Archiv für April 11th, 2005

Abstieg in die Niveaulosigkeit

Jürgen Richter war von 1994 bis 1998 Vorstandsvorsitzender des Axel Springer Verlages, in dem “Bild” erscheint. Privat hat er ein Faible für Ferrari. Soviel vorweg.

Am vergangenen Mittwoch gab er der “Süddeutschen Zeitung” ein Interview, in dem er Springer und nicht zuletzt die “Bild”-Zeitung kritisierte.

“Ich habe Bild 30 Jahre lang gelesen, um mich aktuell zu informieren. Mir hat die Mischung damals immer gefallen. Heute verzichte ich auf die Zeitung. Der Akzent hat sich zu sehr in Richtung Gesellschaft, Skandale und Kampagnen verschoben – ein solider, neutraler Überblick über Wirtschaft und Politik fehlt. Es ist bedenklich, dass da jetzt sogar pornographische Texte erscheinen – von da ist weiterer Abstieg in die Niveaulosigkeit sehr leicht.”

Einen Tag später stand neben dem täglichen Busenmädchen auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung folgender Text:

Alexandra ist sauer auf Ferrari-Jürgen

Mann, war das eine Enttäuschung! Alexandra hat in der Disco den feschen Jürgen kennengelernt. Der machte flotte Sprüche, große Versprechungen und fuhr bei Alexandra im knallroten Ferrari vor. Nach der Spritztour dann der Schock: Der flotte Jürgen — nix als heiße Luft! Und abgehauen ist er auch noch. Aber immerhin weiß Alexandra jetzt: “Je größer der Flitzer, desto kleiner der Schaltknüppel!”

Sage niemand, dass die “Bild”-Zeitung auf den Vorwurf, sie sei niveaulos und pornographisch, nicht angemessen reagiere.

(Nach einem Bericht des “Spiegel”.)

Nachtrag, 15. April: Mehr über “Alexandra” steht hier.

Wie der Blinde vom Sehen

Da freuen sich die Rechtschreib-“Experten” bei “Bild”, und schlagzeilen anlässlich der Vorschläge der Arbeitsgruppe des Rats für Rechtschreibung, einige Regelungen der Rechtschreibreform wieder zu ändern:

Schlechtschreib-Reform: Endlich ändert sich was!

Im Text heißt es dann, der Rat für Rechtschreibung wolle die “schlimmsten Murks-Regeln der Schlechtschreibreform kippen”, und “Bild” behauptet, dass “kaum eine wichtige Neuerung überleben” wird, wofür sie Rechtschreibrats-Mitglied Theodor Ickler als einzigen Kronzeugen heranzieht* (ohne zu erwähnen, dass seine Auffassung nicht ganz unumstritten ist). Nun ja, dass “Bild” (übrigens ebenso wie Ickler) nicht gerade von der Rechtschreibreform begeistert ist, wissen wir ja.

Dass “Bild” weder in neuer noch in “bewährter” oder “klassischer” Rechtschreibung, wie sie es nennt, besonders bewandert ist, wissen wir zwar auch, müssen aber trotzdem mal wieder darauf hinweisen*. Zumal sie vollmundig schreibt: “BILD sagt, was jetzt Sache ist.” Unter anderem sei das die Tatsache, dass “fast alle Wörter” wieder “zusammengeschrieben” werden dürften. Und auch, wenn wir davon ausgehen*, dass “Bild” mit “fast alle Wörter” nur diejenigen Wortgruppen meint, die eine idiomatisierte Gesamtbedeutung haben (so jedenfalls der Vorschlag der Arbeitsgruppe), wirft der Kasten, den “Bild” hier wohl als Service anbieten will (siehe Ausriss), doch einige Fragen auf: Warum taucht beispielsweise auf der “bisher”-Seite der Begriff “kalt stellen” auf, wenn doch nach den “Murks-Regeln” “kaltstellen” richtig ist (außer “Bild” dachte an einen Pudding, den man allerdings auch vor der Reform schon “kalt stellen” musste)? Und warum steht dort “fest nageln”, wenn es doch nach den “Murks-Regeln” “festnageln” heißt? Falsch geschrieben ist übrigens auch “kopf stehen”, da es sich hierbei um eine Zusammensetzung aus nicht verblasstem Substantiv und Verb handelt, die folglich “Kopf stehen” geschrieben wird. Bei “Acht geben” sollen nach dem Änderungsvorschlag beide von “Bild” gegenüberstellten Schreibweisen möglich sein. Ebenfalls nicht begriffen hat “Bild” offenbar, dass “vorher gehen” schon immer getrennt geschrieben wurde, wenn damit “früher gehen” gemeint ist. Wird der Begriff jedoch im Sinne von vorausgehen* gebraucht, wird er, “Murks-Regeln” hin oder her, zusammengeschrieben*.

*) Alle gekennzeichneten Wörter wurden nach den Regeln der reformierten Rechtschreibung zusammengeschrieben.