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Ostdeutsche Milchmädchenrenten

Es scheint, als hätte die “Bild”-Zeitung ihre Kampagne gegen die angebliche Ungerechtigkeit, dass die Ossis unsere ganze schöne Rente bekommen, für den Moment abgeschlossen. Heute steht nur noch ein kleinerer Artikel unten auf der zweiten Seite mit der Überschrift: “So viel Rente bekommen die Deutschen WIRKLICH”, als würde das, was “Bild” an den vorigen Tagen zum Thema veröffentlicht hatte, die Lage gar nicht treffen — was sogar stimmt.

Am Dienstag und Mittwoch hatte “Bild” mit diesen Schlagzeilen aufgemacht:

Weil die Rentenbezüge in den neuen Bundesländern um 3,38 Prozent steigen, in den alten aber nur um 2,41 Prozent, formulierte “Bild”:

Damit ist die Kluft zwischen den Rentenerhöhungen in Ost und West so groß wie zuletzt vor 10 Jahren.

Das stimmt, ist aber eine geschickte Verkehrung der Perspektive. Denn der Westen hat bei den Renten immer noch einen deutlichen Vorsprung vor dem Osten. Der “Rentenwert” (die monatliche Rente, die man pro Jahr mit einem Durchschnittseinkommen bekommt) ist im Osten über zehn Prozent niedriger. Unter gleichen Voraussetzungen bekommt ein Ostrentner weniger Geld aus der gesetzlichen Rentenversicherung als ein Westrentner.

Wenn die Renten jetzt im Osten also stärker steigen als im Westen, heißt das nicht, dass die Ostrenten den Westrenten weglaufen, wie “Bild” suggeriert, sondern nur, dass sich die Kluft zwischen beiden verringert. Das ist eine Folge davon, dass sich auch die Einkommensunterschiede langsam ausgleichen.

“Bild” suggeriert, dass Ostdeutsche auch in absoluten Zahlen mehr Rente bekommen. Auch das stimmt nur scheinbar. Ein realistischer Vergleich ist kaum möglich, weil in Ostdeutschland Gutverdiener wie Ärzte oder Rechtsanwälte den Durchschnitt in die Höhe treiben, die im Westen nicht aus der gesetzlichen Rentenkasse bezahlt werden. Außerdem sind ostdeutsche Frauen im Schnitt länger berufstätig gewesen, was ihre Rente entsprechend in die Höhe treibt.

Das stand gestern sogar auch in “Bild” — hinderte das Blatt aber nicht daran, mithilfe seiner professionellen Milchmädchen Ost und West gegeneinander auszuspielen:

Schaut man sich die Daten genauer an, fällt auf, dass die Männer, die beide jeweils 45 Jahre als Handwerker gearbeitet haben, auch fast genau die gleiche Rente bekommen. Der Unterschied geht allein auf die unterschiedlichen Lebensgeschichten der Frauen: Frau Ost hat 26 Jahre als Kindergärtnerin gearbeitet, Frau West nur 15 Jahre als Schneiderin.

Als Beleg für die Ungerechtigkeiten im deutschen Rentensystem zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung taugen diese Paare nicht. Aber um Neid zu schüren und Zeitungen zu verkaufen, reicht’s natürlich.

Mit Dank an Rainer S.!

So gaukelt “Bild” uns miese Renteninfos vor

Das Unangenehme an der Zukunft ist ja, dass sie sich regelmäßig nicht an die Voraussagen hält, die über sie in der Gegenwart getroffen werden. Und andererseits wünscht man sich von einem offiziellen Schreiben, in dem die gesetzliche Rentenversicherung einem mitteilt, mit welcher Rente man in Zukunft rechnen kann, doch eine gewissen Zuverlässigkeit. Insofern war es eigentlich eine gute Idee von der “Bild”-Zeitung, sich am Samstag die in diesen Wochen millionenfach versandten “Renteninformationen” (Muster als pdf) genauer anzusehen.

Um zu ihrem erwartbar vernichtenden Urteil zu kommen…

So gaukelt der Staat uns steigende Renten vor

…musste sie allerdings einige Verrenkungen anstellen.

“Bild” moniert, dass in dem Brief “Rentenerhöhungen von 1 % und 2 %” vorgerechnet werden, was “sehr optimistisch” sei. Mag sein, aber auf dem unmittelbar daneben abgebildeten Musterbrief sieht man, dass die Renteninformation auch einen Wert angibt für den Fall, dass die Renten gar nicht erhöht werden.

“Bild” moniert, dass die angegebene zu erwartende Rente nicht berücksichtigt, dass ja auch ein “Jobverlust oder Wechsel auf eine schlechter bezahlte Stelle” dazwischen kommen könnte. Nun könnte man denken, dass jeder Bürger weiß, dass ein solches Schreiben das genau so wenig berücksichtigen kann wie die Möglichkeit, dass man morgen befördert wird. Notfalls kann man aber auch darauf verweisen, dass die Rentenversicherung vor die entsprechende Summe den Satz geschrieben hat: “Sollten bis zur Regelaltersgrenze Beiträge wie im Durchschnitt der letzten fünf Kalenderjahre gezahlt werden, bekämen Sie (…) von uns eine monatliche Rente von:”.

“Bild” moniert, dass “mögliche Rentenabschläge bei vorzeitigem Ruhestand völlig ausgeblendet werden”. Nun ja: Die Renteninformation bezieht sich ausdrücklich auf die Annahme, dass man bis zur Regelaltersgrenze arbeitet; auf der zweiten Seite steht ebenso ausdrücklich, dass ein früherer Rentenbeginn zu Abschlägen führt.

“Bild” moniert, dass die Renteninformation nicht berücksichtigt, dass “die Preise schneller steigen als die Renten”. Aber ob sie das wirklich tun werden, weiß niemand. Sicher ist nur, dass die Renten langsamer steigen werden als die Löhne — die Anpassungen können aber durchaus über der Inflationsrate liegen.

Zusätzlicher Vorsorgebedarf
Da die Renten im Vergleich zu den Löhnen künftig geringer steigen werden und sich somit die spätere Lücke zwischen Rente und Erwerbseinkommen vergrößert, wird eine zusätzliche Absicherung für das Alter wichtiger (“Versorgungslücke”). Bei der ergänzenden Altersvorsorge
sollten Sie – wie bei Ihrer zu erwartenden Rente – den Kaufkraftverlust beachten.

Warnung in der “Renteninformation 2007”, erste Seite

Und so geht das noch ein bisschen weiter (auch die Rentenversicherung selbst hat eine Erklärung dazu abgegeben). “Bild” ignoriert sämtliche warnenden und relativierenden Hinweise, die in den Briefen enthalten sind. Erstaunlicherweise hat die Zeitung sogar an der Warnung etwas auszusetzen, dass Versorgungslücken zu erwarten und eine “zusätzliche Absicherung für das Alter” zu empfehlen sei: Da fehle der Hinweis, dass man auch für private Lebensversicherungen “kräftig Steuern, Kranken- und Pflegebeiträge hinblättern” muss.

Dass “Bild” nicht noch Extra-Renten-Prognosen für den Fall fordert, dass außerirdische Dinosaurier zwei Drittel der Rentenzahler auffressen, ist vermutlich nur dem mangelnden Platz geschuldet.

PS: Ausnahmsweise ist es “Bild” gelungen, den Empfänger des faksimilierten Renten-Briefes vollständig zu anonymisieren:

Dabei wäre das in diesem Fall ausnahmsweise nicht so dringend gewesen:

Mit Dank an Andreas K.!

Mit wahren Zahlen die Unwahrheit sagen

Die letzte große Renten-Schock-Tabelle auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung liegt locker mehrere Tage zurück. Das konnte so nicht bleiben.

BILD nennt die wahren Zahlen! Kann man von dieser RENTE leben?Und so überrascht “Bild”-Renten-Lügen-Experte Dirk Hoeren gemeinsam mit zwei Kollegen heute mit dem Versprechen, “zum ersten Mal die wirklichen Zahlen” zu nennen. Sie sind — natürlich — höchst beunruhigend und lassen “Bild” rhetorisch fragen: “Kann man von dieser RENTE leben?”

Die Zahlen, die “Bild” veröffentlicht, geben an, wie viel Geld die Rentner in Deutschland zur Zeit durchschnittlich ausgezahlt bekommen — sortiert nach Altersgruppen, West und Ost, Mann und Frau. Und, um es klar zu sagen: Sie stimmen in dem Sinne, dass sie statistisch korrekt sind.

Ob sie “wahr” oder “wirklich” sind, ist eine andere Frage. Aussagekräftig oder von irgendeiner tatsächlichen Relevanz sind diese Durchschnittswerte jedenfalls nicht. Sie beinhalten nämlich sämtliche Rentenansprüche — auch die vielen Kleinrenten von Menschen, die nur kurze Zeit berufstätig waren, von Müttern, die nie berufstätig waren, von Beamten, die am Anfang ihres Berufslebens kurz als Angestellte gearbeitet haben. Ein solcher Beamter würde natürlich vor allem von seiner Beamtenpension leben. In die “Bild”-Rechnung geht aber nur seine winzige gesetzliche Rente ein, die den Durchschnitt entsprechend senkt.

Dieser Durchschnitt ist deshalb sehr wenig aussagekräftig. Und schon gar nicht lässt er Aussagen darüber zu, von wieviel Geld die Menschen “leben” müssen — neben Beamtenpensionen fehlen zum Beispiel auch Betriebsrenten oder die eigenständige Versorgung freiberuflicher Rechtsanwälte, Ärzte oder Architekten in der Rechnung.

In der Fortsetzung des Artikels auf Seite 2 deutet “Bild” immerhin die Unzulänglichkeit der Durchschnittszahlen an und schreibt:

Warum gibt es so wenig [Rente]?
Weil immer mehr Senioren in Rente gehen, die arbeitslos waren und deshalb nicht genug in die Rentenkasse einzahlen konnten.

Das ist zwar in anderer Hinsicht wieder grob irreführend, denn die größere Zahl von ehemals arbeitslosen Rentnern senkt natürlich nicht die Rentenansprüche der anderen. Sie senkt aber natürlich die Durchschnittszahlen von “Bild”.

Dennoch spricht “Bild” diesen Zahlen wider besseres Wissen eine Aussagekraft zu, die sie nicht haben, und überschreibt den Seite-2-Artikel mit den Worten:

BILD nennt die wahren Zahlen / Für so wenig Rente haben wir das ganze Leben gearbeitet

Richtig hätte die Überschrift lauten können:

BILD nennt die wahren Zahlen
Aber wer das ganze Leben gearbeitet hat,
bekommt fast immer mehr

Wozu Beamte taugen

Vielleicht dachten die “Bild”-Leute am vergangenen Donnerstag, dass diese Schlagzeile ihre Leser noch nicht genug aufregen würde:

Beschlossen! Rente erst ab 67

Zum Glück wussten sie aber einen einfachen Trick, um das Empörungspotential dieser Schlagzeile locker zu verdoppeln:

Aber für Politiker und Beamte gilt das nicht...

Denn das weiß der “Bild”-Leser: Beamte haben es immer besser. Ihre Zeitung bestätigte ihnen das noch am selben Tag durch zwei Tabellen, die den “RENTE MIT 67”-Artikel einrahmten:

So lange arbeiten Beamte wirklich* / Wie viel länger müssen wir künftig arbeiten?

Was ein ziemlich eindrucksvoller Vergleich ist. Denn während Beamte je nach Berufsgruppe schon in einem Alter zwischen 48,1 und 63,4 Jahre in den Ruhestand gehen, müssen “wir” (!) zwischen 65 und 67 Jahre alt werden, um eine volle Rente zu bekommen.

Das eine ist die reale Arbeitszeit, das andere die nominale. In diesem Sinne könnte “Bild” auch beweisen, dass Schokolade in der Nähe von Beamten weniger lange hält, indem die Zeitung einfach die tatsächliche Zeit, bis eine Tafel Schokolade in einem Beamtenhaushalt aufgegessen wurde, mit dem Haltbarkeitsdatum einer Tafel Schokolade in “unseren” Haushalten vergleicht.

Aber wie sieht es jetzt aus mit der Rente ab 67, die “für Politiker und Beamte nicht gilt”? Dass die Schlagzeile falsch war, konnte schon ahnen, wer den zugehörigen Artikel zu Ende las. “Die Bundesregierung will die Rente mit 67 auch auf Beamte im Bund übertragen”, stand dort — das sei nur “noch nicht beschlossen”.

Am Tag drauf, als “Bild” erneut über die “Rente mit 67” berichtete, fand sich in dem Artikel sogar folgender Satz:

Regierungssprecher Wilhelm stellte klar: Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit solle künftig auch für Bundesbeamte und Minister gelten: “Das wird so schnell wie möglich umgesetzt.”

Für eine Schlagzeile im Sinne von: “AUCH BEAMTE UND POLITIKER SOLLEN LÄNGER ARBEITEN” hatte “Bild” an diesem Tag allerdings keinen Platz. Stattdessen lautete die Überschrift:

RIESEN-WUT auf Rente mit 67

Danke an Werner S. für den sachdienlichen Hinweis!

Magermilchmädchen von morgen

Huch:

Was “Bild” uns heute mit dieser Seite-2-Überschrift sagen will, ist: In Zukunft werden ganze Generationen weniger Geld aus der gesetzlichen Rentenkasse herausbekommen, als sie eingezahlt haben.

Und wie kommt “Bild” zu dieser Prognose?

Aufhänger des Artikels ist ein “Welt”-Artikel. Darin sagt Hans-Jürgen Papier, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, es könne verfassungswidrig sein, “wenn das eingezahlte Kapital regelhaft bei weitem das übersteigt, was der einzelne später an Leistungen erhält”. Wohlgemerkt: Papier sagt — anders als der flüchtige “Bild”-Leser glauben könnte — nicht, dass dies so kommen wird. Er spricht von den Konsequenzen, falls es so kommt.

Aber die “Bild”-Zeitung weiß ja schon, was kommt. Sie druckt eine Tabelle, über der es heißt: “Soviel Rente gibt es pro 100 Euro Rentenbeitrag”. Daneben steht: “Hier sehen Sie, ob Sie ein Gewinner oder Verlierer sind”. Männer und Frauen sollen anhand ihres Jahrgangs erfahren können, mit wieviel Auszahlungen sie je 100 Euro Einzahlungen rechnen können.

Und für eine grobe Abschätzung, wie seriös die “Bild”-Tabelle ist, genügt es vielleicht schon, sich vor Augen zu halten, dass sie sich Vorhersagen zutraut für Menschen, die die nächsten 34 Jahre noch nicht einmal geboren sind und voraussichtlich im Jahr 2107 in Rente gehen werden.

Und bevor man dann noch in Panik gerät, weil ja auch die Kinder und Kindeskinder irgendwann im Alter von irgendwas leben müssen, lohnt es sich, auf die Quelle für “die BILD-Tabelle” zu schauen: Errechnet wurden die Zahlen laut “Bild” vom “Institut für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn” von Meinhard Miegel, der auch das “Deutsches Institut für Altersvorsorge” berät, eine Lobbyorganisation von Banken und Versicherungen zur Förderung der privaten Altersvorsorge.

Andere Quellen kommen zu Prognosen, die von denen, die “Bild” distanzlos übernimmt, massiv abweichen. Die Zeitschrift “Finanztest” hat in ihrer Mai-Ausgabe ebenfalls nachgerechnet und kam zu dem Ergebnis, dass von einer “Minus-Rente” keineswegs die Rede sein könne:

Die nominalen Renditen werden drastisch sinken, doch bleiben nach derzeitigem Rentenrecht voraussichtlich immer positiv für alle, die bis 2070 in Rente gehen.

“Finanztest” weist aber auch darauf hin, dass so weit in die Zukunft reichende Prognosen grundsätzlich “sehr problematisch” seien. “Bild” weist nicht einmal darauf hin, dass es sich überhaupt um Prognosen handelt.

Danke an Holger R. für den Hinweis!