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“Bild” sprach zuerst mit… dem Friseur

(Nur nicht aufregen!)
Es stimmt, dass dieser Schnappschuss in der gestrigen “Bild”-Zeitung kurzzeitig Beachtung fand. Kaum ein TV-Promimagazin beispielsweise, das ihn (im Zusammenhang mit der Berichterstattung über eine Aids-Gala, während der das Foto entstand) nicht beiläufig gezeigt hätte: RTL-Dschungelshow-Gewinnerin Désirée Nick und Klaus Wowereit, Berlins Regierender Bürgermeister, küssen sich inmitten einer von zahlreichen Kamerateams und Journalisten besuchten Benefizveranstaltung, zu der Wowereit in Begleitung seines langjährigen Lebensgefährten gekommen war.

Und wer weiß, vielleicht stimmt es ja wirklich, vielleicht hat “Bild” ja Recht, wenn sie heute, groß, auf der Titelseite, unter der völlig sinnentleerten Überschrift “Wowereit nicht mehr schwul?” behauptet: “Ganz Deutschland diskutiert über einen Zungenkuss.” Wer weiß. (Wir wissen ja alle nicht mal, ob das, was der Schnappschuss zeigt, überhaupt ein Zungenkuss war: Nicks “Bild”-Statement gestern war gewohnt kokett, und Wowereit hatte “nicht die Absicht, das zu kommentieren.“)

Allerdings nennt “Bild” heute für die Behauptung, dass “ganz Deutschland diskutiert”, keinerlei Belege. Nein, stattdessen hat “Bild” offenbar ausschließlich mit “Promi-Friseur Udo Walz (60)” gesprochen – und mit dem Sexualwissenschaftler Wilhelm Preuss (keine Altersangabe). Doch dazu später.

Walz jedenfalls sagt laut “Bild” nicht, wie diese zur Titelstory gehörige Schlagzeile suggeriert: “Solche Küsse küsst doch kein schwuler Mann!” Nein, Walz plaudert nur ein wenig drauflos, findet, solche Küsse gehörten “nicht in die Öffentlichkeit”, und beendet sein längliches “Bild”-Statement mit den nichtssagendem Worten:

“Aber bei Wowi reden wir ja nur von einem Kuß. Und abgesehen davon, daß es wirklich wichtigere Probleme auf der Welt gibt als so ein Bussi. Ein Kuß, ganz egal zwischen wem, ist und bleibt doch eine der schönsten Sachen der Welt.”

Das war’s. Beziehungsweise war’s das noch nicht ganz. Denn “BILD-Medizin-Redakteur Dr. Christoph Fischer” hat ja noch mit erwähntem Sexualforscher gesprochen, der auf die drängenden Fragen der “Bild”-Macher (“Ist Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (51, SPD) gar nicht mehr schwul?” bzw. “Kann ein Schwuler wieder Frauen lieben?” und “Kann ein Schwuler wieder Frauen sexuell begehren?” usw.) sogar eine Antwort hat. Sie lautet zusammengefasst:

“Das ist ganz unwahrscheinlich.”

PS: Und nachdem das gesagt ist, kann man das, was darüber hinaus “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner zum Thema beizutragen zu haben glaubt, bestenfalls ignorieren — und (mit Dank an Tommy für den sachdienlichen Hinweis) daran erinnern, dass “Bild” am 16.2.2002 unter der Überschrift “Kann Sabine Christiansen Wowereit umdrehen?” schon mal fast dieselbe Story druckte, was die “Zeit” damals übrigens “praktizierte Offenheit gegenüber dem Schwachsinn” nannte…

Schwule Lehrer

Endlich tut einmal jemand was gegen den Skandal, dass sogar Schwule, die ihre Perversion demonstrativ zur Schau stellen, einfach unsere Kinder unterrichten dürfen! Abnormale Lehrer können jetzt der “Bild”-Zeitung gemeldet werden, die sich dann um die Sache kümmert.

Ganz so unverblümt ist die neue Aktion Pranger von “Bild” natürlich nicht organisiert. Vorgeblicher Anlass ist der Auftritt eines Berliner Lehrers in der ARD-Show “Das Quiz”, in der er die Frage “Was wird mithilfe von Lackmus-Papier bestimmt?” falsch mit “Cholesterinwert” beantwortete, was ihn in den Augen der “Bild”-Zeitung von gestern zum “total blamierten” “Depp-Lehrer”, zum “Ahnungslosen” und zum “Skandal-Lehrer” macht. Wobei in dem Artikel dezent die Grenzen verwischen, worin genau der Skandal besteht: In der falschen Antwort oder in der Tatsache, dass der Lehrer schwul ist, eine Punk-Frisur trägt und sich geschminkt hat, bevor er ins Fernsehen gegangen ist.

Das ist ein Berliner Lehrer

steht in großen, fassungslosen Buchstaben über dem androgynen Gesicht des Kandidaten. Immer wieder betont der Artikel, dass der Referendar Alexander G. einen Freund hat und Augen und Lippen geschminkt sind.

Der junge Mann ist Berliner Lehrer! Er darf Kinder unterrichten!

In der Druckausgabe wird ihm auch noch Schwänzen vorgeworfen:

Unfaßbar, daß so ein Ahnungsloser unsere Kinder unterrichtet. Eigentlich — wie BILD erfuhr — ist er seit vier Wochen krank geschrieben!

Später “erfuhr” “Bild” noch eine Information, die es allerdings nur in die Online-Version der Geschichte geschafft hat:

Immerhin: Die Sendung wurde vorher aufgezeichnet.

“Immerhin”: Irgendwer bei “Bild” hat gemerkt, dass das in diesem Zusammenhang kein ganz unwesentliches Detail ist.

Heute dreht “Bild” die Geschichte weiter, und die Sache mit der falschen Antwort taucht nur noch in einem einzigen Satz am Rande auf. Wohin die Reise geht, macht die Überschrift neben einem weiteren Bild des Lehrers klar:

Kein Wunder, daß wir bei der PISA-Studie ganz hinten liegen…
Warum darf so ein Lehrer unsere Kinder unterrichten?

Weiter im Text:

Wie BILD erfuhr, tritt der Punk-Lehrer in seiner Freizeit bundesweit auch als Travestiekünstler “Loulou La Rouge” in Frauenkleidern auf! Warum darf so ein schriller Typ Kinder unterrichten?

Warum nicht, könnte man zurückfragen, aber das haben die Beschützer “unserer” Kinder, die “Bild” zitiert, natürlich nicht getan:

“In diesem speziellen Fall ist es ein schlechtes Image für die Schule, die Grenze der Individualität scheint hier überschritten.”

“Durch dieses Auftreten wird der Schulfrieden massiv gestört. In jeder Firma würde dieser Mann umgehend gefeuert!

“Ein Lehrer muß nicht täglich im Anzug zum Unterricht kommen. Aber eine saubere Jeans und ein gebügeltes Hemd sollten schon sein.”

(Dass der Referendar seine Hemden nicht bügelt oder die Jeans nicht wäscht, hatte bislang nicht einmal “Bild” behauptet.)

Also, klar ist: Solche Lehrer gehören ins Kino, aber nicht in die Schulen. Und deshalb endet der Artikel mit dem folgenden Aufruf:

Haben Sie auch so einen schrillen Typen an der Schule? Kennen Sie Lehrer, die sich gehen lassen?

Dann schreiben Sie an:

BILD Zeitung
Redaktion Nachrichten
Stichwort: „Lehrer“
Axel-Springer-Platz 1
20350 Hamburg

Und wenn einer von den so Vorgeführten dann seine Existenz verliert oder sich etwas antut, wird “Bild” in seiner ausführlichen Nachberichterstattung zu mehr Toleranz aufrufen. Versprochen!

Zum Weglaufen

In seiner “Bild”-Kolumne “Mein Tagebuch” erzählt Claus Jacobi ohne ersichtlichen Zusammenhang unter anderem folgende Anekdote:

Vorsicht

Ein Mann mit Koffer hastete durch Berlins Flughafen Tegel. “Wohin so eilig?”, fragte ein Freund. Der Mann setzte seinen Koffer ab und sagte: “Im NS-Reich wurde es verfolgt. Unter Adenauer war es verboten. Unter Kohl wurde es erlaubt. Jetzt werden sie als Pärchen in der Kirche gesegnet.” Er nahm den Koffer wieder: “Ich will weg sein, bevor es Pflicht wird.”

Die Anekdote handelt offensichtlich von Homosexualität. Im Dritten Reich wurden rund 100.000 Menschen wegen ihrer Homosexualität in Konzentrationslager verschleppt und gefoltert, zwei Drittel davon ermordet. Viele weitere wurden zwangskastriert. Bis 1969 stellten die Paragraphen 175 und 175a homosexuelle Handlungen unter Strafe und trieben viele Schwule in die Isolation oder den Selbstmord. Erst 1994 wurde das Sonderstrafrecht für Homosexuelle abgeschafft.

Und Claus Jacobi erzählt einen Witz darüber, dass die Situation nicht 1933, nicht 1945, nicht 1954, nicht 1969 zum Weglaufen war, sondern heute, wo Schwule und Lesben viele Rechte haben und sichtbar in verantwortlichen Positionen sind. Was will er uns damit sagen?

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