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Wogegen sich Kai Diekmann wehrt II

“Bild”-Chef Kai Diekmann, der ja bekanntlich eine gewisse Art von Gegendarstellungen “gerne” drucke, “weil sie zeigen, wie hier das Recht der Gegendarstellung im Kern mißbraucht wird”, hat mal wieder eine Gegendarstellung durchgesetzt. Diesmal gegenüber dem “Tagesspiegel”. Und das zu Recht, wie ihm auch die Redaktion des “Tagesspiegels” bestätigt.

Schließlich hatte der “Tagesspiegel” im Verlauf eines Interviews* mit dem “Zeit”-Herausgeber Michael Naumann behauptet:

“Sie beschwerten sich im vergangenen Jahr, dass Bild-Reporter in Ihrem Privatleben recherchieren, nachdem Sie ‘Bild’ wegen der Osthoff-Berichterstattung ‘Schweinefantasien’ vorgeworfen hatten.”

In Diekmanns Gegendarstellung heißt es deshalb:

“Der behauptete kausale oder zeitliche Zusammenhang zwischen den Recherchen zur Person des Herrn Naumann und seiner Kritik an der Osthoff-Berichterstattung der BILD-Zeitung existiert nicht. Die Recherchen, auf die die Frage anspielt, haben Ende September/Anfang Oktober 2004 stattgefunden. Die von Herrn Naumann kritisierte Berichterstattung der BILD-Zeitung über die Entführung Susanne Osthoffs stammt aus dem November 2005.”

Und so gesehen, war die Behauptung des “Tagesspiegel” nicht nur falsch, sondern auch dumm.

Denn natürlich existiert kein zeitlicher Zusammenhang zwischen den Recherchen der “Bild”-Reporter in Naumanns Privatleben im Herbst 2004 und Naumanns Kritik an der “Bild”-Berichterstattung gut ein Jahr später – also auch kein kausaler, logo. Anders sieht’s allerdings mit einer anderen “Bild”-Kritik Naumanns aus. Sie war nämlich vier Monate vor den “Bild”-Recherchen erschienen – also durchaus in einem zeitlichen Zusammenhang.

Ganz so abwegig, wie es die Gegendarstellung Diekmanns suggerieren könnte, war die Behauptung im “Tagesspiegel” deshalb nicht, sondern hatte sich offenbar (wie kurzzeitig auch wir) auf den falschen der beiden Naumann-Texte bezogen.

Korrekterweise hätte der “Tagesspiegel” also schreiben können:

Sie beschwerten sich im vergangenen Jahr, dass “Bild”-Reporter in Ihrem Privatleben recherchierten, nachdem Sie “Bild” in einem “Zeit”-Artikel als “das Geschlechtsteil der deutschen Massenmedien” bezeichnet hatten.
(Alternativvorschlag von uns.)

Aber gut, dass Diekmann das jetzt geklärt hat.
 
*) Online hat der “Tagespiegel” den strittigen Satz im Naumann-Interview ersatz- und kommentarlos entfernt und nur die anschließende Frage “Wie ist Ihr Verhältnis zur ‘Bild’ heute?” stehengelassen.

PS: Nachdem der “Tagesspiegel” (der wie die “Zeit” zum Holtzbrinck-Konzern gehört) im Herbst 2004 einen kritischen Artikel über die Recherchemethoden bei “Bild” veröffentlicht hatte, konnten die Axel Springer AG sowie die “Bild”-Redakteure Martin Heidemanns und Thomas Drechsler nach gerichtlichen Auseinandersetzungen insgesamt drei Gegendarstellungen im “Tagesspiegel” durchsetzen, in denen verschiedenen Details des strittigen Artikels widersprochen wird.

Fischer will gegen “Bild” vorgehen

Am Dienstag berichtete der “Stern” vorab, der ehemalige Außenminister Joschka Fischer wolle mittelfristig als Professor in die USA gehen. Er habe im Geheimen Verhandlungen über eine Gastprofessur geführt und hätte schon seit längerem Anfragen aus Princeton und Harvard vorliegen.

Von Verhandlungen und Gesprächen, Mittelfristigem und Absichten war am Tag darauf auf der Titelseite der “Bild”-Zeitung nicht mehr die Rede. Sondern von Tatsachen:

Joschka Fischer wandert aus! Er geht mit seiner Ehefrau Minu nach Amerika und plant eine neue KarriereJoschka Fischer beginnt ein neues Leben! Der Grünen-Politiker (…) wandert aus in die USA (…).

Er wird Gast-Professor an der berühmten Elite-Uni Harvard bei Boston. Dort wolle er über internationale Außenpolitik dozieren, erfuhr BILD aus seinem Freundeskreis.

Fischer, der in seiner Zeit als Außenminister keine presserechtlichen Verfahren geführt hatte, kündigte heute an, gegen diesen Bericht juristisch vorzugehen.

Am Rande einer Grünen-Klausurtagung sagte er [Video]:

Es gibt weder die Absicht von mir auszuwandern, sondern mein Hauptwohnsitz ist und bleibt Berlin, noch gibt es auch nur Gespräche oder die Idee von Gesprächen etwa mit Harvard, geschweige denn, dass irgendetwas entschieden werden konnte, was es nicht gibt. Darüber hinaus gibt es ein Angebot einer anderen amerikanischen Universität. Ich habe gesagt, ich denke darüber nach. Aber irgendwelche Entscheidungen stehen da jetzt nicht an und gibt es nicht.

Danke für die zahlreichen Hinweise!

Nachtrag, 20 Uhr: Bild.de hat den Artikel vor wenigen Minuten aus seinem Angebot entfernt. Auf eine Nachfrage bei “Bild”, ob die Zeitung bei ihrer Darstellung bleibt, haben wir bislang keine Antwort erhalten.

Mehr dazu hier und hier und hier und hier.

Symbolfoto XXIII

Hinweis: Der folgende Eintrag wirft “Bild” nichts vor. “Bild” hat, soweit wir das erkennen können, alles richtig gemacht. Kein handwerklichen Fehler, keine falschen Behauptungen, nüscht!
 
Zur Zeit geht eine Meldung durch die Medien, dass ein 17 Monate alter Junge unter anderem mit Rotkohl so brutal gefüttert worden sei, dass er am vergangenen Mittwoch nach elftägigem Todeskampf an “Hirnversagen durch Sauerstoffmangel” starb.

Und natürlich steht diese Meldung heute auch in “Bild”.

Anders als in anderen Medien hat “Bild” die Meldung aber nicht nur mit einem RotkohlRotkohlFoto illustriert. Nein, “Bild” zeigt — neben der Schlagzeile “Mit Rotkohl erstickt!” — auch das Foto eines blonden Jungen. Daneben steht:

“Das Kind hatte unter anderem Schwellungen, Schürfwunden und eine Hirnschaden
Fotos: Getty Images, Stock Food

Das Foto selbst hat “Bild” stark verfremdet, wie es Medien gelegentlich zur Anonymisierung von Tätern, Zeugen oder Opfern tun, um ihre Identität zu schützen: das Gesicht verpixelt, das Foto nur als Negativ abgedruckt (siehe Ausriss).

Grafisch bearbeitet sieht die Meldung übrigens ungefähr so aus:

Und dann kann man gut erkennen, dass es sich bei dem Foto nur um ein x-beliebiges, stark verfremdetes Kleinkindporträt aus einem Symbolfoto-Archiv handelt (siehe hier), wie heute ganz bestimmt jedem der über 11 Millionen “Bild”-Leser auf Anhieb klar gewesen sein dürfte, zumal “Bild” ja auch nirgends ausdrücklich behauptet, dass es sich bei dem abgebildeten Kind in der Meldung um das Kind aus der Meldung handelt…

Mit Dank an Robert B. für den sachdienlichen Hinweis.

Beißhemmungen

“Deutsch-Amerikanische Freundschaft — Die Zerreißprobe” stand im Herbst 2002 mal auf einer “Spiegel”-Titelseite, weil (kurz gesagt) die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder beim Irak-Krieg nicht so mitmachen wollte, wie es den USA gefallen hätte.

Rückblickend kann man’s auch mit den Worten von “Bild” zusammenfassen:

“Deutschland und die USA entzweiten sich im Streit um den Irak-Krieg vorübergehend. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Präsident Bush redeten monatelang nicht miteinander.”

Und zwischenzeitlich ließ sich “Bild”-Kommentator Einar Koch sogar dazu hinreißen, Gerhard Schröder dafür zu loben, dass er “endlich die seit dem Irak-Krieg bestehende Sprachlosigkeit zwischen Berlin und Washington überwunden” habe.

Aber natürlich kann man auch, wie etwa Hans-Olaf Henkel in seinem heutigen “Bild”-Kommentar zur “mutigen Kanzlerin” Angela Merkel, en passant behaupten, Ex-Kanzler Gerhard Schröder habe “Beißhemmungen gegenüber den USA” gehabt. Es ist nur sehr, sehr absurd.

Kurz korrigiert (47)

Aus aktuellem Anlass berichtet Europas größte Tageszeitung:

“Am 18. Oktober 1977 – nachdem ihre RAF-Genossen eine Lufthansa-Maschine nach Mogadischu entführt und die Freilassung der Häftlinge gefordert hatten, aber von der GSG 9 überwältigt worden waren – erschossen sich Baader
und Ensslin mit geschmuggelten Pistolen in ihrer Zelle.”

Und man mag es für eine Auslegungssache halten, wenn “Bild” die vier palästinensischen Terroristen, die 1977 die “Landshut” entführten, RAF-Genossen nennt. Oder für falsch. Anders verhält es sich mit der “Bild”-Behauptung, die RAF-Terroristen Andreas Baader und Gudrun Ensslin hätten sich mit geschmuggelten Pistolen erschossen. Das ist keine Auslegungssache. Um es faktisch und politisch korrekt mit der “taz” zu sagen:

“In Zelle 720 hängt Gudrun Ensslin am Gitterrost des rechten Zellenfensters. Um ihren Hals ist das Kabel ihrer Lautsprecherboxen geschlungen.”

Mit Dank an Christian H. für den Hinweis.

Überschrift gerettet

Ein wenig rätselhaft ist es ja schon, dass “Bild” (wie viele andere Medien auch) ausführlich aus einem Interview zitiert, das Jürgen Chrobog nach der Geiselnahme seiner Familie im Jemen gegeben hatte, und sogar Chrobogs heftiges Dementi mancher Kommentare berücksichtigt, aber (anders als viele andere Medien) einen Satz Chrobogs nicht erwähnenswert findet.

Er lautet:

“Ich hatte auch nie den Eindruck, dass wir wirklich in Lebensgefahr standen.”

Allerdings hätte die “Bild”-Behauptung, die Familie sei während ihrer Geiselnahme zwei Mal “in höchster Lebensgefahr” gewesen, unter Berücksichtigung des zitierten Chrobog-O-Tons auch verdammt unpassend gewirkt — und die “Bild”-Headline natürlich irgendwie übergeigt.

Sie lautet nämlich:

"Familie Chrobog fürchtete um ihr Leben"

Mit Dank an Christian S. und andere für den Hinweis.

Nachtrag, 3.1.2006:
Der Vollständigkeit halber (und mit Gruß an Tobias R.) sei darauf hingewiesen, dass auch die Nachrichtenagentur dpa im Zuge ihrer Berichterstattung über die Rückkehr der Chrobogs einige Äußerungen kurzzeitig und irreführenderweise dahingehend interpretiert hatte, dass sie “übersetzt in Alltagssprache” bedeuten würden, Chrobog habe mehrfach um sein Leben und das seiner Familie gefürchtet, diese Interpretation in anschließenden Meldungen jedoch unter Berücksichtigung des anderslautenden Chrobog-Zitats nicht weiter verfolgte.

“Bild” geht gegen “Bild”-Kritik vor

“Nur Moralisten können gute Journalisten sein.”
(Kai Diekmann)

“Man muss ein Zeichen setzen gegen die Angst vor ‘Bild’.”
(Charlotte Roche)

Am 5. September 2004 berichtete der Berliner “Tagesspiegel” ausführlich über die “Methoden der mächtigsten deutschen Zeitung”. Geschildert wurde neben vielen anderen haarsträubenden Fällen unter anderem die Erfahrung, die die Moderatorin Charlotte Roche im Juni 2001 mit “Bild” gemacht haben soll. Einige Wochen, nachdem bei einem Autounfall auf dem Weg zu ihrer Hochzeit drei ihrer Brüder getötet und ihre Mutter schwer verletzt wurden, sei sie von einem Paparazzo lachend mit ihrem Freund fotografiert worden. Ein “Bild”-Redakteur habe ihr gedroht, dieses Foto mit dem ironischen Kommentar “So tief ist ihre Trauer” zu veröffentlichen, wenn sie der Zeitung kein Interview gebe.

Diese Schilderung stimmte offensichtlich nicht. Die Axel Springer AG setzte eine Gegendarstellung durch, in der sie bestritt, dass sich ein “Bild”-Journalist je so gegenüber Roche geäußert habe. Die Redaktion hätte das Foto weder besessen, noch von ihm gewusst, noch es als Druckmittel eingesetzt.

Unter dieser Gegendarstellung korrigierte sich der “Tagesspiegel”, widersprach aber der Darstellung von Springer:

Richtig ist, dass sich kein “Bild”-Journalist gegenüber Charlotte Roche geäußert hat. Dem Tagesspiegel liegt allerdings ein Schreiben eines Mitarbeiters der Presseabteilung von Viva vor, dem Sender, bei dem Charlotte Roche damals moderierte. Darin heißt es: “Kurze Zeit nach dem tödlichen Unfall von Charlottes Brüdern hat sich damals ein ‘Bild’-Redakteur bei mir telefonisch gemeldet. Soweit ich mich erinnere, sagte er, er habe zwar Bauchschmerzen bei diesem Anruf, aber er habe mit der Chefredaktion in Hamburg gesprochen und müsste mir Folgendes sagen: Wenn die ‘Bild’-Zeitung kein Interview mit Charlotte bekäme, würde die ‘Bild’ am nächsten Tag ein Bild von Charlotte bringen und dazu eine Geschichte, die uns nicht gefallen würde. Mir wurde nicht mitgeteilt, um welche Art von Foto oder Geschichte es sich handelt.”

“Bild” bestreitet bis heute, dass es dieses Gespräch mit diesem Inhalt gegeben hat.

Gegen diese Darstellung des “Tagesspiegel” ist die Axel Springer AG in keiner Weise mehr vorgegangen.

Jetzt ist über ein Jahr vergangen, und diesmal hat es nicht der “Tagesspiegel”, sondern der “Stern” gewagt, kritisch über “Bild” zu schreiben. Vor zwei Wochen stand in der Zeitschrift:

Der erste Anrufer nach dem Unglück auf ihrem [Charlotte Roches] Handy war ihr Vater, der zweite ein “Bild”-Reporter. Was folgte, sagt Charlotte Roche, “war Telefonterror — den Rest des Tages hatte ich damit zu tun, die Anrufe von ‘Bild’ wegzudrücken”.

Die Moderatorin sprach mit niemandem. Vier Wochen lang tauchte sie ab, verließ kaum das Haus. Dann gelang einem Fotografen der “Abschuss” — so nennt der Boulevard Paparazzo-Aufnahmen: Charlotte Roche hatte neben ihrem Freund gestanden und gelacht.

Die “Bild”-Leute riefen bei Viva an. Ein Mitarbeiter des Senders hat seine Erinnerungen an das Gespräch notiert: “Kurze Zeit nach dem tödlichen Unfall hat sich ein ‘Bild’-Redakteur bei mir gemeldet. … Er habe zwar Bauchschmerzen bei diesem Anruf, aber er habe mit der Chefredaktion in Hamburg gesprochen und müsste mir mitteilen: Wenn die ‘Bild’-Zeitung kein Interview mit Charlotte bekäme, würde die ‘Bild’ am kommenden Tag ein Foto von Charlotte bringen und dazu eine Geschichte, die uns nicht gefallen würde.” Ein ‘Bild’-Sprecher weist die Vorwürfe zurück: “Diese Äußerungen treffen nicht zu.”

All das darf der “Stern” zur Zeit nicht mehr behaupten. Die Axel Springer AG bestreitet Umstand und Inhalt der Gespräche und hat beim Landgericht München eine einstweilige Verfügung erwirkt, die dem “Stern” die Veröffentlichung vorläufig untersagt. Deshalb ist der gesamte “Stern”-Artikel auch aus dem Online-Angebot der Zeitschrift verschwunden. Beim “Stern” ist man über die Entscheidung des Gerichtes überrascht und will dagegen vorgehen.

Anders als der Branchendienst “New Business” meldet und auch Springer gegenüber dem Gericht behauptet haben soll, hat der “Stern” nicht die ursprünglichen (falschen) “Tagesspiegel”-Angaben wiederholt. Wiederholt hat der “Stern” die Erinnerungen des Viva-Mitarbeiters, die der “Tagesspiegel” in seinem Zusatz der Gegendarstellung Springers wiedergegeben hat. Und dagegen ist Springer, wie gesagt, nie vorgegangen. Beim “Stern” geht man deshalb davon aus, dass die einstweilige Verfügung keinen Bestand haben wird.

“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann fordert darüber hinaus vom “Stern” den Abdruck einer Gegendarstellung und die Abgabe von Unterlassungserklärungen. Beim “Stern” hat man das Gefühl, “Bild” verfolge eine ähnliche Taktik wie die, mit der die Zeitung vor einem Jahr gegen den “Tagesspiegel” vorgegangen sei: viele nebensächliche Punkte anzugreifen, um die Kritik an den haarsträubenden Methoden von “Bild” unberechtigt erscheinen zu lassen.

“Bild”-Chef zieht Begehr zurück

Das wird jetzt etwas länger, denn…

… in einem Dossier über die “Großmacht Springer” hatte sich die “Zeit” am 11. August unter anderem folgende Frage gestellt:

“Ist es Vorsatz, wenn ein Foto so beschnitten wird, dass ein Seil in der Hand von Jürgen Trittin als Schlagstock angesehen werden kann (…)?”

Hintergrund dieses Satzes war die Veröffentlichung eines Fotos in der “Bild”-Zeitung vom 29.1.2001. Zu sehen war darauf Jürgen Trittin im Jahr 1994 am Rande einer Demo. Die Aufnahme stammte ursprünglich von Sat.1 und erschien 29.1.2001 auch im “Focus”. “Bild” hatte behauptet, in der Hand eines (unmittelbar neben Trittin abgebildeten) Demonstranten befinde sich ein Schlagstock, obwohl es sich dabei nur um ein Seil handelte, wie sowohl bei Sat.1 als auch im “Focus” deutlich zu erkennen war — nicht jedoch in dem von “Bild” abgedruckten Ausschnitt des Fotos. Nachdem der grobe Fehler öffentlich geworden war, druckte “Bild” eine Richtigstellung und Kai Diekmann, damals seit vier Wochen “Bild”-Chefredakteur, sagte dem “Spiegel”(hier für 50 Cent, Gratisauszüge hier): “Wir sind am Sonntag im Vorabexemplar von ‘Focus’ auf das Foto gestoßen und haben es abgescannt, weil wir das Original nicht besorgen konnten. Die Ausdrucke, mit denen wir dann gearbeitet haben, waren Kopien von Kopien und entsprechend schlecht, so dass die Fortsetzung des Seils nicht erkennbar war.” Zuvor referierte bereits die “Berliner Zeitung” Diekmanns Erklärung mit dem Worten: “Deshalb habe man das Foto für den Druck beschnitten.” Das war vor dreieinhalb Jahren und nicht schön.

“Bild”-Chef Diekmann ist seither mehrfach gerichtlich gegen Berichte anderer Medien vorgegangen, die fälschlicherweise behauptet hatten, “Bild” habe Trittin “einen Schlagstock in die Hand montiert” bzw. “in die Hand gedrückt”. Sowohl die “Berliner Zeitung” als auch die “taz” entschieden sich allerdings, den unabwendbaren Abdruck einer entsprechenden Gegendarstellung Diekmanns ausführlich zu kommentieren.

Was indes die “Zeit” anbelangt, könnte man einwenden, auch die Behauptung, “dass ein Seil in der Hand von Jürgen Trittin als Schlagstock angesehen werden kann” sei sachlich falsch, weil Trittin selbst das Seil auf dem Foto gar nicht anfasst. “Bild”-Chef Diekmann allerdings nahm Anstoß an einem anderen Aspekt des “Seil”-Satzes. Nach unseren Informationen hieß es in einer Gegendarstellung, deren Abdruck er von der “Zeit” forderte, “Bild” ” habe “niemals ein Foto so beschnitten”, dass ein Seil in der Hand von Jürgen Trittin hätte als Schlagstock angesehen werden können: Der Fehler von “Bild” habe darauf beruht, “dass allein aufgrund der schlechten Bildqualität eine verfälschende Bildunterschrift zugeordnet wurde”.

Allerdings weigerte sich die “Zeit”, die Gegendarstellung zu drucken. Und das mit gutem Grund. Schließlich handelt es sich ja bei dem Trittin-Foto in “Bild” zweifelsfrei um einen Ausschnitt des “Focus”-Fotos, auf dessen Original der “Schlagstock” eindeutig als Seil zu erkennen ist. Und so zitiert auch der “Stern” in seiner aktuellen Ausgabe einen “Bild”-Sprecher mit der Aussage: “Der Chefredaktion lag lediglich ein Schwarzweiß-Scan vor, auf dem die Ränder des Fotos schwarz waren. Diese Ränder wurden beim Einstellen des Scans ins Layout … selbstverständlich nicht berücksichtigt.”

Und das ist umso erstaunlicher, als Kai Diekmann doch gegenüber der Pressekammer des Landgerichts Hamburg im August 2005 eine “eidesstattliche Versicherung” abgegeben hat, in der es ausdrücklich heißt, man habe die Abbildung zwar “unzutreffend betextet”, aber:

“Das Foto (…) ist in keiner Weise ‘beschnitten’ worden.”

Das Gericht verlangte daraufhin Ende August zwar zunächst in einer Einstweiligen Verfügung von der “Zeit”, den strittigen “Seil”-Satz aus der Online-Version des Dossiers zu tilgen. Dort fehlt er noch immer, dürfte nach unseren Recherchen aber alsbald wieder in den Text eingefügt sein, denn…

… nachdem die “Zeit” Mitte September Widerspruch angekündigt hatte, nahm Diekmann kurzerhand seinen Antrag zurück, verzichtete freiwillig auf die Ansprüche aus der Einstweiligen Verfügung und muss sämtliche Verfahrenskosten tragen.

Wie es zu Diekmanns überraschenden Sinneswandel kam, entzieht sich unserer Kenntnis. Im “Stern” heißt es, an der Richtigkeit der Eidesstattlichen Versicherung* Diekmanns seien “Zweifel angebracht”.

*) “Wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.”
(§ 156 StGB)

Freie Improvisation über eine Hinrichtung

Das ist ja erstaunlich, was Bild.de da berichtet:

Kurz vor dem Tod reckte er noch einmal die Faust

Der Staat Kalifornien lässt einem Mann, kurz bevor er ihn hinrichet, noch soviel Bewegungsspielraum, dass er seine Faust recken kann? Das ist nicht nur erstaunlich, es ist auch sehr unwahrscheinlich. Und da wir diese Behauptung nirgends außer in Bild.de gefunden haben, nehmen wir an: Es ist nie passiert.

Vermutlich hat Bild.de da wieder etwas durcheinander gebracht. In den Augenzeugenberichten von der Hinrichtung kommt zwar tatsächlich die beschriebene Geste vor. Aber die Faust gereckt haben einer oder mehrere der fünf Unterstützer, die anwesend waren — laut “Contra Costa Times” konkret die Journalistin Barbara Becnel.

Anscheinend hat Bild.de die ganze Szene verwirrt. Angeblich soll Tookie nach der Geste mit der Faust auch noch leise “Tookie” gesagt haben. Warum? “Bild” weiß es nicht. Deutlich mehr Sinn ergibt die Beschreibung im “San Francisco Chronicle”, wonach es einer der Unterstützer war, der Williams auf diese Weise durch die Glasscheibe ansprach.

Auch dass Williams’ “Sterben” 35 Minuten dauerte, ist eine irreführende Aussage. Bild.de behauptet:

Es war ein langer Todeskampf für Tookie Williams. 35 Minuten dauerte es, bis das Gift in seinem Körper wirkte.

Vom Betreten der Hinrichtungszelle bis zu seinem Tod vergingen zwar rund 35 Minuten. Aber das hängt keineswegs damit zusammen, dass das Gift nur so langsam wirkte, wie Bild.de suggeriert. Alle anderen Quellen beschreiben, dass es sehr lange gedauert habe, bis eine Assistentin eine Vene in Williams’ linkem Arm gefunden hatte. Noch 17 Minuten nach Betreten der Zelle sei das nicht geschehen.

Bild.de behauptet weiter, dass vor Williams’ Todeskampf jemand gerufen habe: “Der Staat von Kalifornien hat einen unschuldigen Mann getötet.” Auch das behauptet niemand sonst. Nach allen Augenzeugenberichten riefen Williams’ Unterstützer diesen Satz erst beim Verlassen der Hinrichtung.

Bild.de fügt hinzu, dass Williams die Nachricht, dass Gouverneur Schwarzenegger sein Gnadengesuch abgelehnt habe, “nur mit einem Lächeln” zur Kenntnis genommen habe. Im Gegensatz dazu schreibt die “New York Times”, dass Williams nach Angaben von Jesse Jackson keineswegs nur gelächelt, sondern ihm gesagt habe: “Wir werden die Hoffnung nicht aufgeben.”

Danke an die Hinweisgeber!

Kurz korrigiert (39)

Für Fußballfans dürfte es etwas verwirrend sein, dass Bild.de heute schreibt:

Schließlich wäre es ganz und gar nicht bitter für Manchester United, wenn die “Reds” schon in der Vorrunde der Champions League ausgeschieden wären. Denn als “Reds” bezeichnet man gemeinhin den Liverpool FC. Manchester hingegen bezeichnen Leute, die sich mit Fußball auskennen, als “Red Devils”. Wegen des kleinen Teufels im Wappen.

P.S.: Der Liverpool FC, also die “Reds”, haben ihre Vorrundenspiele übrigens als Gruppensieger abgeschlossen.

Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Lukasz C.

Nachtrag, 10.12.05:
Nachträglich hat Bild.de die falsche Bezeichnung “Reds” in “ManU” korrigiert.

Nachtrag, 16.12.05:
Wir müssen uns leider korrigieren: Die offizielle Bezeichnung “Red Devils” wird offenbar gelegentlich doch zu “Reds” abgekürzt.

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