Archiv für April 10th, 2005

Nicht neu: “Bild” tut Grünen-Politiker Unrecht

Sinnentstellende Montagetechniken beherrscht “Bild” übrigens nicht nur beim Arrangement aus dem Zusammenhang gerissener Zitate. Das geht auch mit Fotos.

Grad jüngst zum Beispiel sah’s so aus, als illustriere “Bild” ihre Berichterstattung über den “Grüne Jugend”-Sprecher und Graffiti-Befürworter Stephan Schilling mit einem großen Foto, das ihn vor einer fies beschmierten Häuserwand zeigt.

Nur gibt es dieses Foto gar nicht.

Zwar hatte sich Schilling tatsächlich für “Bild” vor einer Graffiti-Wand fotografieren lassen, wie er sagt, wenn man ihn fragt. Doch habe man sich ausdrücklich darauf verständigt, dass ihn die Fotos “nicht vor irgendwelchen Schmierereien” zeigen. Das Foto, so Schilling, sei dauraufhin auf einem alten Fabrikgelände vor einer Wand bei einem Jugendfreizeitklub entstanden – und sieht deshalb ursprünglich genau so aus wie das bei Bild.de (siehe Ausriss links).

Für die gedruckte “Bild” hingegen (siehe Ausriss rechts) wurde das Originalfoto manipuliert: Die farbenfrohe Graffiti-Wand im Bildhintergrund wurde gegen eine weitaus tristere, mehrere Kilometer entfernt und ohne Schilling entstandene Aufnahme ausgetauscht. Und selbst die dazugehörige “Bild”-Formulierung über Schilling (“Findet Graffiti (wie auf dem Foto im Hintergrund) in Ordnung”) wirkt derart suggestiv montiert, als wolle sie in die Irre führen und die Wirklichkeit bewusst verschleiern.

Aber wie gesagt: Dass (und wie) sich “Bild” gern kritisch mit Politikern der Grünen auseinandersetzt, ist ja nicht neu.

Neu: “Bild” tut CDU-Politiker Unrecht

Man kann geteilter Meinung darüber sein, wie sinnvoll es ist, Graffiti-Sprayer strafrechtlich und per Hubschrauber zu verfolgen. Man kann das beispielsweise gut finden. Oder auch nicht. Der 21-jährige Stephan Schilling hat sich eher für Letzteres entschieden, wofür er von der “Bild”-Zeitung am gestrigen Samstag als “Milchgesicht” bzw. “grünes Milchgesicht” beschimpft wurde – und als “Chef der ‘Grünen Jugend'” bezeichnet, wiewohl er doch nur deren Sprecher ist. Aber naja: Dass (und wie) sich “Bild” gern kritisch mit Politikern der Grünen auseinandersetzt, ist nicht neu und bekannt.

Wirklich übel mitgespielt hat die “Bild” diesmal aber weniger dem “Milchgesicht” Schilling als vielmehr dem Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin, Christoph Stölzl (CDU). Denn unmittelbar im Anschluss an den O-Ton eines FDP-Politikers, der laut “Bild” einen Rücktritt Schillings fordere und ihm “ein gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat” unterstellt, folgt ein Zitat Stölzls – genauer gesagt, dieses:

“Hier zeigt sich die häßliche Fratze der Freude am Rechtsbruch!”

Und in der Tat hat Stölzl das gesagt – als Teilnehmer am “1. Internationalen Anti-Graffiti-Kongress” nämlich, der (von “Bild” leider mit keinem Wort erwähnt) am vergangenen Donnerstag in Berlin stattfand. Nur: Stölzls umstrittenes Zitat bezieht sich offenbar mitnichten auf Schilling, wie “Bild” sogar mühelos in anderen Tageszeitungen aus dem Axel Springer-Verlag hätte nachlesen können. Dort nämlich heißt es:

“Christoph Stölzl (CDU), bezeichnete Graffiti als ‘abgestandenen Abfall der Comic-Malereien der 60er Jahre. Hier zeigt sich die häßliche Fratze der Durchsetzungs-Gesinnung und der Freude am Rechtsbruch.’
(“Berliner Morgenpost” vom 8.4.2005)

Oder noch kürzer:

“‘Hier zeigt sich die häßliche Fratze der Freude am Rechtsbruch.’ Christoph Stölzl (CDU) über Graffiti
(“B.Z.” mit Datum vom 7.4.2005)

Mit Dank an Arne S. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 22:47:
Schilling selbst findet es übrigens okay, dass man ihn als “Chef” bezeichnet.