und um 16.41 Uhr seine Antwort gemeldet:

“Gracia bleibt die Vertreterin Deutschlands beim Eurovision Song Contest am 21. Mai in Kiew”, erklärte NDR-Unterhaltungschef Jürgen Meier-Beer in Hamburg.

Was sagen Sie, Herr Schommers? Wenn das so ist, hätten Sie ja auch gar nicht schreiben können, dass das “der größte Skandal der deutschen Grand-Prix-Geschichte” sei? Eben, Herr Schommers. Eben.