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Absturz mit Ansage

Die Sonne ist heute in Berlin um zwei Minuten später aufgegangen als gestern. Erstaunlicherweise war das aber nicht einmal “Spiegel Online” einen unheilschwangeren Artikel wert. Das könnte daran liegen, dass die Entwicklung abzusehen war. Das allein erklärt die fehlenden Schlagzeilen aber nicht.

Heute morgen ist der Aktienkurs der Deutschen Bank eingebrochen, und das Bemerkenswerte daran ist, dass man das gestern schon wissen konnte. Die Aktie wird nämlich seit heute ohne das Bezugsrecht auf die neuen Aktien gehandelt, die das Unternehmen ausgeben wird, und der Kurs liegt um den Wert dieses Bezugsrechtes niedriger. Deshalb war klar, dass unabhängig von irgendwelchen anderen Einflüssen allein aus technischen Gründen die Aktie um diesen Betrag niedriger in den Handel gehen würde, das macht über acht Prozent aus.

Aktien-Experten wussten das. Und zum Beispiel die “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” hat es ihren Lesern freundlicherweise vorab schon erklärt; “Der Aktionär” riet online vor der Börsenöffnung: “Aktionäre der Deutschen Bank sollten beim Anblick des heutigen Kurses nicht in Panik verfallen.”

Nun sind aber, anders als man vielleicht glauben könnte, Journalisten, die über Aktien berichten, nicht unbedingt Aktien-Experten. Und wer ahnungslos auf die reinen Zahlen schaut, gerät schnell und ganz unnötig ins Hyperventilieren.

Wie die Nachrichtenagentur AFP. Die meldete heute morgen um 9.22 Uhr:

Deutsche-Bank-Aktien stürzen nach Gewinnwarnung acht Prozent ab

Frankfurt/Main, 22. September (AFP) – Die Aktien der Deutschen Bank sind am Mittwoch nach einer Verlustwarnung des Konzerns vom Vortag massiv abgestürzt. Die Papiere des Konzerns verloren an der Deutschen Börse in Frankfurt am Main kurz nach Handelsstart über acht Prozent. Deutschlands größte private Bank hatte am Dienstag mitgeteilt, dass sie für das dritte Quartal von Juli bis September mit einem Verlust rechnet. (…)

Noch einmal: Der “Absturz” war schon am Tag vorauszusehen und er hatte nichts mit der Gewinnwarnung zu tun.

Doch obwohl Reuters bereits eine halbe Stunde zuvor den Abschlag von 8,8 Prozent berichtet und richtig eingeordnet hatte, wurde die sensationsheischende Falschmeldung von AFP mit der branchenüblichen Besinnungslosigkeit von den Online-Medien übernommen. “Spiegel Online” meldete aufgeregt:

Aktie tief im Minus: Anleger strafen Deutsche Bank ab

An der Frankfurter Börse spekulieren die Investoren massiv gegen die Deutsche Bank: Nachdem das Institut vor einem Verlust warnen musste, fiel die Aktie am Mittwochmorgen um bis zu acht Prozent in die Tiefe. Bereits am Vortag war der Kurs abgestürzt.

Frankfurt am Main – Aktien der Deutschen Bank sind am Mittwoch nach einer Verlustwarnung vom Vortag massiv abgestürzt. Der Konzern rechnet für das dritte Quartal mit einem negativen Ergebnis. Diese Nachricht gab das größte deutsche Geldhaus bereits am Dienstag bekannt – woraufhin der Aktienkurs um rund fünf Prozent fiel. Doch auch am Mittwochmorgen ist noch keine Erholung in Sicht. Im Gegenteil: Die Papiere notierten am Vormittag zeitweise mit rund acht Prozent noch kräftiger im Minus.

“Welt Online” titelte: “Nach Verlustwarnung: Deutsche-Bank-Aktien stürzen in den Keller”, die Internetableger von “Stern” und “Rheinischer Post” schrieben: “Nach Gewinnwarnung: Deutsche-Bank-Aktien stürzen acht Prozent ab”.

Es dauerte bis 15:51, bis AFP in einer Meldung den Sachverhalt richtig darstellte, allerdings ohne die Falschmeldung vom Morgen explizit zu korrigieren. Aber auch “Welt Online” und “RP-Online” verzichteten darauf, den Fehler ihren Lesern zu erklären, und verbesserten nur klammheimlich ihre Artikel. “Spiegel Online” hat seiner neuen Fassung, die plötzlich harmlos “Bezugsrechtehandel drückt Aktienkurs” heißt, immerhin einen Hinweis auf den früheren Fehler hinzugefügt.

Beim Rumpfonlineangebot des “Stern” steht natürlich weiterhin die alte Falschmeldung. Rechnet man den rein technischen Kursrückgang heraus, hat die Deutsche-Bank-Aktie heute übrigens sogar an Wert gewonnen.

Mit Dank an Stefan K.!

Bild  

Entweder, oder

Die satirische ZDF-Sendung “heute show” nahm sich gestern des Themas an, dass die bekannte Journalistin Alice Schwarzer für die “Bild”-Zeitung über den Vergewaltigungs-Prozess gegen Jörg Kachelmann berichtet:

Alice Schwarzer: Alles ist möglich. Ich habe auch nichts gegen Herrn Kachelmann, ganz im Gegenteil: ich mochte den immer ganz gern leiden. Ich bin an der Wahrheit interessiert.

Oliver Welke: Hä? Das versteh ich jetzt nicht. Entweder ich bin an der Wahrheit interessiert. Oder ich schreib für die Bild-Zeitung. Beides zusammen geht ja wohl nicht.

Bild  

Falsche Beispiele für schlechte Integration

BUNDESREPUBLIK ABSURDISTAN So schlecht funktioniert Integration in Deutschland

Dafür, dass es um die Integration von Ausländern in Deutschland so miserabel stehen soll, ist es der “Bild”-Zeitung erstaunlich schwer gefallen, drastische Beispiele dafür zu finden. Eine Auswahl der “schlimmsten Fälle verfehlter Integrationspolitik” präsentierte das Blatt gestern und prangert zum Beispiel, im Gleichschritt mit dem rechtsextremen Ring Nationaler Frauen, den wöchentlichen Frauenbadetag in einem Münchner Hallenbad an.

“Bild” stellt sich auch auf die Seite eines Arztes aus dem hessischen Wächtersbach, der es “satt hatte”, dass verschleierte Patientinnen sich geweigert hätten, ihre Kopftücher zur Untersuchung abzunehmen. Der Mann hatte in einem Aushang unter anderem bekannt gegeben: “Kinderreiche islamistische [sic!] Familien mit mehr als 5 leiblichen Kindern werden in dieser Arztpraxis nicht behandelt!” Der Arzt hat sich inzwischen dafür entschuldigt, dass er mit seinen Formulierungen über das Ziel hinausgeschossen sei und Menschen verletzt habe.

Das untauglichste Beispiel für misslungene Integration aber ist gleich das erste, das “Bild” nennt:

Frauen nicht anschauen!

Im Klinikum Stuttgart kursiert eine “Handlungsanweisung internationale Patienten” für das Pflegepersonal. Darin heißt es: “Anmerkung zur islamischen Kultur: Frauen nicht anschauen, nicht die Hand geben!”

Die Handlungsanweisung gibt es tatsächlich; der entsprechende Absatz lautet vollständig:

Eine Anmerkung zur islamischen Kultur: Frauen nicht anschauen, nicht die Hand geben und ganz wichtig – bitte nicht in ein Zimmer reinplatzen ohne auf das Herein nach dem Klopfen zu warten!!! – Patientin könnte beten oder sich gerade umziehen!

Wie der Begriff “internationale Patienten” schon nahelegt, geht es dabei aber um Menschen, die nicht in Deutschland leben. Die Handlungsanweisung betrifft ausschließlich “Patienten, die zum Zweck der medizinischen Behandlung aus dem Ausland einreisen”, also zum Beispiel die Angehörigen eines Scheichs, die das Klinikum für eine spezielle Operation wählen und dafür selbst zahlen.

Noch einmal: Die Empfehlung für den Umgang mit muslimischen Patientinnen, die “Bild” als Beispiel schlechter Integration in Deutschland anprangert, gilt für Menschen, die anreisen, sich behandeln lassen, wieder abreisen.

Aber es stimmt schon: Ausländer, die gar nicht in Deutschland leben, sind bei uns wirklich empörend schlecht integriert.

dpa  

Hubs!

Was ist ein Hubsteiger?

(a) das schwäbische Wort für Hubschrauber
(b) ein veralteter Begriff für Hubschrauber
(c) eine besondere Art Hubschrauber, die nicht schraubt, sondern steigt
(d) kein Hubschrauber

Richtig ist Antwort (d). Falsch dagegen waren die dpa-Meldungen über die Räumung eines Baumhauses von Gegnern des Bauprojektes Stuttgart 21, in denen es u.a. hieß:

Wie die Polizei mitteilte, wurden vier Aktivisten von einem Sondereinsatzkommando auf den Bäumen gefasst und mit Körben an einem Hubschrauber zu Boden gelassen.

In Wahrheit war es nicht ganz so dramatisch: Es handelte sich, wie es auch in der Polizeimitteilung (PDF) hieß, nur um einen Hubsteiger, also eine Hebebühne, deren Einsatz man hier sehen kann.

Die dpa-Landesdienste Südwest haben sich heute früh um 8.29 Uhr korrigiert. Aber in ungezählten OnlineMedien ist nach wie vor von einem Hubschrauber die Rede.

Mit Dank an moa und Martin B.!

Gong  

Schleichwerbung auf Rezept

Im Frühjahr ist die einstmals renommierte Fernsehzeitschrift “Gong” vom Presserat dafür gerügt worden, dass die Rezepte ihres großen Weihnachtsmenus durchsetzt waren mit Hinweisen auf Produkte der Firma Unilever (BILDblog berichtete). Noch trauriger als die Schleichwerbung an sich ist allerdings der Versuch der Rechtsabteilung der “WAZ”-Gruppe, sie zu rechtfertigen. Der Presserat fasst ihre Stellungnahme so zusammen:

[…] man habe durch die Reaktion von Lesern festgestellt, dass bei der Verwendung spezieller Zutaten eine redaktionelle Produktempfehlung gewünscht sei. Insofern habe man durch die Nennung konkreter Produkte das Informationsinteresse des Lesers bedient. Dies betreffe maßgeblich die Empfehlung von Produkten wie “Suppenliebe Hühnersuppe”, “Cremefine” und “Fix für Nudel-Mozzarella-Gratin”. Der Leser könne aufgrund dieser Hinweise erkennen, welche Art von Zutat Verwendung gefunden habe. Gegebenenfalls könne er, sofern vorhanden, auf Konkurrenzprodukte zurückgreifen, da jedenfalls eine für das Verständnis des Lesers ausreichende Individualisierung durch die Produktnennung erreicht worden sei. Auch sei nicht zu beanstanden, dass das Produkt “Cremissimo-Schokoladeneis” genannt wurde, da dieses aufgrund seiner Konsistenz und Streichfähigkeit besonders gut für die Verwendung im Rahmen des Rezeptes geeignet sei.

Das ist natürlich alles nicht wahr.

In Wahrheit bezieht der “Gong” einen Großteil seiner Rezepte einfach von der Firma Unilever. Die bietet Redaktionen dafür eine eigene Datenbank im Internet, die, wie ihr Name “Rezept & Bild” nahelegt, auch gleich hochauflösende Fotos der Gerichte enthält.

Unilever stellt diese Inhalte kostenlos zur kommerziellen Nutzung zur Verfügung — unter einer Bedingung: Die darin natürlich immer enthaltenen Namen ihrer Marken wie “Knorr”, “Mondamin” und “Rama” müssen genannt werden. In den Nutzungsbedingungen heißt es:

Zulässig ist es, die Produkt-Kategorie zusammen mit einer Marke der Unilever Gruppe in Klammern zu nennen. Bsp.: ‘Bourbon-Vanille (z.B. von Cremissimo))’.

Genau so verfährt der “Gong”. In der vergangenen Woche gab es drei Braten-Rezepte von Unilever mit der entsprechenden Schleichwerbung für Unilever-Produkte (siehe rechts). In dieser Woche dreht sich auf den “Gong”-Rezeptseiten alles um den Kürbis, mit einem Lachsfilet-Rezept von Pfanni, einem Curry-mit-Rind-Rezept von Mondamin, einem Krosse-Plätzchen-Rezept von Rama und einem Putenbraten-Rezept von Knorr.

Mit dem Informationsinteresse der Leser, wie die sich für ihren Qualitätsjournalismus für bekannt haltende “WAZ”-Gruppe behauptet, hat das alles nichts zu tun. Sondern damit, wie Unternehmen die Lücke füllen, die durch sinkende Etats und Qualitätsansprüche in den Redaktionen entsteht, und redaktionelle Inhalte durch werbliche Inhalte ersetzen — sicherlich nicht nur in so harmlosen Bereichen wie Kochrezepten.

Die Rüge des Presserates hat der “Gong” übrigens bereits am 1. April mit einem irreführenden Text veröffentlicht. Sollten sie auch sorgfältige “Gong”-Leser übersehen haben, könnte das daran liegen, dass die Redaktion einen außerordentlich unauffälligen Platz wählte: im Klein- und Kleinstgedruckten zwischen Leserbriefen und Impressum.

Mit großem Dank an Max M.!

Bild  

Die schlechtesten Gründe gegen “Street View”

Die Medien sind voller Meinungsumfragen. Dabei wären Wissensumfragen oft viel interessanter. Wenn die Menschen zum Beispiel nicht gefragt würden, was sie von irgendwelchen Reformplänen der Bundesregierung halten, sondern was sie über diese Reformpläne wissen, über die sie ein Urteil abgeben sollen.

Die “Bild”-Zeitung hat heute so etwas gemacht, unfreiwillig natürlich. Sie hat viele Menschen gefragt, was sie von “Google Street View” halten und ob sie dafür sorgen wollen, dass ihr Haus nicht in dem umstrittenen Angebot gezeigt wird. (“Google Street View” verbindet die Karten von “Google Maps” mit kompletten Straßenansichten, die die Firma fotografiert hat, und soll in diesem Jahr erstmals auch 20 deutsche Städte abbilden.)

Die Antworten vieler Leute, die “Bild” zu Wort kommen lässt, zeigen vor allem eines: Wie wenig die Befragten über das Angebot wissen. Viele scheinen zu glauben, dass es aus Live-Aufnahmen besteht, dass Google quasi rund um die Uhr die ganze Welt überwachen lässt. Das ist nicht der Fall. Zudem werden Personen Gesichter und Autokennzeichen auf den Fotos unkenntlich gemacht.

Das muss man aber offensichtlich nicht wissen, um sich in “Bild” gegen das Angebot aussprechen zu dürfen:

Collien Fernandes (28), Moderatorin: “Ich würde mich ständig beobachtet fühlen mit dem Wissen, dass jeder, der meine Adresse kennt, mein Haus im Internet betrachten kann.”

Juliane Winterberg (19), Sozialfachangestellte aus Gerstungen: “Ich sonne mich oft im Bikini auf der Terrasse. Durch Google finden Spanner doch sofort mein Wohnhaus.”

Jeanette Biedermann (30), Sängerin: “Ich werde mein Haus schwärzen lassen. Ich glaube nicht, dass die Verantwortlichen von ‘Street View’ glücklich wären, dass man ihnen beim Nacktbaden im Garten zuschaut.”

Anni Brandt (78), Rentnerin aus Waltrop: “Es ist praktisch, ich konnte mir zum Beispiel das Haus eines Freundes in Amerika anschauen. Aber wenn mich Leute auf meinem Balkon sehen, finde ich das nicht gut.”

Mirja (34) und Sky du Mont (63): “Wir wollen unser Haus auf jeden Fall schwärzen lassen. ‘Street View’ fördert Kriminalität. Und wir möchten nicht, dass jemand unsere Kinder beim Spielen im Garten sieht.”

Tina Ruland (42), Schauspielerin: “Das ist Verletzung der Privatsphäre. Wenn ich meinen Wohnort entdecken würde, dann würde ich sofort Einspruch erheben. Bedenklich wäre es vor allem, wenn mein Kind zu sehen wäre.”

Manuela Dunkel (36), Angestellte aus Halle: “Die können nicht einfach mein Grundstück ins Netz setzen. Wenn ich mich auf meinen Rasen lege, möchte ich mich nicht im Internet wiederfinden.”

Auch unter den Befürwortern ist ein Ahnungsloser:

Marcus Schenkenberg (42), Topmodel: “Tolle Sache! Wenn ich unterwegs bin, kann ich mich überzeugen, ob meine Häuser in New York, Stockholm und L. A . noch stehen. Eins muss tabu sein – in die Fenster reinzufilmen!”

Nun könnte man natürlich fragen, warum die “Bild”-Zeitung diese Menschen (und die Leser) nicht darüber aufklärt, dass diese Urteile auf falschen Annahmen beruhen. Das ist aber vermutlich die falsche Frage. Unter den bekennenden “Street View”-Gegnern findet sich nämlich auch dieser:

Martin Wichmann (53), BILD-Redakteur: “Ich habe mir bewusst ein Haus gesucht, das nicht von allen Seiten einsehbar ist. Das soll jetzt nicht durch Google auf den Kopf gestellt werden.”

Wie es Google schafft, von der öffentlichen Straße aus Dinge zu sehen, die für andere nicht einsehbar sind; ob die Firma nach Ansicht des “Bild”-Mannes spezielle Kameras hat, die durch Mauern fotografieren können, oder ob sie eigene, sagen wir: “Leser-Reporter” dafür einsetzt, bleibt offen.

Mit Dank an nrwbasti!

Nachtrag, 15. August. Mehrere BILDblog-Leser haben den letzten Absatz kritisiert. Richtig ist, dass die “Street View”-Aufnahmen aus einer Höhe von 2,90 Metern gemacht werden, also einen anderen Blick erlauben, als ihn Fußgänger haben (aber zum Beispiel Busreisende). Schwer zu glauben allerdings, dass “Bild”-Redakteur Wichmann das gemeint haben soll, als er sagte, sein Haus sei bewusst “nicht von allen Seiten einsehbar” und Google stelle das mit seinen Aufnahmen “auf den Kopf”.

Nachtrag, 16. August. Erstaunlich: Heute “klärt BILD die größten Missverständnisse [über “Street View”] auf”, darunter auch die von ihr selbst verbreiteten.

Robert Enke und eine Frage der Sensibilität

Ende 2009 berichtete Bild.de über eine “Panne”, die Hannover 96 in seinem Jahrbuch passiert sei. Neben einem Foto von Torwart Robert Enke, der sich von einem Zug hatte überrollen lassen, war eine Anzeige von dem Reifenhersteller Continental abgedruckt. Der Slogan lautete: “Kurze Bremswege, wenn es drauf ankommt.” Ein Vereinssprecher entschuldigte sich dafür: “Wir waren da nicht sensibel genug, es tut uns leid.”

Robert Enke / Hannover bedauert Jahrbuch-Panne

Heute berichtet Bild.de über einen “Gänsehaut-Moment” bei einem Konzert der Band U2 gestern im Stadion von Hannover: Sänger Bono erinnerte an Robert Enke und seine Familie. Vor dem Filmbericht darüber zeigt Bild.de Werbung des Reifenherstellers Continental. Der Slogan lautet: “Wenn nur alles so schnell stoppen könnte wie Reifen von Continental.”

Mit Dank an Bojan J.!

Özil, Ballack und Raúl bei Manchester United!

Nicht ist leichter, als Boulevard-Sportjournalisten in Aufregung zu versetzen. Diese Schlagzeilen erschienen heute (von oben nach unten) auf den Online-Seiten von “Bild”, “Express”, “Sport Bild” und auf T-Online:

So richtig wollte zwar keines der Medien glauben, dass das Auftauchen von Werder-Bremen-Fußballstar Mesut Özil mit einem Profilrudiment auf den Internetseiten von Manchester United bedeutet, dass ein entsprechender Wechsel sicher ist. Aber irgendwas könnte ja dran sein!

“Hat da jemand die Homepage gehackt? Oder weiß man bei ManU etwa schon mehr?”, fragt Bild.de. Die Kollegen von Express.de spekulieren über die mögliche “peinliche Vorbereitung eines Deals, der noch gar nicht in trockenen Tüchern ist”. Und die Online-Experten von “Sport Bild” klingen leicht empört: “ManUnited führt Özil als Spieler. Dabei ist noch nichts unterschrieben.”

Nun. Wir haben aufregende Neuigkeiten.

Nicht nur Özil spielt anscheinend bald bei Manchester United …

… auch Raúl, der doch eigentlich gerade nach Schalke gewechselt war, …

… und sogar Michael Ballack

… und viele weitere bekannte Fußballer.

Auf des Rätsels Lösung könnte man kommen: Unter jedem scheinbaren Spieler-Profil befindet sich ein Link zu der Zusammenfassung einer Meldung aus den Medien, in der der Spieler mit Manchester United in Verbindung gebracht wird. Wann immer die Internetseite des Vereins auf einen solchen Bericht hinweist, wird offenbar ein entsprechendes Profilrudiment angelegt.

Dass Mesut Özil hier geführt wird, hat also nur einen einzigen Grund: Der “Daily Express” hatte vor fünf Wochen darüber spekuliert, dass er als Neuzugang im Gespräch sei, und die Internetseite von Manchester United hatte — mit dem Standard-Hinweis, sich das nicht zu eigen zu machen — die Meldung zusammengefasst.

Ob die Tatsache, dass deshalb gleich eine solche merkwürdige halbleere Profilseite für Özil entsteht, eine “Panne” darstellt oder panne doch eher die Leute von Bild.de und den anderen mit ihrer Spekulationswut und Rechercheunlust sind, lassen mir mal dahingestellt.

Mit Dank an Marcus H., Andree M. und vor allem Benjamin C.!

Bild  

Was Entwürdigen und Verleumden kostet

Thai-Hure boxt deutschen Sex-Touristen k.o.

Es ist ein schrecklich geschundenes Gesicht, das “Bild” am 11. August 2004 in Großaufnahme zeigt. Das linke Auge des Mannes ist fast zugeschwollen, im Mund ist getrocknetes Blut zu sehen, auf Wangen und Nase haben Schläge deutliche Spuren hinterlassen.

Das Foto des Mannes war von einer Nachrichtenagentur unter Berufung auf die thailändische Zeitung “Pattaya Mail” verbreitet worden. Die Geschichte zu dem Gesicht erzählte “Bild” so: Ein deutscher Geschäftsmann namens F. habe sich als “Sex-Tourist” im thailändischen Urlaubsort Pattaya aufgehalten.

Er engagierte ein Thai-Mädchen, versprach ihr viel Geld für ein privates Pornovideo. (…)

Für 1000 Baht (umgerechnet 20 Euro) willigte die Prostiuierte ein, ging mit ihm aufs Zimmer — und ließ sich filmen. Aber nach dem Sex wollte der Bayer plötzlich den vereinbarten Lohn nicht zahlen! Lautstarker Streit, die Hure wurde handgreiflich, sie stürzte sich auf den Deutschen, schlug ihm ins Gesicht. (…) Vergeblich versuchten andere Prostituierte und die Bordellchefin dazwischenzugehen.

Erst Polizisten konnten den Deutschen und die Hure trennen. (…)

Eine tolle Geschichte, oder wie “Bild” schrieb: “ein unglaublicher Fall”, den das Blatt natürlich trotzdem unbesehen geglaubt hatte.

Doch die Geschichte ist falsch. Das fängt schon damit an, dass der Mann, den “Bild” groß im Foto zeigt und mit Vornamen, abgekürztem Nachnamen, Alter und Heimatort nennt, kein “Sex-Tourist” ist, sondern in Pattaya lebt. Und es hört nicht damit auf, dass der Mann in seiner eigenen Wohnung zusammengeschlagen wurde, nicht in einem Bordell, weshalb auch keinen anderen Prostituierten oder gar eine Bordellchefin dazwischen gingen.

F. hat die “Bild”-Zeitung damals verklagt. Nach über fünf Jahren Verhandlung hat das Landgericht Hamburg in der vergangenen Woche endlich ein Urteil gefällt: Das Blatt habe das Persönlichkeitsrecht von F. “in schwerwiegender Weise” verletzt. Der Inhalt des Artikels sei “unwahr”. Durch die Veröffentlichung des Fotos habe die Zeitung “in evidenter und krasser Weise” gegen F.s Recht am eigenen Bild verstoßen:

Es handelt sich um eine großformatige Portraitaufnahme des Klägers, die ihn entstellt zeigt, nachdem er Opfer einer Straftat geworden ist. Sie zerrt den Kläger an die massenmediale Öffentlichkeit, zeigt ihn in einem Zustand, der einer Krankheit vergleichbar ist, und macht diesen für jedermann sichtbar. Der Kläger wird entwürdigend und anprangernd dargestellt.

Und was kostet sowas? Nicht viel: Das Gericht verurteilte “Bild” zur Zahlung von 10.000 Euro Schmerzensgeld, und nicht einmal die wird der Kläger vollständig bekommen.

Ein Sieg ist das nicht.

Dass der “Bild”-Bericht in den wesentlichen Punkten falsch ist, steht außer Frage. Umstritten ist, ob er einen wahren Anlass hat.

Die “Bild”-Zeitung hatte als Teil ihrer Verteidigung einen Mann zur “Nachrecherche” nach Thailand geschickt und behauptete nun, Hintergrund des Angriffs seien mehrere Pornofilme gewesen, die F. mit einer Prostituierten gedreht habe, deren Herausgabe sie forderte und die später von der Polizei auf F.s Computer gefunden worden seien. Als F. der Forderung nicht nachkam, habe die Frau Freunde zu Hilfe gerufen, woraufhin es zu den Handgreiflichkeiten gekommen sei.

F. bestreitet einen solchen Zusammenhang und schildert die Tat als einen brutalen Raubüberfall von zwei Männern auf ihn. Die Frau, die ihn laut “Bild” mit verprügelt haben soll, sei gar nicht anwesend gewesen. Auf seinem Computer seien zwar pornografische Filme gewesen, aber keiner mit der betreffenden Frau.

Das Hamburger Gericht ließ in Thailand einen Polizeibeamten als Zeugen vernehmen, der mit dem Fall damals zu tun hatte, aber nicht vor Ort war. Das trug mit zu der erstaunlichen Verlängerung der Prozessdauer bei, brachte aber nur bedingt Klarheit. Am Ende glaubte das Gericht, dass ein Streit um die Videos, die während der Beziehung zwischen der Frau und F. “zum Hausgebrauch” entstanden seien, Hintergrund der Körperverletzung gewesen sei. Somit sei die Berichterstattung von “Bild” zwar in weiten Teilen unwahr, sei aber “auf ein reales Geschehen zurückzuführen”. Das mindere den Schadensersatzanspruch von F.

Als entscheidend für die Höhe der zu zahlenden Summe wertete das Gericht auch, inwieweit die “Bild”-Berichterstattung Folgen für F. hatte. Ungefähr die einzige Aussage des Opfers, die die “Bild”-Anwälte ihm glaubten, war die, dass er kein “Sex-Tourist” ist, sondern seinen Wohnsitz in Thailand hat. In Thailand, so die Argumentation der “Bild”-Anwälte, würden aber nicht einmal 400 Exemplare des Blattes täglich verkauft. Dass die Familie von F. in Oberstdorf lebe, dass er regelmäßig dorthin zu Besuch fahre, dass die Mutter von F. vielfach auf den “Bild”-Artikel über ihren Sohn angesprochen worden sei, all das bestritten die Anwälte pauschal.

Das Gericht urteilte, dass F. von der falschen und seine Persönlichkeitsrechte verletzenden Berichterstattung “weniger intensiv betroffen” sei, weil er seinen Lebensmittelpunkt in Thailand habe.

Anstelle der Forderung von 30.000 Euro, für die das Gericht dem Kläger ursprünglich Prozesskostenhilfe bewilligt hatte, sprach die Zivilkammer 24 dem “Bild”-Opfer nur 10.000 Euro Schmerzensgeld zu. Ursprünglich hatte F. auch versucht, “Bild” zu einem Widerruf zu zwingen — eine Forderung, die F.s Anwalt zurückziehen musste, weil es sich als unmöglich erwies, Zeugen des Tatverlaufs in Thailand aufzutreiben. Den Streitwert eines solchen Widerrufs hatte das Gericht mit 50.000 Euro angegeben. Die 10.000 Euro entsprechen somit nur einem Achtel der Forderungen des Klägers, der deshalb sieben Achtel der Kosten tragen muss.

Die Kosten des Gerichtes und seines eigenen Anwaltes trägt die Staatskasse. Von den 10.000 Euro Schmerzensgeld zuzüglich Zinsen, die “Bild” F. zahlen muss, kann das Blatt rund 3000 Euro eigene Anwaltskosten gleich abziehen.

F. ist außerordentlich frustriert. Er beschwert sich über die massive Verzögerungstaktik des Richters Andreas Buske und meint, dass schon die Veröffentlichung des “schrecklichen Fotos” von ihm eindeutig unzulässig gewesen sei. Er muss sich nun entscheiden, ob er Berufung gegen das Urteil einlegt.

Für “Bild” sind die paar Euro für die Entwürdigung und Verleumdung eines Menschen sicher leicht zu verschmerzen.

Mit Dank an Rolf Schälike, der auf seiner Seite Buskeismus auch über den Fall berichtet.

Bild  

Kleine Brücken unter Freunden (2)

Neulich berichteten wir darüber, mit welcher Penetranz die “Bild”-Zeitung seit Jahren für einen einflussreichen politischen Verein namens Atlantik-Brücke wirbt, in dem “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann maßgeblich aktiv ist und zeitweise sogar im Vorstand saß — eine Tatsache, die “Bild” natürlich nie erwähnenswert fand.

Uwe Krüger hat als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leipziger Institut für praktische Journalismusforschung in einer Analyse von Netzwerken wichtiger deutscher Journalisten ein besonders anschauliches Beispiel dafür gefunden, wie konsequent intransparent die “Bild”-Zeitung in ihrer Berichterstattung mit der Doppelrolle ihres Chefredakteurs umgeht.

Am 27. Februar 2009 berichtete “Bild” auf Seite 2 mit Foto über eine Erklärung der Atlantik-Brücke:

Aber das ist nicht das komplette Gruppenfoto. Das sieht so aus:

Der Mann ganz links ist Kai Diekmann, Chefredakteur der “Bild”-Zeitung, Vorstandsmitglied der Atlantik-Brücke.

Nachtrag/Korrektur, 13. Juli: Der Journalist heißt Uwe Krüger, nicht wie ursprünglich von uns geschrieben “Kröger”.

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