Die Musikzeitschrift “Rolling Stone” wird zehn. Und deshalb “Gewinner des Tages” in “Bild”. Wundert Sie das? Nur wenn Sie nicht wissen, dass der “Rolling Stone” seit zwei Jahren im Axel Springer Verlag erscheint. Ob sich die “Bild”-Leute manchmal selbst beim Lesen ihres Blattes langweilen?
Als Service für sie und Sie hier noch einmal alle einschlägigen “Gewinner des Tages” der vergangenen Wochen (und dabei ist Kohl nicht einmal mitgerechnet):
Vor zwei Wochen diskutierte “Bild am Sonntag”-Chefredakteur Claus Strunz bei Sat.1 unter anderem mit “Wetten dass…?”-Moderator Thomas Gottschalk über Sinn und Unsinn der Rundfunkgebühren für ARD und ZDF.
Gottschalk musste außerdem auf die Frage antworten, warum er denn in “Wetten dass…?” ständig für Telefonfirmen und Autohersteller schleichwerbe, ausgerechnet im gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen – und sagte darauf sinngemäß: Weil das ZDF sich die Show sonst nicht leisten könnte.
Strunz, der sich mit seiner überdeutlichen Rücksichtnahme auf die Interessen seines zweiten Arbeitgebers ProSiebenSat.1 ganz furchtbar blamierte, fand das befremdlich und ließ lieber vorschlagen, dass ARD und ZDF sich von Werbung und von Sponsoring wie in “Wetten dass…?” verabschieden sollten.
Heute nun läuft eine schöne Meldung von Strunz’ Kollegen bei Bild.T-Online über den Ticker: “Bild.T-Online mit eigenem ‘Wetten, dass ..?’ Channel.”
Hui! “Attraktive Inhalte auf hohem Online-Niveau” soll der “Channel” bieten. Und ein Rätsel für Gottschalk-Fans. Einer wird dann “in der (…) Sendung am 13. November 2004 als Gewinner von Thomas Gottschalk begrüßt (…) werden”.
Und man darf gespannt sein, ob Gottschalk sagen wird: “Das ist der Sieger des Rätsel beim Internetportal einer großen Boulevardzeitung, deren Namen wir hier nicht nennen wollen.”
Fest steht jedenfalls schon:
“Der neue Channel wird exklusiv von Bild.T-Online zusammen mit Dolce Media crossmedial sowohl Online als auch in der Bild.T-Online Beilage der BILD vermarktet.”
Wie war eigentlich diese Talkrunde zur Gebührenerhöung auf Sat.1, die der “Bild am Sonntag”-Chefredakteur Claus Strunz moderierte? Nun ja, kommt drauf an, wen man fragt.
Die “taz” fand es “tendenziös” und “inhaltsleer” und stellte fest, dass Strunz “langsam aber sicher die Gesprächsführung entglitt”.
Die “Frankfurter Rundschau” fand es “langweilig”, eine “Sehgurke” und meinte, die Runde sei “doch eine Nummer zu groß für den Chefredakteur” gewesen.
Der “Tagesspiegel” stellte fest, dass es dem Thema nicht gut tat, mit “Parolen und Emotionen” aufgeladen zu werden und betonte die Parteilichkeit des Moderators, weil doch die “Bild am Sonntag” im Axel Springer Verlag erscheint, der an der Senderfamilie Pro-Sieben-Sat.1 beteiligt ist, die die direkte Konkurrenz von ARD und ZDF ist.
Und “Bild” sah ein “Talk-TV der Extra-Klasse”, einen “spannenden Schlagabtausch” und einen “prickelnden Mix aus Information und Unterhaltung”.
…und machte den Moderator Claus Strunz, den Chefredakteur von “Bild am Sonntag”, kurzerhand zum “Gewinner des Tages” in der “Bild” am Dienstag. Er ist der sechste Gewinner aus dem Hause Axel Springer in den letzten 14 Erscheinungstagen. Am Ende des Monats wird bestimmt der Verlag selbst noch einmal “Gewinner des Tages”: Ausgezeichnet dafür, dass keine andere Institution der Welt so häufig “Gewinner des Tages” in “Bild” hervorbrachte wie er.
Heute nun druckt “Bild” den selben Brief unter der Überschrift “Herr Bundeskanzler, stoppen Sie die Zensur!” noch einmal, unterzeichnet von “Bild”-Chef Kai Diekmann und 39 anderen Chefredakteuren.
Kann man ja machen, logo, klar! Zumal in “Bild” aus irgendeinem Grund 10 Unterzeichner aus der “BamS” abhanden- und 11 neue Unterzeichner hinzugekommen sind. Und alles 40 haben dieses Mal sogar Gesichter, deren Abdruck allerdings echt verdammt viel Raum einnimmt. Um so verständlicher, dass sich da auch “Bild” eine begleitende Berichterstattung spart. Na, logisch. Klaro. Warum nicht! War eben schlicht kein Platz für. Oder so.
Das ist jetzt etwas komplizierter. Deshalb der Reihe nach:
1. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte ja des Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil gefällt, das Fragen der Pressefreiheit betrifft (und hier in Kurzform nachgelesen werden kann). Das EU-Urteil ist umstritten, und bis zum 25.09.2004 hat die Bundesregierung Gelegenheit, die EU-Entscheidung anzufechten.
2. Aus diesem Grund wurde Gerhard Schröder kürzlich ein offener Brief überreicht und in der “Welt” abgedruckt, in dem u.a. Mathias Döpfner den Kanzler ersuchte, gegen das o.g. Urteil vorzugehen. Aber das nur nebenbei.
3. An diesem Wochenende nun erreichte den Kanzler noch ein weiterer offener Brief – diesmal unterschrieben von Kai Diekmann und Claus Strunz sowie weiteren 37 Chefredakteuren unterschiedlichster Provenienz.
Das Schreiben ist vergleichsweise jovial gehalten. Es werden darin sogar ein paar Berichterstattungsfälle aus der Vergangenheit herbeizitiert, die nach dem EU-Urteil “unzulässig” würden: die “private Adlon-Sause” des (offenbar vornamenlosen) Ernst Welteke beispielsweise oder “das wenig adelige Verhalten des Prinzen Ernst August von Hannover am türkischen Expo-Pavillon”. Und weiter heißt es:
“Wie sich diese Personen sonst verhalten, mit wem sie sich treffen, mit wem sie Geschäftskontakte haben oder von wem sie sich den Urlaub bezahlen lassen, darf dann nicht mehr berichtet werden.”
Wie die 39 Unterzeichner darauf kommen, dass dergleichen unzulässig werden könne, steht leider nicht in dem Brief. Muss ja auch nicht. Ist schließlich nur ein Brief.
In einer Zeitung allerdings, in einer ZEITUNG, wo für gewöhnlich eingeordnet, kommentiert, erklärt wird, sieht die ganze Sache dann schon ganz anders aus. Doch auch in der vom Co-Unterzeichner Strunz verantworteten “Bild am Sonntag”, die das Schreiben in ihrer heutigen Ausgabe quasi weltexklusivim Wortlaut dokumentiert, fehlt jegliches Wieso-weshalb-warum. Genau so wie der Hinweis, dass das EU-Urteil für Publikationen über Politiker Ausnahmen zulassen will und sich ohnehin ausdrücklich (deshalb hier noch mal der dazugehörige Link) auf die Veröffentlichung von Paparazzi-Fotos bezieht.
Stattdessen heißt es in Brief und “BamS” nur, es entstünde womöglich “ein Bild jenseits von Wahrheit und Wirklichkeit”. Und das kann ja wirklich keiner wollen.
Die Geschichte der angeblichen “Scheidungsschlacht” von Oliver und Simone Kahn muss neu geschrieben werden. Das bisschen, was “Bild” mangels Zugang zu den Beteiligten an Fakten herausgefunden hatte, war falsch. In einer Pressemitteilung teilt Axel Springer mit:
Ein Artikel unter der Überschrift „Erst Liebesnacht, dann Scheidungsschlacht“ basierte auf Agenturfotos, die Oliver Kahn beim Verlassen seiner Wohnung in München zeigen. Diese Fotos wurden der Zeitung mit falschen Zeit- und Datumsangaben angeboten.
Im Klartext: Die Liebesnacht fand nicht zum jetzigen Zeitpunkt statt und war nicht der Auslöser der Scheidung.
Trotz Quellenprüfung und vorliegender eidesstattlicher Versicherung des Fotografen, stellte sich jetzt heraus, dass BILD am SONNTAG mit dem Abdruck der Fotos offenbar einem vorsätzlichen Betrug aufgesessen ist. Gegen den betreffenden Fotografen wird deshalb Strafanzeige erstattet.
Rumsbums-“BamS”-Chefredakteur Claus Strunz entschuldigte sich bei Kahn für den “schweren Fehler”.
Anders als Strunz hat Oliver Kahn übrigens nicht nur ein Problem mit den Fehlern, sondern überhaupt damit, dass da Fotografen rund um die Uhr vor seinem Haus herumlungern. Er erklärt:
Im übrigen werde ich es nicht mehr hinnehmen, dass meine Privatsphäre derart grob verletzt wird, wie dies Bild am Sonntag und Bild getan haben – unabhängig davon, dass ihre Geschichten frei erfunden waren.
Klingt nicht so, als ob er die “Bild”-Leute bald wieder aus der Kälte hinein in sein Leben lässt.