Porree und Lauch werden neuerdings gern genommen, wenn es darum geht, die vermeintliche Regulierungswut der EU zu dokumentieren. Vorher war es jahrelang die Gurke gewesen. Gurken der Extra-Klasse durften (übrigens auf Wunsch des Handels) nicht mehr als zehn Millimeter auf zehn Zentimeter gekrümmt sein. Doch dass diese Norm abgeschafft wurde (übrigens unter Protesten des Deutschen Bauernverbandes), hat sich selbst unter Journalisten inzwischen herumgesprochen.
Aber der Porree!
Hans Magnus Enzensberger hat ihn vor einigen Jahren zu einem Symbol der Überregulierung gemacht. Wenn die “Welt” Europa als “Herrscherin über unseren Alltag” bezeichnet und die angeblich “absurdesten Gesetze” der EU-Kommission auflistet, darf er nicht fehlen:
Noch viel bizarrer als die mittlerweile revidierten Vorschriften zum Krümmungsgrad von Gurken sind die Vermarktungsnormen für Porree/Lauch: Die Färbung des Naturprodukts ist genauestens vorgeschrieben.
In der Verordnung der Brüsseler Beamten heißt es: “Mindestens ein Drittel der Gesamtlänge oder die Hälfte des umhüllten Teils muss von weißer bis grünlich-weißer Färbung sein. Jedoch muss bei Frühlauch/Frühporree der weiße oder grünlich-weiße Teil mindestens ein Viertel der Gesamtlänge oder ein Drittel des umhüllten Teils ausmachen.”
Nun ist es natürlich keineswegs so, dass Porree anderer Färbung nicht als Porree gilt — er darf nur nicht als “Klasse I” vermarktet werden. Warum es “absurd” sein soll, für unterschiedliche Handelsklassen bestimmte Qualitäts-Merkmale vorzuschreiben, lässt die “Welt” offen.
Vor allem aber: Die Norm gibt es gar nicht mehr. Sie wurde im Sommer 2009 aufgehoben, um dem Wunsch nach weniger Regeln und weniger Bürokratie nachzukommen. Und zwar gleichzeitig — mit den Krümmungsregeln für Gurken.
Nachtrag, 6. Mai. Die “Welt” hat ihren Fehler korrigiert.
Das da oben sind Natali, Birte, Sabine, Angela und Jennifer. Sie sind Leserinnen des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages (sh:z), und sie testen für uns “fitmio”.
Das ist nett von ihnen, auch wenn es scheint, dass das Ergebnis schon vorab feststeht. Über dem Bericht der Tester heißt es nämlich:
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Die unabhängigen Berichterstatter vom sh:z jedenfalls sind sehr angetan von dem kostenpflichtigen Abnehmangebot. Im Aufruf schrieb die Redaktion:
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Tjaha, oder starten Sie das doch gleich selbst! Damit tun Sie auch dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag etwas Gutes, denn der bekommt dann, was da nicht steht, aber shz.de-Chefredakteur Joachim Dreykluft uns auf Nachfrage bestätigt, eine Provision von “fitmio”.
Die Aktion mit den Leser-Testern sei aber “von der Redaktion initiierter Inhalt”, der “inhaltlich nicht beeinflusst wird”. Der Geschäftspartner zahle “weder für den Test noch für Erwähnung” — aber eben für jeden auf diesem Weg gewonnenen Kunden.
Bis zur Anfrage von BILDblog gab es keine Kennzeichnung, die darauf hinwies, dass der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag ein kommerzielles Interesse daran hat, Bekanntheit und Attraktivität der Marke des Diätprogramms zu steigern. Die entsprechenden Texte waren als redaktionelle Berichte präsentiert.
Inzwischen steht über der Themen-Seite das Wort “Anzeige”; auch die Ankündigungs-Artikel wurden nachträglich entsprechend markiert. Dreykluft erklärt das damit, dass man in diesem Geschäftsfeld (“Native Advertising”) noch viel experimentiere: “Wichtig ist uns dabei, transparent zu halten, was bezahlter Inhalt ist und was redaktioneller.” Die Anfrage von BILDblog sei Anlass gewesen, “im konkreten Fall nachzusteuern”.
Klitzekleines Problem mit diesem Artikel aus der gestrigen Ausgabe der “Bild”-Stuttgart: Es gab ein Feuer in Altenheim. Nicht im Altenheim.
Altenheim ist ein Ortsteil von Neuried bei Offenburg. Und da hat es gebrannt. In einer Wohnung und angrenzenden Gebäuden: Scheune, Mosterei und Werkstatt. Nicht im Altenheim. In Altenheim.
Und obwohl, zugegeben, die Überschrift der Polizeimeldung, die einfach “Feuer in Altenheim” lautet, für sich gelesen mehrdeutig ist, ist es schon schwerer zu erklären, wie die “Bild” dann zu der falsch verstandenen Meldung gleich ein passendes Detail berichten kann:
Feuerwehrmänner holten die Senioren aus ihren Zimmern, löschten.
Aber vermutlich ist das Lückenausfüllalltag bei “Bild”. Muss ja so gewesen sein. Wenn es im Altenheim gebrannt hätte. Und nicht bloß in Altenheim.
Mit Dank an Kerstin H., Bastian M. und Hitradio OHR!
Der Text kommt mit persönlicher Empfehlung von “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann. Mit den Worten “Ich weiß, warum ich so gerne in den USA bin!” verlinkte er am Wochenende die aktuelle Kolumne “Wir Amis” von Eric T. Hansen auf “Zeit Online”:
Die gute Seite der “Bild”-Zeitung
Die deutsche Linke schimpft gern auf das größte Boulevardblatt des Landes. Unser Kolumnist hält das für überholtes Schubladendenken.
Wer neutral über die “Bild”-Zeitung nachdenke, schreibt Hansen, müsse zugeben, dass sie auch ihre guten Seiten hat. Und nennt dafür folgendes Beispiel:
Ich erinnere mich zum Beispiel an die Reaktion der Presse, als 1992 in Rostock-Lichtenhagen die Ausschreitungen gegen Ausländer losbrachen. Die meisten seriösen Zeitungen berichteten mehr oder weniger sachlich und neutral darüber. Bild aber druckte das Foto des “hässlichen Deutschen” ab: eines besoffenen Passanten, der in die Hose gepinkelt hatte und den Hitlergruß zeigt. Die Überschrift lautete, wenn ich mich nicht irre: “Deutschland, schäm dich.” Ich fand die Überschrift passend.
Hansens Erinnerung ist nicht so gut. Ja, die Schlagzeile lautete “Ihr müßt euch schämen”, aber abgebildet war nicht der besoffene Passant mit Hitlergruß. Abgebildet waren: Helmut Kohl, Oskar Lafontaine, Björn Engholm und weitere führende Politiker von CDU/CSU und SPD. Und über der Schlagzeile stand: “Deutsche sauer auf Bonner Politiker”.
Schämen sollten sich laut “Bild”-Schlagzeile vom 27. August 1992 für die Ausschreitungen nicht die Gewalttäter, sondern die Politiker, weil die immer noch nicht das Asylrecht eingeschränkt hatten, wie es die “Bild”-Zeitung und viele andere Medien schon lange forderten.
“Wenn ich mich nicht irre”, schrieb Eric T. Hansen, und vielleicht hätte die Redaktion von “Zeit Online” diese Formulierung ihres Kolumnisten zum Anlass nehmen können, das sicherheitshalber mal schnell nachzuschlagen. Vielleicht hätte es seine Einschätzung der “guten Seiten” der “Bild”-Zeitung verändert, wenn er erfahren hätte, dass er sich irrte, wer weiß.
Jedenfalls hätte er beim Blick ins Archiv viel herausfinden können über den Charakter der “Bild”-Zeitung.
Warum sich die Bonner Politiker “schämen müssen”, erklärt “Bild” an jenem Tag im Einzelnen. Wörtlich:
Helmut Kohl (CDU) verweist imer aufs Grundgesetz
Oskar Lafontaine (SPD) … ist im Urlaub
Björn Engholm (SPD) blockierte bis diese Woche
Heiner Geißler (CDU) will noch mehr Ausländer
Rudolf Seiters (CDU) viele, viele Konferenzen
Peter Gauweiler (CSU) Starke Sprüche, starke Sprüche
Otto Solms (FDP) Erst Nein, jetzt Jein
Gerhard Schröder (SPD) ist gegen Asylrecht-Änderung
Heidi Wieczorek-Zeul (SPD) Asyl muß bleiben wie es ist
Am selben Tag schreibt Peter Boenisch in “Bild” einen Kommentar zu den Rostocker Krawallen mit der Überschrift:
Darum sind wir [sic!] so wütend
Darin nimmt er die Zuschauer, die den Gewalttätern bei ihren Angriffen applaudierten, in Schutz:
Nicht nur zornig, sondern wütend sind viele Menschen in Rostock. Die Chaoten nützen das aus.
Die Randale beklatschen, sind keine Neonazis — manche von ihnen nicht einmal Ausländerfeinde.
Sie verstehen die Sprüche und Widersprüche unserer Politiker nicht. Wie soll auch ein Kranführer verstehen, daß bei 1,1 Mio. Arbeitslosen in den neuen Ländern in seiner Schicht von vier Kränen drei von Rumänen gesteuert werden — für Dumpinglöhne.
Drei Deutsche gehen stempeln und drei Rumänen arbeiten bei uns für ein Butterbrot.
So wird Ausländerfeindlichkeit nicht bekämpft, sondern gezüchtet.
Die “Bild”-Zeitung hat in den Tagen zuvor auch die Ausschreitungen, die “Chaoten” und “neuen Nazis” kritisiert. “Seid ihr wahnsinnig!” titelt sie über den Beifall der Schaulustigen, als Rechtsradikale versuchen, das “Asylantenheim” zu stürmen. Die “Schuld” an den Angriffen aber sieht “Bild” allein bei der Politik.
“Bild” sorgt sich angesichts der Gewalt offenkundig weniger um die Ausländer als um das Bild Deutschlands in der Welt. Am Tag nach der “Ihr sollt euch schämen”-Schlagzeile macht das Blatt so auf:
“Bild”-Mann Sven Gösmann, der es heute zum Chefredakteur der Nachrichtenagentur dpa geschafft hat, empört sich darin:
Jetzt prügeln sie auf uns rum: “Nazis”, “Kristallnacht”, “Ausländerfeinde”. Unsere europäischen Nachbarn beschimpfen uns alle nach den Rostocker Krawallen als die “Häßlichen Deutschen”. Wie sie schimpfen, und wie sie es selbst mit den Asylanten halten — Seite 2.
Gösmanns Artikel auf Seite 2, erschienen nach Monaten und Wochen mit Angriffen von Deutschen auf Ausländer, trägt die Überschrift:
Auch in den Tagen und Wochen nach den Ausschreitungen kämpft “Bild” gegen eine ausgeruhte Debatte und heizt die Stimmung weiter an:
“Bild”-Kommentator Boenisch legitimiert am 14. September schon vorauseilend mögliche weitere Ausschreitungen, wenn die Politik nicht unverzüglich im Sinne seines Blattes und des Mobs handele:
Die Wartezeit für Bonn ist um. Es ist Tatzeit.
Sonst wird die Straße zum Tatort.
So war sie damals, die Berichterstattung der “Bild”-Zeitung; das, was der amerikanische “Zeit Online”-Kolumnist Eric T. Hansen mit seinem schlechten Gedächtnis als die “gute Seite der ‘Bild’-Zeitung” erinnert, wenn er sich fragt, was die Linken mit ihrem Schubladendenken eigentlich bloß immer gegen dieses Blatt haben.
Stellvertretender Chefredakteur und verantwortlich für die Politik-Berichterstattung der “Bild”-Zeitung im August 1992 war übrigens: Kai Diekmann.
Nachtrag, 23. April. Eric T. Hansen hat in den Kommentaren unter seiner (unveränderten) Kolumne reagiert:
Die Bildblog.de hat mich zurecht darauf hingewiesen, dass ein Satz in meiner Kolumne von Sonntag, in der ich die Kritik der Bild Zeitung kritisiere, nicht stimmte: Ich hatte aus dem Gedächtnis eine Überschrift der 90er (wohlwollend) wiedergegeben, die es gar nicht gab. Ich war fahrlässig, es nicht vorher zu überprüfen, und jetzt ist es mir ziemlich peinlich.
Nachtrag, 24. April. “Zeit Online” hat dem Artikel eine Korrektur hinzugefügt.
Das hessische Umweltministerium hat heute bekannt gegeben, wilde Tiere, die im Zoo keinen Platz mehr finden, im Land auswildern zu wollen. Ein erster Versuch mit einem Bären verlief erfolgreich: Eine einheimische Nachrichtenagentur ließ ihn sich widerstandslos aufbinden.
Die Meldung, die der hessische Landesdienst von dpa heute um 16:27 Uhr brachte, klang noch halbwegs harmlos:
Hessen plant Auswilderungsprogramm für Zoo-Tiere
Wiesbaden (dpa/lhe) – Hessen plant ein Auswilderungsprogramm für Zoo-Tiere. Es werde geprüft, ob die Kernzonen im Biosphärenreservat Rhön oder im Kellerwald für eine Auswilderung dieser schützenswerten Tiere geeignet sei, erklärte Umweltministerin Priska Hinz (Grüne) am Montag in Wiesbaden. “Wir möchten vermeiden, dass Tiere getötet werden, nur weil in den Zoos offensichtlich kein Platz mehr für sie ist und sie nicht in die europäischen Zuchtaustauschprogramme aufgenommen werden können.” Der Kopenhagener Zoo hatte vor wenigen Tagen zwei ausgewachsene Löwen und deren Junge eingeschläfert, um Platz für ein neues Zuchttier zu schaffen und Inzucht zu verhindern.
Ja, da blieben noch ein paar Fragen offen, aber die würde sicher die Zusammenfassung beantworten, die dpa für 17 Uhr ankündigte. Und tatsächlich, eine halbe Stunde später ergänzte dpa:
Giraffen, Löwen und Ozelots sollen künftig in hessischen Naturschutzgebieten zu sehen sein.
Der Löwe ist das hessische Wappentier, das passt schon. Und solche Attraktionen kurbeln ja auch die Wirtschaft in strukturschwachen Regionen an:
Das Auswilderungsprogramm für Zootiere diene auch nicht nur dem Tierwohl, sondern auch der Stärkung des ländlichen Tourismus, betonte Hinz. Das Biosphärenreservat Rhön und der Kellerwald würden damit künftig über ein Alleinstellungsmerkmal unter den deutschen Naturschutzgebieten verfügen.
Aber frieren die da nicht, die Giraffen und die Löwen, in der Steppe des Kellerwaldes? Aber nein:
Wegen des sich rapide ändernden Weltklimas dürften sich die ausgesiedelten Wildtiere ohne Anpassungsschwierigkeiten auch in hessischen Naturräumen heimisch fühlen, erklärte die Ministerin.
Und —
Alle ausgewilderten Tiere sollen nach ihren Worten vom allgemeinen Jagdrecht ausgeschlossen werden.
Okay…
Es dauerte eine weitere halbe Stunde, bis irgendjemand bei dpa scharf den Rückwärtsgang einlegte. Um 17:29 rief die Agentur beide Meldungen zurück:
Er handelt sich um einen Aprilscherz des hessischen Umweltministeriums.
Oder — angesichts der Tatsache, dass der 1. April erst morgen ist — womöglich auch um einen zeitlosen Test, ob diese Agenturleute wirklich alles glauben.
Jaha, so kennt man sie, die Europäische Union: Erlässt völlig “irre” Verordnungen, damit die Pleite-Griechen, die alten Penner, weiter wie verrückt Schulden machen können, auf unsere Kosten, kennt man auch.
Aus dem Plan, die Berechnung der Wirtschaftsleistungen der europäischen Länder zu harmonisieren und internationalen Standards anzupassen, macht “Bild” ein Stück, das die rassistischen Ressentiments der eigenen Mitarbeiter und der Leser bedient und weiter befördert. Dabei geht es in keiner Weise um eine Sonderregelung für die EU-Krisenländer.
Soweit, so “Bild”. Aber Brüssel-Korrespondent Dirk Hoeren hat noch mehr getrickst, um zu seiner irren Schlagzeile zu kommen. Er behauptet:
EU-Krisenländer wie Griechenland und Italien können ab 1. September ihre Schuldenstände mit einem Trick drastisch senken. Dann werden auch Einkünfte aus Betrug, Schwarzarbeit, Prostitution und der Kauf von Drogen in der Wirtschafts-Statistik erfasst!
Schuldenabbau durch Kriminalität — wie schräg ist das denn?
Der Statistik-Trick geht auf eine neue EU-Verordnung zum EU-“System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen” zurück (BILD berichtete). Danach werden in der Wirtschaftsleistung bisher nicht erfasste Bereiche künftig berücksichtigt:
* Prostitution zählt dann als “Dienstleistung”.
* Betrug, illegale Geschäfte, Schwarzarbeit sind “Produktionstätigkeiten”.
* Drogenkauf fällt unter “Individualkonsum”.
Nur: Das ist alles gar nicht neu. Illegal erwirtschaftetes Geld soll längst in die Berechnung der Wirtschaftsleistung eingehen.
Diese Tätigkeiten sind auch dann einzubeziehen, wenn sie illegal ausgeübt werden oder den Steuer-, Sozialversicherungs-, Statistik- oder anderen
Behörden verborgen bleiben.
Und:
Illegale wirtschaftliche Vorgänge sind nur dann Transaktionen, wenn alle beteiligten Einheiten an ihnen freiwillig teilnehmen. Beim illegalen Kauf, Verkauf oder Tausch von Drogen oder Diebesgut handelt es sich daher um Transaktionen, bei Diebstahl dagegen nicht.
Dirk Hoeren schreibt über diese Unterscheidung spitz: “Das nennt man wohl EU-Logik.” Okay, nennen wir es halt EU-Logik. Es ist dann halt nur keine neue EU-Logik.
Die EU hat ihre Mitgliedsländer nur gerade daran erinnert, diese Regeln auch entsprechend anzuwenden. In Deutschland zum Beispiel ist das nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes bisher nicht der Fall. Posten wie der Handel mit Drogen oder der Schmuggel von Tabak fehlten bislang in der Berechnung des Bruttoinlandsproduktes. Prostitution dagegen ist darin enthalten (sie ist ja auch nicht illegal).
Das Bundesamt schätzt, dass die Einberechnung der illegalen Aktivitäten das deutsche Bruttoinlandsprodukt nur minimal steigern werde, vielleicht um einen Zehntelprozentpunkt. Europaweit soll es aber viel mehr sein — schreibt jedenfalls Dirk Hoeren:
(…) am 1. September gibt es einen gewaltigen Pusch [sic!]. Dann wächst die Wirtschaftsleistung in der gesamten EU auf einen Schlag um rd. 2,4 % — aber nur auf dem Papier. Denn künftig werden — und das ist kein vorweggenommener Aprilscherz — auch Einnahmen aus Verbrechen und der Prostitution in der EU-Wirtschaftsstatistik berücksichtigt.
Aha, naja, klar: Andere Völker sind halt viel krimineller als die Deutschen, auch das weiß man ja als “Bild”-Macher und -Leser.
Nur dass die 2,4 Prozent, auf die die Wachstumssteigerung tatsächlich geschätzt wird, gar nicht durch die Einnahmen aus Verbrechen und Prostitution zustande kommen. Der weitaus größte Teil (1,8 Prozent) des, äh, “Puschs” entsteht dadurch, dass in Zukunft erstmals Forschung und Entwicklung als Teil des Bruttoinlandsprodukt mitgezählt werden. Das ist die tatsächliche große Umstellung, die jetzt ansteht.
Kann Griechenland also, wie “Bild”-Hetzperte Hoeren meint, aufgrund einer “irren EU-Verordnung” mit Drogen und Sex seine Schulden senken? Nun: Wie es aussieht, sind “Prostitution” und “Drogen” in Griechenland längst Bestandteil der Berechnung der privaten Konsumausgaben, also Teil des Bruttoinlandsproduktes:
Irre. In der “Bild”-Logik ist das aber natürlich eine schlechte Nachricht, weil es bedeutet, dass “die Griechen” dann ihre Schulden gar nicht mehr weiter mit Sex und Drogen senken können.
Das hatte das vermeintliche “Nachrichtenmagazin” nicht kommen sehen. Am 26. Januar 2014 hatte es exklusiv gemeldet, der Abschlussbericht der Prüfkommission werde Tebartz-van Elst entlasten: Die Vorwürfe gegen ihn seien weitgehend ausgeräumt.
Verbreitet wurde die Ente nicht nur vom “Focus” selbst und seiner Schwesterpublikation, der “Huffington Post”. Die Nachrichtenagenturen AFP und epd übernahmen die Nachricht, wie bei solchen Vorabmeldungen üblich, ungeprüft unter Berufung auf die Zeitschrift.
Kommission sieht Vorwürfe gegen Tebartz laut Bericht ausgeräumt
München, 26. Januar (AFP) – Eine von der Bischofskonferenz eingesetzte Kommission betrachtet die Vorwürfe gegen den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst offenbar als weitgehend ausgeräumt. Das Gremium kam zu dem Ergebnis, dass dem umstrittenen Bischof beim 31 Millionen Euro teuren Bau seiner Residenz weder Geldverschwendung noch das Übergehen von Kontrollgremien vorzuhalten sei, berichtet das Magazin “Focus” in seiner neuen Ausgabe. Angeblich werde in dem aus drei Geistlichen und zwei Wirtschaftsprüfern bestehenden Gremium noch um abschließende Formulierungen gerungen.
Limburg/München (epd). Der umstrittene Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst ist offenbar weitgehend entlastet. Nach einem Bericht des Münchner Nachrichtenmagazins “Focus” hat eine Prüfkommission die Vorwürfe gegen ihn weitgehend ausgeräumt. Die von der katholischen Deutschen Bischofskonferenz eingesetzte Kommission ist nach diesen Informationen zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Bischof beim Bau seiner Residenz weder Geldverschwendung noch das Übergehen von Kontrollgremien vorzuhalten sei.
Die Meldung der evangelischen Nachrichtenagentur epd an jenem Sonntag war von 16:56 Uhr — zwei bis drei Stunden vorher hatten dpa und die katholische Nachrichtenagentur KNA bereits berichtet, dass einen Sprecher der Bischofskonferenz der “Focus”-Meldung widersprach.
Im gedruckten “Focus” stand von dem Dementi bis heute nichts.
Eine Frau ist am Mittwoch in Berlin-Wilmersdorf vor einer Tiefgarage von ihrem eigenen Auto überfahren und dabei tödlich verletzt worden. “Bild” berichtete am folgenden Tag in großer Aufmachung — und mit reichhaltiger Bebilderung*.
“Bild”-Mitarbeiter Jörg Bergmann hatte sich offenbar im gegenüber liegenden Haus in ein höheres Stockwerk begeben, um von oben die Rettungskräfte dabei fotografieren zu können, wie sie sich um die verletzte Frau kümmern.
Ein zweites Foto zeigt die Tiefgarage von innen; man sieht eine große Blutlache.
Ein drittes Foto zeigt mit der Quellenangabe “Foto: privat” die getötete Frau, “Tot: Cornelia F. († 49)”.
Genauer gesagt, es zeigt sie nicht — wie die “Bild”-Zeitung heute einräumen muss:
(Für die anderen Fotos vom Unfallort entschuldigt sich “Bild” natürlich nicht.)
Aber Jörg Bergmann, der “Bild”-Fotograf, dessen Name auch als Autor über dem Artikel steht, kennt sich ja mit Fotos von tödlich Verunglückten, die nicht die tödlich Verunglückten zeigen, aus.
Die “Süddeutsche Zeitung” hat heute scheinbar schlechte Nachrichten für den ZDF-Moderator Markus Lanz:
Mehr Ärger für Lanz
Der ZDF-Publikumsrat hat eine Programmbeschwerde wegen des umstrittenen Interviews in der Talksendung Markus Lanz eingereicht. Lanz’ Befragung der Politikerin Sahra Wagenknecht im Januar habe gegen Programmgrundsätze und das journalistische Ethos verstoßen, heißt es in dem Schreiben an den ZDF-Fernsehrat. Der Sender müsse sich mit der Kritik, die unter anderem in einer mehr als 200000 Mal unterzeichneten Petition gegen den Moderator öffentlich wurde, auseinandersetzen, sagte Sprecherin Sabine Schiffer. Man hoffe auf eine Rüge.
Aha, der ZDF-Publikumsrat, soso.
Es gibt keinen ZDF-Publikumsrat. Es gibt eine Initiative von Leuten, die finden, dass es einen “Publikumsrat” für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben sollte und schon mal eine entsprechende Internetseite aufgesetzt haben. Sie haben eine Programmbeschwerde an den ZDF-Fernsehrat formuliert, was jeder Zuschauer tun kann, und diese veröffentlicht. Wohl nicht zuletzt, um Aufmerksamkeit für ihr Anliegen zu bekommen: einen “Publikumsrat” zu installieren. Den es, wie gesagt, nicht gibt.
Die “Süddeutsche Zeitung” hat den Wunsch dieser Privatinitiative nun in ganz besonderer Weise dadurch erfüllt, dass sie sie wie eine etabliertes, offizielles Gremium behandelt: “den ZDF-Publikumsrat”. Und dass sie so tut, als sei eine Programmbeschwerde von zwei Frauen, die dem real-existierenden ZDF-Fernsehrat abschließend mitteilen, dass sie “für weitere Gespräche gerne zur Verfügung stehen”, etwas anderes als irgendeine Programmbeschwerde von zwei Zuschauerinnen oder Zuschauern, und als bedeute das nun besonderen “Ärger” für Markus Lanz.
Markus Lanz bekommt noch mehr Ärger wegen des umstrittenen Interviews mit der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht: Der ZDF-Publikumsrat hat beim ZDF-Fernsehrat eine Programmbeschwerde eingereicht. Lanz habe gegen Programmgrundsätze und das journalistische Ethos verstoßen, schreibt Sprecherin Sabine Schiffer. Sie verlangt eine Rüge.
Der “neue Ärger” für Markus Lanz besteht insofern im Wesentlichen darin, dass man sich nur “Publikumsrat” nennen muss, um von Journalisten dafür gehalten zu werden.
Nachtrag, 15:10 Uhr. Die “SZ” hat ihren Artikel online überarbeitet und um die Sätze ergänzt:
In einer früheren Version dieser Meldung konnte der Eindruck entstehen, mit dem Publikumsrat wende sich ein offizielles ZDF-Gremium gegen Moderator Markus Lanz. Tatsächlich muss sich der Fernsehrat mit der Beschwerde einer privaten Initiative befassen.
Auch “Focus Online” und turi2 haben ihre Meldungen korrigiert. Dafür verbreitet nun die “Bunte” online die Mär vom “ZDF-Publikumsrat”.
Nachtrag, 20:35 Uhr. Der Bunte.de-Artikel ist wieder verschwunden.
“Man kann Alfred Neven DuMont glauben, dass ihn der Wunsch nach gutem Journalismus antreibt.”
(“Der Spiegel”, 5/2014)
Der Jahresanfang ist die Zeit, in der die Menschen sich ganz besonders für Diäten interessieren, und deshalb ist es auch die Zeit, in der die Medien ganz besonders viel über Diäten berichten. Die Zeitungen der Mediengruppe M. DuMont Schauberg tun es in diesem Jahr mit ganz besonderem Eifer.
Der Kölner “Express” hat auch eine Serie im Angebot, eine “große Stoffwechsel-Fibel” namens “Enorm in Form”, mit “Tipps vom Experten”, wie man sich schlankschläft und wie man den Jojo-Effekt vermeidet und der überraschenden These: “Wer abnehmen will, muss essen!” Der Experte ist in jedem Fall Ingo Froböse, ein Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln — und empfiehlt jedesmal dessen kostenpflichtiges Abnehm-Programm “fitmio”.
Und die Boulevard-Variante aus dem “Express” steht mit demselben Experten und derselben Empfehlung auf den Online-Seiten von “Berliner Kurier” und “Hamburger Morgenpost”.
In einer konzertierten Aktion werben die Medien von M. DuMont Schauburg in großen, scheinbar redaktionellen Serien für “fitmio”, das kostenpflichtige Abnehmprogramm von Professor Froböse, und verlinken praktischerweise auch direkt dorthin.
Das lässt sich leicht erklären, allerdings findet sich diese Erklärung nicht auf den Seiten dieser Zeitungen. Das kostenpflichtige Abnehmprogramm “fitmio” mit Prof. Dr. Ingo Froböse, dem “Experten an Ihrer Seite”, ist ein Unternehmen der DuMont Net GmbH & Co. KG, einer hundertprozentigen Tochter der Mediengruppe M. DuMont Schauberg.
Der Verlag M. DuMont Schauberg ist also mit seiner Internet-Tochter Betreiber eines Abnehmprogramms mit Ernährungs- und Bewegungsplan inklusive Motivationsvideos von Prof. Dr. Froböse, das immerhin 79 Euro kostet. Und nutzt seine Zeitungen und deren Online-Seiten, dieses Angebot im redaktionellen Teil und ohne Hinweis auf die wirtschaftliche Verquickung zu bewerben. Er lässt eine Leserin sogar scheinbar unabhängig das Angebot testen. Die 47-jährige TV-Programmplanerin aus Bergisch Gladbach ist, Überraschung, sehr angetan.
Auf den “fitmio”-Seiten lacht übrigens treuherzig folgender Hinweis:
“Ich bin der Spiritus Rector der Redakteure”, sagt Alfred Neven DuMont, der Patriarch des Verlages, dem “Spiegel”, der ihn als positives Gegenbeispiel zu Mathias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzenden von Axel Springer darstellt. “Man muss doch Leidenschaften haben. Das Schlimmste für mich wäre, Bankier zu sein und nur noch an das Geld denken zu müssen.”
Neven DuMont sagt: “Ich glaube an die Zeitung.” Zumindest weiß sein Verlag, wofür sie noch nützlich sein kann.
Mit Dank an Kai B.!
Nachtrag, 30. Januar. Aus dem Internetauftritt der “Frankfurter Rundschau” sind die Artikel mit der “fitmio”-Werbung plötzlich verschwunden.