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Doch keine schwule Fahnenflucht

Man kennt das. Die Fotos von der Hochzeit sind endlich entwickelt, man hat schon einen Bilderrahmen besorgt, und dann das: Hinter dem glücklichen Brautpaar ein Regenbogen. Ein verdammter Regenbogen. Kein echter, sondern so ein … ein … widernatürlicher: eine Schwulen-Fahne! Die passt einfach nicht zu Renates Brautkleid. Und zum Anlass schon gar nicht. Tränen, Hysterie, und was wird Tante Gertrud sagen. Es sollte doch der schönste Tag im Leben sein – und Renates Vater hatte extra eine neue Digitalkamera … Na, schöne Scheiße!

Es ist der Alptraum von Kristin Breuer, die für die gestrige Hamburg-Ausgabe von “Bild” groß schrieb:

Es soll die Erinnerung an den schönsten Tag im Leben werden – und dann das: Auf dem Hochzeitsfoto vorm Rathaus prangt im Hintergrund die Regenbogenfahne, das Symbol aller Schwulen und Lesben! Genau diese Peinlichkeit drohte jetzt wahr zu werden.

Wie kann es bei den sonst so steifen Hanseaten zu solchen Peinlichkeiten kommen, wie kann man unbescholtene Frischvermählte derart in Schwulitäten bringen?

Nun: Am übernächsten Wochenende findet in Hamburg der Christopher Street Day statt. Aus diesem Anlass soll am Rathaus eine Regenbogenfahne, das Symbol der Lesben- und Schwulenbewegung hängen. Ausgerechnet an dem Wochenende, an dem im Hamburger Rathaus geheiratet werden darf.

Weil Hochzeitspaare sie nicht auf dem Foto haben wollen: Ärger um Schwulen-Flagge am Rathaus

Allein: Nach unseren Informationen hat sich bis heute kein Brautpaar, das am 1. August im Hamburger Rathaus heiraten will, über die Fahne beschwert.

Der Vorstand von Hamburg Pride e.V. kommentierte das auf unsere Anfrage wie folgt:

Liebe “Bild”, bitte zeigt uns ein Brautpaar, das sich beschwert hat, wir laden die Frischvermählten gerne am 2. August auf den Hamburg Pride Wagen ein.

Und auch das, was “Bild” weiter schreibt, stimmt nicht:

Nun wird zwar Donnerstagabend die Regenbogenflagge zunächst mit einer kleinen Zeremonie und anschließendem Empfang gehisst, Freitag wird sie dann bis nachmittags aber mit Rücksicht auf die Hochzeitspaare wieder heruntergenommen.

Wie man uns auf Anfrage im Hamburger Rathaus bestätigte, wird die Fahne am Donnerstag aufgehängt und am Sonntag eingeholt. Dazwischen wird sie die ganze Zeit hängen bleiben.

Die Behauptung …

Am 24. Juli wird um 17.30 Uhr die Regenbogenflagge am Rathaus gehisst. Mit Rücksicht auf Hochzeitspaare wird sie aber gleich einen Tag später wieder eingeholt

… ist somit doppelter Blödsinn, weil die Flagge auch nicht am 24. Juli gehisst wird, sondern erst am 31. Juli.

Deshalb ist es auch merkwürdig, dass Farid Müller, der schwulen- und lesbenpolitische Sprecher der GAL-Fraktion, das kurzfristige Einholen der Fahne laut “Bild” eine “praktikable Lösung” genannt haben soll — und tatsächlich bestreitet sein Sprecher laut Queer.de auch, dass es sich um ein autorisiertes Zitat handele.

Wenn man also alles, was faktisch falsch oder diffus schwulenfeindlich ist, aus dem “Bild”-Artikel rausstreicht, bleibt noch ungefähr so viel übrig:

Peinlichkeit

Mit Dank auch an Marvin!

Homo-Ehe bei DSDS bringt “Bild” in Schwulitäten

Nicht weniger als vier “Bild”-Reporter haben mitrecherchiert und -geschrieben, um heute F., einer der Kandidaten von “Deutschland sucht den Superstar” (DSDS), als schwul zu outen.

Man weiß natürlich nicht, wie die sich das aufteilen. Wer von ihnen sich zum Beispiel ausgedacht hat, dass es irgendwie treffend wäre, über den Artikel zu schreiben:

Ausgerechnet der Frauen-Schwarm

Und ob einer von ihnen allein für die Großbuchstaben zuständig war:

Er ist DER Herzensbrecher bei “Deutschland sucht den Superstar”. Seine samtweiche Stimme bezaubert die Frauen. Doch das Herz von F. (28) gehört einem MANN!

DIE BEIDEN SIND SOGAR VERHEIRATET!

Nur wer von ihnen Grundwissen über homosexuelle Lebenspartnerschaften in Deutschland recherchiert hat, das kann man beantworten: keiner. “Bild” schreibt:

Am 19. Oktober 2006 schloss das Paar eine Lebenspartnerschaft in einem Standesamt in Niedersachsen. Das bedeutet: gemeinsamer Familienname, Unterhaltspflicht — alles wie bei einer Ehe zwischen Mann und Frau!

Von wegen. Lebenspartner haben zwar etwa dieselben Pflichten, aber deutlich weniger Rechte als Ehepartner. Sie sind unter anderem steuerlich in vielfacher Weise benachteiligt, erhalten teilweise als Beamte weniger Zuschläge und können nicht gemeinsam ein nicht leibliches Kind adoptieren.

Aber wen interessieren schon solche Details.

PS: Die gemeinsame Wohnung von F. und seinem Mann enthält, wie “Bild” recherchiert hat, “lila Tapeten, goldene Verzierungen, eine Katze”.

Danke an Tobi R.!

Hinweis, 14.4.2008: Während “Bild” heute abermals detailliert über das Privatleben des Sängers berichtet, haben wir uns nachträglich entschieden, seinen Namen unkenntlich zu machen und die Links zu den “Bild”-Artikeln zu entfernen.

Natascha Kampusch wehrt sich gegen Schwulst

Nachdem “Bild” gestern (wie berichtet) u.a. auf der Titelseite ein paar Paparazzifotos von Natascha Kampusch nachdruckte, die tags zuvor in der österreichischen Gratiszeitung “heute” erschienen waren, berichtet die Nachrichtenagentur APA, Kampuschs Anwalt halte die Veröffentlichungen für “völlig unzulässig”. Er erkenne darin einen “Eingriff in den höchstpersönlichen Lebensbereich von Frau Kampusch”; es würden “die notwendigen rechtlichen Schritte überlegt und eingeleitet, um den Medien und anderen, die Ähnliches beabsichtigen, die Grenzen deutlich aufzuzeigen”.

Der Anwalt zu APA:

Wir sind der Ansicht, dass die Berichterstattung in einigen Medien eine Grenzüberschreitung ist. Auch Frau Kampusch hat das Recht auf Privatsphäre (…). In der Privatsphäre haben Medien wirklich nichts verloren, schon gar nicht ist es rechtens schwülstige Texte und eigenartige Interpretationen zu erfinden und zu verbreiten (…).

Ach ja, die “Bild”-Zeitung berichtet übrigens in ihrer aktuellen Ausgabe unter der merkwürdigen Überschrift “Natascha Kampusch — So gut tut ihr die Liebe” ebenfalls über die Kampusch-Fotos (und zeigt auch wieder eins). Allerdings weist “Bild” heute — anders als gestern — unmissverständlich darauf hin, dass die österreichische Zeitung “heute” die Fotos “zuerst veröffentlicht” hatte.* Vor allem aber lässt sich “Bild” ihre schwülstigen Texte und eigenartigen Interpretationen von gestern dadurch bestätigen, dass der (nicht namentlich genannte) Fotograf “in BILD erzählt (…), wie er am vergangenen Wochenende in der Wiener In-Disco (…) das turtelnde Pärchen erlebte”.

*) Nachtrag, 17 Uhr: Der “heute”-Chefredakteur Richard Schmitt, der die Fotoveröffentlichungen nach wie vor für zulässig hält, sagte uns übrigens, dass die Nicht-Nennung seiner Zeitung in der gestrigen “Bild” wohl auf den “Fehler eines ‘Bild’-Redakteurs” zurückzuführen sei. Offenbar habe der nämlich im Gespräch mit Schmitt “gedacht, er telefoniere mit der ‘Krone'”…

Allgemein  

Rufmord an einem schwulen Politiker

Die “Bild”-Zeitung ist empört:

Kevin aus dem Kühlschrank. Skandal-Politiker soll Untersuchungsausschuss leiten

“Vorsitzender [des Untersuchungsausschusses] soll Helmut Pflugradt werden. Ist der Skandal-Politiker der Richtige für diese sensible Aufgabe?”

So fragt “Bild” Bremen am gestrigen Donnerstag. Und man ahnt die Antwort schon, aber für alle Fälle wird “Bild”-Autor Holger Bloethe im nächsten Satz ein bisschen konkreter:

“Der Vize-Fraktionschef der CDU verfügt auch über einschlägige Erfahrung mit Polizei und Staatsanwaltschaft.”

Das Wort “einschlägig” bedeutet eigentlich, dass Pflugradt schon einmal die gleiche Straftat vorgeworfen worden sein müsste, um die es bei Kevin geht. Der Junge ist vor vier Wochen nach schweren Misshandlungen tot in einem Kühlschrank aufgefunden worden.

Mit nichts dergleichen hat Pflugradt selbst “Erfahrung”. Aber vielleicht benutzt die “Bild”-Zeitung das Wort “einschlägig” ja großzügig, so allgemein im Sinne von “negativ”. Sie schreibt:

“Vor zwölf Jahren wurde gegen den bekennenden Homosexuellen wegen angeblicher Vergewaltigung des belgischen Friseurs André W. (damals 21) ermittelt.

Pflugradt gestand Liebesspiele im Swimmingpool seines Hauses in Bremen Nord. Der Politiker damals: “André hat freiwillig mitgemacht. Dass ich dabei seine Hände festhielt und auf ihm lag, gehörte dazu.” Er kam damit durch. Das Verfahren gegen den Christdemokraten wurde eingestellt.”

“Er kam damit durch”? Im Sinne von: Das war natürlich gelogen, half aber?

Als die Staatsanwaltschaft im Februar 1996 das Verfahren gegen Pflugradt nach mehreren Monaten einstellte, teilte sie mit, an der Glaubwürdigkeit des vermeintlichen Opfers hätten sich erhebliche Zweifel ergeben. Doch anders als die Justiz zweifelt “Bild” an der Glaubwürdigkeit Pflugradts, auch noch nach zehn Jahren. Kein Wunder: Der Mann ist schwul.

“… sein Ruf war hin.

Wohl zu Recht. Ein Insider (35) aus der Bremer Homosexuellen-Szene: ‘Ich kenne Pflugradt seit 20 Jahren. Er ist dafür bekannt, dass er auf ganz junge Männer steht. Als ich 17 Jahre alt war, baggerte der Politiker mich hemmungslos an. Er tauchte ständig in dem Geschäft auf, in dem ich arbeitete, quatschte mich an und wollte mich zum Essen einladen. Erst als ich meine Kollegen einschaltete, ließ er mich in Ruhe.'”

Noch einmal zum Mitdenken: “Bild” glaubt also, dass der Ruf von Helmut Pflugradt, nachdem er offenbar Opfer einer Verleumdung wurde, “wohl zu Recht” ruiniert war, weil der Politiker im Jahr 1988 (!) einen jungen Mann “hemmungslos angebaggert” haben soll.

Vielen Dank an die “taz Nord”, die über den Fall heute berichtet, und Sandra M. für den Hinweis.

Nachtrag, 6. November. Am Samstag — zwei Tage nach dem “Bild”-Skandal-Bericht, einen Tag nach dem “taz”-Artikel — veröffentlichte “Bild” Bremen wie zur Wiedergutmachung ein langes, freundliches Interview mit Pflugradt. Es beginnt so:

BILD: Herr Pflugradt. Wir haben Ihnen mit unserer Berichterstattung vom 2. November Unrecht getan. Wir entschuldigen uns dafür in aller Form. Pflugradt: "Ich nehme die Entschuldigung an."

“Bild” behauptet, MeckPomm werde schwul

So stand’s am 27. März im Raum Mecklenburg-Vorpommern in der “Bild”-Zeitung. Und sollten Sie aus Mecklenburg-Vorpommern stammen, können wir Sie beruhigen: Sie werden dadurch nicht schwul. Der Greifswalder Wissenschaftler hat das auch nie behauptet.

Im Text wird als Beleg für die These dennoch Dr. Wolfgang Weiß angeführt, Privatdozent an der Universität Greifswald, der unter anderem Bevölkerungsstrukturen untersucht. Er war der erste, der feststellte, dass in den ostdeutschen Bundesländern vor allem junge und gut qualifizierte Menschen abwandern und dass darunter sehr viele Frauen sind. Dadurch ergibt sich, wie inzwischen auch andere Forscher bestätigt haben, ein Männerüberschuss.

Bei “Bild” wollte man dem offensichtlich mal auf den Grund gehen und befragte Weiß. Der sagte während des Gesprächs das hier:

“Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wohin der männliche Testosteron-Überschuß in Zukunft führt.”

Und weil nicht viel Phantasie dazugehöre, schrieb “Bild”:

“Heißt im Klartext: Der akute Frauenmangel könnte die Männer — auf ihrer Suche nach Gefühl und Liebe — in die Homosexualität treiben.”

Als Beleg für die “Bild”-Behauptung zitiert das Blatt den Wissenschaftler noch ein zweites Mal:

“‘Sie [die Männer] isolieren sich. Dadurch verändert sich ihre Sprache. Gewaltbereitschaft und Brutalität steigen, da die Frauen, die oft als Schlichter fungieren, fehlen. Sie geben Anerkennung und Zufriedenheit. Ohne dies wachsen Wut und Frust. Und die werden dann höchst unterschiedlich kompensiert.'”

Weiß sagt uns jedoch, er habe etwas völlig anderes gemeint und gegenüber “Bild” auch gesagt. Nämlich, dass die frustrierten Männer immer gewaltbereiter werden und dass es unter ihnen dadurch immer mehr Rechtsradikale gibt.

Und irgendwie muss auch “Bild”-Autor Mathias Saretz seinem eigenen “Klartext” misstraut haben. Er beendet den Artikel (der ja, wir erinnern uns, mit “Meckpomm wird schwul” überschrieben ist) mit einem dritten Weiß-Zitat. Es lautet:

“Das bedeutet allerdings nicht, daß automatisch jeder schwul wird. (…)”

PS: Weiß hat übrigens nach Erscheinen des Textes von “Bild” eine Richtigstellung verlangt, die am 1. April in der Mecklenburg-Vorpommern-Ausgabe erscheinen sollte. Ob sie tatsächlich erschienen ist, kann Weiß nicht sagen. Er lese keine “Bild”. Wir schon, wissen es aber trotzdem nicht: Die MeckPomm-Redaktion von “Bild” wollte uns den Abdruck einer Richtigstellung jedenfalls auf Anfrage nicht bestätigen.

Mit Dank an chriskoeln.de für Hinweis und Scan.

Horror: schwule Pornos!

Die Nachrichtenagentur AP berichtet heute über den Prozess gegen den sogenannten “Kannibalen von Rotenburg”:

Der überwiegende Teil der 304 in seinem Haus in Rotenburg sichergestellten VHS-Kassetten und anderer Speichermedien habe mit Kannibalismus zu tun, sagte eine Beamtin (…).

Außerdem hatte der Angeklagte Armin Meiwes 35 Pornofilme mit homosexuellen Darstellungen gesammelt. Nach ihren Angaben nahm Meiwes zahlreiche sadomasochistische Rollenspiele auf Video auf — sowohl mit einem Partner oder einer Puppe als auch allein. Zusätzlich zu den selbst aufgenommenen Videos speicherte Meiwes Fernsehberichte über Leichenöffnungen, über den amerikanischen Mörder Jeffrey Dahmer, der 17 junge Männer tötete und Teile ihrer Körper im Kühlschrank aufbewahrte, oder auch über den Leichen-Plastinator Gunther von Hagens.

Bild.de nennt die Videosammlung das “Horror-Archiv” und meint damit in einer Aufzählung ausdrücklich auch die schwulen Pornos. In der Dachzeile über dem Artikel stehen “Mord” und “Homosexualität” scheinbar gleichberechtigt nebeneinander:

Jetzt kann man natürlich spekulieren, ob da nur ein blöder Fehler beim Formulieren passiert ist, ober ob für “Bild” beides gleichermaßen ins “Horror-Archiv” gehört.

Danke an Sven W. und Julian F.!

Nachtrag, 24. Februar. Bild.de hat die schwulen Pornos aus der Aufzählung des “Horror-Archivs” entfernt. Die Dachzeile hat Bild.de geändert in: “304 Filme über Mord und Sado-Maso-Sex gesammelt”. Auch diese scheinbare Gleichsetzung ist problematisch, führt aber schon eher zum Kern dessen, was bei dem Prozess gegen den “Kannibalen” verhandelt wird.

Genauer Lesen macht schwul

“Bild” hat heute eine dpa-Meldung in ihr Online-Angebot kopiert. Strg+C… Strg+V… Naja, ein nebensächlicher Nebensatz wurde weggelassen, eine Formulierung (“Ende vergangenen Jahres”) in eine andere (“Ende des letzten Jahres”) geändert, ein Name vor statt hinter ein Zitat geschrieben.

Kurzum: Kopieren können sie also bei Bild.de.

Das war’s dann aber auch. Denn obwohl es doch in der dpa/Bild.de-Meldung (in Übereinstimmung mit der ursprünglichen Pressemitteilung) heißt, es gebe “mehr als doppelt so viele Lebenspartnerschaften von Homosexuellen wie bisher vermutet“, hat man bei Bild.de unter eine Foto etwas ganz anderes geschrieben:

Und obwohl es doch in der dpa/Bild.de-Meldung (ebenfalls in Übereinstimmung mit der ursprünglichen Pressemitteilung) heißt, die Bundesländer hätten “mehr als 12.500 solcher Partnerschaften zwischen Schwulen und Lesben” gezählt, lautet die Schlagzeile in der “Nachrichten”-Rubrik von Bild.de:

PS: Am Ende dieses Beispiels sichtlich gelungener redaktioneller Zusammenarbeit vielleicht noch ein Blick auf die URL. Sie lautet:

“Mehr Homosexuelle” also — so kann man das natürlich auch zusammenfassen.

Mit Dank an Jörg F., Tim B. und River T. für den Hinweis.

Wo Schwulsein nicht normal ist

Bei manchen Artikeln in “Bild” ist es schwer, zurückhaltend und sachlich zu bleiben. Versuchen wir es trotzdem.

Auf Seite 1 der heutigen “Bild”-Zeitung ist neben der halbnackten Mandy (23), die sich gerade zwischen die Beine greift, und über einem Artikel “Nasa sucht Außerirdische auf Saturn-Mond” ein Foto von einer Hinrichtung abgebildet.

Die Überschrift lautet:

Hier werden zwei Kinderschänder gehängt

Und der vollständige Artikel geht so:

Teheran — Ihre Augen sind verbunden, die vermummten Henker legen ihnen die Stricke um den Hals: Wenige Sekunden später sind diese beiden Kinderschänder tot. Die jungen Männer waren von einem iranischen Gericht zum Tode verurteilt worden, weil sie einen 13jährigen Jungen entführt und vergewaltigt haben sollen.

Wäre die “Bild”-Zeitung nicht die “Bild”-Zeitung, hätte sie vielleicht nicht einfach unkritisch die offizielle iranische Version der Geschichte übernommen. Sie hätte darauf hingewiesen, dass die beiden getöteten “jungen Männer” zur Tatzeit noch minderjährig waren. Sie hätte die Gehenkten nicht zweimal “Kinderschänder” genannt, als sei diese Tatsache in einem rechtsstaatlichen Verfahren bewiesen worden, denn es gibt Berichte, die diesen Vorwurf zweifelhaft erscheinen lassen. Sie hätte darauf hingewiesen, dass schon einvernehmliche homosexuelle Handlungen im Iran mit dem Tode bestraft werden können und genau dies auch der Grund für die Hinrichtung gewesen sein könnte.

Vielleicht hätte auch noch ein Wort des Entsetzens in den “Bild”-Artikel gepasst. Oder nur ein Zitat aus dem Statement von Amnesty International, das die Hinrichtungen verurteilt. Oder ein Hinweis auf die internationalen Zweifel an dem Verfahren und Proteste gegen das Urteil. Oder die Schätzung der britischen Homosexuellen-Organisation “Outrage!”, wonach von den 100.000 Menschen, die im Iran seit 1979 hingerichtet wurden, 4.000 wegen angeblicher homosexueller Handlungen hingerichtet wurden, darunter politische Gegner.

Aber vielleicht hätte es auch schon gereicht, wenn “Bild” zwei Jugendliche, die möglicherweise nur deshalb sterben mussten, weil sie homosexuell waren, nicht nach ihrem Tod noch als “Kinderschänder” bezeichnet hätte.

Wie es sich liest, wenn “Bild” sich von staatlichen Entscheidungen distanzieren möchte, kann man übrigens auf Seite 2 derselben Ausgabe sehen:

“Schwul sein ist ganz normal” — Riesen-Ärger um Homo-Fibel für Lehrer

(…) In dem Handbuch, das noch die im Mai abgewählte rot-grüne Landesregierung herausgegeben hat, werden Pädagogen dazu angehalten, im Unterricht Sätze zu vermitteln wie: “Mein Schatz, schwul zu sein ist ganz normal.”

Aber das ist natürlich ein ganz anderes Thema.

Vielen Dank an Michael M., Johannes S., Tobias B. und andere.

Nachtrag, 10.1.2006:
Im Anschluss an eine Beschwerde hat der Presserat die Veröffentlichung eines (zu obiger Überschrift gehörigen) Agenturfotos in “Bild” missbilligt*. In der Begründung heißt es:

“Die Darstellung der beiden Männer, wie ihnen Schlinge um den Hals gelegt werden, ist – egal vor welchem Hintergrund dies passieren mag – unangemessen sensationell. Nach Meinung der Beschwerdekammer hätte dieses Foto in der Form nicht veröffentlicht werden sollen. Daher sieht die Beschwerdekammer in der Veröffentlichung des Fotos einen Verstoß gegen die Ziffer 11 des Pressekodex. Auch wenn dieses Foto von einer Agentur verbreitet wird, liegt es immer im Ermessen der Redaktion, selbst zu entscheiden, ob sie solches Material veröffentlichen will oder nicht. Eine Agentur kann und muss grundsätzlich Materialien liefern, wie in diesem Fall auch das Foto. Die Redaktion selbst muss dann jedoch entscheiden, ob eine Veröffentlichung des Agenturmaterials notwendig ist oder nicht.”

*) Eine Missbilligung ist für das betroffene Medium folgenlos.

Märchen vom schwulen Pilz


Tja, da wundert sich der Achtklässler. Schwule Killer-Pilze? Das klingt ja nun nicht gerade nach seriöser Wissenschaft. Ist es auch nicht, es ist kompletter Blödsinn. Es stimmt zwar, dass Cryptococcus neoformans (C.n.) ein nicht ganz ungefährlicher Krankheitserreger ist, davon, dass er schwul sei, kann allerdings keine Rede sein. Und das sagt einem ja eigentlich schon das Basis-Wissen Biologie – oder der gesunde Menschenverstand.

(Eine, etwas vereinfachte, wissenschaftliche Begründung wollen wir dennoch nicht unterschlagen: Zunächst mal haben Pilze streng genommen überhaupt keine Geschlechtschromosomen, sondern es gibt auf ihren Chromosomen Regionen, die das Geschlecht bestimmen. Die nennt man “mating type loci”. Auch deswegen unterscheidet sich die Sexualität der Pilze gravierend von menschlicher Sexualität, weshalb es Unsinn ist, hier mit dem Begriff schwul zu operieren. Außerdem verfügen Pilze über zwei verschiedene “mating types” (Paarungstypen). Da wäre “mating type a” und “mating type alpha”. Sexuelle Fortpflanzung zwischen Pilzen kann nur zwischen kompatiblen, also verschiedenen Paarungstyp-Zellen stattfinden. Darin unterscheidet sich C.n. nicht von anderen Pilzarten. Deshalb ist es, selbst wenn man unsinniger Weise das unter 1. gesagte außer Acht lässt, immer noch Quatsch Cryptococcus schwul zu nennen. Warum also kam man bei Bild.de auf die absurde Geschichte? Möglicherweise deshalb: Joseph Heitmann fand heraus, dass die Entwicklung der geschlechtsbestimmenden Regionen auf den Chromosomen von C.n. und deren Anordnung Ähnlichkeiten zum menschlichen Y-Chromosom aufweisen, welches ja bekanntlich mit männlichen Eigenschaften assoziiert wird. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das u.a. deshalb so interessant, weil man an C.n. die genetische Entwicklung von Geschlechtschromosomen studieren und Einblicke in die Ursachen für Unfruchtbarkeit gewinnen könnte.)

Deshalb wissen wir auch nicht, ob Nonsens-Sätze wie die folgenden aus Desinteresse, Dummheit, boshaftem Zynismus entstanden sind – oder schlicht aus Homophobie:

Der hefeähnliche Pilz Cryptococcus neoformans (Foto) ist nicht nur schwul, er zeugt mit seinem gleichgeschlechtlichen Partner sogar jede Menge Nachwuchs!
(…)
Gefährlich! Der schwule Pilz ist ein tödlicher Krankeitserreger. Er befällt den Menschen, verursacht lebensgefährliche Infektionen im Gehirn.
Hervorhebungen von Bild.de

Nachtrag, 22.4.2005:
Leider haber wir übersehen, dass es offenbar tatsächlich neue Erkenntnisse gibt, weshalb dieser Eintrag, so wie wir ihn gemacht haben, nicht stimmt. Wir bitten um Entschuldigung.

Schwule Lehrer

Endlich tut einmal jemand was gegen den Skandal, dass sogar Schwule, die ihre Perversion demonstrativ zur Schau stellen, einfach unsere Kinder unterrichten dürfen! Abnormale Lehrer können jetzt der “Bild”-Zeitung gemeldet werden, die sich dann um die Sache kümmert.

Ganz so unverblümt ist die neue Aktion Pranger von “Bild” natürlich nicht organisiert. Vorgeblicher Anlass ist der Auftritt eines Berliner Lehrers in der ARD-Show “Das Quiz”, in der er die Frage “Was wird mithilfe von Lackmus-Papier bestimmt?” falsch mit “Cholesterinwert” beantwortete, was ihn in den Augen der “Bild”-Zeitung von gestern zum “total blamierten” “Depp-Lehrer”, zum “Ahnungslosen” und zum “Skandal-Lehrer” macht. Wobei in dem Artikel dezent die Grenzen verwischen, worin genau der Skandal besteht: In der falschen Antwort oder in der Tatsache, dass der Lehrer schwul ist, eine Punk-Frisur trägt und sich geschminkt hat, bevor er ins Fernsehen gegangen ist.

Das ist ein Berliner Lehrer

steht in großen, fassungslosen Buchstaben über dem androgynen Gesicht des Kandidaten. Immer wieder betont der Artikel, dass der Referendar Alexander G. einen Freund hat und Augen und Lippen geschminkt sind.

Der junge Mann ist Berliner Lehrer! Er darf Kinder unterrichten!

In der Druckausgabe wird ihm auch noch Schwänzen vorgeworfen:

Unfaßbar, daß so ein Ahnungsloser unsere Kinder unterrichtet. Eigentlich — wie BILD erfuhr — ist er seit vier Wochen krank geschrieben!

Später “erfuhr” “Bild” noch eine Information, die es allerdings nur in die Online-Version der Geschichte geschafft hat:

Immerhin: Die Sendung wurde vorher aufgezeichnet.

“Immerhin”: Irgendwer bei “Bild” hat gemerkt, dass das in diesem Zusammenhang kein ganz unwesentliches Detail ist.

Heute dreht “Bild” die Geschichte weiter, und die Sache mit der falschen Antwort taucht nur noch in einem einzigen Satz am Rande auf. Wohin die Reise geht, macht die Überschrift neben einem weiteren Bild des Lehrers klar:

Kein Wunder, daß wir bei der PISA-Studie ganz hinten liegen…
Warum darf so ein Lehrer unsere Kinder unterrichten?

Weiter im Text:

Wie BILD erfuhr, tritt der Punk-Lehrer in seiner Freizeit bundesweit auch als Travestiekünstler “Loulou La Rouge” in Frauenkleidern auf! Warum darf so ein schriller Typ Kinder unterrichten?

Warum nicht, könnte man zurückfragen, aber das haben die Beschützer “unserer” Kinder, die “Bild” zitiert, natürlich nicht getan:

“In diesem speziellen Fall ist es ein schlechtes Image für die Schule, die Grenze der Individualität scheint hier überschritten.”

“Durch dieses Auftreten wird der Schulfrieden massiv gestört. In jeder Firma würde dieser Mann umgehend gefeuert!

“Ein Lehrer muß nicht täglich im Anzug zum Unterricht kommen. Aber eine saubere Jeans und ein gebügeltes Hemd sollten schon sein.”

(Dass der Referendar seine Hemden nicht bügelt oder die Jeans nicht wäscht, hatte bislang nicht einmal “Bild” behauptet.)

Also, klar ist: Solche Lehrer gehören ins Kino, aber nicht in die Schulen. Und deshalb endet der Artikel mit dem folgenden Aufruf:

Haben Sie auch so einen schrillen Typen an der Schule? Kennen Sie Lehrer, die sich gehen lassen?

Dann schreiben Sie an:

BILD Zeitung
Redaktion Nachrichten
Stichwort: „Lehrer“
Axel-Springer-Platz 1
20350 Hamburg

Und wenn einer von den so Vorgeführten dann seine Existenz verliert oder sich etwas antut, wird “Bild” in seiner ausführlichen Nachberichterstattung zu mehr Toleranz aufrufen. Versprochen!

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