Archiv für September, 2004

Das alte Lied

Eigentlich ist die Überschrift “Gottschalk trommelt für deutschen Pop” ja ganz pfiffig. Meint das Wort “trommeln” doch u.a., dass jemand musiziert, was natürlich hervorragend zum “Pop” als Musikrichtung passt. Da es in dem zugehörigen “Bild”-Artikel aber um die gestern vorm Kulturausschuss des Bundestags diskutierte Frage nach einer Radio-Quote für deutschsprachige oder in Deutschland produzierte Musik geht, dürfte wohl eher die übertragene, umgangssprachliche Bedeutung von “trommeln” gemeint sein, die der Duden folgendermaßen definiert:

tro.m|meln [spätmhd. trumelen]: 1. a) die Trommel (1) schlagen: laut t.; Übertragung: weil die Gewerkschaften für die 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich trommeln (ugs.; mit Eifer dafür Werbung, Propaganda machen…)

Gottschalks eifrige Werbung liest sich dann allerdings so:

Nur dass ein Titel deutsch gesungen wird, sollte ihm nicht das Recht geben, zwangsaufgeführt zu werden. (…) Quote für deutsche Produktionen geht in Ordnung – was die Sprache betrifft, hielte ich sie für bedenklich.

Vielleicht ist die Überschrift also doch viel weniger pfiffig als irreführend.

Schlagzeilt “Bild” zu schnell?

“Schießt unsere Polizei zu schnell?”, fragt “Bild” in großen Lettern neben der Abbildung eines SEK-Beamten mit “Waffe im Anschlag”. Denn: “In Gießen wurde ein 77-jähriger Rentner vom SEK getötet, der sich gegen die Zwangsräumung [seiner Wohnung] wehrte.” Mit einer Waffe, wohlgemerkt. Aber: “Schon das dritte Opfer dieses Jahr.”

“Im letzten Jahr töteten Polizisten bundesweit nur drei Menschen. Niedrigster Stand seit 30 Jahren. Und jetzt ist diese Zahl allein in Hessen eingestellt. Vermutung: Seit dem Mord an Radar-Polizist Günter K[.] (41) auf der A4 im Januar 2000 haben Hessens Ordnungshüter einen nervösen Finger” bzw. fühlen sich “als Freiwild”.

War der Tod des Kollegen womöglich

Noch mal zum Mitdenken: Seit dem Mord an Günter K. im Jahr 2000 sollen hessische Polizisten schneller zur Waffe greifen als vorher, obwohl 2003 “bundesweit nur drei Menschen” bei Polizeieinsätzen getötet wurden.

Gibt es denn Indizien, die eine solche Vermutung rechtfertigen?

Nein, sagt ein Sprecher des hessischen Innenministeriums: “Der Einsatz steht immer in Zusammenhang mit lebensbedrohlichen Situationen für die Polizeibeamten oder Dritte.”

Nein, sagt auch “ein Schieß-Experte zu BILD”: “In Notwehrsituationen zielt man da hin, wo die Trefferwahrscheinlichkeit oder der [sic] Wirkung am höchsten ist (…).”

Nein, sagt außerdem der Sprecher des “sonst stets kritischen” Bunds Deutscher Kriminalbeamter: “Das Training [mit der Waffe] hat sich in den letzten Jahren stark verbessert (…).”

Dem hat auch “Bild” nichts mehr hinzuzufügen.

We are the Champions V

Heute in “Bilds” “In & Out”-Liste: die “1a-Sahne-CD-Sammlung ‘HÖRZU präsentiert 10 Meisterwerke der Klassik’ (EMI Classic)”. Und aus welchem 1a-Sahne-Verlag stammt noch gleich “Hörzu”, diese 1a-Sahne-Fernsehzeitschrift? Richtig, aus dem 1a-Sahne-Axel-Springer-Verlag, der auch “Bild” herausgibt, diese 1a-SahneHalt! Das geht zu weit, nicht mal im Scherz.

(Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Daniel W.)

Ein dringendes Bedürfnis

Das Ende der Schlechtschreibung rückt näher!

So steht’s mal wieder in “Bild”, und der Text dazu klingt, als sollte man das tatsächlich Ernst nehmen:

Der Kulturausschuss der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verlangt jetzt in einem Dringlichkeitsantrag vom Bundestag, die neuen Regeln zu stoppen. Die Abgeordneten sollen die Länder auffordern, “alsbald eine abschließende Entscheidung bezüglich der Regeln” zu treffen.

Interessant daran ist, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gar keinen eigenen Kulturausschuss hat, nur so eine Art Arbeitsgemeinschaft, die sich gelegentlich trifft, um kulturpolitische Fragen zu diskutieren. Tatsächlich wurde in dieser AG kürzlich auch über die Rechtschreibreform gesprochen. Fragt man allerdings bei der Fraktion nach, weiß dort niemand etwas von einem Dringlichkeitsantrag oder sonstigem Beschluss, der vom Bundestag fordert, “die neuen Regeln zu stoppen”.

Andererseits könnte man nach der “Bild”-Lektüre sogar glauben, dass eine derartige Forderung Erfolg haben könnte, schließlich zitiert “Bild” nicht nur aus dem vermeintlichen “Dringlichkeitsantrag”, sondern auch Peter Gauweiler. Und Gauweiler seinerseits sorgte als bekennender Rechstschreibreformgegner nicht nur kürzlich in erwähnter CDU/CSU-AG für entsprechende Diskussionen, er ist auch stellvertretender Vorsitzender des Kulturausschusses des Bundestags, in dem sieben CDU/CSU-, sieben SPD-, zwei Grünen- und ein FDP-Politiker sitzen – weshalb man ihn auf keinen Fall mit dem nichtexistenten Kulturausschuss der CDU/CSU-Fraktion verwechseln sollte. Und dieser Gauweiler sagte “Bild” offenbar:

Der Bundestag hat bereits vor acht Jahren die Rechtschreibreform kritisiert. Es ist Zeit, dass diesen Worten jetzt Taten folgen.

Ob Peter Gauweiler mit dem Wort “kritisiert” wohl halbherzige Formulierungen wie die folgenden meint?

Der Deutsche Bundestag nimmt mit Besorgnis zur Kenntnis, daß die Art und Weise der Umsetzung der Rechtschreibreform und ihre Inhalte bei den Bürgern unseres Landes ein hohes Maß an rechtlicher und sprachlicher Unsicherheit über die deutsche Rechtschreibung hervorgerufen haben.

Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass Gauweiler “gutachterliche, publizistische, Vortrags- oder sonstige Tätigkeiten” für die Axel-Springer-Verlag AG wahrnimmt bzw. von Zeit zu Zeit in “Bild” und “BamS” Kommentare schreibt.

Feiern verboten, singen erst recht

So was tut man doch nicht!

Sie lacht, sie feiert, sie tanzt. So, als ob alle Sorgen dieser Welt ganz weit weg wären. Patricia Blanco (32), Tochter des untreuen ‘Ein-bisschen-Spaß-muss-sein’-Sängers Roberto Blanco (67), trat trotz der bitterbösen Scheidungs-Affäre ihrer Eltern auf dem Münchner Oktoberfest auf, sang ganz wie Papa im Festzelt von Unternehmerin Regine Sixt.”

Frech, oder?

Aber: Apropos Papa – wo ist der überhaupt derzeit? “Wir wissen nicht, wo er ist”, hat “Bild” Patricia Blanco entlockt und berichtet hinterher stolz: “BILD fand Roberto Blanco (…)”.

Vermutlich war er bereits auf dem Weg nach Frankfurt, wo er am Donnerstag – wie gestern in einer halbseitigen Anzeige in der “Bild”-Lokalausgabe zu lesen war – ein Einkaufszentrum eröffnen wird (17 Uhr) – sicher ohne dabei zu lachen, zu feiern und zu tanzen, sondern mit schmerzverzerrtem Gesicht.

Polizist. Tot!

Ein Rentner aus Gießen wehrte sich mit einer Pistole gegen die Zwangsräumung seiner Wohnung. Die Polizei versuchte, die Situation in den Griff zu bekommen. Und “Bild” titelt:

Wie aber kam es zu dem Unglück?

Der 77-Jährige hatte sich in seiner Wohnung verschanzt. Als die Polizei die Wohnung stürmen wollte, schoss der Rentner.

Und dabei ist einer der Polizisten ums Leben gekommen?

Nein, ganz und gar nicht. Eigentlich war’s nämlich so, weiß “Bild” im Text zur Schlagzeile:

“Zwei Mal schießt das SEK zurück. Eine Kugel trifft den wütender [sic] Mann tödlich.”

Nicht der Polizist, sondern der Rentner ist also bei dem Einsatz ums Leben gekommen. Und “Bild” schließt mit dem Satz: “Kein Beamter verletzt.”

We are the Champions IV

Der “Gewinner des Tages” vom heutigen 28. September ist kein Springer-Chefredakteur, kein Springer-Herausgeber und auch keine Publikation aus dem Springer-Verlag. Es ist Hans-Olaf Henkel, laut “Bild” “Deutschlands klügster Manager”. Der hat kürzlich ein Buch geschrieben, aus dem “Bild” vorab Auszüge abgedruckt und das Ganze online mit einem “Buchtipp” verbunden hatte, der einen mit einem Klick zu Amazon bringt, wo man das Buch bestellen kann. Dieses Buch steht nun auf Platz 4 der Bestsellerlisten von “Focus” und “Spiegel”, was natürlich ein prima Grund ist, Henkel zum “Gewinner des Tages” zu machen – na ja, und außerdem ist Henkel ja schon seit dem Jahr 2001 Springer-Autor. Er schreibt Kommentare in “Bild”.

Kalte Dusche

Schließen Sie bitte die Augen und stellen sich eine “Sex-Attacke” vor – Die “Sex-Attacke” einer Frau auf einen Mann. Sie ist wunderschön, weltberühmt, Oscar-Preisträgerin. Er ein Zwei-Meter-Hühne, Muskel bepackt, Schwergewichts-Boxer, mit Oberarmen so dick, wie anderer Leute Oberschenkel.

So.

Zur Abkühlung lesen Sie nun bitte, was Wladimir Klitschko wirklich mit Julia Roberts erlebte und in seiner “spannenden” (“Bild”) Biografie enthüllt, die nächste Woche erscheint, und aus der “Bild” vorab Auszüge veröffentlicht, was sie auf der Titelseite in fünf Zentimeter hohen Lettern ziemlich heiß ankündigt (s. Ausriss):

Bei einer Gelegenheit … spürte ich plötzlich, wie sie ihre Hand auf meinen Hintern legte. Ich hätte schwören können, dass sie ihn streichelte.

Und es wird noch doller:

Also ließ ich es mir nicht nehmen, sie zum Tanz aufzufordern. Gut möglich, dass die Sache mit meinem Hintern auch hierbei geschah.

Gut möglich auch, dass man sich unter einer “Sex-Attacke” für gewöhnlich etwas spannenderes vorstellt. Etwas mit mehr Sex und mehr Attacke zum Beispiel.

Bittere Rache

Am Donnerstag berichtete “Bild” erstmals, dass Roberto Blancos Ehefrau Mireille die Scheidung eingereicht hat, weil er ihr des öfteren untreu war. Heute schlagzeilt “Bild”:

Drunter steht:

Und im Text? Da ist zu lesen, dass Mireille Blanco vom Familiengericht vorläufig einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 7100 Euro zugesprochen bekommen hat, den ihr Mann zahlen soll, weil sie selbst mittellos ist, und dass ursprünglich eine Unterhaltsforderung von 15.000 Euro eingereicht wurde, die nun im weiteren Scheidungsverfahren geprüft wird.

Vor Gericht wurde Roberto Blanco nicht “gezerrt”. Im Gegenteil:

“Die festgelegte Summe hat Herr Blanco (…) bisher nicht gezahlt. Dabei wollten und wollen wir eine einvernehmliche Lösung. Wir haben ihn schon vor Monaten dezent angeschrieben und eine großzügige Frist gesetzt. Doch er teilte uns nur mit, dass er in der Klinik sei. Dabei war er lediglich in Marbella zum Abspecken”,

zitiert “Bild” Mireille Blancos Anwältin.

Und was ist mit den Grausamkeiten, die “enthüllt” wurden? Ganz einfach: nichts. Mireille Blanco hat schlicht und einfach ihrer Anwältin anvertraut, welche Gründe sie zu der Scheidung bewogen haben. Von einer “Enthüllung” kann keine Rede sein. Und “bittere Rache” sieht womöglich auch anders aus.

Die korrektere Schlagzeile “Roberto Blanco: Ehefrau will einvernehmliche Lösung” stand bei “Bild” vermutlich trotzdem nicht zur Diskussion.

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