Hier befand sich zuvor ein Eintrag über die Seite fairpress.biz, die mal vom ehemaligen “Bild”-Chef Udo Röbel herausgegeben wurde (als Hilfsprojekt für Medienopfer) und heute für merkwürdige Spam-Inhalte benutzt wird. Wir hatten geschrieben, Röbel sei, wie auf der Seite behauptet, immer noch der Herausgeber, doch das stimmt nicht. Das hätten wir auch herausgefunden, wenn wir bei ihm nachgefragt hätten. Das haben wir aber nicht. Daher haben wir den Eintrag jetzt gelöscht und bitten Udo Röbel und unsere Leser um Entschuldigung.
Autoren-Archiv
In allen vier Ecken soll Unsinn drin stecken
Die Fußballer des SV Schwerborn spielen und trainieren auf einem merkwürdigen Platz, laut “Bild” und Bild.de befindet sich in dem Erfurter Ortsteil sogar:
Während die Torlinien mit 68,8 Metern gleich lang sind, unterscheiden sich die Seitenlinien des Spielfelds um ganze 13 Meter! Die eine Seite misst 99,3 Meter, die andere 112,3 Meter.
“Was ist denn hier schiefgelaufen?”, fragen die “Bild”-Medien und stellen fest: “Hier stimmt doch was nicht”. Das Verrückteste aber, das die beiden Autorinnen — die noch einmal selbst vor Ort per Geodreieck nachgemessen haben (im Ernst) — herausgefunden haben:
Erstaunlich: Obwohl die Seiten unterschiedlich lang sind, verstoßen sie nicht gegen die Regeln des Deutschen Fußball-Bundes (DFB)! Die geben vor, dass das Spielfeld zwischen 90 und 120 Meter lang und 45 bis 90 Meter breit sein soll.
Leider haben die beiden Expertinnen da aber eine ganz grundsätzliche Regel des DFB (PDF) übersehen:
Das Spielfeld ist rechteckig und wird mit Linien gekennzeichnet.
Und rechteckig kann ein Fußballplatz nur dann sein, wenn die zwei Tor- und die zwei Seitenlinien jeweils gleich lang sind.
Mit Dank an Jannik R.
Wenn die Polizisten zweimal räumen
Heute morgen haben ungarische Polizisten den Budapester Ostbahnhof geräumt. Flüchtlinge, die zum großen Teil von dort mit der Bahn über Österreich nach Deutschland fahren wollen, sitzen momentan in der ungarischen Hauptstadt fest.
Bild.de berichtete über die Polizeiaktion im und am Bahnhof — und kündigte das Ganze heute Vormittag so auf der Startseite an:
(Klicken für größere Version.)
Ungarische Polizisten, denen Kameraobjektive aus dem Hals wachsen, Beamte ohne Gesichter oder mit Doppelgänger. Ganz offensichtlich hat Bild.de an dem Foto der Agentur “Reuters” rumgedoktort.
Diese Bildmanipulation dürfte für die Flüchtlinge keine negativen Folgen haben; wenn überhaupt wird hier das Polizeiaufgebot dramatischer dargestellt, als es in diesem Moment tatsächlich war. Vor allem die ungarische Polizei hätte also wohl Grund zur Beschwerde. Aber mal unabhängig von Vor- oder Nachteilen: Mit einer möglichst objektiven Abbildung der wirklichen Situation am Budapester Ostbahnhof hat das Vorgehen von Bild.de nichts zu tun.
Mit viel Wohlwollen könnte man diese Bildfälschung auf das extreme Querformat schieben, das die Redaktion für ihre Vorschaufotos benötigt. Das erklärt aber lange nicht, warum das Bild.de-Team auch noch an anderer Stelle Pixel verschoben hat: Vergleicht man das Originalfoto von “Reuters” (in verlinkten Fall lediglich an der oberen und der unteren Kante leicht beschnitten) mit der Version von Bild.de, sieht man, dass die Lok im Original viel weiter links steht. Eine ganze Reihe von Flüchtlingen, die oberhalb des Mannes im blauen T-Shirt stehen, der im nächsten Moment in die Hände zu klatschen scheint, wurde rausretuschiert.
Mit Dank an Christian!
Nachtrag, 2. September: Bild.de-Chefredakteur Julian Reichelt hat sich für den “Fehler” entschuldigt:
. @BILDblog @KaiDiekmann Diese "Fälschung" ist so dilettantisch, weil sie eben keine Fälschung, sondern ein dämlicher Fehler ist. Sorry!
— Julian Reichelt (@jreichelt) 2. September 2015
Auf unsere Nachfrage …
.@jreichelt Das heißt: Die Flüchtlinge wurden wegretuschiert, die Polizisten vervielfacht und der Zug versetzt – alles aus Dämlichkeit?
— BILDblog (@BILDblog) 2. September 2015
… hat er allerdings nicht mehr reagiert.
Polizei? Da könnte ja jeder bitten!
Seit knapp eineinhalb Wochen sucht die Polizei Niedersachsen nach einer Familie aus Drage. Mutter, Vater und Tochter waren spurlos verschwunden, die Polizei startete eine öffentliche Fahndung. Dafür hat sie Scans der drei Passfotos auf die eigene Internet- und auf eine Facebook-Fahndungsseite gestellt. Zahlreiche Medien haben die Fotos in der aktuellen Berichterstattung verwendet — macht ja auch Sinn bei einer öffentlichen Fahndung.
Inzwischen haben die Beamten die Leiche des Familienvaters gefunden. Die dazugehörige Pressemitteilung endet mit diesem Absatz:
Medienhinweis: Die Öffentlichkeitsfahndung nach dem 41-jährigen Marco S. ist somit beendet. Es wird darum gebeten, die Fotos aus der Berichterstattung zu nehmen.
Den Hinweis hat die zuständige Polizeiinspektion Harburg spätabends am vergangenen Freitag veröffentlicht.
Und so sieht die Berichterstattung von “Bild”, Bild.de und “Bild am Sonntag” seitdem aus:
Bild.de, 1. August:
(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)
“Bild am Sonntag”, 2. August:
Bild.de, 2. August:
“Bild”, 3. August:
“Bild”, 4. August:
Nun kann es eine etwas aufwendigere Sache sein, schon publizierte Online-Artikel zu durchkämmen und einzelne Fotos per Hand rauszulöschen. Aber all die aufgeführten Berichte sind eben erst nach der Bitte der Polizei erschienen.
Jan Krüger, Sprecher der Polizeiinspektion Harburg, sagte uns, dass eine Missachtung des Medienhinweises keine rechtlichen Schritte von Seiten der Polizei nach sich ziehe. Familienangehörige müssten sich dagegen wehren und das Persönlichkeitsrecht des verstorbenen Vaters durchsetzen.
Krüger und sein Team hätten das Foto direkt nach der Identifizierung der Leiche aus dem Internet genommen, online fänden sich nur noch die Bilder der Mutter und der Tochter, nach denen weiterhin gesucht wird. Bei den Medien könne man nur darauf hoffen, dass sie der Bitte nachkommen.
Allerdings haben wir das Gefühl, dass diese Hoffnung bei den Leuten von “Bild” vergebens ist.
Mit Dank an @macerarius.
Im Kleinermachen ist “Bild” ganz groß
Momentan ist in den großen europäischen Fußballligen Sommerpause, die Mannschaften bereiten sich in Trainingslagern und Testspielen auf die kommende Saison vor. Und vor allem ist Transferzeit! Das bedeutet für die Medien: wilde Wechselgerüchte, angebliche Transfer-Hämmer und reichlich Möglichkeiten für falsche Berichte.
Gestern schrieb die “Bild”-Zeitung:
Und bei Bild.de hieß es entsprechend:
Es geht um Stürmer Mario Gomez, der bisher beim italienischen Erstligisten AC Florenz spielte, und um den Verein, für den er in der anstehenden Saison auflaufen wird: Beşiktaş Istanbul. Dass Gomez nach Istanbul geht, galt zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als sicher, in der Hinsicht konnte “Bild” also nichts mehr verbocken. In allen anderen Hinsichten haben es die Sportexperten aber problemlos hinbekommen.
Es fängt schon an mit der Grafik zur Ablösesumme:
Dazu heißt es:
Gestern in Florenz die abschließenden Verhandlungen mit seinem Ex-Klub Fiorentina (kassiert rund 6 Mio Ablöse), heute Vormittag die Unterschrift und der Flug in die Türkei.
Das Problem dabei: Der AC Florenz hat Mario Gomez nicht nach Istanbul verkauft, sondern nur ausgeliehen. Daher ist es uns auch ein Rätsel, wie die Autoren Kai Psotta und Phillip Arens auf die “6 Mio Ablöse” kommen. Aber vielleicht ist “Bild”-Mann Arens einfach nicht nur gut im Trauernde-Menschen-nicht-in-Ruhe-lassen, sondern auch im Zahlenausdenken.
Ebenfalls falsch ist das Gehalt von Gomez in Istanbul, das die Autoren nennen:
Jetzt wollte ihn Florenz loswerden. Auch, weil sich sein Gehalt von geschätzten 4 Mio Euro netto pro Jahr auf rund 5 Mio erhöht hätte (Vertrag bis 2017). In Istanbul soll er laut italienischen Medien rund 5,5 Mio netto kassieren. Finanziell geht es nicht abwärts …
Und ob es das geht. Mario Gomez wird im kommenden Jahr 3,5 Millionen Euro verdienen. Die Aussage im Teaser, dass sein Gehalt “immer größer” werde, ist also falsch.
Überhaupt: Woran “Bild” und Bild.de den “Gomez-Absturz” erkennen wollen, verraten sie nicht. Es scheint aber mit den Vereinen zu tun zu haben, bei denen der Stürmer bisher gespielt hat beziehungsweise nun spielt — und die “immer kleiner” werden sollen.
Nun ist es nicht ganz einfach, den AC Florenz mit Beşiktaş Istanbul zu vergleichen, also einen Erstligisten aus Italien mit einem aus der Türkei. Aber gut, versuchen wir’s. Nur: Was heißt “kleiner” bei Fußballvereinen?
Für Kai Psotta und Phillip Arens ist es offenbar ein Kriterium, in welchem europäischen Wettbewerb beide Klubs in der nächsten Saison antreten werden:
Gomez in Istanbul. Europa League statt Königsklasse.
Stimmt, Beşiktaş wird in der Europa League spielen. Allerdings hat sich der AC Florenz in der vergangenen Saison auch nicht für die “Königsklasse” Champions League qualifiziert, sondern ebenfalls nur für die Europa League. In Hinblick auf den europäischen Wettberwerb hat der Wechsel nach Istanbul für Mario Gomez also keine Veränderung bewirkt.
Andere Vergleiche, mit denen sich die “Absturz”-These überprüfen ließe, nennen die beiden Autoren nicht. Daher hier mal ein paar Vorschläge:
Facebook-Fans
Beşiktaş Istanbul hat bei Facebook etwa 5,5 Millionen Anhänger und damit mehr als dreimal so viele wie der AC Florenz.
Stadiongröße
Noch in diesem Jahr wird Beşiktaş in die Vodafone Arena einziehen. Nach der Fertigstellung wird das Stadion 41.903 Plätze haben. Bis das soweit ist, tritt das Team im Atatürk Olimpiyat Stadı mit 76.092 Plätzen an.
Im Stadio Artemio Franchi in Florenz kommen 47.282 Fans unter.
Titelsammlung
Beşiktaş gewann bisher 13 Mal den Meistertitel in der türkischen Süper Lig. Dazu kommen neun Pokalsiege und acht Superpokalsiege.
Der AC Florenz wurde in seiner Vereinsgeschichte zweimal italienischer Meister, sechsmal Pokalsieger und einmal Superpokalsieger. Dazu kommen ein Sieg im Europapokal der Pokalsieger und einer beim Mitropacup.
Marktwert des Kaders
Laut dem Onlineportal transfermarkt.de (das auch zum Axel-Springer-Verlag gehört) beläuft sich der Gesamtmarktwert des Profiteams von Beşiktaş Istanbul auf 126,5 Millionen Euro, der des AC Florenz auf 108,78 Millionen Euro. Solche Marktwerte sind durchaus mit Vorsicht zu genießen. Aber auch sie sprechen nicht für die “Absturz”-Überschrift von “Bild” und Bild.de.
In der Online-Version des Textes ist die Passage zum Gehalt von Mario Gomez inzwischen übrigens geändert (“In Istanbul verdient er laut Klub-Info 3,5 Mio.”), genauso die Aussagen zur Ablösesumme (“Am Donnerstagmorgen gab Besiktas die Verpflichtung offiziell bekannt: Zunächst leihen die Türken Gomez nur aus, besitzen aber eine Kaufoption.”). Das Teaserbild hat die Redaktion ebenfalls aktualisiert:
In der “Bild”-Zeitung von heute geht es auch noch einmal um Gomez’ Türkei-Wechsel:
Kein Wort davon, dass im Sportteil vom Tag davor von einer Ablösesumme die Rede war. Aber was interessiert schon der Fehler von gestern? Gerade in der aufregenden Transferzeit.
Die Unfuglotsen von Bild.de lassen es wieder beinahe krachen
Puh, da hätte es beinahe mal wieder geknallt, also in der Fantasie der Bild.de-Redakteure.
Ein Amateurfilmer hatte ein, nun ja, Manöver von zwei Passagiermaschinen auf dem Flughafen in Birmingham aufgenommen und das Video bei Youtube hochgeladen. Bild.de hat die Aufnahmen zweimal hintereinandergeschnitten (weil die 21 Sekunden sonst nicht für den Sprechertext gereicht hätten) und ein kleines Drama daraus gestrickt:
Aber wie so oft im Beinahe-Journalismus hat Bild.de eine ganz eigene Interpretation des Beinahe-Geschehens.
Der erste Komplettquatsch steckt in der Behauptung “Zwei auf einer Landebahn”. Bild.de glaubt, dass beide Flugzeuge landen. Aber das stimmt nicht: Das hintere Flugzeug landet, das vorder startet. Der Flughafen in Birmingham hat nur einen “Runway” in Betrieb, der sowohl für Starts als auch für Landungen genutzt wird.
Der Sprecher im Bild.de-Video sagt über den Piloten der vorderen Maschine:
Weil hinter ihm ein Airbus A320 landen will, startet er kurzerhand durch. Mit seinem bedachten Handeln verhindert er vielleicht ein Unglück.
Um herauszufinden, dass er nicht durchstartet, sondern lediglich startet, hätte ein Blick in die Beschreibung des Originalvideos gereicht:
Landing Airbus A320 and Embraer 195 taking off at BHX showing that pilots and controllers sometimes don’t have very long to make decisions.
Und auch die angeblich gerade noch so verhinderte Kollision auf der Start- und Landebahn ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein Gedankenspiel von Bild.de. Zunächst dürfte die Perspektive der Videoaufnahme — wahrscheinlich von einem relativ weit entfernten Punkt mit einem Teleobjektiv gefilmt — die Situation verzerren und den Abstand der Flugzeuge deutlich geringer erscheinen lassen.
Ein Fluglotse, der an einem deutschen Verkehrsflughafen arbeitet, erklärte uns, dass das Bildmaterial einen Vorgang zeige, “der völlig legal und sicher ist und in dieser Form mehrere hundert Mal täglich allein in Deutschland vorkommt”:
Vorne startet ein Flugzeug, kurz danach setzt dahinter ein landendes Flugzeug auf. Hat das vorausfliegende Flugzeug dabei das Pistenende noch nicht überflogen, spricht man von “Reduced Runway Separation”, also reduzierter Pistenstaffelung.
Um ihre Beinahe-Crash-These zu untermauern, hat sich die Bild.de-Videoredaktion noch einen Beleg ausgedacht. Der Sprecher sagt:
Der Tower hatte den Piloten zuvor mit einem Close Call vor der anderen Maschine gewarnt.
Einen “Close Call” gibt es in der Fluglosten-Sprache nicht. Der Ausdruck bedeutet “Beinaheunfall” oder “knappe Sache” — und steht einzig als Titel über dem Youtube-Video des Amateurfilmers.
Mit Dank an Christian G.!
Trauerspiel
Die Bundesligafußballer von Bayer Leverkusen stecken momentan mitten in der Saisonvorbereitung. Vergangene Woche musste Abwehrspieler Ömer Toprak im Trainingslager eine Einheit aus persönlichen Gründen abbrechen: Er soll vor dem Training erfahren haben, dass ein Familienmitglied gestorben ist.
Ein gefundenes Fressen für “Bild” und Bild.de:
Eine bewegende Szene im Bundesliga-Alltag. Gestern um 10.03 Uhr beim Leverkusen-Training in Zell am See in Österreich.
Abwehr-Boss Ömer Toprak (26) bricht die Kraft-Übungen ab, weint plötzlich hemmungslos. Trainer Roger Schmidt (48) reagiert, nimmt seinen Spieler in den Arm und führt ihn in die Kabine.
Und “Bild”-Reporter Phillip Arens hält voll drauf:
(Veröffentlicht wurde das Foto — natürlich vollständig — in riesiger Größe bei Bild.de und etwas kleiner in “Bild”.)
Doch beim Fernfotografieren beließ es Arens nicht und quetschte anschließend noch Trainer Roger Schmidt aus:
Schmidt sichtlich bewegt zu BILD: “Es ist eine private Angelegenheit, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.”
Das sahen der “Bild”-Mann und seine Redaktion etwas anders:
Mit Dank an Sabine K.
Ich trink’ Ouzo, und welche Steuererhöhung erfindest du so?
Bei komplexen Themen greifen Redaktionen gern auf knackige Beispiele zurück, das soll einem Bericht wohl was Griffiges geben. Aus den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP entstand so etwa die breite Chlorhühnchen-Debatte, die einige viel diskussionswürdigere Aspekte aus den Schlagzeilen und Artikeln verdrängt haben dürfte.
Als am Montag in Griechenland die vom Parlament beschlossenen Mehrwertsteuererhöhungen in Kraft traten, gab es wieder ein mediales Massenherunterbrechen. Und was picken sich die Journalisten da am liebsten raus? Klar, Sirtaki, Tzatziki oder:
Im welt.de-Text kommt auch ein griechischer Kellner zu Wort:
“Unser Ouzo und Moussaka werden ab Montag leider teurer”, sagte Kostas Sarafis, ein Kellner in der Taverne “Zorbas” unterhalb der Akropolis von Athen.
Das Zitat stammt aus einer dpa-Meldung. Bloß: Entweder hat der Kellner nicht die Wahrheit gesagt, oder der Reporter hat was durcheinandergebracht. Denn für Moussaka mag die Aussage stimmen, weil die Mehrwertsteuer für Restaurantrechnungen am Montag von 13 auf 23 Prozent gestiegen ist. Für den Ouzo stimmt sie aber nicht. Alkohol unterliegt in Griechenland laut einer Liste der Europäischen Kommission (PDF, Griechenland = “EL”) schon seit Jahren der höchsten Mehrwertsteuer. Und dabei ist es egal, ob der Kunde ihn im Supermarkt, am Kiosk oder in der Taverne kauft:
Niedrigere Mehrwertsteuersätze für Alkohol (wie für alles andere auch) gab es bis Sonntagnacht lediglich auf den griechischen Inseln, nicht aber in der Athener Taverne “Zorbas”.
Nun passte den Redaktionen die dpa-Passage vom teureren Ouzo aber so gut ins Griechenland-Klischee, dass sie sie massig verbreiteten. Manche dachten sich noch flotte Überschriften und Dachzeilen aus …
(n-tv.de)
… andere übernahmen einfach den dpa-Text und mit ihm das Zitat des griechischen Kellners.
Daneben gab es aber auch einige Medien, die nicht einmal die Agentur-Vorlage brauchten, um den Ouzo–Unsinn aufzuschreiben.
Mit Dank an Jörg B. und Michalis P.
Mörder auf der Titelseite
Die Mitarbeiter von “Bild” und Bild.de können sich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass auch Täter — und sei ihr Verbrechen noch so abscheulich — Rechte haben. Zum Beispiel Menschenrechte, aber auch Persönlichkeitsrechte. Oder das Recht, nach der Verbüßung ihrer Strafe wieder vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden. Damit das klappt, müssen ihnen die Gesellschaft und die Medien natürlich erstmal die Chance dazu geben.
Am vergangenen Freitag haben “Bild” und Bild.de ein Paradebeispiel geliefert, wie das zu verhindern ist:
(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)
Wenn eine Redaktion von einem solchen Vorfall in einer Justizvollzugsanstalt hört, mag sie sich dazu entscheiden, darüber zu berichten. Und dass “Bild” das in einer boulevardesk-knalligen Aufmachung tut — geschenkt. Problematisch ist der Umfang der identifizierenden Berichterstattung: auf der Titelseite mit unverpixelten Fotos, Vornamen, abgekürzten Nachnamen und Kurzabriss der Taten; im Innenteil großflächig noch einmal Fotos der “zwei besonders brutalen Killer”, dazu ausführlichere Schilderungen ihrer Verbrechen, ein Foto aus der JVA und Archivfotos der damaligen Tatorte:
Die Taten liegen inzwischen zehn beziehungsweise 14 Jahre zurück. Ihre erneute Ausbreitung durch die “Bild”-Medien ist in diesem Fall besonders gravierend, weil der eine Häftling (der Zusammengeschlagene) in einem Jahr entlassen werden könnte. Das weiß auch Autor Peter Rossberg, er schreibt es schließlich selbst. Beim anderen Insassen ist die zehnjährige Haftstrafe auch bald rum, allerdings gab es aufgrund weiterer Vorfälle in der Haft weitere Verurteilungen.
Damit sei die Veröffentlichung von “Bild” und Bild.de rechtswidrig, sagt der Medienrechtsprofessor Udo Branahl auf Anfrage:
Bei Straftaten, die so lange zurückliegen, dass potenziell eine Entlassung bervorsteht, genießen die Täter einen Resozialisierungsschutz. Über die Prügelei mag man berichten können, aber nicht flächendeckend über die Taten von damals.
Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so. Und das nicht erst seit Neuestem, sondern schon seit 1973:
Die für die soziale Existenz des Täters lebenswichtige Chance, sich in die freie Gesellschaft wieder einzugliedern, und das Interesse der Gemeinschaft an seiner Resozialisierung gehen grundsätzlich dem Interesse an einer weiteren Erörterung der Tat vor.
Für den Fall, dass ein Medium — warum auch immer — doch unbedingt über eine länger zurückliegende Tat berichten will, hat der Deutsche Presserat im Pressekodex festgehalten, was dabei zu vermeiden ist:
Wenn erneut über ein zurückliegendes Strafverfahren berichtet wird, sollen im Interesse der Resozialisierung in der Regel Namensnennung und Fotoveröffentlichung des Täters unterbleiben. Das Resozialisierungsinteresse wiegt umso schwerer, je länger eine Verurteilung zurückliegt.
“Bild” und Bild.de haben es mit der Veröffentlichung vom vergangenen Freitag geschafft, nicht einmal diesen Mindeststandard einzuhalten.
“Bild” druckt freiwillig zu kleine Gegendarstellung
Die heutige Titelseite der “Bild”-Zeitung sieht auf den ersten Blick ganz normal aus: ein bisschen Fußball (“Neuer Zwirn für Schweini”), ein bisschen mehr vom Wir-gegen-die-Griechen-Gefühl (“Merkel rettet Griechenland mit unserem Geld!”), was Kurioses (“Betrunkener Einbrecher schläft im Kofferraum ein”). Oben rechts wird’s aber eher ungewöhnlich, da steht nämlich das hier:
Sie bezieht sich auf die riesige “Bild”-Titelstory vom 17. Juni, in der das Blatt keinen Zweifel daran ließ, was nach der Urteilsverkündung im Tuğçe-Prozess (BILDblog berichtete) passiert ist:
Das Besondere an der Gegendarstellung auf der “Bild”-Titelseite von heute: Sie hätte in dieser Form gar nicht abgedruckt werden müssen.
Vor zwei Wochen hat das Landgericht Berlin zugunsten von Sadija M. eine einstweilige Verfügung erlassen und die “Bild”-Zeitung dazu verdonnert, eine Gegendarstellung abzudrucken. Gegen diese Abdruckanordnung hat “Bild” Widerspruch eingelegt, eine mündliche Verhandlung folgt in der kommenden Woche. Trotzdem hat sie schon heute eine Gegendarstellung veröffentlicht, allerdings nicht entsprechend den Vorgaben des Gerichts.
Warum? Der Grund könnte in eben diesen gerichtlichen Vorgaben liegen: Demnach muss das Wort “Gegendarstellung” in der Größe der Dachzeile der Erstveröffentlichung (“EKLAT NACH DEM HAFTURTEIL”) gedruckt werden, der dazugehörige Text (“In der BILD-Zeitung vom 17.06.2015 haben Sie auf …”) in der Größe der einstigen Überschrift (“Mutter des Schlägers spuckt auf Tugce-Foto!”). Das würde bedeuten, dass die Gegendarstellung am Ende in etwa so aussieht, wie die von Heide Simonis aus dem Jahr 2006.
Felix Damm, Anwalt von Sadija M., vermutet, dass die “Bild”-Zeitung sich mit dem Abdruck der kleinen Version für die mündliche Verhandlung wappnen will:
Es scheint die Hoffnung zu bestehen, das Gericht werde von der verfügten Abdruckanordnung derart abweichen, dass mit dem Abdruck der verkleinerten Version der gerichtlichen Entscheidung genügt wurde. Ich gehe allerdings davon aus, dass die „Bild“-Zeitung die Gegendarstellung noch einmal drucken muss, dann deutlich größer.
Warum “Bild” bei der Position bleibt, Sadija M. habe auf das Tuğçe-Foto gespuckt, steht auf Seite 6 der heutigen Ausgabe:
Dem Gericht legte [M.] eine eidesstattliche Versicherung vor, nach der sie nicht gespuckt habe.
Wir glauben, dass Frau [M.] lügt, und bleiben deshalb bei unserer Darstellung und werden Strafanzeige stellen.
Mehrere Zeugen haben den Vorgang beobachtet und gegenüber BILD bestätigt.
Interessanterweise berichteten auch andere Medien von einem Spucken nach der Verhandlung, sie ordneten es im Gegensatz zur “Bild”-Redaktion aber nicht unmittelbar Sadija M. zu.
Ihr Anwalt Felix Damm sagt, ihn erinnere die Art der “Bild”-Berichterstattung über seine Mandantin an eine “moderne Form der Sippenhaft”:
Als Sanel M. im Gefängnis saß, hat sich die “Bild”-Zeitung dessen Bruder vorgenommen. Als sie damit durch war, kam die Mutter dran. Es wird versucht, der Öffentlichkeit eine schuldige Familie zu präsentieren.
Deswegen gehe Familie M. nun juristisch gegen einzelne Veröffentlichungen vor. Erste Unterlassungserklärungen konnte sie bereits einsammeln. Zum Beispiel hatte “Bild” auch ein unverpixeltes Foto der Mutter abgedruckt. Das Blatt darf es nun nicht mehr zeigen — weiß sich aber natürlich zu helfen und druckt heute einfach ein anderes Foto der Mutter, schon wieder ohne jede Unkenntlichmachung. Auch dagegen wird sie sich nun wehren.