Wie jetzt? Die “Bild”-Zeitung macht Helmut Kohl tatsächlich schon wieder, abermals, erneut, nochmal, wiederum zum “Gewinner” des Tages?
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Ein guter Grund
“Michael Otto (61)” steht als “Gewinner” des Tages auf Seite 1 der heutigen “Bild”-Zeitung. Und warum? Weil Otto neben Verlags-Erbin Friede Springer u.a. im Springer-Aufsichtsrat sitzt? Oder weil Ottos Otto-Versand ein Partner, äh… Partner, also jedenfalls ein Partner des Online-Shops von bild.de ist? Weil sich Springer und Otto im Jahr 2001 mal gemeinsam an einem Internet-Portal für Frauen versucht haben, wohl kaum. Aber wenn Otto heute als “Gewinner” des Tages auf Seite 1 der heutigen “Bild”-Zeitung steht, weil er der gestrigen “Bild am Sonntag” ein Interview gab (oder so), dann ist das natürlich ein guter Grund, als “Gewinner” des Tages auf Seite 1 der heutigen “Bild”-Zeitung zu stehen. “Bild” jedenfalls fasst zusammen: “Otto find ich gut!”
Okey-dokey, supi-dupi, alles easy
Natürlich kann eine Zeitung, wenn sie will, auf ihrer Titelseite eine Kooperationsaktion großflächig bewerben. Wenn sie dann sowas wie “Sommer-Knaller von LIDL und BILD: Heute Eis für alle! Eins kaufen, eins geschenkt!” dazuschreibt, ist dagegen nichts zu sagen.
Ganz hinten in der “In/Out”-List der “Bild” taucht am selben Tag allerdings auch folgende Empfehlung auf:
“Schlecken, z.B. mit dem supi-dupi ‘Lidl’-zwei-für-ein-Eis-Angebot“
Aber was heißt das? Nur weil die “Bild” auf der Titelseite groß Werbung in eigener Sache macht, darf der Hinweis auf die Kooperation im redaktionellen Teil weggelassen werden?! Befragen wir doch den Pressekodex (Ziffer 7):
“Verleger und Redakteure (…) achten auf ein klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken.”
Gut, dann wäre das geklärt.
Wer dagegen ist, ist dafür
Anlässlich der Anti-Rechtschreibreform-Kampagne der “Bild”-Zeitung schreibt heute die “Berliner Zeitung”:
(…) Auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung fand sich gestern unter den 44 mit Namen und Foto aufgeführten Gegnern der Reform auch Uwe Knüpfer, noch Chefredakteur der WAZ. Eingeklemmt zwischen “Ella Kühner (47), Angestellte” und “Rosi Mittermaier (54), zweifache Ski-Goldmedaillengewinnerin” und unter der Überschrift “Überwältigende Mehrheit der Deutschen will zurück zur klassischen Rechtschreibung – Weg mit der Schlechtschreib-Reform!” klagte also Knüpfer, dass die neuen Regeln an den Menschen vorbei durchgepaukt worden seien und forderte: “Wir brauchen einen Schlussstrich”, immerhin mit drei “s” geschrieben. Das wäre nicht weiter schlimm, hätte sich nicht der gesamte WAZ-Verlag gerade gegen eine überstürzte Rückkehr zur alten Schreibweise und für die Beibehaltung der neuen ausgesprochen. (…)
Und siehe da, genau so steht’s heute auch in der FAZ:
(…) Ähnlich sieht dies Uwe Knüpfer, der Chefredakteur der “Westfälischen Allgemeinen Zeitung” (…). “Wir kehren nicht zur alten Rechtschreibung zurück”, sagt er, “und sind der Auffassung, daß Verlage nicht Politik machen sollten, wir sollten Beobachter bleiben.” In der Sache sei es wohl am sinnvollsten, “sich zügig zu bemühen, allzu grobe Unsinnigkeiten der neuen Rechtschreibung aufzuheben und es dann bei dieser zu belassen”.(…)
Aber okay: Könnte ja sein (rein theoretisch), dass der WAZ-Mann der FAZ einfach was komplett anderes als der “Bild”-Zeitung erzählt hat. Andernfalls aber zählt “Bild” sogar Leute mit Sätzen wie “Wir kehren nicht zur alten Rechtschreibung zurück” zu den Reform-Gegnern, weshalb es dann auch endlich kein Rätsel mehr ist, wie das Blatt auf deren angeblich “überwältigende Mehrheit” kommt.
Nachtrag, 11.8.04, 15:05: Fragt man Uwe Knüpfer persönlich, sagt er übrigens, er habe der “Bild”-Zeitung sinngemäß das Gleiche gesagt wie tags drauf der FAZ, die seine Aussage völlig korrekt wiedergegeben habe.
Ja, es ist Sommer!
“Ja, es gibt Leben im All!” steht da in großen Lettern auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung. Und hätte “Bild” die Schlagzeile, illustriert mit einem Bild der Erde, nicht im August 2004, sondern ungefähr 4 Milliarden Jahre früher gedruckt, wäre das quasi eine Sensation gewesen. Ungefähr 4 Milliarden Jahre später allerdings, seitdem sich auf einem Planeten in einer “Milchstraße” genannten Galaxie nach den Archaeobakterien allmählich auch komplexere Lebewesen (Delfine, Hyazinthen, “Bild”-Leser u.a.) entwickelt haben, ist die “Bild”-Überschrift natürlich noch immer sehr, sehr wahr. Aber muss sie deshalb derart riesig auf der Titelseite von “Europas größter Tageszeitung” stehen, die doch “den Lesern jeden Tag einen Informationsvorsprung” vermitteln will? (Zumal, ganz nebenbei bemerkt, die Schlagzeile auch mit dem dazugehörigen Artikel auf Seite 10 nichts zu tun hat. Nein, nichts. Der nämlich handelt mehr oder weniger von Günther Hasinger, der auf die anderslautende
“Bild”-Frage “Gibt es Leben außerhalb der Erde?” bloß antwortet: “Wahrscheinlich ja.”)
Verdient!
In ihrer “Gehälter”-Reihe veröffentlichte “Bild” am Freitag und am Samstag eine “Gehaltsliste der Bundesliga”. Unter anderem wurden da mindestens 11 Spielern, Managern und Trainern vom FC Bayern München, 8 vom 1. FC Kaiserslautern, 5 von Borussia Dortmund, 4 vom 1. FC Nürnberg sowie je 3 vom VfL Bochum und SC Freiburg allerhand stattliche “pro Jahr”-Gehälter zugeordnet – gefolgt von einem kleingedruckten Hinweis:
“* Einige Angaben geschätzt.”
Der “Bild”-Liste folgte nach Erscheinen allerdings noch etwas ganz anderes – zum Beispiel auf der Internet-Seite des FC Bayern. Nämlich dies:
“Der FC Bayern München verwehrt sich gegen Teile der (…) in der ‘Bild’-Zeitung veröffentlichten ‘Gehaltsliste der Bundesliga’. (…) Sämtliche der veröffentlichten Gehälter von Spielern, sowie Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der FC Bayern München AG entsprechen nicht den Tatsachen.(…)”
Und nachdem wenig später nicht nur der 1. FCK, sondern auch die anderen o.g. Vereine halbwegs identische Erklärungen abgaben, sind bei “Bild” mittlerweile mindestens 11* Abo-Kündigungen aus München, 8* aus Kaiserslautern, 5* aus Dortmund, 4* aus Nürnberg sowie je 3* aus Bochum und Freiburg eingegangen und allerhand* verantwortliche Redakteure rot geworden.
* Einige Angaben geschätzt.
Dank an Ralf K. und Alexander C. H. für diesen “sachdienlichen Hinweis”.
Nachtrag: Ja, wir wissen auch, dass man als Normalsterblicher die “Bild” nicht abonnieren kann. Aber selbst wenn man es könnte, wüssten wir ja nicht, wieviele Abos gekündigt wurden. Oder?
Grundrechen-Reform?
Will “Bild” nach der angekündigten Rückkehr zur alten Rechtschreibung nun etwa auch zur alten Grundrechenart von “1984” zurück? Unter der Überschrift “Blutbad in Florida! 6 Leichen in Haus entdeckt” jedenfalls berichtete bild.de am Samstagnachmittag: “6 Leichen lagen verstreut in einem Haus in Deltona – überall Blut. Sogar ein kleiner brauner Hund war getötet worden.” Später im Text heißt es dann zackig (siehe Ausriss):
“Die Opfer: Zwei Männer und zwei Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren. Fünf von ihnen arbeiteten offenbar in einem Burger-King-Restaurant.” Doch weil zwei Männer und zwei Frauen (und ein kleiner brauner Hund) irgendwie partout keine fünf Burger-King-Mitarbeiter oder gar 6 Leichen ergeben, schaut man sich das “Bild des Grauens” (bild.de) wohl besser irgendwoanders an. Wenn’s einen denn interessiert.
Dank an Sascha K. für diesen “sachdienlichen Hinweis”.
Nachtrag 8.8.04, 13:20: Einen Tag später hat bild.de offenbar nachgerechnet und die Zahl der männlichen Opfer, wie es sich
gehört, verdoppelt.
“Die Konfusion wird größer” (M. Döpfner)
In der heutigen Ausgabe ist der “Bild”-Zeitung offenbar ein bedauerlicher Fehler unterlaufen: Passend zur Titelstory (“‘Bild’ kehrt zurück zur alten Rechtschreibung”) druckt das Blatt auf Seite 2 einen “Protest-Brief” zum Ausschneiden.
“(…) unterschreiben Sie den nachfolgenden Brief (schon in der alten Rechtschreibung) an die Kultusminister“,
heißt es dazu im Begleittext. “An die Kultusministerkonferenz” steht auch über dem “Protest-Brief”. Zu schicken sei der laut “Bild” jedoch an:
BILD – Stichwort: Rechtschreibreform
20597 Hamburg
Und das, obwohl die Zeitung – um das mal in aller Deutlichkeit zu sagen – für eine Entscheidung über die Zukunft der Rechtschreibreform gar nicht zuständig ist. Zuständig ist von Anfang an vielmehr die Kultusministerkonferenz, deren Adresse Sie ggf. hier finden.
Boenischs beste Bedingungen
Unter der Überschrift “Riesenresonanz auf Hoppegarten Renntag” führte die “Bild” vom Freitag im Sportteil der Berlin-Ausgabe ein Interview mit dem “Präsidenten des Union Klubs”, der die Galopprennbahn in Berlin-Hoppegarten betreibt. Der Präsident habe sich “mächtig ins Zeug gelegt“, meint “Bild” und lobt die “starke Resonanz“, nennt’s eine “erfreuliche Tendenz“. Dann stellt das für seine knallharten Boulevardjournalismus bekannte Blatt noch schnell ein paar Fragen, die allesamt (“Wie viele Zuschauer werden erwartet?”, “Hat sich Prominenz angekündigt?”, “Worauf dürfen sich die Turffreunde in diesem Jahr noch freuen?”, “Wie steht es um den publikumswirksamen Hindernissport?”, “Sie halten der Rennbahn weiterhin die Treue?”) aussehen wie abgeschrieben aus einem Galoppverlautbarungsorgan. Großzügig bebildert erstreckt sich das freundliche Entgegenkommen auf eine halbe “Bild”-Seite. “Wir bieten beste Bedingungen“, steht in großen Lettern drüber – und ebenso groß der Name “Boenisch”, denn so heißt der interviewte Mann. Es ist (aber ja doch!) derselbe Boenisch, der Boenisch, der in derselben Freitags-“Bild” 14 Seiten vorher darauf herumreitet, dass irgendwer irgendwen “für dumm verkaufen” wolle.
Ach ja, und fast hätten wir’s vergessen: Am Sonntag um 16.35 Uhr kämpfen in Hoppegarten elf Galopper im 6. Rennen um den “114. Großen Preis von Berlin” – auch “‘Bild’-Pokal” genannt.
Niemand musste müssen
Unter die Schlagzeile “1. Kandidatin in Psychiatrie” schreibt die “Bild”-Zeitung auf ihrer Titelseite:
“‘Big Brother’-Bewohnerin Ilkay (33) musste nach sechs Wochen im TV-Knast in die Psychiatrie eingewiesen werden.”
Und wenn das stimmen würde, wäre das vielleicht wirklich ‘n Ding! Immerhin gilt so eine Einweisung (auch Unterbringung genannt), wie sie die “Bild” beschreibt, hierzulande als Eingriff in die Freiheit der Person und ist deshalb laut PsychKG an allerlei Bedingungen geknüpft:
- Es muss eine erhebliche Gefährdung bestehen, die nicht anders abgewendet werden kann.
- Es muss eine Anordnung vom zuständigen Amtsgericht (wenn’s eilt, auch von der örtlichen Ordnungsbehörde) geben.
- Es muss ein ärztliches Zeugnis vorliegen.
Nur: Bei “‘Big Brother’-Ilkay” war das alles nicht der Fall. Sie hat ihre Teilnahme an der Show bloß freiwillig beendet und einige Tage in einer Nervenklinik verbracht. Weiter nichts. Und selbst wenn… In den Richtlinen des Presserates heißt es:
“Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden fallen grundsätzlich in die Geheimsphäre des Betroffenen. Mit Rücksicht auf ihn und seine Angehörigen soll die Presse in solchen Fällen auf Namensnennung und Bild verzichten (…)”
PS: Nein, dass vor der “Bild” auch schon der “Focus” behauptet
hatte, die Kandidatin habe sich “in die Psychiatrie einweisen lassen” müssen, macht die Sache nicht besser….