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“… sieht die Redaktion keinen Anlass für weitere Berichterstattung”

Was viele ja nicht wissen: Die “Bild”-Medien wollen mit ihrer realistischen Skandal-Berichterstattung eigentlich nur aufrütteln, im besten Fall jene, um die es darin geht. Zum Beispiel Jan Ullrich. “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de haben Artikel um Artikel über den früheren Rad-Profi rausgehauen, allein bei Bild.de waren es 43 Beiträge in 17 Tagen. Ist der oder die Betroffene durch die ganzen Details aus seinem oder ihrem Privatleben, die “Bild”-Mitarbeiter genüsslich der Öffentlichkeit präsentieren, dann endlich aufgerüttelt, macht die Redaktion auch direkt Schluss.

In etwa so verteidigte “Bild”-Ombudsmann Ernst Elitz am 20. August jedenfalls die vielen, vielen Artikel über Jan Ullrich:

BILD berichtete am Beispiel von Jan Ullrich über die Hölle, die ein Drogensüchtiger durchläuft, bis er sich zum Entzug entscheidet. Leser Bennop Jonas fand diese Berichterstattung “untragbar”.

Aber sie war höchst realistisch und rüttelte auf. Nachdem der Ex-Profisportler sich für den Entzug entschieden hat, sieht die Redaktion keinen Anlass für weitere Berichterstattung.

So schaut es in der Praxis aus, wenn eine “Redaktion keinen Anlass für weitere Berichterstattung” sieht:

Screenshot Bild.de - Bild-Besuch in der Betty-Ford-Klinik - So geht es Ullrich im Drogenentzug - Ich werde täglich auf Substanzen getestet
(Bild.de am 23. August)
Screenshot Bild.de - Seit der Ex-Radstar in Drogen-Therapie ist - Drei Einbrüche in Ullrichs Villa!
(Bild.de am 24. August)
Screenshot Bild.de - Monate nach der Trennung - Ullrich trägt noch immer seinen Ehering - seine Frau Sara nicht mehr
(Bild.de am 25. August)
Screenshot Bild.de - Ullrich über sein Liebes-Leben in der Klinik - Ich brauche halt Sex
(Bild.de am 29. August)
Screenshot Bild.de - Entzug vorbei - Ullrich zurück auf Mallorca
(Bild.de am 2. September)

Entweder verarschen die “Bild”-Mitarbeiter den viel zu leichtgläubigen “Bild”-Ombudsmann bei seinen Nachfragen zur “Bild”-Berichterstattung. Oder der “Bild”-Ombudsmann verarscht die Leserinnen und Leser, die ihm schreiben, weil er eigentlich weiß, dass es Unsinn ist, was er ihnen antwortet. Schwer zu sagen, was trauriger wäre.

Von den fünf Bild.de-Artikeln über Jan Ullrich, die erschienen sind, seit bei Bild.de eigentlich keine Artikel mehr über Jan Ullrich erscheinen, kann man drei nur mit einem “Bild plus”-Abo lesen. Von den 43 Artikeln über Ullrich, die Bild.de zuvor veröffentlicht hat, befinden sich 22 hinter der Bezahlschranke. Dass es bei der Ullrich-Dauerberichterstattung auch ums Geldmachen mit dem tragischen Absturz einer Person geht, die dringend Hilfe braucht — das wäre mal ein Thema für einen Ombudsmann.

Dazu auch:

Wie “Bild” mit falschen Überschriften den Hass auf den Islam füttert

Das Wörtchen “statt” kann ein sehr vergiftetes sein. Zum Beispiel wenn man es so falsch einsetzt wie die “Bild”-Redaktion vorgestern in ihrer Bundesausgabe …

Ausriss Bild-Zeitung - An Berliner Grundschule - Nur noch Islam-Kunde statt evangelischer Religion

… und bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - An Berliner Schule - Islam-Kunde statt evangelischer Religion

Das “statt” ist in diesem Zusammenhang Unsinn. Es lässt die Leserinnen und Leser glauben, dass an einer Berliner Grundschule Islam-Kunde an die Stelle des evangelische Religionsunterrichts gerückt ist. Oder eine Ebene höher: Der Islam verdrängt das Christentum. Doch das stimmt nicht.

Tatsächlich gab es an der Teltow-Grundschule in Berlin-Schöneberg, über die die “Bild”-Medien schreiben, schon länger parallel christlichen Religionsunterricht, Islam-Kunde und Lebenskunde, wo es um Ethik geht. Die Kinder konnten mit ihren Eltern auswählen, worüber sie in zwei Schulstunden pro Woche etwas lernen möchten.

Diese Fächer werden allerdings nicht von Lehrern der Schule unterrichtet, sondern von Vertretern der religiösen oder humanistischen Träger. An der Teltow-Grundschule ist für den christlichen Religionsunterricht die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz zuständig. Und die hat seit einiger Zeit nicht mehr genug Personal, um den Unterricht an allen Berliner Schulen anzubieten, so auch an der Teltow-Grundschule.

Das wäre eigentlich auch schon die ganze Geschichte: Die Evangelische Kirche hat Personalmangel, daher können die Kinder aktuell nur zwischen Islam- und Lebenskunde wählen. Wäre da nicht ein Vater, der sich in “Bild” aufregt, dass etwas schieflaufe “‘im christlichen Abendland'”, “‘wenn in einer normalen Grundschule nur noch Islam-Unterricht, aber kein evangelischer Religionsunterricht mehr angeboten wird'”.

Sein neunjähriger Sohn habe nun “statt Religionsunterricht jeweils eine Freistunde”, schreiben die “Bild”-Medien. Das stimme allerdings nicht, wie uns die Schulleitung auf Nachfrage sagt. Der Junge und seine Eltern könnten derzeit zwischen Lebenskunde und Islam-Unterricht wählen. Auf dem Stundenplan des Kindes, den “Bild” und Bild.de zeigen, sieht man auch zumindest am Dienstag in der fünften Stunde neben dem Kürzel “Isl”, das wohl für Islam-Kunde stehen soll, auch das Kürzel “Lk”, das für Lebenskunde stehen dürfte:

Screenshot Bild.de - Stundenplan des Jungen, mit den Kürzeln Lk und Isl in der fünften Stunde am Dienstag

So richtig neu sei der Ausfall des christlichen Religionsunterrichts laut Schulleitung übrigens nicht. Das sei auch schon im vergangenen Schuljahr so gewesen, aus demselben Grund. Und die Eltern seien auch bereits früh informiert worden, etwa über die Elternvertretung.

Die Schulleitung bedauert es ebenfalls, dass der christliche Religionsunterricht derzeit nicht wie gewohnt angeboten werden kann. Sie hat schon vor einiger Zeit Maßnahmen ergriffen, damit er nicht für die komplette Schule ausfällt: Mit der Evangelischen Kirchengemeinde Alt-Schöneberg habe man vereinbaren können, dass diese Pfarrer schickt, die den christlichen Religionsunterricht für die Jahrgangsstufen 1 und 2 übernehmen. Für die Klassen 3 bis 6, also auch für den Jungen, dessen Stundenplan “Bild” abdruckt, werde es Projekttage zum Thema “Kinder begegnen Religionen” geben, geplant von der Evangelischen Kirche. Außerdem werde wie immer eine Weihnachtsfeier stattfinden, man werde wie immer einen großen Weihnachtsbaum aufstellen. Dass der Islam an der Teltow-Grundschule das Christentum verdrängt, kann man nun wirklich nicht sagen.

Von all diesen Bemühungen liest man in dem “Bild”-Artikel: nichts.

Immerhin schreiben auch die “Bild”-Medien, dass der Grund für den Ausfall der Personalmangel bei der Evangelische Kirche ist. Bloß: Bei Bild.de erfahren das nur die knapp 400.000 Personen, die ein “Bild plus”-Abo haben. Die anderen Millionen, die Bild.de besuchen, sehen lediglich die falsche Schlagzeile und ziehen mehr oder weniger empört weiter.

Dass die “statt”-Überschrift für Wut sorgt, kann man im Kommentarbereich auf der Facebook-Seite von “BILD News” sehen:

Screenshot eines Facebook-Kommentars - Wir werden noch mal aus dem eigenen Land geschmissen, wenn das so weitergeht.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Die Deutschen schaffen sich und ihre eigenen Identität ab um lieber eine andere zu leben
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Traurig aber wahr. Es gibt mehr Islamisten als Evangelisten und Katholiken. Der Islam will Deutschland besetzen! Und wenn es so weitergeht, dann schaffen die das.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Chemnitz war erst der Anfang
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Gibt bald Bürgerkrieg
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Bald sind wie Deutsche fremd im eigenen Land.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Verabschiedet euch schon mal von Deutschland. Merkel und Co treiben uns in den Abgrund. Fehlt eine bestimmte Person, die Deutschland wieder zu Deutschland macht.

Nach dem falschen Weihnachtsmarktverbot, der vermeintlichen Politiker-Forderung, im Weihnachtsgottesdienst muslimische Lieder zu singen, und der nächsten falschen verbotenen Weihnacht ist “Islam-Kunde statt evangelischer Religion” das nächste Kapitel in der langen “Bild”-Erzählung vom scheinbaren Einknicken Deutschlands vor dem Islam.

Eins ist sicher: “Bild” macht Angst

“Die neue Serie”, die heute in “Bild” und bei Bild.de gestartet ist, ist eigentlich schon eine ganz alte: Es geht um die “Bild”-Kernkompetenzen Angsthaben und Angstmachen. Nur dass die Redaktion den Artikel etwas anders überschrieben hat:

Ausriss Bild-Zeitung - So unsicher ist Deutschland - Neue Serie in Bild: Die Wahrheit über Verbrechen und Gewalt

Auch Bild.de hat die UNsicherheit in Deutschland auf der Startseite extra noch mal gelb hervorgehoben (die Antwort, wie unsicher Deutschland ist, gibt es nur für “Bild plus”-Abonnenten):

Screenshot Bild.de - Neue Serie in Bild: Die Wahrheit über Verbrechen und Gewalt - So unsicher ist Deutschland

Den Anlass für ihre “Verbrechen und Gewalt”-Serie nennt die Redaktion direkt im ersten Satz:

Jeder dritte Deutsche fühlt sich in seinem Land nicht mehr sicher!

Nun könnte man diesem Drittel der Deutschen erklären, dass es sich bei ihrem Unsicherheitsgefühl um ein subjektives Empfinden handelt, und dass das subjektive Empfinden der zwei anderen Drittel der Deutschen eher mit den Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts zusammenpasst. Vor allem, was das “nicht mehr sicher” angeht. Denn das beinhaltet ja auch, dass sich diese Leute mal sicher gefühlt haben, nun aber “nicht mehr”.

Schaut man sich die PKS für das Jahr 2017, auf der die “Bild”-Serie hauptsächlich beruht, selbst an, erkennt man den genau gegenteiligen Trend: Es gab im vergangenen Jahr weniger erfasste Straftaten als ein Jahr zuvor. Deutlich weniger: 2017 waren es 5.761.984, 2016 noch 6.372.526. Ein Rückgang von 9,6 Prozent. Zur Wahrheit gehört auch, dass 2015 und 2016 recht hohe Werte vorlagen. Aber: Mit den knapp 5,76 Millionen Straftaten waren es 2017 so wenige wie seit 1993 (6.750.613) nicht mehr. Die Gewaltkriminalität mit Morden, Raubdelikten und Körperverletzungen ist gesunken (minus 2,4 Prozent), die Straßenkriminalität ist gesunken (minus 8,6 Prozent), die Diebstahlkriminalität ist gesunken (minus 11,8 Prozent), es gab weniger Beleidigungen (minus 7,7 Prozent). Die Wirtschaftskriminalität ist hingegen gestiegen (plus 28,7 Prozent), genauso die Fallzahl der Vergewaltigungen, sexuellen Nötigungen und Übergriffe, wobei das Bundeskriminalamt darauf hinweist, dass “aufgrund der Änderungen im Sexualstrafrecht” ein Vergleich mit dem Vorjahr nicht möglich sei.

Solche Details und auch die Zahl der “Straftaten insgesamt” in Deutschland nennen die “Bild”-Medien nicht — und damit natürlich auch nicht den Rückgang der Straftaten. Das ist schon ein bisschen merkwürdig: Zum Start einer Serie über “Verbrechen und Gewalt” in Deutschland erzählt die Redaktion nicht, wie viele Verbrechen und wie viel Gewalt es in Deutschland überhaupt gibt. Stattdessen handelt Teil 1 von den Opfern von “Verbrechen und Gewalt”. Im für morgen angekündigten Teil 2 soll es um die Täter gehen. Damit scheint sich die “Bild”-Redaktion am Aufbau der PKS zu orientieren — nur dass dort vor Band 2 (“Opfer”, PDF) und Band 3 (“Täter”, PDF) noch Band 1 (“Fälle, Aufklärung, Schaden”, PDF) mit den “Straftaten insgesamt” kommt.

Stattdessen betrachten “Bild” und Bild.de zum Start also die Opfer. Polizei-Gewerkschafter und Hardliner Rainer Wendt darf natürlich was dazu sagen, die “Bild”-Redaktion hält den Aufwand überschaubar, indem sie vom Bundeskriminalamt bereits herausgearbeitete Trends und zusammengefasste Beobachtungen abschreibt, und wenn sie aus der Statistik dann doch mal eine eigene Erkenntnis zieht, ist diese eher verwirrend als erhellend:

Ausriss Bild-Zeitung - Die meisten Opfer sind 21 bis 59 Jahre alt - dazu ein Tortendiagramm mit Opfer insgesamt: 1008510, unter 6 Jahren: 10035, 6 bis 13 Jahre: 58785, 14 bis 17 Jahre: 84071, 18 bis 20 Jahre: 88834, 21 bis 59 Jahre: 704139, 60 Jahre und älter: 62646

Es ist nicht so überraschend, dass eine Gruppe mit 39 Jahrgängen (21 bis 59 Jahre) deutlich größer ist als Gruppen mit drei (18 bis 20 Jahre) oder vier Jahrgängen (14 bis 17 Jahre). Rechnet man aber die Opferzahl auf Opfer pro Jahrgang runter (was gerade bei so großen Spannen wie 21 bis 59 Jahre selbstverständlich zu recht ungenauen Ergebnissen führen kann), sieht es schon anders aus: Bei den 21- bis 59-Jährigen sind es durchschnittlich 18.055 Opfer pro Jahrgang, bei den 18- bis 20-Jährigen 29.611 und bei den 14- bis 17-Jährigen 21.017.

Um den insgesamt 1.008.510 Opfern zumindest ein paar Gesichter zu geben, haben die “Bild”-Medien drei konkrete Beispiele rausgesucht: Eine Frau, bei der ein Albaner ins Haus eingebrochen ist, eine Familie, die zusammengeschlagen wurde, Tatverdächtige: zwei Serben und ein Syrer, sowie eine alte Frau, die verprügelt und ausgeraubt wurde, Täter unbekannt.

Fünf Täter/Tatverdächtige, vier davon Ausländer, einer unbekannt. Es kann ein unglücklicher, die Tatverdächtigen-Statistik verzerrender Zufall sein, dass “Bild” diese Auswahl so getroffen hat. Es kann aber auch kein Zufall sein. Und man glaubt weniger an einen Zufall, wenn man die Ankündigung für den morgigen Serien-Teil 2 liest:

Ausriss Bild-Zeitung - Lesen Sie morgen in Bild: Junge Männer oder Flüchtlinge - das sind die größten Tätergruppen!

Wir verraten gern schon heute: Flüchtlinge sind nicht die größte Tätergruppe.

Tierisch werbendes Gespräch

Was der Jan Josef Liefers nicht alles so zum Interviewtermin mitbringt:

Das Café am Neuen See am Dienstagmittag. Am Ende des Bootssteges sitzt Jan Josef Liefers (54). Um den Schauspieler herum springt ein süßer Mischlingshund namens Toni. Den hat der “Tatort”-Star nicht ohne Grund zum B.Z.-Gespräch mitgebracht — schließlich geht es (auch) um Vierbeiner.

Neinnein, den süßen Toni meinten wir gar nicht. Sondern die Packung Hundefutter und den Fressnapf. Auch diese zwei Dinge dürfte Liefers “nicht ohne Grund zum B.Z.-Gespräch mitgebracht” haben, schließlich ist er laut “B.Z.” das “neue Aushängeschild” der Firma, die den Sack Hundefutter hergestellt hat und deren Logo auf dem Napf prangt:

Screenshot bz-berlin.de - Foto von Jan Josef Liefers auf dem Bootsteeg am See, neben ihm sein Hund Toni sowie unübersehbar der Sack Hundefutter und der Fressnapf

Laut Fotocredit handelt es sich um ein Promo-Bild der Hundefutterfirma.

Da diese Firma “sich sogenanntem Clean Feeding verschrieben hat”, sagt Jan Josef Liefers zum “B.Z.”-Autor Sachen wie: “Es sind nur Dinge drin, die für den Hund auch wirklich gut sind” oder “Ein Hund ist doch kein Abfalleimer!” Und die “B.Z.” packt das dann brav in ihre Schlagzeile:

Screenshot bz-berlin.de - Tierisches Gespräch - Jan Josef Liefers: Ein Hund ist doch kein Abfalleimer!

Mit Dank an Ronald für den Hinweis!

Nachtrag, 24. August: Sowohl bei Bild.de als auch bei Tagesspiegel.de sind ebenfalls Artikel über Jan Josef Liefers, seinen Toni und das tollste Hundefutter der Welt erschienen. Dazu auch Fotos des Schauspielers mit dessen Hund und einem Sack Drops für Toni. Allerdings in beiden Fällen, anders als auf der Website der “B.Z.”, klar als “Anzeige” gekennzeichnet. Bei Bild.de erschien der Beitrag im sogenannten “Brand Studio”, wo der Verlag Advertorials ablädt. Bei Tagesspiegel.de steht über dem Text: “Unternehmensnachrichten präsentiert von PRESSEPORTAL”.

Nachtrag 2, 24. August: Die Onlineredaktion der “B.Z.” hat das Foto von Jan Josef Liefers und seinem Hund Toni nun so beschnitten, dass der Sack Hundefutter und der Fressnapf nicht mehr zu sehen sind.

Kurz korrigiert (511)

Und wurde nicht Chalid Scheich Mohammed von Deutschlands Lieblings-Menschenrechtler Obama 183 Mal mit der Wasserfolter behandelt und lebt immer noch?

… fragt Bundesrichter a. D. Thomas Fischer in seinem gestern bei “Spiegel Online” erschienenen Text.

Nein, das Waterboarding im Verhör von Chalid Scheich Mohammed durch die CIA fand nicht während der Präsidentschaft von Barack Obama statt. Obama war es, der als US-Präsident im April 2009 interne Papiere des Geheimdienstes veröffentlichte, die unter anderem belegten, dass Chalid Scheich Mohammed 183 Mal durch Waterboarding, also das simulierte Ertrinken, gefoltert wurde. Das Ganze fand, wie man unter anderem bei “Spiegel Online” nachlesen kann, im März 2003 statt. Damals war George W. Bush Präsident der Vereinigten Staaten. Dessen Nachfolger Obama ordnete noch im ersten Monat seiner ersten Amtszeit ein Verbot von Waterboarding und weiteren Foltermethoden an.

In den Kommentaren unter dem sonst lesenswerten Text von Fischer zum “rechtsstaatlichen Desaster um Sami A.” haben recht früh Nutzer auf den Fehler hingewiesen. Passiert ist nichts.

Mit Dank an Florian R. für den Hinweis!

Nachtrag, 23. August: In den Kommentaren unter Thomas Fischers Artikel hat jemand auf Leser-Kritik geantwortet, der laut Usernamen Thomas Fischer ist. Er geht dort auch auf den Vorwurf zum 183-fachen Waterboarding ein — einen eigenen Fehler kann der Autor aber offenbar nicht erkennen:

Mit “Obama” ist natürlich das System Guantanamo gemeint, wo der Scheich mutmaßlich immer noch lebt.

“natürlich”.

Aber auch das ergibt nicht so richtig Sinn. Abgesehen davon, dass das 183-fache Waterboarding nicht in Guantanamo, sondern in einem CIA-Gefängnis in Polen stattgefunden haben soll, bleibt es dabei, dass Barack Obama zur Zeit der von Fischer angesprochenen Folter gegen Chalid Scheich Mohammed noch längst nicht im Amt war.

Mit Dank an @Fotobiene und Anonym für die Hinweise!

Nachtrag 2, 23. August: “Spiegel Online” hat den Satz aus dem Text gestrichen und am Ende des Artikels — im Sinne der Transparenz — diese Anmerkung veröffentlicht:

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Chalid Scheich Mohammed sei während der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama 183 Mal der Wasserfolter unterzogen worden. Tatsächlich geschah dies 2003 in der Amtszeit von George W. Bush.

Bild  

Die Gedanken sind frei, nur bei Julian Reichelt sind sie strafbar

Manchmal ist “Bild”-Chef Julian Reichelt auch zuvorkommend. Denn eigentlich hätten wir zu seinem besorgniserregenden Tweet von gestern Abend erstmal den passenden Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch raussuchen müssen, um ihm die Falschheit seiner Überlegungen zeigen zu können. Reichelt war aber so freundlich, diesen Paragrafen, der ihm widerspricht, als vermeintliches Argument selbst mitzuliefern:

Screenshot eines Tweets von Bild-Chef Julian Reichelt - Es ist besorgniserregend, wie verbreitet die Lesart ist, terroristische Planspiele (oder Träume von Gefährdern in der Diktion der FAS) wären erlaubt und vom deutschen Rechtsstaat geschützt. Dazu ein Link zu Paragraf 89a Strafgesetzbuch

Natürlich sind “‘Träume’ von Gefährdern” vom deutschen Rechtsstaat geschützt, wie Träume jeder anderen Person vom deutschen Rechtsstaat geschützt sind. Das zeigt auch Paragraf 89a des Strafgesetzbuchs, den Reichelt in seinem Tweet verlinkt und der ziemlich klar regelt, wann es sich um eine strafbare “Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat” handelt. In Absatz 2 steht dazu:

Absatz 1 ist nur anzuwenden, wenn der Täter eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er

1. eine andere Person unterweist oder sich unterweisen lässt in der Herstellung von oder im Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoffen, Spreng- oder Brandvorrichtungen, Kernbrenn- oder sonstigen radioaktiven Stoffen, Stoffen, die Gift enthalten oder hervorbringen können, anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, zur Ausführung der Tat erforderlichen besonderen Vorrichtungen oder in sonstigen Fertigkeiten, die der Begehung einer der in Absatz 1 genannten Straftaten dienen,

2. Waffen, Stoffe oder Vorrichtungen der in Nummer 1 bezeichneten Art herstellt, sich oder einem anderen verschafft, verwahrt oder einem anderen überlässt oder

3. Gegenstände oder Stoffe sich verschafft oder verwahrt, die für die Herstellung von Waffen, Stoffen oder Vorrichtungen der in Nummer 1 bezeichneten Art wesentlich sind.

Das Träumen von einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat wird in dem Paragrafen, den Julian Reichelt zum Beweis der Strafbarkeit vom Träumen von einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat anführt, nicht erwähnt.

Nach der Reicheltschen Selbstwiderlegung bleiben noch die “terroristischen Planspiele”, von denen er schreibt. Diesen Ausdruck hat allerdings nicht eine andere Person in die Debatte eingebracht, sondern Reichelt selbst.

Harald Staun schrieb in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” mit Bezug auf einen Reichelt-Text, der am vergangenen Freitag in “Bild” erschienen ist:

Besonders schlimm aber findet Reichelt das bekannte Dilemma, dass der Rechtsstaat auch jene schützt, die ihn verachten, solange sie nicht gegen die Gesetze verstoßen. Er schützt auch jene Menschen, die “das Bier in der Kneipe und die Bikinis an den Stränden” verachten, seien es Weintrinker, Kulturtouristen oder Islamisten. Und er verbietet nicht einmal, davon zu träumen, Busse, Bahnen oder Verlagshäuser in die Luft zu sprengen. Doch einen Rechtsstaat, der nicht schon böse Absichten bestraft, würde Reichelt gerne abschaffen

Reichelt ärgerte sich bei Twitter über Stauns Text und wandelte dabei innerhalb von zwei Sätzen das Träumen in “Planspiele” um:

Screenshot eines Tweets von Bild-Chef Julian Reichelt - Die FAS würdigt heute die Freiheit von Gefährdern, davon zu träumen, Verlagshäuser in die Luft zu sprengen. Ich glaube nicht, dass terroristische Planspiele von Gefährdern vom Rechtsstaat geschützt sind.

Nur haben Harald Staun und die “FAS” nie von “Planspielen” gesprochen — diese Umdeutung stammt allein von Julian Reichelt.

In den Antworten auf seinen Tweet von gestern versuchen andere Twitter-Nutzer, Julian Reichelt zu erklären, was bei seinen Überlegungen alles schiefläuft. Aber ob ihn überhaupt interessiert, was für einen Unsinn er verzapft?

Von “Bild” vermittelter Eindruck vom “Bamf-Skandal” “täuscht offenbar”

Der Bamf-Skandal hat Deutschland wochenlang in Atem gehalten: Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird gepfuscht, vielen Flüchtlingen wird der Schutzstatus in Deutschland gewährt, obwohl er ihnen nicht zusteht? So lauteten die Schlagzeilen.

Jetzt stellt sich heraus: Dieser Eindruck täuscht offenbar

Das schreibt Bild.de heute:

Screenshot Bild.de - Nur wenige Flüchtlinge haben Bleiberecht erschlichen - Wende im Bamf-Skandal

Die Redaktion bezieht sich dabei auf einen Artikel der “Süddeutschen Zeitung”, die berichtet, dass von den etwa 43.000 abgeschlossenen Prüfverfahren im ersten Halbjahr 2018 lediglich 307 dazu führten, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) “den Geflüchteten den bereits gewährten Schutzstatus wieder entzog.” Also: Nur in 0,7 Prozent der untersuchten Fälle musste das Bamf eine positive Entscheidung revidieren. Bei den anderen 99,3 Prozent war der positive Bescheid korrekt.

Dass der “Bamf-Skandal” Deutschland “wochenlang in Atem gehalten” habe, wie Bild.de es heute schreibt, ist eine interessante Zusammenfassung. Eigentlich müsste es heißen: Die Angelegenheit hat Teile Deutschlands wochenlang wutschnaubend von Behördenversagen, unfassbarem Betrug und mafiösen Strukturen beim Bamf schreien lassen — alles, ohne Prüfungen wie die nun abgeschlossene abzuwarten. Ganz vorn dabei bei dieser Empörung: die “Bild”-Medien.

Heinz Buschkowsky, der frühere Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, durfte in “Bild” und bei Bild.de beispielsweise davon schwadronieren, dass es sich bei den Bamf-Missständen um “organisierte Kriminalität” handele. Die “Bild”-Chefreporter Peter Tiede und Hans-Jörg Vehlewald fragten in “Bild”: “Leben wir eigentlich in einer BAMFNANEN-Republik?” Und dann gab es noch, neben vielen weiteren Artikeln, diese “Bild”-Titelgeschichte:

Ausriss Bild-Zeitung -Seit 2000 - Asyl-Behörde ließ 46 Islamisten ins Land!

Im Blatt klang das alles ähnlich beunruhigend:

Ausriss Bild-Zeitung -Asylbehörde Bamf ließ 46 Islamisten ins Land! Ein Ermittler zu Bild: Die Liste wird noch länger werden

Oben bedrohliche ISIS-Kämpfer, unten die düstere Prophezeiung, dazu die Schlagzeile auf Seite 1 mit Ausrufezeichen. Und im Text:

Im dramatischen Asyl-Chaos in der Bremer BAMF-Außenstelle kommt nun auch noch heraus: Seit dem Jahr 2000 haben in der Skandal-Behörde mindestens 115 “nachrichtendienstlich relevante Personen” einen Schutzstatus in Deutschland erhalten!

Darunter sollen auch 46 Islamisten sein, bei denen nicht ausgeschlossen werden könne, dass es sich um “terroristische Gefährder” handele.

Jaja, das kann “nicht ausgeschlossen werden” — wenn man im Sinne einer knalligen und verkaufsträchtigen Titelgeschichte die Prüfung des Verfassungsschutzes nicht abwarten möchte. Dort hat man nämlich 18.000 Personen, die von der Bremer Bamf-Außenstelle seit dem Jahr 2000 Asyl erteilt bekommen haben, überprüft. Ergebnis: ein Gefährder, wie das WDR-Magazin “Monitor” berichtet.

Tatsächlich tauche in einer Antwort des Bundesinnenministeriums auch die Zahl 46 auf. Allerdings handele es sich dabei um sogenannte “Kontakt- und Umfeldpersonen”, die bei der Prüfung aufgefallen seien. Das können auch völlig unbescholtene Geschwister, Eltern, Geschäftspartner, sogar Nachbarn sein.

Bild.de versetzt Tochter an Tatort

In Offenburg soll gestern ein Mann einen Arzt in dessen Praxis mit einem Messer erstochen haben. Bei Bild.de erzählten sie auf der Startseite diese falsche Geschichte dazu:

Screenshot Bild.de - 26-Jähriger tötet Hausarzt mit Messer - Tochter (10) war dabei, als ihr Vater in der Praxis starb

Der vermeintliche Umstand, dass die Tochter vor Ort gewesen ist, macht den ohnehin schon dramatischen Fall noch dramatischer. Das findet auch Bild.de-Autorin Stephanie Keber:

Am Donnerstagmorgen stürmte ein Mann (26) in eine Hausarztpraxis in Offenburg (Baden-Württemberg), tötete einen Mediziner und dessen Assistentin mit einem Messer. Schrecklich: Die Tochter (10) des Arztes war dabei, als ihr Vater in den Räumen der Praxis starb.

Dass auch die Assistentin getötet wurde, stimmt nicht — sie wurde verletzt und musste ins Krankenhaus. Diese Stelle hat Bild.de inzwischen korrigiert.

Doch zurück zu der Tochter. Dass die ebenfalls in der Praxis gewesen sein soll, berichteten auch anderen Medien. Darunter “Focus Online”:

Screenshot Focus Online - Sie rief noch Papa! Mann ersticht Arzt in Offenburger Praxis - zehnjährige Tochter sieht Drama mit an

HNA.de:

Screenshot HNA.de - Angriff ohne Vorwarnung - Messerattacke in Offenburg: Arzt vor seiner Tochter (10) getötet - Haftbefehl erlassen

Merkur.de:

Screenshot Merkur.de - Messerattacke in Offenburg: Arzt vor seiner Tochter (10) getötet - Haftbefehl erlassen

Sie alle beziehen sich dabei auf die “Bild”-Medien.

Da der mutmaßliche Täter aus dem Ausland stammt, interessiert sich auch die AfD für den Fall. Ein Landtagsabgeordneter der Partei startete noch gestern einen Demo-Aufruf, unter anderem mit der Behauptung:

Anlass ist der feige Mord […] an einem deutschen Arzt vor den Augen seiner 10-jährigen Tochter

Woher die Partei die Information mit der Tochter hat, wird nicht direkt klar. Da aber nur Bild.de und die von Bild.de abschreibenden Redaktionen dieses Detail erwähnten, dürfte auch die AfD es von dort haben.

Das Portal “Baden online” berichtet heute* von der Pressekonferenz der zuständigen Staatsanwaltschaft. Dort ging es auch um die angebliche Anwesenheit der Tochter:

Entgegen diverser Berichte hat die Staatsanwaltschaft keine Hinweise darauf, dass sich Familienangehörige während der Tat in der Praxis aufgehalten haben, sagte [Staatsanwaltschaftsleiter] Schäfer. Unter anderem die AfD Ortenau behauptet auf einem Flyer, dass der Arzt vor den Augen seiner Tochter getötet worden sein soll. Das war den Ermittlern zufolge nicht so.

Mit Dank an Fabian für den Hinweis!

*Nachtrag, 18. August: “Baden online” hat den verlinkten Beitrag in der Zwischenzeit überarbeitet. Daher findet man die oben zitierte Passage nicht mehr in dem Artikel. Stattdessen heißt es dort nun:

Falsch waren Medienberichte und Kommentare in den sozialen Medien, denen zufolge die zehnjährige Tochter des Hausarztes die Tat beobachtet haben soll. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tat unter den Augen eines Angehörigen stattgefunden habe, betonte Schäfer. Tatsächlich scheint sich das Kind aber in unmittelbarer Nähe des Tatorts befunden zu haben.

“Bild” zum Fall Sami A.: Populismus statt Aufklärung

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat gestern entschieden: Sami A., vor gut einem Monat nach Tunesien abgeschoben, muss zurück nach Deutschland geholt werden.

In der “Bild”-Ausgabe von heute und bei Bild.de ist dazu ein Kommentar der gesamten Redaktion erschienen:

Ausriss Bild-Zeitung - Das meint Bild - Propaganda-Fest für Radikale

Darin heißt es unter anderem:

In über einem Jahr hat die Bundesregierung es nicht geschafft, einen Mechanismus zu schaffen, um Terroristen wie Sami A. rechtssicher in ihre Heimat zurückzuschicken.

Ein Land, das diejenigen, die es auslöschen und mit Terror überziehen wollen, jahrelang auf Kosten der Steuerzahler aushält, dann auf Kosten der Steuerzahler im Privatjet ausfliegt und dann auf Kosten der Steuerzahler im Privatjet wieder zurückholt, damit sie hier wieder — vom Steuerzahler bezahlt — ihr Unwesen treiben können, das gibt es nur ein einziges Mal auf der Welt. Und dieses Land heißt Deutschland.

Natürlich gelte im Rechtsstaat Deutschland das letzte Wort der Gerichte, natürlich müsse dieser Staat dem Urteil im Fall Sami A. folgen. Doch:

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Osama bin Ladens Leibwächter bald wieder deutschen Boden betreten und umgehend seinen Antrag auf Hartz IV stellen wird. Ein Propaganda-Fest für alle Radikalen im Land, das Merkel, ihr Innenminister Horst Seehofer und der zuständige Minister in NRW zu verantworten haben.

“Das Land, das Terroristen zurückholt” — diesen Wahlkampfslogan bekommt die AfD in Bayern von der Bundesregierung geschenkt. (…)

Wenn Sami A. zurückkehrt, kann man das durchaus als Sieg des Rechtsstaats bezeichnen. Aber auch als schreckliche Niederlage für die Handlungsfähigkeit unseres Staates. All die Versprechen, dass Deutschland Gefährder, Kriminelle, Vorbestrafte bald konsequent abschieben wird, kann kein Mensch mehr ernsthaft glauben.

Es gehört schon ein bisschen Aufwand und Wille dazu, den eigenen Leserinnen und Lesern Urteile von Gerichten, die viele Leute vielleicht nicht verstehen können oder wollen, zu erklären. Bei den “Bild”-Medien gibt es diesen Willen offenbar nicht. Stattdessen hohlen Populismus und falsche Fakten.

Die Redaktion erklärt den Vorgang zu einer “schrecklichen Niederlage für die Handlungsfähigkeit unseres Staates”. Dabei ist die Rückholung — ob sie nun wirklich stattfinden oder an der tunesischen Staatsanwaltschaft scheitern wird, die noch gegen Sami A. ermittelt — das genaue Gegenteil davon. Der Vorgang zeigt, dass der Rechtsstaat funktioniert, auch wenn ihn manch einer auszutricksen versucht. Er zeigt, dass Gerichte unabhängig entscheiden, auch wenn Politiker öffentlich Druck ausüben. Und er zeigt, dass der Rechtsstaat für alle gilt, auch für jene, die als Gefährder geführt werden, auch für jene, die die “Bild”-Redaktion als “Terroristen” bezeichnet, obwohl sie mindestens rechtlich gesehen keine sind.

Genau das müsste man den Leserinnen und Lesern erklären: Dass der Rechtsstaat für jeden gilt; dass jeder das gleiche Recht auf einen fairen Prozess hat, unabhängig von politischer Einstellung und Ideologie, und egal wie unliebsam die jeweilige Person sein mag.

Man müsste den Leserinnen und Lesern erklären, dass sich die Stärke eines Staates auch darin zeigt, wie er mit seinen Feinden umgeht: Ob er ihnen dieselben Rechte und Verfahren zugesteht wie allen anderen; dass es dabei unerheblich sein muss, wer die politische Macht gerade innehat.

Man müsste den Leserinnen und Lesern erklären, dass es im Interesse jeder Bürgerin und jedes Bürgers ist, dass das genau so bleibt; dass es für jeden nur Vorteile hat, wenn Gerichte unabhängig und nur auf Grundlage des Gesetzes entscheiden; dass Behörden und Ministerien sich nicht einfach über Gerichtsentscheidungen hinwegsetzen können; und dass es zu solchen Entscheidungen wie der des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster kommt, wenn sie es doch tun.

Man müsste den Leserinnen und Lesern erklären, dass die Entscheidung des OVG nicht bedeutet, dass Sami A. in Zukunft nicht abgeschoben werden kann; dass es darum auch gar nicht ging; dass sein Asylantrag weiter als abgelehnt gilt, dass aber auch weiterhin ein Abschiebeverbot besteht; dass es in der Entscheidung des OVG auch nicht darum ging, ob Sami A. gefährlich ist oder nicht, ob er Leibwächter Osama bin Ladens war oder nicht, ob er Terrorist ist oder nicht oder ob ihm im Falle einer Abschiebung Folter droht; dass es um die Fragen ging, ob die Abschiebung rechtswidrig war, ob Behörden einem Gericht Informationen vorenthalten und ob sie sich über eine Gerichtsentscheidung hinweggesetzt haben.

Man müsste den Leserinnen und Lesern erklären, dass bisher eine Abschiebung unter anderem auch daran gescheitert ist, dass es noch immer keine offizielle Zusicherung aus Tunesien gibt, dass Sami A. dort nicht gefoltert wird; dass die einzige Aussage in diese Richtung vom tunesischen Minister für Menschenrechte stammt, erschienen in “Bild”; dass das dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verständlicherweise nicht als Zusicherung reichte.

Man müsste den Leserinnen und Lesern erklären, dass Sami A. kein verurteilter Terrorist ist; dass Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen ihn wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eingestellt wurden, weil die Ergebnisse dieser Ermittlungen nicht für eine Anklageerhebung reichten.

Man müsste den Leserinnen und Lesern erklären, dass nicht endgültig bewiesen ist, dass Sami A. Leibwächter Osama bin Ladens war; dass dieser Vorwurf vor allem auf der Aussage eines anderen Mannes beruht, bei dem Ermittler schon früh Zweifel hatten, ob seine Geschichte in allen Punkten stimmt.

Vielleicht interessieren sich die “Bild”-Leute auch deswegen nicht für eine solche Aufklärung der eigenen Leserschaft, weil sie mit ihrer Berichterstattung der vergangenen Monate Beteiligte sind. Mit dem Druck, den ihre Schlagzeilen auf Politiker und Behörden ausübten, sorgten auch sie dafür, dass der Fall Sami A. für alle so groß wurde, dass derart überstürzt gehandelt wurde.

Statt aufzuklären, schreiben die “Bild”-Medien dann Sätze wie diesen:

“Das Land, das Terroristen zurückholt” — diesen Wahlkampfslogan bekommt die AfD in Bayern von der Bundesregierung geschenkt.

Genau genommen ist es natürlich nicht die Bundesregierung, die der AfD den Wahlkampfslogan mit dem falschen “Terroristen” schenkt, sondern “Bild”. Und es sind die “Bild”-Mitarbeiter, die das alles als “Propaganda-Fest für Radikale” bezeichnen.

Welche “Radikalen” meinen sie damit? Jene, die die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster für ihre Stimmungsmache als “schreckliche Niederlage für die Handlungsfähigkeit unseres Staates” auslegen? Das macht die Redaktion ja schon selbst.

Mit Dank an Johannes K. und Thomas für die Hinweise!

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