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Bringt Julian Reichelt die Familien anderer Menschen in Gefahr? (3)

Ob nun die Familie des Rappers Capital Bra, des Fußballers Toni Kroos, der Sängerin Sarah Connor, der Schauspielerin Sonja Kirchberger, des Hedgefonds-Managers Chris Hohn, der Krankenkassen-Chefin Ute Schrader oder des Comedians Oliver Pocher — “Bild”-Chef Julian Reichelt hat nach Julian-Reichelt-Logik in den vergangenen Wochen mal wieder ziemlich viele Leute in Gefahr gebracht.

Zur Erinnerung: Reichelt will nicht, dass das Medienmagazin “kress pro” sein Gehalt als “Bild”-Oberchef veröffentlicht. Denn das, so Reichelt, bringe seine Familie in Gefahr.

Bei anderen Menschen und deren Familien zählt diese Art der Rücksichtnahme hingegen nicht. Wenn die “Bild”-Redaktion an “die geheime Gehaltsliste der DSCHUNGEL-STARS” gelangt, dann macht sie sie natürlich publik:

Screenshot Bild.de - Die geheime Gehaltsliste  der Dschungel-Stars

Die “Bild”-Medien listen auch detailliert auf, welche Musikerin und welcher Sänger wie viel beim “Millionen-Geschäft mit dem Musik-Streamen” kassiert:

Ausriss Bild-Zeitung - Das Millionen-Geschäft mit dem Musik-Streamen

Die Gehälter der Krankenkassen-Vorstände gibt es ebenfalls bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Fürstliches Gehalt - So viel verdient der Chef Ihrer Krankenkasse

Genauso die Summen, die Michael Wendler und Oliver Pocher für ihre “Peinlich-Show” bekommen haben:

Screenshot Bild.de - Das kassieren Wendler und Pocher für die Peinlich-Show

Außerdem präsentiert Bild.de eine Liste mit den Gehältern der fünf “Einkommens-Milliardäre”:

Screenshot Bild.de - Kaum einer kennt sie - Der Fünfer-Club der Einkommens-Milliardäre

Und, klar, die deutschen Fußballer:

Ausriss Bild-Zeitung - Die 25 Top-Verdiener des deutschen Fußballs
Screenshot Bild.de - Alle Gehälter - Zwei Nicht-Nationalspieler unter Top Fünf - Die 25 Topverdiener des Fußballs

Julian Reichelt und sein Team haben dieses In-Gefahr-bringen zu einer Art Geschäftsmodell gemacht: Jeder der oben aufgelisteten Online-Artikel ist nur mit einem “Bild plus”-Abo zu lesen.

Wen Julian Reichelt nach Julian-Reichelt-Logik sonst noch in Gefahr gebracht haben könnte:

Mit Dank an die vielen Hinweisegeber!

Recherche? Ist “Bild” doch Extrawurst!

Am Mittwoch hat die “Bild”-Redaktion es geschafft, ein altes Lieblingsthema — das wiederholte Draufhauen auf eine 17-Jährige — mit einem neuen Lieblingsthema — der “Coronakrise” — zu verknüpfen:

Screenshot Bild.de - Auftritt mit von der Leyen bei der EU - Warum kriegt Greta in der Coronakrise eine Extrawurst?

“EU-Parlament ist für alle Besucher gesperrt, aber sie darf rein”, steht in der Unterzeile. Und “Bild”-Reporter Albert Link schreibt über den Besuch von Greta Thunberg in Brüssel:

Die Schwedin war für 13 Uhr im Europaparlament zu einem Meinungsaustausch im Umweltausschuss eingeladen. Und das, obwohl die Regeln derzeit zum Schutz vor der Ausbreitung des Coronavirus keine Besucher zulassen. Sogar für Mitarbeiter aus den Wahlkreisen der Abgeordneten gilt ein von Parlamentspräsident Davids [sic] Sassoli erlassenes, striktes Zutrittsverbot.

Der “Bild”-Autor hat auch einen deutschen Politiker gefunden, der ganz der Redaktionsmeinung ist:

Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber ist deswegen auf der Zinne. Als Antwort auf die Mail-Bestätigung des Thunberg-Termins schrieb er dem Umweltausschuss: “Warum darf sie das Europäische Parlament betreten — und meine lokale Assistentin nicht?”

“Uns erklärt man, es gebe keine Ausnahmen, und dann wird für Greta Thunberg doch eine gemacht. Das hat für mich ein Gschmäckle”, legte Ferber im Gespräch mit BILD nach.

Es wäre praktisch gewesen, wenn sich Albert Link und Markus Ferber vor ihrem aufgeregten Schnauben mal die Mitteilung des Präsidenten des Europäischen Parlaments, über die sie reden, angeschaut hätten. Darin steht zwar tatsächlich etwas von Einschränkungen wegen des Coronavirus, und Sassoli listet detailliert auf, wer derzeit alles nicht ins Parlament darf; er schreibt aber auch:

Unless otherwise specified in paragraph 1, the governing bodies of Parliament, plenary, ordinary and extraordinary committee meetings, and the political groups shall not be restricted in their ability to function normally, however without attendance of interest representatives nor visitors other than those specifically invited by the respective Chair as a speaker.

(Hervorhebung durch uns.)

Also: Wer von einer oder einem Ausschussvorsitzenden als Rednerin oder Redner eingeladen wird, darf weiterhin ins Europaparlament, unabhängig davon, ob es sich bei dieser Person um Greta Thunberg handelt. Das war von Anfang an in den von David Sassoli aufgestellten Regeln so vorgesehen. Wie Albert Link selbst schreibt, wurde Thunberg eingeladen. Eine “Extrawurst” gab es also nicht für die Schwedin.

Mit Dank an Miloš für den Hinweis!

Wann die “Bild”-Medien Roma und Romnja erwähnen

Eine Frau hat mehreren Rentnern Lügengeschichten erzählt und ihre Opfer dabei um viel Geld gebracht: Mal behauptete sie, dass sie ein Vermögen auf einem Schweizer Konto liegen hätte, an das sie aber nur rankäme, wenn man ihr Geld für Notar und Anwalt leiht; mal sagte sie, dass sie Probleme bei der Rückzahlung eines Darlehens hätte. Die Männer gaben ihr teilweise sechsstellige Summen, die sie nie wiederbekamen — insgesamt 1,5 Millionen Euro soll sich die Frau auf diese Weise ergaunert haben. Vergangene Woche wurde sie zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.

Bild.de und die Frankfurt-Ausgabe der “Bild”-Zeitung berichteten über den Prozess:

Screenshot Bild.de - Betrügerin gaukelte Geldprobleme vor - R. (49) zockte 1,5 Millionen Euro bei Rentnern ab
(Zur Unkenntlichmachung: Verpixelung links und Augenbalken rechts durch “Bild”, der Rest durch uns.)

Der Autor schildert in seinem Text auch das Vorgehen der Frau und schreibt als Einleitung in “Bild”:

DIE MASCHE DER ROMA:

Bei Bild.de wurde daraus eine Zwischenüberschrift:

Screenshot Bild.de - Die Masche der Roma

Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Taten der Frau mit ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu tun haben. Und es gibt genauso wenig Anhaltspunkte dafür, dass man diese “Masche” als eine “der Roma”, wohlgemerkt im Plural, bezeichnen kann.

Der Presserat schreibt in Richtlinie 12.1 seines Pressekodex:

In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Genau das befürchtet die Initiative Sinti-Roma-Pride. Sie hat einen Offenen Brief an die “Bild”-Redaktion geschrieben. Zu dem “zutiefst rassistischen, reißerischen und unzutreffenden” sowie “antiziganistischen Zusatz” im “Bild”-Artikel heißt es dort:

Als Angehörige der Ethnie selbst würden wir gerne mehr darüber erfahren, wieso das unsere Masche ist und wieso wir alle trotz dieser uns fest zugeschriebenen Masche selbst noch keine 1,5 Mio. € erwirtschaftet haben, weil wir dahinter noch nicht gekommen sind, da der Großteil der deutschen Sinti und Roma eben nicht kriminell ist, sondern ganz normal einer geregelten Arbeit nachgeht.

Die Nennung der ethnischen Herkunft der verurteilten Betrügerin findet Sinti-Roma-Pride auch deswegen so auffällig, weil eine solche Nennung an andere Stelle ausbleibe: Wenn Roma und Romnja Opfer sind, wie beim rassistischen Anschlag in Hanau, bei dem auch zwei Roma und eine Romni getötet wurden. Der “Bild”-Redaktion schreibt die Initiative:

Wir als Interessenvertretung für Sinti und Roma, fragen uns angesichts dieser ungleichwertigen Benennung von Tätern und Opfern, welches Motiv Sie bei diesem sich immer wieder wiederholenden Vorgehen verfolgen.

Das ist eine sehr gute Frage, finden wir.

Mit Dank an Birgit B. für den Hinweis!

Bei Bild.de ist das Coronavirus am tödlichsten

Es müssen ja nicht immer gleich Dutzende Alarmartikel sein, mit denen die “Bild”-Redaktion Angst und Schrecken zum Coronavirus, Verzeihung, “CORONAVIRUS” verbreitet. Manchmal reicht auch eine kleine Schummel-Rechnung:

Weltweit gibt es derzeit (Stand Sonntagvormittag) 41 663 aktive Fälle. Davon sind 34 095 (82 Prozent) milde verlaufen. Bei 7568 Menschen (18 Prozent) verlief die Infektion kritisch. Insgesamt sind 86 993 Menschen am Coronavirus erkrankt. Davon wurden 42 351 Menschen geheilt. 2979 Menschen (7 Prozent) starben.

Das stand am Sonntag im Bild.de-Live-Ticker zum Coronavirus.

Nimmt man die Anzahl der Menschen, die durch das Virus gestorben sind (2979), und teilt sie durch die Anzahl der Menschen, die jemals daran erkrankt sind (86.993), kommt man allerdings nicht, wie Bild.de, auf 7 Prozent, sondern auf 3,4 Prozent — also etwa die Hälfte.

Dass die Redaktion auf eine viel höhere Sterberate kommt, können wir uns nur so erklären, dass sie die geheilten Menschen (42.351) aus ihrer Rechnung genommen hat, also: 2979 Menschen geteilt durch 44.642 Menschen (alle jemals Erkrankten minus die Geheilten). Dann kommt man auf 6,7 Prozent beziehungsweise gerundet auf 7 Prozent.*

Experten gehen derzeit von einer deutlich niedrigeren Sterberate aus: Laut Robert-Koch-Institut liege sie bei 1 bis 2 Prozent. Genaue Zahlen könne man allerdings erst nach Ende der Epidemie nennen. Außerdem müsse man von Land zu Land und Region zu Region unterscheiden: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beziffert die Sterberate in China, ohne das Epizentrum Hubei, auf 0,7 Prozent. In der Provinz Hubei liege sie bei 2,9 Prozent.

Die “Bild”-Redaktion schafft es jedenfalls locker, das tödlichste Coronavirus zu berechnen.

Mit Dank an Christoph G. und Timo für die Hinweise!

Nachtrag, 21:46 Uhr: Auf die 3,4 Prozent, die wir oben nennen, kommt auch die WHO:

Globally, about 3.4% of reported COVID-19 cases have died.

Mit Dank an @publictorsten für den Hinweis!

*Nachtrag, 5. März: Mehrere Leserinnen und Leser weisen darauf hin, dass es auch noch eine andere Möglichkeit gibt, um (gerundet) auf die 7 Prozent von Bild.de zu kommen. Man kann lediglich die abgeschlossenen Fälle, also nur die Geheilten und die Gestorbenen, nehmen. Und mit ihnen die Sterberate der abgeschlossenen Fälle berechnen. Das würde hier so aussehen: 2979 Menschen geteilt durch 45.330 Menschen (42.351 Geheilte plus 2979 Gestorbene) — macht 6,6 Prozent.

Dazu auch:

“Bild” über das Coronavirus: “Grund für Panik? Nein.” Panikmache? Ja!

Es gilt immer noch: Vorsicht ja, Panik nein!

… schreibt “Bild”-Redakteur Ralf Klostermann in einem Kommentar. Sein Kollege, “Bild am Sonntag”-Reporter Volker Weinl, sieht das auch so:

Grund für Panik? Nein.

Margot Käßmann mahnt in ihrer “BamS”-Kolumne:

Ich verstehe ja, wenn Sie Angst haben. Aber lassen wir uns nicht ständig von Katastrophenmeldungen treiben. (…)

Langsam durchatmen und sortieren ist angesagt.

Und die “Bild”-Redaktion zitiert den Heinsberger Landrat:

Screenshot Bild.de - Nach erstem Corona-Fall in NRW - Heinsberger Landrat: Nicht in Panik verfallen

Diese beruhigenden, an die Vernunft appellierenden Worte kann vor allem eine Gruppe gut gebrauchen: die Leserschaft der “Bild”-Medien. Zwar füllen alle größeren Redaktionen derzeit Live-Ticker zum Coronavirus und berichten, teils atemlos, über neue Fallzahlen und leere Supermarktregale, aber nirgendwo gibt es so viel Panik wie in “Bild” und bei Bild.de.

So sah die vergangene Woche auf der “Bild”-Titelseite aus — Montag:

Ausriss Bild-Titelseite - Wer fliehen will, wird verhaftet - Regierung erwägt Militär-Einsatz - Alle Züge am Brenner gestoppt - Corona-Alarm! Italien riegelt Städte ab

Am Dienstag war wegen der Amokfahrt in Volkmarsen für das Coronivirus kein Platz auf Seite 1. Dafür gab es aber eine ganze Alarm-Seite im Blatt:

Ausriss Bild-Zeitung - Schon sieben Tote in Italien - Reporter in der Sperrzone - Die Epidemie ist in Europa angekommen

Mittwoch:

Ausriss Bild-Titelseite - Corona-Ausbruch im Rentner-Paradies - Deutsche Touristen im Hotel auf Teneriffa gefangen - Bild-Reporter unter ihnen - Erste Erkrankte auch bei Düsseldorf und Göppingen

Donnerstag:

Ausriss Bild-Titelseite - Bild ab heute mit amtlichen Corona-Bekanntmachungen - Corona - So schützen Sie sich jetzt! Kindergärten in NRW infiziert - Ihr Mann kämpft um sein Leben - Erster Fall bei der Bundeswehr - Minister Spahn: Wir befinden uns am Beginn einer Corona-Epidemie in Deutschland

Freitag:

Ausriss Bild-Titelseite - Bild auch heute mit amtlichen Corona-Bekanntmachungen - Regierung beruft Expertenrunde ein - Der Krisen-Plan gegen Corona - Messen, Konzerten, Fußballspielen drohen Absagen - Kitas und Schulen dicht - Zahl der Infizierten mehr als verdreifacht

Und Samstag:

Ausriss Bild-Titelseite - Wochenende im Bann von Corona - Weltgrößte Tourismus-Messe in Berlin abgesagt - Konzerte, Fußballspiele auf der Kippe - Schon 57 Infizierte - Dax rauscht ab - Autogramm-Verbot für Bayern-Spieler - Erster Hund positiv getestet - WHO löst höchste Alarmstufe aus - Bild sagt, was Sie jetzt beachten müssen

Wie war das gleich noch mal?

Es gilt immer noch: Vorsicht ja, Panik nein!

Wer nach Durchsicht der “Bild”-Titelseiten noch nicht in “CORONA-ALARM”bereichtschaft ist, kann bei Bild.de vorbeischauen: Dort ist die Startseite seit Tagen mit Meldungen zum Coronavirus zugekleistert. Wenn einem ganz oben auf der Seite nicht gerade in einer “Bild live”-Sondersendung erzählt wird, wie schlimm alles ist, dann übernimmt das der große Themenblock zum “CORONA-IRRSINN”:

Screenshot Bild.de - Corona-Irrsinn - Arzt spricht Klartext - Ärztin trägt Taucherbrille zum Schutz - 1200 deutsche Passagiere an Bord - Corona-Verdacht! Kreuzfahrtschiff hängt in Norwegen fest - Virologie-Experte beantwortet Ihre Fragen - Können Menschen ohne Symptome ansteckend sein? - Telefon-Odyssee dauerte viereinhalb Stunden - Corona-Verdacht! Aber keiner weiß, was zu tun ist! - So mixen Sie sich Ihr Desinfektionsmittel selbst

Bei Bild.de kann jeder nach Belieben und Interesse seine Angst füttern. Etwa mit den Meldungen zu den neuesten Corona-Fällen:















Oder zu “Chaos”, “Shutdown” und “Quarantäne”:








Außerdem gibt es Tipps für “Hamsterkäufe” und Fotos von leeren Supermarktregalen:






Und alles Weitere, was Menschen noch so Sorgen bereiten könnte:








Zwischen all diesen Panikmachern fragt die “Bild”-Redaktion tatsächlich:

Screenshot Bild.de - Virus breitet sich aus - Warum ist die Angst vor Corona so groß?

Wir hätten da eine Idee.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 4. März: Wenn man es schon geschafft hat, die eigene Leserschaft von der “CORONA-ANGST IN DEUTSCHLAND” zu überzeugen und sie zu einem Einkauf “für zehn Tage Quarantäne” zu drängen, dann sollte man auch wenigstens ein paar Kochtipps geben:

Screenshot Bild live - Tipps von Johann Lafer - Das können Sie aus Ihren Corona-Vorräten kochen

Dazu auch:

“Bild” hat einmal mehr überlegt: Eine Fünf reicht nicht

Nach dem Suizid von Fußballtorwart Robert Enke ließ sich Walter M. Straten, damals stellvertretender Sportressortleiter bei “Bild”, von der “Süddeutschen Zeitung” so zitieren:

“Wir werden wohl mit extremen Noten etwas vorsichtiger sein”, sagt der stellvertretende Bild-Sportchef. Man werde sich einmal mehr überlegen, “ob der Spieler, der eine klare Torchance vergeben hat, oder der Torwart, der den Ball hat durchflutschen lassen, eine Sechs bekommt oder eine Fünf reicht”.

Inzwischen leitet Straten die “Bild”-Sportredaktion. Am Samstag erschien in seinem Ressort ein Artikel über Schalkes Torwart Alexander Nübel, der beim Bundesligaspiel zwischen dem 1. FC Köln und dem FC Schalke 04 ein Tor verschuldete. Darin steht:

Dann die Flutschfinger-Aktion von Nübel (75.), die ihm die zweite BILD-Note 6 in Folge einbringt.

Mit Dank an Louis für den Hinweis!

***

Solltest Du Suizid-Gedanken haben, dann gibt es Menschen, die Dir helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommst Du etwa bei der “TelefonSeelsorge”, die Du kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222 und 116 123) erreichen kannst.

Neues falsches Futter für rechte Hetzer und Islamhasser

Wie kann es so weit kommen, dass ein kleiner Verein, der eigentlich nur in Kindergärten Kindern verschiedener Herkunft Märchen erzählen will, in eine Welle aus Wut und Hass und Hetze gerät und am Ende Drohungen von Islamhassern und Rechtsextremen erhält? In diesem Fall spielen falsche und verzerrende Schlagzeilen zweier Medien eine zentrale Rolle. Ein Beispiel für gefährliche Berichterstattung.

Das Unheil begann mit einer Überschrift der “Sächsischen Zeitung”. Am Montag titelte das Onlineportal Sächsische.de:

Screenshot Sächsische.de - Oberlausitzer Kita-Kinder sollen Syrisch lernen

Und das ist schon völlig falsch.

Es geht um das Projekt “Erzählen – Ein Schatz für die Zukunft” des Dresdner Vereins “Erzählraum”. Auf seiner Website schreibt der Verein dazu:

Ein mehrsprachiges Erzähl-Projekt zur Begegnung mit der Sprache des Nachbarn im Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien

3 erfahrene Tandems erzählen entweder auf deutsch und polnisch, deutsch und tschechisch oder deutsch und sorbisch und lassen so die Sprachen der Grenzregion durch das mehrsprachige freie Erzählen von Märchen in Kinderherzen und -köpfen Einzug halten.

Seit 2016 gibt es das Projekt. In diesem Jahr kommt erstmals ein viertes “Tandem” hinzu:

Neu 2020: Besonders für Kinder mit Migrationshintergrund kann das zweisprachige Erzählen eine tiefgreifende, motivierende Erfahrung sein, die eigene Sprachbarriere zu überwinden. Aus diesem Anlass gibt es ab August ein viertes Tandem, welches auf deutsch und syrisch erzählt. In einer Zeit, in der sich die Zusammensetzung von Schulklassen und Wohngebieten zunehmend internationalisiert, können Märchen vor allem auch als Brücken zwischen den Kulturen erlebt werden.

Daraus machte Sächsische.de also: “Oberlausitzer Kita-Kinder sollen Syrisch lernen”.

Das Projekt “Erzählen – Ein Schatz für die Zukunft” hat mit Sprachunterricht nichts zu tun. Kein Kindergartenkind “soll” eine andere Sprache dabei “lernen”, auch nicht “Syrisch”. Die Zweierteams, die in den Kitas vorbeischauen, “erzählen gemeinsam mit den Kindern vor Ort abenteuerliche und phantasievolle Geschichten” in unterschiedlichen Sprachen. So steht es in der ausführlichen Ausschreibung (PDF) des Vereins:

An 7 Projekttagen, die im Projektzeitraum durchzuführen sind, kommen die Erzählerteams in die Einrichtung und arbeiten mit den Kindern in jeweils zwei Gruppen à 45-60 Minuten. (…)

Die Erzählstunden werden jeweils von zwei Erzählenden (Muttersprachler_innen) zweisprachig gestaltet, wobei es nicht darum geht, dass die Texte in die andere Sprache übersetzt werden; vielmehr wird in beiden Sprachen fortlaufend und abwechselnd erzählt. Die Kinder werden so mit der Sprachmelodie, dem Rhythmus, der Lautbildung und Artikulation der anderen Sprache vertraut, ohne dass die einzelnen Worte bekannt sein und verstanden werden müssen. Durch gezielte Wiederholungen inhaltlicher Passagen oder von Zitaten in beiden Sprachen, durch das Nachsprechen einzelner Wörter (z.B. bei Kettengeschichten), durch die Verwendung von Internationalismen und insbesondere durch Mimik und Gestik sowie plastischer Erzählweise wird das Verstehen der Geschichten gewährleistet. Die Einbeziehung kleinerer Requisiten erleichtert die Wiedererkennung von Gegenständen und Begriffen.

Bei vielen Leserinnen und Lesern der “Sächsischen Zeitung” kamen diese Details nicht an. Die Görlitz-Redaktion postete den Artikel von Sächsische.de auf ihrer Facebookseite. Und dort gab es vor allem eine Reaktion: Wut.

Die Kinder sollen in Deutschland die Sprache deutsch lernen!!!

Die armen Kinder! Ich fasse es nicht!!!

Ich würde den Erziehern was Husten

Aber sonst gehts den noch gut?

erstmal sollen die flüchtlinge deutsch lernen dann können wir darüber reden

Die sollen lieber Deutsch lernen

Außerdem nutzten verschiedene Gruppen den Beitrag für ihre rassistische Hetze. Nur ein Beispiel von vielen:

Screenshot eines Facebook-Posts der Seite Sachsen stellt sich quer: Asylmissbrauch stoppen - Will man auf einen Massenzuzug von Syrern in die Oberlausitz vorbereitet sein?

Am Dienstag erschien auch in der Dresden-Ausgabe der “Bild”-Zeitung und bei Bild.de ein Artikel zum Thema:

Screenshot Bild.de - Projekt vom Freistaat gefördert - Kita-Kinder sollen arabische Lieder hören

Nach dieser verzerrenden Schlagzeile legte der Hass dann richtig los. Der Bild.de-Artikel wurde tausendfach wutschnaubend kommentiert und tausendfach geteilt. Rechtspopulisten, Rechtsradikale und Neonazis verbreiteten den Text:








Mit Bezug auf den “Bild”-Artikel forderte die sächsische AfD-Fraktion in einer Stellungnahmen den sächsischen Kulturminister auf, “die Indoktrination kleiner Kinder” durch den “Arabisch-Unterricht” sofort zu stoppen. Sicherheitshalber noch einmal: Es ist kein “Arabisch-Unterricht” geplant.

Was die AfD besonders empört: “Wenn allerdings Kita-Kinder zur Teilnahme am Arabisch-Unterricht gezwungen werden, so ist dies ungeheuerlich und zeugt davon, dass sich die Initiatoren eine Islamisierung unserer abendländischen Kultur wünschen.” Diese abstruse These mit der Aussage zum angeblichen Zwang basiert auf einem Zitat aus dem Artikel der “Bild”-Medien. Laut Autor Karsten Kehr sagte eine Mitarbeiterin des Vereins “Erzählraum”:

“Wir sind fester Programmpunkt, die Teilnahme für die Kinder ist nicht freiwillig.”

Wir haben beim “Erzählraum” nachgefragt, ob das stimmt. Die schriftliche Antwort:

Die Kinder werden NICHT, wie behauptet wird, gezwungen an den Erzählstunden teilzunehmen.

Es blieb nicht bei Forderungen der AfD-Fraktion und wütenden Kommentaren bei Facebook. Der Verein und einzelne Mitarbeiterinnen persönlich wurden per Mail beschimpft und bedroht:

Die Reaktionen sind zum Teil so heftig, dass wir sie nicht im Detail aufführen möchten, um die Stimmung nicht noch mehr aufzuheizen. Wir behalten uns aber das Recht vor, sie zur Anzeige zu bringen.

Früher, als die arabische Sprache noch nicht Teil des Projekts war und nur deutsch-polnische, deutsch-tschechische und deutsch-sorbische Tandems im Einsatz waren, habe es weder derartige Reaktionen noch eine ähnliche mediale Aufmerksamkeit gegeben, so die “Erzählraum”-Mitarbeiterinnen.

In einer Richtigstellung hat der Verein versucht, der Welle aus Wut, Hass und Hetze etwas entgegenzusetzen. Die Redaktion von Sächsische.de hat ihre Überschrift inzwischen geändert und den Fehler eingeräumt. Bei Bild.de ist alles unverändert online.

Mit Dank an @laurenz_dul für den Hinweis!

Niemand muss ein falsches Zitat aushalten

Man kann das Urteil des Amtsgerichts Berlin Tiergarten, nach dem die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli hinnehmen muss, als “islamische Sprechpuppe” und als “Quotenmigrantin der SPD” bezeichnet zu werden, völlig falsch finden. Man kann den zuständigen Richter für dessen Entscheidung kritisieren. Man kann seine Aussagen hinterfragen. Allerdings sollte man ihn dann auch richtig zitieren.

Til Biermann und Anne Losensky berichten in der Berlin-Ausgabe der “Bild”-Zeitung, in der “B.Z.” und bei bz-berlin.de vom gestrigen Prozess. Sie knöpfen sich dabei eine Aussage des Richters vor. In “Bild” und “B.Z” wird das Zitat sogar extra in einem Kasten herausgestellt:

In “Bild” schreiben Biermann und Losensky dazu:

Und dann folgen zwei Sätze, die aufhorchen lassen: “Meinungsäußerungen dürfen scharf und pointiert sein”, so der Richter, “zunehmende Hasskriminalität im Internet kann Taten wie in Hanau begünstigen — aber das müssen wir aushalten.”

Wirklich?

“Wirklich?” ist in diesem Zusammenhang eine gute Frage: Hat der Richter wirklich gesagt, dass “wir aushalten” müssen, dass “Hasskriminalität im Internet” “Taten wie in Hanau” begünstigen?

Nein, sagt Lisa Jani, Sprecherin der Berliner Strafgerichte. In einer E-Mail mit dem Betreff “Richtigstellung! Richter-Zitat in BILD und B.Z. zum Strafprozess gegen Timm K. nicht korrekt” schreibt sie:

Das dem zuständigen Richter in den Mund gelegte Zitat “Meinungsäußerungen dürfen scharf und pointiert sein. Zunehmende Hasskriminalität im Internet kann Taten wie in Hanau begünstigen — aber das müssen wir aushalten” ist falsch. Der Vorsitzende hat vielmehr zum Abschluss seiner Begründung, warum seiner Auffassung nach der Tatbestand der Beleidigung in diesem konkreten Fall eben nicht vorliegt, Bezug nehmend auf die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung gesagt, dass generell Hasskriminalität Taten wie in Hanau begünstigen könne. Aber das müssen man hier “RAUShalten” — eben weil im konkreten Fall die Grenze zur Strafbarkeit noch nicht überschritten sei.

Die “B.Z.”-Redaktion hat ihren Onlineartikel inzwischen an der entsprechenden Stelle klammheimlich geändert. “B.Z.”-Chefredakteurin Miriam Krekel nutzt in ihrem Kommentar hingegen noch die alte Version des Zitats, auch in der Überschrift:

Screenshot bz-berlin.de - Meinung - Müssen wir Hasskriminalität im Internet wirklich einfach aushalten?

Sogar der Richter selbst bezeichnete den Fall als grenzwertig. Er sagte aber auch, Meinungsäußerungen dürften scharf und pointiert sein.

Und weiter: “Zunehmende Hasskriminalität im Internet kann Taten wie in Hanau begünstigen — aber das müssen wir aushalten.”

Müssen wir das wirklich? Ich denke, nein.

Das Urteil des Amtsgerichts Berlin Tiergarten ist übrigens noch nicht rechtskräftig. Gut möglich, dass ein Gericht in einer nächsten Instanz ganz anders entscheidet.

Die Amokfahrt von Volkmarsen in den “Bild”-Medien

Vorgestern ist im hessischen Volkmarsen ein Mann mit einem Auto in eine Menschenmenge gefahren, die sich gerade den örtlichen Karnevalsumzug angeschaut hat. Die Polizei geht davon aus, dass der 29-Jährige dies mit Absicht getan hat. 61 Menschen wurden verletzt.

Bereits kurz nach der Tat bat die Polizei in einer Pressemitteilung darum, zu den Vorkommnissen “keine ungesicherten Meldungen weiter zu verbreiten”. Diese Bitte des Polizeipräsidiums Nordhessen war noch keine Stunde online, da lief schon die erste “Bild live”-Sondersendung. Moderator Moritz Wedel hatte Elmar Schulten am Telefon, einen Fotografen aus der Nähe von Volkmarsen. Und Schulten verbreitete in der Sendung das, was das Polizeipräsidium Nordhessen wohl als “ungesicherte Meldung” bezeichnen würde:

Natürlich haben die Leute zuerst gesagt: “Attentat! Attentat!” Aber danach sieht es nicht aus.

Aus dieser Mutmaßung, die nur auf Schultens Bauchgefühl basierte, machte die “Bild”-Redaktion gleich eine Einblendung:

Screenshot von Bild live - Elmar Schulten vor Ort - Attentat halte ich für unwahrscheinlich

Einen Tag zuvor hatte sich “Bild”-Chef Julian Reichelt noch beschwert, dass Journalisten bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg Dinge verkündeten, “bevor es belastbare Fakten gab.”

Zum Geschehen in Volkmarsen folgten am Montag noch weitere “Bild live”-Sendungen. In einer davon wurde Reinhard Kubat zugeschaltet. Der Landrat des Kreises Waldeck-Frankenberg erzählte Moderatorin Anna von Bayern unter anderem:

Ich habe hinterher mit Angehörigen gesprochen, die mir bestätigt haben: Es machte, unvorstellbar für mich, “plopp, plopp, plopp”. Da ist der über die Menschen hinweggefahren.

Diese Aussage nutzte Bild.de in einem Artikel für eine Zwischenüberschrift, die viele Leute sehr unangemessen fanden, um es vorsichtig auszudrücken:

Screenshot Bild.de - Es machte plopp, plopp, plopp - immer wenn das Auto einen Menschen überfuhr

Zwar basiert diese Zwischenüberschrift auf dem Zitat von Landrat Kubat. Aber niemand zwingt die “Bild”-Redaktion, dieses Zitat zu übernehmen, es sich zu eigen zu machen und überfahrene Menschen akustisch zu Popcorn oder Sektflaschen herabzuwürdigen.

Später in derselben Sendung schaltete die Redaktion zu “Bild”-Reporter Markus Brekenkamp, der in Volkmarsen stand. Diese Schalte verdeutlicht eine der großen Gefahren, die von “Bild live” ausgeht und die wir schon früher beobachtet haben: Die Redaktion berichtet alles, ohne über mögliche Folgen nachzudenken. In diesem Fall erzählte Brekenkamp von einem Einsatz des SEK, der hinter ihm gerade stattfinde:

Hier hat sich gerade die Lage ein bisschen geändert: Hier sind gerade mehrere Mannschaftswagen vom SEK eingetroffen. Der ganze Ort wird hier gerade abgesperrt. Im Hintergrund sieht man das vielleicht. Das sind Beamte mit Maschinenpistolen, die hier den Ort jetzt absperren. Was da genau hinter steckt, da können wir im Moment noch nichts sagen. Die sind gerade eingetroffen. Ja, spannend.

Moderatorin Anna von Bayern fragte nach:

Und wie viele sind das, SEK-Wagen, die da jetzt angekommen sind im Hintergrund?

Brekenkamp:

An der Stelle, an der ich stehe, sind es allein vier oder fünf Mannschaftstransporter. Ich kann jetzt auch nur diesen Bereich überschauen. Hier ist es inzwischen dunkel, es regnet. Also das werden wir gleich noch versuchen zu klären, was das jetzt für einen Grund hat.

In der darauffolgenden “Bild live”-Sendung ging es dann fast ausschließlich um den immer noch stattfindenden SEK-Einsatz. Anna von Bayern sagte:

Mittlerweile läuft auch ein SEK-Einsatz im Ort. Und wir wollen schalten zu Markus Brekenkamp, unserem Reporter dort, der uns davon mehr erzählen kann.

Brekenkamp erzählte:

Ja, hier sind vor gut einer Viertelstunde halt mehrere Fahrzeuge mit SEK-Beamten eingetroffen. Hier ist der komplette Ortskern inzwischen abgesperrt. Wir können im Moment noch nicht sagen, was hinter diesem Einsatz dahintersteckt. Wir wissen nur, dass hier im Ort erzählt wird, dass auch eine zweite Person heute Nachmittag eine Rolle gespielt haben soll, die nämlich dort vor Ort gefilmt haben soll, wie der Fahrer in diese Menschenmenge gefahren ist. Was an diesen Dingen dran ist, das ist im Moment alles noch sehr, sehr unübersichtlich. Viel mehr können wir noch nicht sagen.

Anna von Bayern wollte aber mehr wissen:

Wo befinden sich die SEK-Wagen jetzt?

Brekenkamps Antwort:

Die SEK-Wagen befinden sich hier, vielleicht kann man sie sehen im Hintergrund. Hier stehen fünf oder sechs Einsatzfahrzeuge. Die Straße ist abgesperrt. Die Beamten sind vermummt und schwer bewaffnet, lassen keinen mehr durch. Und wir wissen nicht, was genau dahintersteckt.

Das reichte von Bayern aber immer noch nicht:

Wo sind die Beamten hin, die in diesem Wagen waren?

Das konnte Markus Brekenkamp nicht so richtig beantworten:

Die stehen hier vor Ort und sperren die Straße. Die anderen sind weiter in den Ortskern gegangen. Aber dort haben wir keinen Einblick mehr.

Also ab zum nächsten Reporter. Anna von Bayern:

Wir wollen einmal schalten zu Karsten Socher, der auch in Volkmarsen ist.

Screenshot Bild live - Auto raste in Karnevalszug - Jetzt SEK-Einsatz in Volkmarsen - Drama bei Faschingsumzug

Der freie Fotograf Karsten Socher erzählte:

Also ich bin jetzt vermutlich auf der anderen Seite vom Kollegen. Wir sind gerade mit mehreren Kollegen hier durch Volkmarsen gelaufen und haben die Ecke gesucht, wo angeblich der SEK-Einsatz laufen soll. (…) Hinter mir ist die Straße abgesperrt, da stehen vermummte Polizisten. Die haben mir gerade gesagt, es läuft ein Polizeieinsatz. Aber mehr wird auch gerade nicht gesagt.

Und wieder fragte Anna von Bayern nach, wo das denn nun alles stattfindet:

Und wo läuft dieser Einsatz? Du sagtest, hinter Dir stehen diese Wagen.

Socher antwortete:

Also hinter mir stehen vier, fünf Beamte, vermummte. Ich kenne mich selber jetzt hier in Volkmarsen nicht aus. Aber das dürfte nicht so weit entfernt sein vom Rauhaus.

Dann war endlich Schluss mit dem Preisgeben von Details eines gerade laufenden Polizeieinsatzes.

Während der Sendung spielte die Redaktion immer wieder Videoaufnahmen ein, die die Ermittler am Tatfahrzeug zeigten. Eigentlich hatten Polizei und Rettungskräfte einen Sichtschutz aufgebaut. Der “Bild”-Kameramann hat sich aber offenbar einen erhöhten Punkt gesucht und über den Sichtschutz gefilmt:


(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Gestern gab es in einer weiteren “Bild live”-Sendung den nächsten Tiefpunkt:

Screenshot einer Ankündigung bei Bild.de - Bild live am Mittag - Die Themen: 10-Jährige erzählt: So erlebte ich den Anschlag auf unseren Karnevalszug

Auch wenn die Eltern der 10-Jährigen mit der Befragung ihrer Tochter einverstanden gewesen sein sollten — das bedeutet nicht, dass eine Redaktion nicht noch einmal nachdenken kann, ob man einem Kind, das einen Tag zuvor etwas Schreckliches erlebt hat, so etwas zumuten will. Das gilt auch für die vierjährige Schwester des Mädchens, die bei der Amokfahrt verletzt wurde und im Krankenhaus liegt. Von ihr zeigte Bild.de ein unverpixeltes Foto:

Screenshot Bild.de - Beim Karnevalsumzug von Autoraser überrollt - Vater von ... (4) - Ich sah mein blutendes Mädchen auf dem Boden liegen!

In der “Bild”-Zeitung von heute erklärt ein Psychologe, “welche FOLGEN” “das Erlebte für die KINDER” haben kann. Und er gibt Tipps, welche Maßnahmen Kindern anschließend helfen könnten. “Sie interviewen” und “Fotos von ihnen auf der Startseite veröffentlichen” gehören nicht dazu.

Ebenfalls in der heutigen “Bild”-Ausgabe steht, dass der Tatverdächtige kurz vor der Amokfahrt zu einer Nachbarin gesagt haben soll, dass er “bald in der Zeitung” stehe. Diesen Wunsch erfüllen ihm die “Bild”-Medien, mit Foto, sogar auf der Titel- beziehungsweise Startseite:

Ausriss Bild-Titelseite - M. (29), polizeibekannt wegen Nötigung und Beleidigung - Er raste in den Faschings-Zug - dazu ein unverpixeltes Foto des Mannes
Screenshot Bild.de - M. (29) raste in einen Karnevals-Zug, verletzte 61 Menschen! Er brachte den Horror nach Volkmarsen

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

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“Bild”-Chef erfindet 170.000 AfD-Wähler in Hamburg

Gestern Abend twitterte Julian Reichelt zur Bürgerschaftswahl in Hamburg:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Nicht das Wahlergebnis ist der Triumph für die AfD. Sondern all die Journalisten, Aktivisten, Politiker, die ihre Niederlage verkündet haben, bevor es belastbare Fakten gab. Das festigt die Opferrolle, und heute Abend haben sehr viele dazu beigetragen, die auf der richtigen Seite stehen wollen. Journalisten haben verkündet und bejubelt, was sie gern hätten, nicht, was ist. Leichter kann man es der AfD nicht machen. Die bittere Wahrheit: Die AfD hat im Saldo trotz Hanau keinen einzigen Wähler in Hamburg verloren.

Nun ist Julian Reichelt nicht nur Medienethiker bei Twitter, sondern nebenberuflich auch noch “Bild”-Chefredakteur. Und damit verantwortlich für eine solche Überschrift, die gestern Abend im E-Paper der “Bild”-Zeitung erschienen war:

Ausriss Bild-Zeitung - Wahl in Hamburg - SPD-Triumph, Mega-Pleite für AfD

Im Artikel stand:

Die im weltoffenen Hamburg ohnehin schwache AfD beendete gestern die jahrelange Serie von Wahlsiegen.

Dazu zeigte die Redaktion die “erste Hochrechnung, Stand: 19:10”, laut der die AfD es nicht in die Bürgerschaft geschafft hatte:

Ausriss Bild-Zeitung - Erste Hochrechnung von 19:10 Uhr, laut der die AfD bei 4,7 Prozent liegt

Oder um es mit den Worten von Julian Reichelt zu sagen: Die “Bild”-Redaktion verkündete die Niederlage der AfD, “BEVOR es belastbare Fakten gab.” Erst nachträglich änderte sie ihre Überschrift in: “SPD-ERFOLG, DEBAKEL FÜR DIE CDU”. Im Artikel tauschte sie den oben zitierten Satz aus — dort steht inzwischen: “Die im weltoffenen Hamburg ohnehin schwache AfD musste gestern zittern.” Und die Grafik zeigt nun das “vorläufige amtliche Ergebnis”, in dem die AfD bei 5,3 Prozent liegt — und damit in der Bürgerschaft ist.

Wie stark Selbstblindheit und/oder Selbstgerechtigkeit bei Julian Reichelt ausgeprägt sind, zeigt auch ein Blick wenige Tage zurück: Nur ein paar Stunden nach den ersten Meldungen über die Schüsse in Hanau, hatten die Reporter, die in der “Bild live”-Sondersendung auftraten, keinerlei “belastbare Fakten”, mutmaßten aber schon mal, dass “Russen” hinter den Schüssen stecken, und dass das “Drogenmilieu” auch eine Rolle spielen dürfte.

Seinem Plädoyer für abwartenden Journalismus fügte der “Bild”-Chef noch ein paar Screenshots hinzu. Und er veröffentlichte einen “Nachtrag”:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Nachtrag: Die ARD-Darstellung der Wanderung ist nicht ganz präzise. Es haben trotz Hanau nur noch 211000 Hamburger AfD gewählt, nicht mehr 214000.

Damit beweist Julian Reichelt einmal mehr seine Inkompetenz: Bei 831.715 Menschen, die in Hamburg gewählt haben, wäre es eine mathematische Überraschung, wenn die AfD nur 5,3 Prozent erreicht, sollten wirklich “211.000 Hamburger AfD gewählt” haben. Man braucht keinen Taschenrechner, um zu erkennen, dass das nicht passt.

Tatsächlich waren es rund 170.000 Wählerinnen und Wähler weniger: “Zeit Online” schreibt von “42.000 Menschen”, die die AfD bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 2020 wählten, laut “Hamburger Morgenpost” waren es “rund 44.000 Hamburger”. Jeder von ihnen konnte bis zu fünf Stimmen auf der Landesliste frei vergeben. So kommt die deutlich höhere Anzahl an Stimmen für die AfD zustande: 211.327.

Der Chef der größten deutschen Tageszeitung ist nicht in der Lage, Wählerinnen/Wähler und abgegebene Stimmen auseinanderzuhalten.

Mit Dank an @onlinebuerger und @ronin_sam für die Hinweise!

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