Archiv für September 10th, 2004

Tränen, Blut, Schreie

Wie findet “Bild” eigentlich Mädchen, die sich piercen oder tätowieren lassen? Geil. In Wort und — vor allem — Bild präsentiert das Blatt gerne die Resultate. “Bild” zeigt “sexy Girls mit ‘Nippel-Sonnen'”, erklärt ungewöhnliche Piercings für angesagt, gibt Tipps zum Selbermachenlassen (“schon etwas schmerzhaft”) und sucht seit Wochen Deutschlands schönstes “Arschgeweih”, jene “heißen Hingucker”, “zauberhaften”, “sexy Bildchen”, “Tattoo-Rücken, die entzücken”. Body-Modification? Yes please!

Äh, außer:

…heute riesengroß auf Seite 1 der “Bild”. Was ist passiert? “Big Brother”-Kandidatin Daniela hat sich im Container vor laufenden Kameras piercen lassen. Resultat, laut “Bild”:

Tränen, Blut, Schreie.

Oder genauer, nicht laut “Bild”: Keine Tränen, kein Blut, ein Schrei. “Bild” behauptet:

“Big Brother” bricht letztes Tabu.

— och, da würden uns noch ein paar letztere einfallen. Und wo wir gerade dabei sind: Sado-Maso hat mit Folter nichts zu tun, Folter hat mit Piercings nichts zu tun, Piercings haben mit Sado-Maso nichts zu tun.

Warum lässt sich dieses Mädchen vor der TV-Kamera quälen?

Vielleicht weil sie auch so geil aussehen will wie die gepiercten “Bild”-Mädchen und keine Lust hatte auf ein Ansteck-Plastik-Piercing aus dem Kaugummiautomaten?

…widerliche Bilder von einem Busen-Piercing…

So widerlich, dass “Bild” seinen Lesern auch extra nicht mehr als drei Großaufnahmen davon zumutet. Na gut: vier.

Sadomaso-Folter im deutschen TV — jetzt wollen Politiker den Irrsinn stoppen!

Mit anderen Worten: Klicken Sie vor dem Verbot schnell noch rechts neben den Artikel, wo “hier geht’s zum BB-Livestream” steht. Von den 0,98 Euro, die 12 Stunden Big Brother Live kosten (mögliche Sado-Maso-Folter inklusive), kommt ein Teil einem guten Zweck zugute: bild.de.

Allgemein  

Geheime “Bild”-Quelle enttarnt!

Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, wie “Bild” immer an diese Exklusivmeldungen und Geheimpapiere kommt? Wie gestern, als das Blatt auf einer halben Seite einen “Geheimbrief an die Formel-1-Bosse” enhüllte, der “Bild” “vorlag”?

Klar, an sowas kommt man nicht einfach so. Da muss man sich über Jahre Kompetenz erarbeiten, muss Kontakte pflegen, Telefonnummern sammeln, Archive durchpflügen und im entscheidenden Moment zuschlagen und die brandheiße Ware veröffentlichen, möglichst ohne dabei die Quelle zu verbrennen, aber zur Not auch ohne Rücksicht auf Verluste. So geht das mit den Geheimpapieren.

Oder, im konkreten Fall: Man geht auf die Homepage des Rennsportverbandes FIA, klickt auf “Pressemitteilungen” und lädt sich die Geheimdokumente zwei Tage, nachdem sie dort veröffentlicht wurden, hier und hier herunter. Ach so, und damit die Geschichte heiß wird, muss man natürlich die Tatsache, dass es sich bei dem Inhalt um Vorschläge für mögliche Veränderungen handelt, ignorieren und so tun, als seien es bereits beschlossene Vorschriften.

Danke für den sachdienlichen Hinweis an Alexander S.