Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
Bis zum 11. Januar gibt es hier ein ungewöhnliches Experiment: BILDblog und die Deutsche Journalistenschule organisieren die Urlaubsvertretung von Ronnie Grob – Schüler der 50sten und 51sten Lehrredaktion der DJS werden in den nächsten Tagen täglich sechs besondere Links auswählen und im BILDblog und auf djs-online.de vorstellen. Heute ausgewählt von Martin Schneider und Nicolas Diekmann.
1. Uschi Glas als Stammgast (Altpapier, Klaus Raab)
Hat Bild das Attentat in Newtown genutzt, um für seine abendliche Veranstaltung “Ein Herz für Kinder” zu werben? “Den Massenmord an Grundschülern zu benutzen, um eine Spendengala zu promoten (…) ist schon herausragend ekelhaft”, schreibt Klaus Raab.
2. Newtown response shows perils of post-tragedy interview requests via social media (Poynter, Jeff Sondermann)
Wenn durch Social Media jeder auffindbar ist, was tun Journalisten? Sie schicken Interviewanfragen zum Amoklauf direkt per Twitter und Facebook. “While social networks have made it easier for journalists to find and contact potential sources, it’s also made the hardest part of the job even harder. Those delicate interactions, what used to be just two humans figuring out what feels right, often occur over the cold distance of electronic communication and in full view of the public.”
3. More Guns, More Mass Shootings – Coincidence? (Mother Jones, Mark Follman)
Eine datenjournalistische Aufarbeitung über den Zusammenhang aus der Häufung von Amokläufen und der zunehmender Verbreitung von Waffen in den USA.
4. Die Panik der Anderen (Perlentaucher, Ina Hartwig)
Jahrelang war Ina Hartwig Literaturkritikerin für die “Frankfurter Rundschau”. Nun gibt sie einen Einblick in den langsamen Untergang der Zeitung, beschreibt diesen als “Sonderfall” und versteht die “Resignation und Autoaggression” diverser Journalisten nach der (Fast-) Pleite der FR nicht. Eher müsse eine ehrliche Auseinandersetzung um die Zukunft des “Leitmediums Zeitung” stattfinden.
5. Der Audi-Ausflug des Zeit-Herausgebers (Meedia, Stefan Winterbauer)
Im letzten “Zeit”-Magazin attestierte “Zeit”-Herausgeber Josef Joffe in einem gemeinsam mit seiner Frau verfassten Auto-Test dem Audi Q3 “gedämpften Minimalismus”. Die Innengeräusche seien “gering, das Fahrverhalten bietet die richtige Balance zwischen flink und sicher. Kurven meistert der Q3 wie von Geisterhand gezogen.” Nach dem Verdacht auf Schleichwerbung, sagt die “Zeit” jetzt auf Anfrage von “meedia”, dass die Autoren bis auf 90 Euro alle Spesen selbst tragen müssten.
6. Countdown zum Weltuntergang (ZDFneo, Weltuntergangsblog)
Am 21. Dezember geht ja bekanntlich die Welt unter; die ZDF-Spartenkanal-Allzweckwaffen Joko und Klaas servieren an diesem Abend bei Neo ihre große Show zum Thema. Bis dahin gibt es einen täglichen Blogeintrag – mit Twitter-Liste zum #weltuntergang.
Die Überschrift ist etwas verwirrend, aber irgendwie unwiderstehlich:
Mit Ausweis von Uschi Glas zu Kinderpornos,
hat die “Bild”-Zeitung über eine Meldung geschrieben. Darin geht es um ein Urteil des Kammergerichts Berlin, wonach Porno-Anbieter im Internet dafür sorgen müssen, dass Kinder nicht einfach auf die Inhalte zugreifen können. Bei zwei Betreibern, die angeklagt waren, reichte es aus, die Nummer des Personalausweises einer beliebigen erwachsenen Person einzugeben, um Zugriff auf die Sex-Inhalte zu bekommen. Ein Polizist demonstrierte die Durchlässigkeit dieses Verfahrens dadurch, dass er die Nummer des Personalausweises von Uschi Glas eingab — der war nämlich kurz vorher (in einem ganz anderen Zusammenhang) deutlich lesbar in einer Zeitschrift abgebildet.
Meldungen über dieses Urteil finden sich heute in vielen Medien. Ausschließlich in “Bild” steht, dass es um eine Internetseite mit “widerlichen Kinderpornos” ging. Entweder hat “Bild” diese Information exklusiv oder sie ist falsch.
Dies ist die wunderbare wahre Geschichte einer großen deutschen Schauspielerin, der es ganz ohne eigenes Zutun gelang, die Welt ein bisschen besser zu machen.
Ihr Name ist Uschi Glas, und dieser Name wird, wenn sie Glück hat, für immer damit verbunden sein, dass Kinder in Deutschland nicht mehr so einfach Zugang zu pornografischem Material bekommen. Im vergangenen Jahr ging die Justiz nämlich gegen Anbieter von Sexseiten vor, die als einzigen Nachweis der Volljährigkeit verlangten, die Nummer des Personalausweises eines Erwachsenen einzugeben. Wie unzulänglich dieser Schutz ist, bewies die Polizei dadurch, dass sie die Nummer des Personalausweises von Uschi Glas eingab. Der war bei einem Zeitschriftenartikel, in dem es um ganz etwas anderes ging, abgebildet worden.
Mit Hilfe der öffentlich zugänglichen Daten von Uschi Glas konnten die Ermittler das Kammergericht Berlin überzeugen, dass dieser Schutz nicht ausreichend ist. Anbieter pornografischer Seiten müssten für eine effektivere Kindersicherung sorgen, urteilte das Gericht, sonst könnten sie wegen Verbreitung pornografischer Schriften verurteilt werden.
Uschi Glas könnte sich freuen. Tut sie aber nicht. Sie verklagt laut “Bild” die Polizei Berlin wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte auf 20.000 Euro Schmerzensgeld. Vielleicht hat sie nicht verstanden, was da passiert ist. Sie sagt, laut “Bild”: “Meine Personalien wurden auf Porno-Seiten gespeichert. Was ist, wenn damit noch weiter Schindluder getrieben wird?” Okay, sie hat nicht verstanden, was da passiert ist.
Genau wie die “Bild”-Zeitung. Die nennt das Vorgehen der Polizei, das zur Verbesserung des Jugendschutzes führte, einen “unglaublichen Behördenskandal”. Sie nennt allerdings die Pornoseiten auch “widerliche Sex-Seiten”, obwohl es sich vermutlich nur um ganz normale Sex-Seiten handelt. Aber im vergangenen Jahr hatte “Bild” in einem Bericht über das Urteil ja bereits geschrieben, es handle sich um “widerliche Kinderpornos”, was frei erfunden und falsch war.
Jetzt schreibt “Bild” noch, dass Uschi Glas “nur durch Zufall erfuhr, daß ihre Daten von der Polizei auf Porno-Seiten verwendet werden”. Nun ja, sie hätte es statt “durch Zufall” schon im Oktober 2004 aus vielen, vielen Zeitungen erfahren können, unter anderem der “Bild”-Zeitung. Aber jetzt, ein gutes halbes Jahr später, ist sie laut “Bild” immer noch geschockt. Und wütend. Und traurig. Und tief verletzt.
Das Schlimmste sei, sagt der Anwalt von Uschi Glas laut “Bild”-Zeitung, dass der Name seiner Mandantin mit schmutzigen Sex-Seiten in Verbindung gebracht wurde. Das sei für ihren Ruf eine Katastrophe.
Gut, dass beide anscheinend mit der “Bild”-Zeitung geredet haben, um das zu klären. Damit keiner mehr auf die Idee kommt, Uschi Glas mit schmutzigen Sex-Seiten in Verbindung zu bringen, hat die “Bild am Sonntag” ihren Namen einfach mal groß auf die Seite 1 neben das Wort “Porno-Prozess” geschrieben:
Und im Inneren steht neben ihrem Gesicht und Namen der Begriff:
Da wird sich Uschi Glas aber freuen, wenn sie zufällig davon erfährt.
PS: BILDblog wird morgen übrigens wie üblich für sieben Milliarden Menschen produziert, die frei entscheiden können, ob sie uns lesen wollen. Wir sind weiterhin jeden Tag kostenlos, freuen uns aber über finanzielle Unterstützung.
1. Die Angst vor Echokammern ist übertrieben. Ein Rückblick auf den Wahlkampf 2017 im Netz (netzpolitik.org, Wolf J. Schünemann & Stefan Steiger & Fritz Kliche)
Forscher der Universität Hildesheim haben den Online-Wahlkampf 2017 unter die Lupe genommen und die Echokammer-Hypothese überprüft. Dazu haben sie 2,9 Millionen Facebook-Posts analysiert. Ihr Resümee: Im Gegensatz zu den USA sei das Echokammer-Phänomen hierzulande nur gering bis gar nicht ausgebildet. Auch für die kommenden Europawahlen sei nichts anderes zu erwarten. Da sich die Medienberichterstattung und Parteienkommunikation in EU-Wahlkämpfen in nationalen Bahnen bewege, gäbe es jedoch ein anderes Problem: den “strukturellen Nationalismus”.
Weiterer Lesetipp: Wie die EU gegen Falschnachrichten kämpft (deutschlandfunkkultur.de, Nico Schmidt & Michael Kreil).
2. Sibylle Weischenberg: Mit der Glaskugel im Kopf der Stars (dwdl.de, Hans Hoff)
Im ARD-Magazin “Brisant” erscheint regelmäßig eine “Society-Expertin” namens Sibylle Weischenberg, die augenscheinlich Zugang zu den Stars dieser Welt und deren privaten Geschichten hat. Hans Hoff kommentiert auf die ihm eigene ironische Weise: “Nun gibt es böse Zungen, die Sibylle Weischenberg unterstellen, sie könne all das, was sie da von sich gebe, gar nicht wissen, weil die jeweiligen Stars nicht mit ihr geredet hätten, dass sie vielmehr immer dann zum Einsatz komme, wenn “Brisant” der direkte Zugang zu den Prominenten versperrt bleibe und die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich presserechtlich gegen breitgetretenen Quark zur Wehr setzen, eher gering ausfällt. Die verkennen natürlich, dass Sibylle Weischenberg nicht mit jemandem reden muss, um zu wissen, was sie weiß. Sie weiß das einfach, und als Top-Journalistin, die sie natürlich ist, hält sie ihre bisweilen auch telepathisch angezapften Quellen natürlich geheim.”
4. Journalistin macht sich über Enissa Amani lustig – deren Fans starten eine Insta-Hetzjagd (watson.de, Philip Buchen)
Trash-TV-Edelfeder Anja Rützel hat über die Verleihung der About-You-Awards geschrieben und dabei nicht mit Spott und Kritik an den Veranstaltern und auftretenden Influencern gespart. Der von ihr ebenfalls erwähnten “Comedienne” und “Standup-Künstlerin” Enissa Amani gefiel das gar nicht, und so ließ diese ihrem Ärger auf Instagram freien Lauf. Mit unangenehmen Folgen für Rützel, denn einige von Amanis Followern (Gesamtzahl: 500.000) fluteten Rützels Profil mit Beleidigungen. Dies war jedoch nur der Beginn der Eskalation: Die gekränkte Komikerin, die nicht Komikerin genannt werden will, legte weiter nach und beschimpft ihre Kritikerin unter anderem (unzutreffend) als Nazi-Steigbügelhalterin.
5. Ein Waldspaziergang zum Lesen (deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf)
Promigestützte Celebrity-Titel scheinen die neue kaufmännische Hoffnung des Verlags Gruner + Jahr zu sein: Ob Barbara Schönebergers “Barbara”, Joko Winterscheidts “JWD”, Guido Maria Kretschmers “Guido” oder Eckhard von Hirschhausens “Stern Gesund leben”. Nun legt der Verlag ein weiteres Promi-Magazin auf. Diesmal “Wohllebens Welt”, benannt nach dem Bestseller Autor Peter Wohlleben (unter anderem “Das geheime Leben der Bäume”). Sebastian Wellendorf fasst den Inhalt wie folgt zusammen: “Wohllebens Welt ist in seiner Heile-Welt- beziehungsweise Heile-Naturdarstellung eine Art flauschige Kuscheldecke für den gehfaulen Outdoorfan. Bilder und Texte von den Problemen der Natur, Monokulturen, Überdüngung, Artenschwund sucht man hier vergeblich.”
6. “Ich bin ja wie ein Zombie durch die Gegend gelaufen” (spiegel.de, Martin Pfaffenzeller)
“Spiegel Online” hat sich mit Arno Funke zum Interview getroffen, der vor 25 Jahren als Bomben und Brandsätze legender Kaufhaus-Erpresser “Dagobert” Berühmtheit erlangte. Vor allem Funkes technischen Basteleien, die gescheiterten Geldübergaben und sein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei hatten damals für viel mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Schließlich wurde Funke geschnappt und wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Als er nach sechs Jahren wegen guter Führung vorzeitig entlassen wurde, habe vor der Anstalt eine “Bild”-Reporterin auf ihn gelauert, so Funke: “Am nächsten Tag erschien ein großes Foto und die Überschrift: “Designerkleidung, Markenfahrrad und teure Markenschuhe — woher hat er das Geld?” Dabei hatte ich das Rad für 50 Mark vom Schrotthändler und die Schuhe aus dem Quelle-Katalog, die Jacke von C&A.”
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Qualitätsmedien erliegen dem Spin einer irischen NGO” (kobuk.at, Fabian Schmid)
Irren wegen der Wirtschaftskrise 20.000 herrenlose Pferde durch Irland, wie zum Beispiel “Spiegel Online” berichtet? Die irische Tierschutzorganisation ISPCA antwortet auf Anfrage: “There are no definitive numbers on horses abandoned in Ireland, our Inspectors have brought in 13 horses in 2007, 16 in 2008, 23 in 2009 and 41 so far this year.”
2. “Focus: Können die kein Englisch?” (greenpeace-magazin.de)
Das Blog des “Greenpeace Magazin” befasst sich mit der aktuellen “Focus”-Titelgeschichte: “Ein Eisbär ist darauf zu sehen mit (schlecht aufretuschierter) Sonnenbrille – und unter der Schlagzeile ‘Prima Klima!’ die Behauptung: ‘Die globale Erwärmung ist gut für uns’.”
3. “24 Paar Schuhe. Im Schnitt …” (stefanolix.wordpress.com)
Stefan schreibt zu einer von dpa zitierten Studie über das Kaufverhalten britischer Frauen: “Wo ist der Haken? Aller Wahrscheinlichkeit nach ist die Umfrage nicht repräsentativ.”
4. “Sturm im Wasserglas” (sprengsatz.de, Michael Spreng)
Für Michael Spreng sind die neusten Wikileaks-Enthüllungen (auf cablegate.wikileaks.org), was Deutschland angeht, “völlig bedeutungslos”: “Das Ganze ist eine vom ‘Spiegel’ und anderen Medien inszenierte Scheinaufregung.”
5. “Wikileaks vs. USA – 4 : 0” (bulldoglog.wordpress.com, Lars-Marten Nagel)
Lars-Marten Nagel vermutet in der Konzentration von Wikileaks auf die USA finanzielle Gründe: “Assange sagt selbst, dass nach den Großenthüllungen die meisten Spendengelder fließen. Auf Geld ist Wikileaks letztlich zum Selbsterhalt angewiesen. Die letzten Monate haben zudem klar gezeigt: Der riesige Bekanntheitsschub speist sich aus der Konfrontation mit der letzten verbliebenen Supermacht.”
6. “PRrisiert Social Media unsere Gesellschaft?” (amendedestages.com, Christian)
Christian fragt sich, wie sehr die Gesellschaft durch soziale Medien PRisiert wird. “Das Tun rückt in den Hintergrund, das Darübersprechen in den Vordergrund. Wir machen immer mehr Dinge nur, um anschließend darüber sprechen zu können.”
Zwei Fragen beschäftigen die Menschen in diesen Tagen, und eine davon können wir beantworten.
Frage 1: Hat Lady Gaga einen Penis?
Frage 2: Sind die Medien komplett verrückt geworden?
Aber beginnen wir diese Geschichte doch einfach bei einer seriösen Nachrichtenseite, der des ARD-Boulevardmagazins “Brisant”. Dort heißt es:
Lady Gaga: “Ja, ich habe einen Penis!”
Das [sic] die US-amerikanische Sängerin Lady Gaga gern Haut zeigt, ist nichts Neues. Doch als sie beim Glastonbury Festival in England auf der Bühne von einem Motorrad stieg, rutschte ihr knappes rotes Kleid noch ein Stück höher und gab den Blick auf etwas frei, dass [sic] aussah wie ein Penis. Zu einem amerikanischen Magazin sagte sie, dass sie sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsteile habe, sich aber eher als Frau fühle. Ob das stimmt, oder ob sich die verrückte Künstlerin nur wieder selbst inszenieren wollte, bleibt offen.
Doch das ist nicht das einzige, das offen bleibt. Offen bleibt auch und vor allem die Frage, ob Frau Gaga das überhaupt gesagt hat. Das Zitat stammt aus einem merkwürdigen verwaisten Blogrudiment namens “Starr Trash”. Das behauptete, die Künstlerin hätte in einem Blog-Eintrag die Gerüchte bestätigt, sie sei zweigeschlechtlich (intersexuell):
Its not something that I’m ashamed of, just isn’t something that i go around telling everyone. Yes. I have both male and female genitalia, but i consider myself a female. Its just a little bit of a penis and really doesnt interfere much with my life. the reason I haven’t talked about it is that its not a big deal to me. like come on. its not like we all go around talking about our vags. I think this is a great opportunity to make other multiple gendered people feel more comfortable with their bodies. I’m sexy, I’m hot. i have both a poon and a peener. big fucking deal.
– L8d Gaga <3>
Ich schäme mich dafür nicht, es ist nur nichts, das ich jedem erzähle. Ja. Ich habe sowohl männliche als auch weibliche Genitalien, aber ich verstehe mich als Frau. Es ist nur ein kleines Stück Penis und stört nicht groß in meinem Leben. Ich habe deshalb nicht darüber geprochen, weil es für mich kein großes Thema ist. Wir rennen ja auch nicht herum und reden über unsere Vaginas. Ich finde, dies ist eine gute Gelegenheit, anderen Menschen mit multiplen Geschlechtern zu helfen, sich mit ihren Körpern wohler zu fühlen. Ich bin sexy, ich bin heiß. Ich habe eine Muschi und einen Pimmel. Was soll’s.
Das Blog gibt sich alle Mühe, kein Vertrauen in seine Seriösität zu wecken, und es spricht sehr viel dagegen, dass das Zitat echt ist. Sicher aber ist: Es ist alt. Der Blog-Eintrag stammt vom 14. Dezember 2008.
Als nun Foto- und Videoaufnahmen auftauchten, die möglicherweise den versehentlich entblößten Penis der Sängerin bei einem Live-Auftritt vor gut fünf Wochen zeigen, kramte “Gone Hollywood”, ein anderes amerikanisches Blog ohne besonderen Anspruch, das passende alte angebliche Zitat hervor.
“Gone Hollywood” schreibt ausdrücklich, dass das Zitat nicht neu ist, und behauptet auch nicht, die Quelle zu sein. Und trotzdem dient dieser kleine hingeworfene Eintrag nun ungezählten Medien als Beleg für die aufgeregte Meldung, Lady Gaga habe jetzt plötzlich zugegeben, einen Penis zu haben.
Während sich andere Stars zu Intimitäten selten äußern, und zu so etwas schon gar nicht, machte Lady/Mister GaGa kurz darauf eine bemerkenswert deutliche Ansage. Dem Online-Portal [!] “Gone Hollywood” sagte die Skandal- Sängerin: “Ja, ich habe einen kleinen Penis!”
Hoppes Artikel trägt die Überschrift: “Lady GaGa schockt mit kleinem Penis” (als wäre ein großer weniger schockierend gewesen) und enthält einen unscharfen Screenshot mit der gewagten Unterzeile: “Eindeutig zu erkennen: Lady GaGa und ihr kleiner Penis.”
Der Online-Ableger des öffentlich-rechtlichen österreichischen Radiosenders Ö3 verlinkt sogar den Blog-Eintrag von “Gone Hollywood”, schreibt aber trotzdem:
Lady Gaga behauptet, dass Sie [sic] einen Penis besitzt. Auslöser für dieses Geständnis ist eine [sic] Video-Konzertmitschnitt, das [sic] eine ziemlich deutliche Beule unter ihrem Minikleid zeigt. (…)
Darauf angesprochen sagte die 23-Jährige dem Onlinemagazin [!] Gone Hollywood: “Ich habe einen kleinen Penis. Ich schäme mich deswegen nicht, aber ich erzähle es eben nicht überall herum. Ich meine, wir reden ja auch nicht die ganze Zeit über unsere Vaginanen [sic]. (…)”
Der “Münchner Merkur” und seine diversenSchwesterblätter machen begeistert mit, die “B.Z.” sowieso, und Radio Energy (das “Gone Hollywood” ein “Magazin” nennt), zieht aus der, nun ja: Enthüllung die merkwürdige Schlussfolgerung: “Lady Gaga hatte bis jetzt also wirklich ein perfektes Pokerface.” Vor wenigen Minuten ist Bild.de auf den Gaga-Zug aufgesprungen, wodurch die Geschichte mit Sicherheit erst richtig Schwung bekommen wird.
Und um auf die beiden Fragen vom Anfang zurückzukommen: Die zweite können Sie jetzt selbst beantworten.
Die “Bild”-Zeitung hatte gestern, was viele deutsche Medien gerne gehabt hätten: ein Interview mit dem 17-jährigen Marco W., der in einem türkischen Gefängnis sitzt, weil ihm vorgeworfen wird, ein 13-jähriges Mädchen sexuell missbraucht zu haben. Geführt hat es nicht “Bild” selbst, sondern ein Reporter der türkischen Zeitung “Hürriyet”, mit der der Verlag Axel Springer geschäftlich verbunden ist und in deren Beirat “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann sitzt.
Und wie kam es dazu, dass ausgerechnet “Bild” diesen Scoop landen konnte? Der ARD-Korrespondent in der Türkei, Peter Althammer, beschrieb die Hintergründe gestern im Magazin “Brisant” so: Diekmann habe beim “Hürriyet”-Chefredakteur angerufen und das Schlagwort “Midnight-Express” fallen lassen — der Titel eines berühmten Hollywood-Filmes, der die schlimmen Verhältnisse in türkischen Gefängnissen extrem dramatisch schilderte. Offenbar war das wie eine Drohung zu verstehen: Die “Bild”-Zeitung könnte massiv in dieser für die Türkei unliebsamen Richtung berichten.* Jedenfalls sprach der “Hürriyet”-Chefredakteur daraufhin nach eigenen Angaben persönlich mit dem türkischen Justizminister und dem Ministerpräsidenten und bekam die Möglichkeit, das Exklusiv-Interview mit dem 17-jährigen für seine Zeitung und für “Bild” zu führen.
Solche Deals haben oft ihren Preis, nicht immer einen finanziellen. Im konkreten Fall mutmaßt Althammer, Marco W. und das Interview könnten von der türkischen Regierung dafür instrumentalisiert werden, die Haftumstände besonders rosig zu malen. Filmaufnahmen des Interviews zeigten, wie ihm “fast demonstrativ” Speisen auf einem Tablett gereicht wurden. Der deutsche Anwalt von Marco W. äußerte bereits den “ganz stillen Verdacht, dass nun die Zustände besser gemacht werden sollen als sie sind”.
Schwer zu sagen, ob das so ist. Aber es fällt auf, wie sich seit dem Interview auch die Berichterstattung in “Bild” geändert hat. Am vergangenen Samstag und Montag nannte “Bild” das Gefängnis den “Horror-Knast”. Gestern, am Tag nach dem Interview, fehlte dieser Begriff; heute spricht “Bild” ausdrücklich vom “angeblichen ‘Horror-Knast'”.
Am Samstag schrieb “Bild”:
Er muss sich mit 30 ausländischen Gefangenen eine Zelle teilen, eine Dusche, eine Toilette. Nur einmal pro Woche darf der Schüler für zehn Minuten seine Mutter sehen. Durch Panzerglas. Sie weint vor Verzweiflung.
Am Sonntag schrieb die “BamS”:
“Marco geht es seelisch sehr schlecht. Er ist körperlich gezeichnet, zittrig, nervös, leidet an Schlafentzug”, so sein Vater.
Heute zitiert “Bild” den “Hürriyet”-Reporter wie folgt:
“Ich war erstaunt. Marco sah zufrieden aus. (…) Hin und wieder lachten wir sogar über das, was er sagte. (…)
Marco erzählte von der Zellendusche ohne Duschkopf. ‘Wir seifen uns ein, kippen uns das Wasser mit einem Eimer über den Kopf. Es gibt nur kaltes Wasser. Da wir Sommer haben, ist es sehr angenehm. Die Dusche ist von 7 bis 20 Uhr geöffnet (…)
Und das Knastessen? ‘Es wäre prima, wenn es mal Pommes und Steak gäbe!’ (…)”
Na, das klingt ja ganz lauschig. Schwer vorstellbar, dass “Bild”-Chef Diekmann noch vor wenigen Tagen irgendwelche Assoziationen an “Midnight-Express” gehabt haben soll.
*) Korrektur, 10. Juli: Die “Brisant”-Version der Ereignisse, auf die wir uns teilweise gestützt haben, ist höchst problematisch. Ob Kai Diekmann gegenüber dem “Hürriyet”-Chefredakteur Ertugrul Özkök den Begriff “Midnight Express” benutzt hat, ist zumindest unbewiesen. In dem “Hürriyet”-Artikel, auf den sich ARD-Korrespondent Althammer bezieht, sagt Özkök zwar, er habe mit Diekmann gesprochen. Die Film-Assoziation bringt er aber selbst ins Spiel: “Ich hatte die Befürchtung, dass sich diese Angelegenheit zu einem neuen ‘Midnight Express’ entwickeln könnte.”
Okay, es war schwer. Und ein bisschen unfair: “Bild”-Leser waren im Vorteil. Aber immerhin hatten wir ein paar Hinweise versteckt: Die E-Mail-Adresse unseres BILDblog-Preisrätsels lautete schließlich theo@bildblog.de. Und hinter der Ankündigung gestern lag ein Streifenmuster in den griechischen Nationalfarben. Immerhin 18 von über 200 Einsendungen waren richtig.
Denn die Frau, die in “Bild” präsenter ist als Sabine Christiansen, Uschi Glas oder Britney Spears und die für “Bild” eine Art Mischung aus Madonna und Hillary Clinton und eine “der begehrtesten Single-Frauen Deutschlands” darstellt…
Über den Alltag von niemandem, nicht einmal Helmut Kohl, informiert die “Bild”-Zeitung ihre Leser so minutiös wie über den von Vicky Leandros. Ihre Sonderstellung für “Bild” erkennt man auch daran, dass das Blatt bei ihr fast immer auf die sonst obligatorische Altersangabe (“54”) verzichtet. Ein sehr, sehr lückenhafter Rückblick auf die “Bild”-Berichterstattung dieses Jahres:
17. Januar. PR-Lady Nessrin Gräfin zu Königsegg hat in Hamburg einen Cocktail-Empfang für Alexander von Schönburg ausgerichtet. Unter den rund 190 Gästen: Vicky Leandros.
5. Februar. Vicky Leandros erklärt im “BamS”-“Promi-Party-Knigge”, dass man an Champagner “nur nippt”.
16. Februar. Vicky Leandros stellt ihre “raffinierte Pop-Ballade” (“Bild”) vor, mit der sie sich zum Grand-Prix singen will und hat einen Talismann von ihren Kindern. Anscheinend gibt es auch andere Teilnehmer am Vorentscheid.
20. Februar. Vicky Leandros wird von “Bild” zur “Gewinnerin des Tages” erklärt, weil sie vor 3000 Fans den Auftakt ihrer Konzert-Tour zum 30-jährigen Bühnenjubiläum feierte.
24. Februar. “Bild” gibt bekannt, dass Vicky Leandros “mit einem supersexy Kleid” und “einem leichten, glücklichen Herzen” den Grand-Prix-Vorentscheid gewinnen wolle. Das “Sieger-Ding”, der “sexy SpitzenTüll-Traum” sei ihr “auf den zarten Körper (Größe 36) maßgeschneidert” worden.
9. März. Bei der Generalprobe zum Grand-Prix-Vorentscheid ist der Noch-Ehemann von Vicky Leandros vorbeigekommen und hat gelächelt. Sie schien es zu genießen. Ihre Kinder freuten sich.
11. März. Vicky Leandros, “die große Grand-Prix-Favoritin”, die dann doch letzte wurde, macht der ARD “schwere Vorwürfe”: “Ich konnte nicht meine volle Leistung bringen”.
25. April. Der Urgroßneffe 2. Grades von Hitler-Attentäter Graf von Stauffenberg wird beigesetzt. Dabei: Vicky Leandros.
14. Mai. Vicky Leandros hat Jette Joop bei der Verleihung des Henri-Nannen-Preises beruhigt: Sie sehe “traumhaft” aus, “wie immer”. Sie traf erneut ihren Noch-Ehemann.
16. Mai. Bei der Premierenparty zum Buch “Das Beste an Deutschland” nennt Vicky Leandros als Grund, das Land zu lieben: “Die Menschen und ihre Mentalität, unsere Dichter und Komponisten”.
7. Juni. Die Sensation: “Heiße Küsse in der Disco!” Vicky Leandros (“eine wunderbare Sängerin, eine umschwärmte Frau”) wird im In-Club “Pony” auf Sylt mit “EM.TV”-Chef Werner Klatten fotografiert. Es ist “das überraschendste Foto der Woche!”: “Küßt sich eine der begehrtesten Single-Frauen Deutschlands zurück ins Glück?”
18. Juni. Vattenfall hatte zur Vorpremiere der “Lustigen Witwe” geladen. Während des WM-Spiels Deutschland gegen Polen standen “für die Gäste aus Politik und Show (Vicky Leandros)” Fernsehgeräte bereit.
26. Juni. Während der WM schauen Frauen in der “Ladies Lounge” am Kurfürstendamm Fußball. “Mit von der Partie”: “Schlagerstar Vicky Leandros”.
9. Juli.Vicky Leandros hat sich beim “BamS-Sommerfest” “sommerlich” gezeigt.
11. Juli. Die WM ist vorbei. Aber Vicky Leandros und Elvira Netzer haben noch einmal gefeiert: im Borchardt, mit Prinz Albert (nicht im Bild).
10. August. Vicky Leandros raucht zwar nicht, spricht sich aber “gegen ein absolutes Rauchverbot in Kneipen” aus.
15. August. Vicky Leandros hat Friedbert Pflüger einen Korb gegeben. Sie kann leider nicht im Fall eines CDU-Wahlsieges Kultursenatorin in Berlin werden , weil sie ihre Jubiläumstournee fortführen will. “Bild” macht sie dafür erneut zur “Gewinnerin des Tages”.
23. August. Vicky Leandros ist bei der “wichtigsten Film-Premiere der Hauptstadt!” gewesen, dem Film “Olga” von Arthur Cohn, und hat sich vor den “Bild”-Kameras mit Isa Gräfin von Hardenberg unterhalten. Begleitet wurde sie von ihren “hübschen Töchtern Milana (21) und Sandra (19)”. Ihr gemeinsames Urteil: “Wir sind absolut begeistert.”
25. August. Vicky Leandros ist 54 geworden und “schön wie immer”. “Ganz privat” ist sie an ihrem Geburtstag mit ihren Kindern im Promi-Restaurant Borchardt essen gegangen. Aber vielleicht wird sie Politikerin in Griechenland. “Bild” fragt:
26. August. Trauerfeier für den Verleger John Jahr. Vicky Leandros war da.
29. August. “Bild” gibt bekannt, dass am 14. September wieder Frauen von “Bild” ausgezeichnet werden, auf die Hamburg “besonders stolz sein kann”. In den vergangenen Jahren habe u.a. “Entertainerin” Vicky Leandros gewonnen.
1. September. Vicky Leandros hat die Deutschland-Premiere von “Dralion” besucht. Ihr Urteil: “Muss man sehen!”.
19. September. Oktoberfest. Vicky Leandros trug ein Dirndl von Lodenfrey.
26. September. “Sie tut es! Sie will es wirklich!” Die “große Sängerin” Vicky Leandros wird Politikerin in Griechenland.
17. Oktober. “Gestern feierte SIE.” Vicky Leandros, die “große Sängerin”, wird Beauftragte für Kultur und internationale Beziehungen in Piräus. Singt aber weiter.
16. November.Vicky Leandros sucht für ein Konzert im Dezember per “Bild” einen zehnköpfigen Kinderchor zum gemeinsamen Weihnachtsliedersingen.
22. November. Bei der Premiere des neuen James-Bond-Films trug Vicky Leandros “sexy Leder”.
26. November. In Berlin ist das neue “Hotel de Rome” eröffnet worden. Vicky Leandros war da und tanzte mit Klaus Wowereit.
Wir suchen eine Prominente, die in “Bild” präsenter ist als Sabine Christiansen, Uschi Glas oder Britney Spears.
Wer sich über das Leben in Deutschland ausschließlich aus der “Bild”-Zeitung informiert, könnte glauben, sie sei die wichtigste Frau in der deutschen Society.
Für “Bild” ist sie wie eine Mischung aus Madonna und Hillary Clinton. “Bild” nennt sie eine Diva und glaubt, dass kaum eine Frau in Deutschland von so vielen Männern begehrt werde wie sie.
In diesem Jahr hoffte “Bild” sogar auf “Rettung” durch sie. Doch dazu kam es nicht.
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Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
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