Archiv für April 5th, 2005

Kritik ist Blasphemie

Die “Bild”-Zeitung hat viel mit der katholischen Kirche gemein. Beide haben einige Leichen im Keller. Bei beiden schrumpft hierzulande die Zahl der Anhänger. Beide teilen die Welt in Gut und Böse. Beide lieben das Okkulte und stehen der Aufklärung skeptisch gegenüber. Und beide pflegen eine Kultur des Gehorsams, nicht der Diskussion.

Am Montag hatte “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann in einem Kommentar auf Seite 1 über Johannes Paul II. geschrieben:

Ein Papst dieser Art darf, ja muß umstritten sein.

Er meinte damit natürlich nicht, dass über den Papst und seine Entscheidungen gestritten werden darf. Entscheidungen des Papstes sind nicht dazu da, Diskussionen anzuregen, sondern befolgt zu werden. Das weiß auch die “Bild”-Zeitung.

Anfang dieses Jahres hatte der Vatikan noch einmal unmissverständlich deutlich gemacht, dass die katholische Kirche Kondome als Mittel ablehnt, die Aids-Epidemie einzudämmen, an der im vergangenen Jahr weltweit über 3 Millionen Menschen starben:

“Wir akzeptieren den Gebrauch von Präservativen nicht, nicht einmal zur Lösung des Aidsproblems.”

Wer eine andere Meinung hat, ist ein Ketzer und wird von “Bild” mit unnachgiebiger Härte verfolgt. Am 22. Februar 2005 wagte es der Entertainer Jürgen von der Lippe, in einem Interview mit der Münchner “Abendzeitung” Folgendes zu sagen:

(…) was der Papst von sich gibt, streift meiner Ansicht nach den Rand der Schwerkriminalität. Ich finde es einfach schlimm, wenn man zum Beispiel Kondome sogar zur Aids-Prävention oder gar HIV-Kranken verbietet.

Am Tag darauf machte “Bild” ihn deshalb zum “Verlierer des Tages”.

Was ist denn in den gefahren? Jürgen von der Lippe (56), heute als katholischer Priester im TV („Der Heiland auf dem Eiland“), beleidigt den Heiligen Vater, der sich gegen Verhütung ausspricht. (…)

BILD meint: Wohl von Sinnen, von der Lippe!

Von der Lippes Begründung für seine Aussage nannte “Bild” nicht.

Am vergangenen Sonntag wagten es mehrere Menschen in der Talkshow “Sabine Christiansen”, Kritik an der konservativen Linie des verstorbenen Papstes zu üben. “Bild”-Kolumnist Franz-Josef Wagner nennt diese Sendung heute deshalb eine “Schande-Talkshow” und die Papst-Kritiker “böse, rechthaberische Männer”.

Da hackten die Leichenfledderer Heiner Geißler und Hans Küng, linker Theologe, dem der Papst die Lehrerlaubnis entzogen hat, auf den Toten ein.

Zölibat, Kondome, Aids. Frau Christiansen, die Karriere-Frau ohne Kinder, stellte die Frage nach der Rolle der Frau. (…)

Ihre Talkshow, Frau Christiansen, war das Dümmste, was ich jemals sah. Sie verkürzen die Frage des Glaubens nach Karriere und Spaß im Bett. Gott verzeiht, ich nicht.

Eine andere Frage ist es, warum die ARD Ihnen erlaubt hat, auf den Papst zu spucken. Wann waren Sie das letzte Mal in der Kirche, Frau Christiansen?

Natürlich ist der Papst nicht die einzige Autorität, an der sich Kritik grundsätzlich verbietet. Da ist auch noch “Bild”-Kolumnist Franz Beckenbauer, den das Blatt im Jahr 2000, nachdem er die WM nach Deutschlang holte, fast ganzseitig als Denkmal zeigte, mit der Inschrift:

“Dem deutschen Fußballkaiser Franz Beckenbauer zu Dank und ewiger Erinnerung.”

Am vergangenen Wochenende wagte es der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, sich gegen Franz Beckenbauer als Uefa-Präsidenten äußern. Entsprechend diskussionslos ist Cohn-Bendit heute “Verlierer des Tages” in “Bild”.

(Alle Hervorhebungen von uns.)

Nachtrag, 20.45 Uhr. … und der evangelische Bischof Wolfgang Huber ist für “Bild” “Gewinner des Tages”, weil er bei “Christiansen” die “plumpe Papst-Kritik” der anderen Talkshow-Teilnehmer angriff.

Danke an Stefan E. für den Hinweis.

“Jetzt”

Gibt es wirklich so viel Neues zu berichten, seit der Papst im Sterben lag und starb, um damit Tag um Tag mehrere “Bild”-Seiten zu füllen? Aber ja – zum Beispiel dies:

“Ich war die Jugendfreundin von Karol Wojtyla”

Jedenfalls steht das heute so in “Bild” (online zunächst mit dem Zusatz: “Helena Kwiatkowska lüftet ihr Geheimnis in einem Buch”). Und weiter heißt’s in “Bild” dann noch:

“Über ihre Begegnungen mit Karol alias Johannes Paul II. schrieb Halina Kwiatkowska jetzt ein Buch. Titel: ‘Der große Freund’.”
(Hervorhebung von uns.)

Aber naja: Bekannt geworden waren die harmlosen Erinnerungen Halina Kwiatkowskas (spätestens) im Jahr 2002 anlässlich eines Klassentreffens mit dem Papst am Ende seiner achten Polenreise, über das damals u.a. auch “Bild”-Vatikanreporter Andreas Englisch fürs “Hamburger Abendblatt” berichtete, und standen zum Teil auch recht ausführlich (siehe z.B. hier) in Kwiatkowskas Memoiren “Porachunki z pamięcią” (dt.: “Abrechnungen mit der Erinnerung”), erschienen im Frühjahr 2002.

Und das andere Buch? Das Buch, das die “wichtigste Jugendfreundin des Papstes” und “erste Liebe von Johannes Paul” laut “Bild” ja “jetzt”, äh, “schrieb”? Das hat 160 Seiten, trägt den Titel “Wielki kolega” (dt.: “Großer Freund”) und ist im Jahr 2003 erschienen.

Mit Dank an Cosima L. fürs Polnisch.

Ein Bild, zwei “Bild”-Meinungen

Arsenal London, dessen Torwart Jens Lehmann ist, flog bekanntlich gegen Bayern München, dessen Torwart Oliver Kahn ist, aus der Champions-League. Und Kahn und Lehmann sind bekanntlich beide in der Deutschen Nationalmannschaft, wo sie um den Posten des StammTorhüters konkurrieren. Soweit so gut. Morgen nun steht Bayern gegen Chelsea London im Viertelfinale. Und jetzt dies:

Lehmann plötzlich Kahn-Fan

So steht es heute in “Bild”, weil Lehmann über Kahn sagt, “Ich wünsche ihm den Sieg”. “Bild” illustriert die Geschichte u.a. mit diesem Foto:

Und in der Bildunterzeile steht:

Fair: Nach dem Champions-League-Aus von Arsenal gratuliert Londons Jens Lehmann (l.) Oliver Kahn zum Viertelfinal-Einzug

Das gleiche steht auch in der Online-Ausgabe unter einem anderen Foto, nämlich diesem hier:

Sehen wir mal davon ab, dass Bild.de hier also das falsche Foto eingebaut hat, weshalb die Unterzeile nicht mehr stimmt (Kahn, nicht Lehmann, steht links). Viel interessanter ist nämlich, dass das Tätschelfoto schon einmal in “Bild” abgedruckt wurde. Und schon damals konnte man dort quasi nachlesen, dass es nur einen Wimpernschlag nach dem Händedruckfoto entstand (“Ein Händedruck unter Männern”). – Trotzdem wurde es in einen völlig anderen Zusammenhang gestellt:

Ja was denn nun? “Demütigt” Kahn hier tatsächlich Lehmann, wie “Bild” am 24. Februar auf der Titelseite schrieb? Gratuliert Lehmann hier Kahn, wie heute bei Bild.de steht? Stammen die Fotos aus dem Achtelfinal-Hinspiel oder doch eher aus dem Rückspiel? Sucht man sich bei “Bild” etwa völlig Ereignis unabhängig Fotos zusammen, um dann irgendwelchen Quatsch drunter zuschreiben, der zwar mit der Wahrheit nichts zu tun hat, dafür aber zur Geschichte passt? Und was sagt das eigentlich über den Wahrheitsgehalt der Geschichten selbst aus?

Zumindest eine Frage lässt sich definitiv beantworten: Die Fotos wurden im Achtelfinal-Hinspiel aufgenommen und nicht, wie “Bild” behauptet, “nach dem Champions-League-Aus von Arsenal”. Bei der Beantwortung der anderen Fragen kann man sich nicht hundertprozentig sicher sein.

Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Markus.

Nachtrag, 18.35 Uhr:
Das Tätschelfoto auf Bild.de wurde inzwischen durch das Händedruckfoto ersetzt. Da man aber bei Bild.de offenbar Fehler von “Bild” nicht einfach so verbessern darf, steht die falsche Behauptung, der Händedruck habe “nach dem Champions-League-Aus von Arsenal” stattgefunden, immer noch da.