Nachdem die Potsdamer Staatsanwaltschaft am Dienstag vergangener Woche bekannt gegeben hatte, dass eine junge Frau tot aufgefunden wurde und gegen einen Mann wegen fahrlässiger Tötung ermittelt werde, berichtete auch “Bild” – und zwar…
… am Mittwoch vergangener Woche, am Donnerstag vergangener Woche, am Freitag vergangener Woche, am Samstag vergangener Woche sowie am Montag dieser Woche und am Dienstag dieser Woche.
Alle diese Berichte, verfasst u.a. von “Bild”-Reporter Jörg Bergmann, waren illustriert mit allerlei Fotos, die “Bild” offenbar aus Internetseiten zusammengesucht hatte: “Bild” jedenfalls nannte als Quelle einfach nur “Web”. Und ab Tag 2 der Berichterstattung zeigten alle diese Fotos das Opfer (das mit der Preisgabe privater Daten im Internet – StudiVZ, MySpace etc. – leider nicht zimperlich gewesen ist) ohne jede Unkenntlichmachung. Wollten wir indes die vielen “Bild”-Berichte ohne irgendeine Urheber- und Persönlichkeitsrechtsverletzung zeigen, bliebe davon wohl nicht mehr viel übrig (siehe Beispielausriss).
Heute nun berichtet “Bild” wieder über den Fall, wieder fast seitenfüllend. Aber anders als bisher wird der heutige Bericht nicht mit Fotos des Opfers illustriert. Anders als bisher wird die junge Frau heute auch nicht mehr bei ihrem richtigen Vornamen und abgekürzten Nachnamen genannt, sondern plötzlich:
Und bei Bild.de sind die bisherigen Veröffentlichungen zum Thema (außer ein paar, in deren URL die, ähm, unbeachtete Aufforderung “ACHTUNG… PIXELN” steht) vollständig aus dem Angebot entfernt.
Erfahrungsgemäß machen “Bild” und Bild.de sowas nicht freiwillig.
Und dass “Bild” nach einer Woche täglicher Berichterstattung auf einmal von selber zur Besinnung gekommen wäre, ist unwahrscheinlich: Über den Mann, gegen den im Zusammenhang mit dem Todesfall ermittelt wird, berichtet “Bild” auch heute wieder ausführlich, vorverurteilend und identifizierbar — und (seit gegen ihn auch wegen Mordes ermittelt wird) auch ohne schwarze Balken oder sonstige Unkenntlichmachung.
“Bild” macht aus Tätern Türken Verstoß gegen Ziffer 12 (BK2-147/06)
“Bild” berichtet, dass zwei Männer, die einen Mord begangen haben sollen, festgenommen wurden und nennt sie “Murat G.” und “Nasir L.”. In Wahrheit handelt es sich allerdings um Deutsche, sogar ohne sogenannten Migrationshintergrund und mit typisch deutschen Namen. Die Zeitung hat nicht nur, ohne darauf hinzuweisen, die Namen der “Mörder” geändert, sondern auch ihre scheinbare Herkunft. Ein Leser beschwert sich beim Presserat, dass dadurch Vorurteile bedient und geschürt würden.
Die Rechtsabteilung von Axel Springer bestreitet, dass durch die Namensänderung Stimmung gegen türkische Mitbürger gemacht worden sei. Sie weist darauf hin, dass die Polizei ursprünglich nach “Tätern südländischer Herkunft” gesucht habe. Die Redaktion habe vergeblich versucht, am Tag vor der Meldung die tatsächlichen Namen der Täter in Erfahrung zu bringen. (Anmerkung von uns: Gelungen war es ihr allerdings offenbar, Details über das Privatleben des Haupttäters zu recherchieren, siehe Ausriss.) Der Zusatz “Name geändert” habe versehentlich gefehlt, erklärte die Rechtsabteilung. Schon am nächsten Tag habe man die korrekten Vornamen benutzt.
Der Presserat meint, dass “Bild” auch ohne Namensnennung über die Verhaftung hätte berichten können. Dadurch, dass ohne erkennbaren Grund türkische Namen benutzt wurden, könnten Vorurteile geschürt werden. Den Hinweis, es habe nur der Zusatz “Name geändert” gefehlt, erkennt der Presserat nicht an. Er bemängelt außerdem, dass “Bild” zwar später die korrekten Namen genannt, aber die Leser nicht auf die irreführenden Phantasienamen im ersten Bericht hingewiesen habe. (Öffentliche Rüge)
“Bild” missachtet Rechte von Lawinenopfern Verstoß gegen Ziffer 8 (BK1-144/06)
“Bild” berichtet über ein Lawinenunglück und titelt: “Todesdrama in den Alpen – Dieser Chefarzt aus … sah seine Freunde sterben”. “Bild” zeigt Portraitfotos von den drei Todesopfern. Ein Foto vom einzigen Überlebenden macht “Bild” durch einen Balken nur unzureichend unkenntlich, veröffentlicht es ohne seine Einwilligung und macht ihn durch die Angabe vieler Details unter anderem über seinen Beruf und seine Arbeitsstätte identifizierbar.
Die Rechtsabteilung von Axel Springer bestreitet, dass die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzt wurden. Sie rechtfertigt die Berichterstattung damit, dass die Öffentlichkeit über Lawinenunglücke bei Skitouren informiert werden müsse. Um die Leser betroffen zu machen und eine warnende Wirkung zu erzielen, habe man den Artikel personalisieren müssen.
Der Presserat widerspricht: “Bild” habe das Gebot, das Privatleben des Menschen zu achten, verletzt. Die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen seien wichtiger als das öffentliche Interesse daran, die Opfer identifizieren zu können. Das Unglück mache die Opfer nicht zu Personen der Zeitgeschichte. (Öffentliche Rüge)
* * *
“Bild” schlachtet Selbstmord aus Verstoß gegen Ziffer 8 (BK1-206/06)
“Mietschulden – Als die Gerichtsvollzieherin klingelte, sprang sie in den Tod”, titelt “Bild” und berichtet minutiös über einen Suizid einer Mutter, zeigt ein großes Foto von ihr und dem Haus, von dem sie in den Tod sprang und vor dem ihre abgedeckte Leiche liegt, schildert ihre Lebensumstände und spekuliert ausführlich über das Motiv für die Tat.
Nach Ansicht der Springer-Rechtsabteilung hat die Selbstmörderin durch ihr Verhalten eine identifizierende Berichterstattung geradezu provoziert. Die Drohung, sich in die Tiefe zu stürzen, habe großes Aufsehen erregt; Feuerwehrleute hätten versucht, sie davon abzuhalten. Deshalb habe es sich um einen “Vorfall der Zeitgeschichte” gehandelt, der es rechtfertige, die üblicherweise nötige Zurückhaltung bei der Berichterstattung aufzugeben.
Der Presserat widerspricht. “Bild” habe die Persönlichkeitsrechte der Frau verletzt. Auch ein Suizid, der unter den Augen der Öffentlichkeit begangen wird, rechtfertige noch nicht per se, den Namen der Betroffenen zu nennen und die näheren Begleitumstände zu schildern. (Öffentliche Rüge)
“Bild” lässt Schulklasse dumm aussehen Verstoß gegen Ziffern 2 und 8 (BK2-252/05)
“Bild” illustriert einen großen Bericht “Pisa-Schock – So dumm sind unsere Kinder” mit dem Foto einer Grundschulklasse und ihrer Lehrerin. Die Zeitung hatte das Foto bereits 2002 veröffentlicht, damals im Zusammenhang mit einer Spendenaktion zum Weltkindertag. Der Elternbeirat der Schule beschwert sich: Die Zeitung habe weder die Kinder oder ihre Eltern noch die Lehrerin um Erlaubnis gefragt. Bereits für die Veröffentlichung 2002 habe “Bild” das Foto zweckentfremdet und ohne Genehmigung abgedruckt.
Die “Bild”-Rechtsabteilung räumt ein, dass die Redaktion es versäumt habe, das Einverständnis von Eltern und Schule einzuholen. Man habe die abgebildeten Schüler nicht als “dumm” bezeichnen wollen und versucht, sich beim Elternbeirat zu entschuldigen.
Der Presserat rügt “Bild”, weil der wiederholte Abdruck des Fotos sinnentstellend sei und gegen das Gebot der journalistischen Sorgfaltspflicht verstoße. Der “Bild”-Leser müsse glauben, die abgebildeten Kinder seien dumm. Ihre Persönlichkeitsrechte wurden so schwerwiegend verletzt, dass auch eine Entschuldigung der “Bild”-Redaktion nicht ausreiche. (Öffentliche Rüge)
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“Bild” stellt Kind an den Pranger Verstoß gegen Ziffer 8 (BK2-236/06)
Beim Versuch, eine Schulhofrangelei zu schlichten, wird eine Lehrerin von einem zwölfjährigen Jungen durch einen Faustschlag verletzt. “Bild” titelt: “Schüler (12) prügelt Lehrerin in Klinik” und zeigt mehrmals ein Foto des Jungen, darunter groß auf der Titelseite.
Die “Bild”-Rechtsabteilung erklärt, die Eltern des Kindes hätten der Veröffentlichung des Fotos schriftlich zugestimmt.
Nach dem Urteil des Presserates hat “Bild” das Persönlichkeitsrecht des Schülers verletzt: Es sei unzulässig, ihn unverpixelt zu zeigen. Die Zustimmung der Eltern sei unerheblich: Die “Bild”-Redaktion hätte die Verantwortung gehabt, das Kind zu seinem Schutz trotzdem unkenntlich zu machen. Der Rat verweist darauf, dass laut Pressekodex die Abbildung von mutmaßlichen Tätern in der Regel nicht gerechtfertigt sei; bei Straftaten Jugendlicher gelte dies ganz besonders. (Nicht-öffentliche Rüge)
“Bild” zeigt Mutter, die ihr Kind getötet haben soll Verstoß gegen Ziffer 8 (BK2-156/06)
Eine 23-jährige Mutter soll ihr neugeborenes Kind getötet, in eine Plastiktüte gesteckt und in den Müll geworfen haben. “Bild” zeigt unter der Überschrift “Sie hat ihr Baby erstickt und einfach weggeworfen” ein unverpixeltes Foto von der Frau mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen.
Die Rechtsabteilung von “Bild” sagt, erstens dürfe man laut Presserat in eindeutigen Fällen identifizierbar berichten (und die Frau sei geständig und aufgrund einer DNA-Analyse überführt). Und zweitens sei die Frau wegen des gesenkten Blickes und eines Haarbandes gar nicht zu identifizieren.
Der Presserat widerspricht in jeder Hinsicht: Das Gesicht sei gut erkennbar. Und die Identifizierbarkeit sei in der Regel unzulässig; konkret habe der Presserat sie in vergleichbaren Fällen verboten. Auch das Geständnis der Frau ändere daran nichts. (Nicht-öffentliche Rüge)
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“Bild” macht Demonstranten zum Attentäter Verstoß gegen Ziffern 2 und 13 (BK2-257/05)
“Bild” fordert in mehreren Artikeln die Ausweisung eines Türken aus Deutschland, den die Zeitung immer wieder als “Attentäter” und “Verbrecher” bezeichnet: “Schiebt diesen Verbrecher ab!”, “Schnarch-Justiz! Wird Attentäter heute verhaftet?”, “Justiz-Skandal! Attentäter nicht ausgewiesen” – mehrmals berichtet ein Boulevardblatt über den türkischen Beschwerdeführer, der immer wieder als “Attentäter” und “Verbrecher” bezeichnet wird. Der Mann hat 1993 an einer Demonstratoin teilgenommen, die mit einem Brandanschlag endete, der 37 Menschen tötete. “Bild” zeigt ein Foto von ihm mit einem schwarzen Balken vor den Augen, stellt ihn als Tatbeteiligten dar und berichtet, er sei 1993 zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der Anwalt des Betroffenen beschwert sich beim Presserat. Sein Mandant sei nie Täter bei einem versuchten Brandstiftungs- oder Tötungsdelikt gewesen und als solcher auch nie angeklagt oder verurteilt worden. Verurteilt worden sei er nur wegen Beteiligung an der versuchten Veränderung der Gesellschaftsordnung in der Türkei – dieses Verfahren sei noch nicht endgültig abgeschlossen.
Die Rechtsabteilung von “Bild” bestreitet, den Mann vorverurteilt zu haben. Nach ihm werde international gefahndet; ein Auslieferungshaftbefehl liege vor. Bei dem Fall handle es sich um ein zeitgeschichtliches Ereignis von hohem Aufmerksamkeitswert und gesellschaftspolitischer Bedeutung. Die Pressefreiheit erlaube es “Bild”, innerhalb gewisser Grenzen zu entscheiden, was eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse sei.
Nach dem Urteil des Presserates hat “Bild” wahrheitwidrig berichtet. Die Berichte hätten Gerüchte als Tatsachen dargestellt und Vorurteile enthalten. Es gebe weder sichere Fakten, noch Indizien, wonach der Türke an dem Anschlag beteiligt war. Der Begriff “Attentäter” bezeichne Straftäter, die aufgrund einer besonderen, oft politischen Motivation, neben ihrem eigenen auch andere Menschenleben aufs Spiel setzen. Bei dem Mann, den “Bild” fortwährend so nannte, könne man aber weder von einer solchen Tat, noch von entsprechenden Motiven ausgehen. “Bild” habe die Gerüchte weder sorgfältig genug geprüft noch als solche kenntlich gemacht, und ihn in einem laufenden Verfahren vor deutschen Behörden vorverurteilt. (Öffentliche Rüge)
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“Bild” zeigt zehnjähriges Todesopfer gegen den Willen der Eltern Verstoß gegen Ziffer 8(BK2-93 und 94/06)
Als bei einem Attentat in Ägypten ein zehnjähriger deutscher Junge ums Leben kommt, zeigt “Bild” ihn groß im Inneren und auf der Titelseite (Überschrift: “Dieser Junge starb in der Terror-Hölle”). Die Zeitung hatte keine Einwilligung der Eltern, das Foto zu zeigen, außerdem gibt es Zeugenaussagen, wonach sich der “Bild”-Fotograf das Foto unter Vortäuschung falscher Tatsachen erschlich. Unter anderem habe er sich auch bei Mitschülern des Kindes erkundigt.
Die Rechtsabteilung der Axel Springer AG erklärt, sie gehe davon aus, dass der Mitarbeiter ordnungsgemäß und sorgfältig recherchiert habe. Er habe auf Nachfrage erklärt, sich nicht als Mitarbeiter anderer Zeitungen ausgegeben. Die Juristen weisen darauf hin, dass sie gegenüber dem Vater des Jungen eine Unterlassungserklärung abgegeben habe – ohne eine Rechtspflicht anzuerkennen.
Der Presserat rügt “Bild”: In der Regel sei es nicht gerechtfertigt, Opfer von Unglücksfällen abzubilden. Es habe kein öffentliches Interesse gegeben, das das Persönlichkeitsrecht des getöteten Kindes überlagert hätte. Zudem fehlte offensichtlich die Einwilligung der Eltern. Ob “Bild” das Foto mit unlauteren Methoden beschafft hat, kann der Presserat nicht klären und stellt das Verfahren in diesem Punkt ein. (Öffentliche Rüge)
(Siehe BILDblog-Einträge “‘Bild’ benutzt Kinder für Recherchen” [1], [2], [3])
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“Bild” bildet Opfer einer Familientragödie ab Verstoß gegen Ziffer 8 (BK2-166/06)
“Bild” berichtet über eine Familientragödie, bei der ein Mann seine Frau und einen Sohn erschießt, bevor er sich selbst tötet; ein weiterer Sohn überlebt. “Landarzt erschießt seine Familie”, schreibt “Bild” und zeigt die Fotos aller Familienmitglieder; nur der überlebende Sohn ist verpixelt. Mit großer Detailfreude kolportiert “Bild” auch Gerüchte über die Hintergründe der Tat: “Im Dorf munkelt man außerdem, dass der Landarzt schon seit über einem Jahr im Keller schlief. Zudem soll er Alkoholprobleme gehabt haben.”
Die “Bild”-Chefredaktion nennt die von ihr veröffentlichten Fotos zeitgeschichtliche Dokumente und den Täter aufgrund seines Berufes eine Person von herausragender öffentlicher Funktion und gesellschaftlicher Stellung. Durch die Bedeutung des Landarztes sei es erlaubt, ihn und die von ihm getöteten Familienmitglieder abzubilden.
Keineswegs, urteilt der Presserat und verweist auf die Forderung des Pressekodex, bei Suiziden nur zurückhaltend zu berichten. Außerdem mache seine Tätigkeit als Landarzt den Mann noch nicht zu einer Person der Zeitgeschichte und seine Tat nicht zu einem Ereignis der Zeitgeschichte. (Nicht-öffentliche Rüge)
Einmal im Jahr veröffentlicht der Deutsche Presserat in seinem Jahrbuch alle Entscheidungen, die er im Vorjahr gefällt hat. Interessanter als seine nur selten nachvollziehbaren Urteile sind oft die (anonymisierten) Stellungnahmen der Zeitungen.
Das Jahrbuch bietet auch seltene Einblicke in die Argumentationsmuster innerhalb der notorisch öffentlichkeitsscheuen Axel-Springer-AG, wenn die Rechtsabteilung gegenüber dem Presserat ausgeruht die fragwürdigen Ad-Hoc-Entscheidungen der “Bild”-Zeitung zu rechtfertigen versucht.
Da war etwa die Beschwerde, dass “Bild” am Tag des Fußball-WM-Spiels gegen Polen 2006 dreizehn Witze über Polen veröffentlichte, von denen zwölf darauf abzielten, dass Polen Diebe seien. Ein Leser fand das diskriminierend und ehrverletzend. Der Presserat gab ihm Recht und sprach einen “Hinweis” aus. Die Rechtsabteilung von “Bild” aber erklärte in den Worten des Presserates:
Der Abdruck der Witze sei (…) dem aktuellen Ereignis geschuldet. Kollektiv abwertende Vorurteile würden nicht zum Ausdruck gebracht. (…) Die Rechtsabteilung verweist auf die gängige Praxis in der Sportberichterstattung, Schlagzeilen zu wählen, die mit dem sportlichen Wettkampf zusammenhingen und zum Ausdruck brächten, dass Deutschland hoffentlich gewinnen werde. Eine Diskriminierung oder Herabsetzung des Gegners gehe damit nicht einher. Es handele sich vielmehr um eine Motivationshilfe für das jeweilige deutsche Team.
Bemerkenswert ist auch die Erklärung des Verlages, warum es zulässig gewesen sei, das Porträtfoto eines 17-Jährigen zu zeigen, der gestanden hat, am Raubüberfall auf das Haus von Dieter Bohlen beteiligt gewesen zu sein — obwohl der Pressekodex eine solche Identifizierung in der Regel untersagt und bei Jugendlichen ganz besonders. Laut Presserat erklärte Springer:
Den Tätern habe auch klar sein müssen, dass ihr Überfall auf den prominenten Dieter Bohlen eine besondere öffentliche Wirkung entfalten würde. Das wiederum habe zwangsläuzfig zur Folge gehabt, dass auch sie im Fall einer Festnahme und anschließender Anklage einem besonderen Informationsinteresse ausgesetzt sein würden.
Die Erwiderung des Presserates, der in diesem Fall eine “Missbilligung” aussprach, liest sich vergleichsweise trocken: “Die Resozialisierungschancen eines Täters hängen nicht von der Prominenz des Opfers ab.” Nun ja, möchte man erwidern: dank “Bild” eben doch.
Die “Maßnahmen” des Presserates:
Hat eine Zeitung oder eine Zeitschrift gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
einen Hinweis
eine Missbilligung
eine Rüge.
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, tun sie es nicht.
Die nüchtern zusammengefassten Stellungnahmen der Rechtsabteilung lesen sich manchmal wie erstaunliche Leugnungen des Unleugbaren. Wenn “Bild” etwa in großer, aus gutem Grund unzulässiger Ausführlichkeit die tragischen Begleitumstände einer Selbsttötung schildert, und die Juristen erklären, der Artikel sei einfühlsam und mit viel Fingerspitzengefühl geschrieben.
Dazu passt, dass “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann, der die Suizid-Berichterstattung angeblich zur Chefsache gemacht hat, im vergangenen Jahr erklärte, “Bild” sei in diesem Bereich “extrem zurückhaltend”, weil man “wisse, dass die Berichterstattung über Selbstmorde labile Menschen möglicherweise zum Nacheifern veranlasst”. “Bild” hat in den vergangenen sechs Jahren acht Rügen für ihre Suizid-Berichterstattung kassiert.
Wie immer haben wir alle Rügen, die der Presserat im vergangenen Jahr gegen “Bild” ausgesprochen hat, und die jeweilige Rechtfertigung des Verlages dokumentiert.
Wie “Bild” aus schwererziehbaren Jugendlichen “Gangster” macht und andere Verstöße gegen Ethik und Menschenwürde: “Bild”-Rügen 2007
In einer norddeutschen Kleinstadt soll ein Heim für schwererziehbare Jugendliche gebaut werden – was einigen Nachbarn nicht gefällt. “Bild” titelt: “Ein Dorf hat Angst” und: “Behörde will Heim für Kindergangster im friedlichen (…) eröffnen”. Die Gefahr durch die “Kindergangster” illustriert die Zeitung, indem sie neben Fotos von dem Haus und den Nachbarn einen mit einem Messer bewaffneten Jugendlichen zeigt, ohne zu erwähnen, dass es sich nicht um einen der zukünftigen Bewohner, sondern nur um ein Symbolfoto handelt.
Die Rechtsabteilung von “Bild” erklärt, es bestehe ein hohes öffentliches Interesse daran, über das Projekt und den Widerstand dagegen zu berichten. Die Nachbarn hätten Angst vor Verletzungen und um Hab und Gut, fürchteten sich vor Drogenbeschaffungs- und Gewaltkriminalität. Der Begriff “Kindergangster” für schwer erziehbare Jugendliche sei eine zulässige Verkürzung und ein gebräuchlicher Terminus. Und “Bild” hätte ja keinen von ihnen gezeigt, sondern nur ein Symbolfoto.
Das Urteil des Presserates ist vernichtend: Der Artikel verstoße gleich gegen vier Ziffern des Pressekodex, darunter die Pflicht zur Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde. Schwererziehbare seien nicht Kriminellen gleichzusetzen. Der Begriff “Kindergangster” sei unangemessen sensationell. Das Foto von dem bewaffneten Jugendlichen sei irreführend und hätte zudem als Symbolfoto gekennzeichnet werden müssen. Die Überschrift “Ein Dorf in Angst” sei unangemessen sensationell, diskriminiere die Jugendlichen und werde im Artikel durch nichts belegt. Die Berichterstattung sei einseitig, unangemessen und unwahrhaftig. (Öffentliche Rüge)
* * *
“Bild” macht Werbung für Aldi Verstoß gegen Ziffer 7 (BK2-6/07)
“Bild” informiert seine Leser in einem Artikel darüber, welche Reisen man vom nächsten Tag bei Aldi kaufen kann. “BILD hat die besten Angebote jetzt schon recherchiert”, schreibt die Zeitung und nennt als “beste” Angebote sämtliche Angebote, die sich am folgenden Tag auch in einer ganzseitigen Anzeige in “Bild” fanden. “Bild” beschreibt genau die Angebote, nennt die Preise, gibt die Telefonnummern und eine Internetadresse von Aldi an, unter der die Reisen gebucht werden können.
Die Rechtsabteilung von “Bild” weist den Vorwurf zurück, dem großen Anzeigenkunden sei mit dem Artikel eine Gefälligkeit erwiesen worden. Der Anlass für den Artikel sei nicht werblich, sondern publizistisch gewesen: Erstmals sei ein Discounter ins Reisegeschäft eingestiegen, erklärt die Rechtsabteilung (wahrheitswidrig). An der Veröffentlichung habe es ein öffentliches Interesse gegeben; die Angabe von Telefonnummern und Internetseite sei zulässiger Service für die Leser.
Der Presserat widerspricht: Die Grenze zwischen zulässiger Information und unzulässiger Schleichwerbung sei eindeutig überschritten. Durch die detaillierten Angaben habe “Bild” den geschäftlichen Interessen des Anbieters Vorschub geleistet und ihm einen deutlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten verschafft. (Öffentliche Rüge)
“Bild” macht Khaled al-Masri zum Irren Verstoß gegen Ziffer 8 (BK1-135/07 und BK1-136/07)
“Warum lassen wir uns von so einem terrorisieren”, fragt “Bild” und meint mit “so einem” den vermutlich vom CIA verschleppten Khaled Al-Masri und mit “terrorisieren”, dass das Entführungsopfer Gerichte und Medien bemüht. “Bild” spielt seine Torturen herunter und nennt ihn u.a. “irre” und einen “durchgeknallten Schläger” und “Querulanten”.
Die Rechtsabteilung von “Bild” sagt, die Berichterstatung sei zutreffend und die verwendeten Begriffe durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. An der Aufdeckung des Falles Al-Masri bestehe ebenso wie an seiner Person ein hohes Informationsinteresse.
Der Presserat bestreitet das öffentliche Interesse nicht. Es sei unstrittig, dass “Bild” sich mit Al-Masri beschäftigen dürfe – aber nicht in dieser Form. Psychische Erkrankungen fielen laut Pressekodex grundsätzlich in die Privatsphäre des Betroffenen. Ihn “irre” zu nennen und zu fragen, “Warum lassen wir uns von so einem terrorisieren” gehe gerade im Hinblick auf Al-Masris Erkrankung eindeutig zu weit, sei unangemessen und verletze ihn in seiner Ehre. (Öffentliche Rüge)
“Bild” macht Jugendlichen zum “Verbrecher” Verstoß gegen Ziffern 2 und 8 (BK1-194/06)
Ein 19-Jähriger steht vor Gericht, weil er an einer Schießerei beteiligt gewesen sein soll, bei der ein Mensch ums Leben kam. Das Gericht schließt die Öffentlichkeit von der Verhandlung aus, um den Heranwachsenden zu schützen. “Bild” schreibt daraufhin: “Frau Richterin, warum schützen Sie diesen Verbrecher” und nennt auch den Namen des Angeklagten. Dessen Anwalt beschwert sich beim Presserat darüber, dass “Bild” seinen Mandanten trotz des bewussten Ausschlusses der Öffentlichkeit identifizierbar gemacht habe und ihn “Verbrecher” nannte, obwohl es noch kein Urteil gebe.
Die Rechtsabteilung von “Bild” erklärt, die Forderung des Pressekodex, sich bei der Berichterstattung über Straftaten Jugendlicher besonders zurückzuhalten, gelte hier nur eingeschränkt, weil der Angeklagte sich an der Schwelle zum Erwachsenenstrafrecht befinde. Deshalb dürfe man ihn auch identifizierbar machen. Die Tat sei in Art und Ausführung so erschreckend, dass man darüber berichten dürfe. Die Presse könne nicht akzeptieren, vom Verfahren ausgeschlossen zu werden, wie es die Richterin getan habe. Zudem sei der Mann weitgehend geständig.
Der Presserat spricht zunächst nur eine Missbilligung aus: “Bild” hätte sich bei der Berichterstattung zurückhalten müssen; den Namen des Angeklagten zu nennen, sei ethisch unangemessen. Die Bezeichnung “Verbrecher” sei aber zulässig, weil der Angeklagte die Verstrickung in das kriminelle Geschehen zugegeben habe.
Der Anwalt des Mannes widerspricht: Er habe, anders als die Rechtsabteilung “Bild” behaupte, kein Geständnis gegeben. Daraufhin revidiert der Presserat sein Urteil und rügt nun doch den “Bild”-Artikel und das Wort “Verbrecher”: Weil der Angeklagte weder ein Geständnis abgelegt noch die ihm zur Last gelegte Tat unzweifelhaft unter den Augen der Öffentlichkeit begangen habe, sei es unangemessen und eine Vorverurteilung, ihn als Täter darzustellen. (Nicht-öffentliche Rüge)
* * *
“Bild” macht aus Selbsttötung detailreiche Geschichte Verstoß gegen Ziffer 8 (BK2-57/07)
Unter der Überschrift “Todes-Drama um die schöne Anika (16)” berichtet “Bild” detailreich über einen Suizid. Die Zeitung zitiert wörtlich die Abschiedsnachricht des Mädchens, das auf eigenen Wunsch aus der psychiatrischen Behandlung entlassen worden sei, und schildert, wie die Schwester des Opfers vergeblich auf die S-Bahn gewartet habe, vor die sich das Mädchen geworfen hatte. Der Chef des Krankenhauses, in dem das Mädchen war, beschwert sich über den Artikel: Der Redakteur habe die Tatsachen trotz eindringlicher Hinweise falsch dargestellt.
Die Rechtsabteilung von “Bild” sagt, die Berichterstattung gehe auf Berichte der Eltern des Mädchens zurück. Der Artikel über die Selbsttötung sei einfühlsam und mit viel Fingerspitzengefühl geschrieben.
Der Presserat kann sich diesem Urteil nicht anschließen. Wenn “Bild” beschreibe, wie die Schwester ausgerechnet auf die S-Bahn gewartet habe, von der das Mädchen überrollt wurde, verletzte die Zeitung die Pflicht, sich gerade mit der Schilderung solcher Begleitumstände bei Selbsttötungen zurückzuhalten. Es sei auch nicht zurückhaltend, der Öffentlichkeit die Krankheitsgeschichte des Mädchens zu schildern. (Nicht-öffentliche Rüge)
Köppel lacht, Turchet klagt, Mosley rehabilitiert und Gratiszeitungen fordern Bäume: Der medienlese.com-Rückblick auf die 30. Kalenderwoche.
Bild der Woche: Unter Journalisten macht gerade eine anonyme Mail mit zwei Fotos die Runde, auf denen die (rein äußerliche) Ähnlichkeit von Ex-Armeechef Roland Nef und Weltwoche-Chefredaktor Roger Köppel unverkennbar ist.
Für jemanden, der sich – wie Jacky Gombert für “Bild” – gewöhnlich mit Vermietern herumschlagen muss, die ihre Mieter aus Gier in den Tod sprengen (“Lebenslang für Deutschlands schlimmsten Vermieter: Aus Gier sprengte er 6 Mieter in den Tod”), mit Vätern, die ihre Töchter nach Bosnien entführen und der Mutter zum Muttertag bösartige Fotos schicken (“Der schrecklichste Muttertag: Vater entführt Tochter nach Bosnien und schickt der Mutter jetzt dieses Foto!”), mit erfrorenen Rentnerinnen (“Erfroren, weil im Altenheim niemand die Tür öffnete”) und vergewaltigten Goldfischen (“Frosch vergewaltigt und tötet Goldfisch”, wir berichteten)…
… für so jemanden ist der Fall der Rentnerin Sighild J. vermutlich ein Klacks: Das “Opfer eines bizarren Zahnarzt-Zoffs”, seit sieben Monaten “ohne Zähne”, lässt sich von “Bild” bereitwillig in den Mund fotografieren und rückt auch noch anstandslos ihren “Heil- und Kostenplan” raus, damit “Bild” ihn zeigen kann!
Doch obwohl es in dem Artikel darum geht, dass die Rentnerin “nicht zu viel Geld ausgeben” und ihre Zahnprothese deshalb von “einem Billiganbieter” hatte anfertigen lassen wollen, heißt’s in “Bild”:
“Kosten: 981 Euro, Eigenanteil 781 Euro.”(siehe auch Ausriss)
Na, logo: Steht ja auch da, die Summe: “780,39” – klar und deutlich (zumindest bei Bild.de) auf dem abgebildeten “Heil- und Kostenplan” unter Eigenanteil, ähm, Zuschussfestsetzung.
Und wir können nur hoffen, dass sich jemand wie Jacky Gombert bei verurteilten Vermietern und mutmaßlichen Töchterentführern mehr für die Fakten interessiert.
Mit Dank an Andreas R. und Dr. med. dent. Sabine R.
Der Presserat hat aufgrund von Beschwerden von BILDblog zwei “Bild”-Berichte beanstandet.
“Bild” zeigte blutenden Tierpfleger
Am 13. Juli 2007 hatte die “Bild”-Zeitung unter der Überschrift “Löwe zerfleischt Pfleger” berichtet, dass ein Mann in Mashad im Iran Opfer eines Löwenangriffs geworden sei (siehe Ausriss) – und auf einer halben Zeitungsseite zum Teil blutige Bilder des Angriffs gezeigt, die aus einem mindestens drei Monate alten Privatvideo stammten (wir berichteten.). Eines der Fotos zeigte den am Boden liegenden Pfleger mit weit aufgerissenen Augen. In der Bildunterzeile hieß es: “Gerade noch rechtzeitig! Der schwer verletzte Pfleger kann vom Notarzt reanimiert werden.”
Der Presserates sah die gesamte “Bild”-Berichterstattung als “unangemessen sensationell” an. Er monierte insbesondere den Abdruck des Bildes mit dem schwer verletzt und blutend am Boden liegenden Pfleger, weil er so “zum Objekt, zu einem bloßen Mittel herabgewürdigt” wurde. Indem “Bild” das Foto abdruckte, sei über einen “körperlich oder seelisch leidenden Menschen in einer über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausreichenden Art und Weise” berichtet worden, wie es in Richtlinie 11.1 des Pressekodex heißt.
Der Axel Springer Verlag hatte argumentiert, dass die Berichterstattung den Lesern die Gefährlichkeit von Raubtieren habe vor Augen führen sollen. Insbesondere, da “in den Medien” häufig der Eindruck erweckt würde, “Wildtiere wie Löwen, Eisbären etc.” seien “possierliche Weggefährten”.
Diese “grundsätzliche Thematik” allerdings konnte der Presserat nicht erkennen. Selbst wenn es “Bild” darum gegangen wäre, so der Beschwerdeausschuss, hätte “diese Art der Bebilderung” und insbesondere das Bild mit dem am Boden liegenden Pfleger nicht erscheinen müssen.
Der Presserat erkannte in der “Bild”-Veröffentlichung einen Verstoß gegen Ziffer 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex und sprach eine Missbilligung* aus.
“Bild” druckte Interview mit Marco W. in Untersuchungshaft
Laut Presserat hat die “Bild”-Zeitung unlautere Methoden angewandt, als sie am 26. und 27. Juni 2007 ein Interview mit dem 17-jährigen Marco W. abdruckte. Ein “Hurriyet”-Reporter hatte das in “Bild” veröffentlichte Gespräch – ohne Einverständnis seiner Eltern und seines Anwalts – geführt, als Marco W. wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung einer 13-Jährigen in einem türkischen Gefängnis in Untersuchungshaft saß (wir berichteten). Laut Presserat habe sich Marco W. jedoch “in einer seelischen Extremsituation” befunden, und für “Bild” hätte sein Schutzbedürfnis “einem derart detaillierten Interview entgegen gestanden”. Der Presserat:
Gerade vor dem Hintergrund der politischen Dimension des Falles wäre eine erhöhte Sensibilität erforderlich gewesen. (…) Mit den Aussagen, die er in der Zeitung tätigte, konnte er nicht abschätzen, ob er sich vielleicht damit selbst belastet oder nicht.
Außerdem hätte “Bild” laut Presserat “die Pflicht gehabt, die Umstände, unter denen das Interview mit dem türkischen Medienkollegen entstand, sorgfältiger zu prüfen”.
Interessanterweise fühlt sich die “Bild”-Zeitung jedoch eigentlich gar nicht so richtig zuständig für das von ihr gedruckte Interview mit Marco. Schließlich hätte “Bild” in den Berichten doch “mehrfach deutlich herausgestellt”, dass das Interview von einem ‘Hürriyet’-Reporter geführt worden sei. Laut Presserat argumentierte die Axel Springer AG wie folgt:
Wäre es tatsächlich eine Initiative und ein ausdrücklicher Auftrag von BILD gewesen, dann hätte BILD dies deutlich gemacht und hätte nicht mehrfach darauf verwiesen, dass es sich um einen Journalisten der ‘Hürriyet’ handelt.
Deshalb sei es “unrichtig”, “dass das Interview mit Marco auf Veranlassung und im Auftrag von BILD geführt worden sei”.
Das allerdings lässt für uns nur einen Schluss zu:
A: Springer lügt.
B: Springer kann nicht lesen.
Oder C: “Bild” schreibt in einer Sprache, die nur so aussieht wie deutsch (siehe Ausriss).
Der Presserat erkannte in dem “Bild”-Interview eine Verletzung von Richtlinie 13.3. (Straftaten Jugendlicher) sowie einen Verstoß gegen Ziffer 4 (Grenzen der Recherche) des Pressekodex und sprach eine Missbilligung* aus.
*) Eine Missbilligung durch den Presserat ist für die missbilligte Zeitung folgenlos. Der Presserat “empfiehlt” den Zeitungen allerdings, die Missbilligungen abzudrucken — “als Ausdruck fairer Berichterstattung”. Die “Bild”-Zeitung verzichtet in der Regel auf diesen Ausdruck fairer Berichterstattung.
Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (…) veröffentlicht die Presse in der Regel keine Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden. (…) Immer ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen. Sensationsbedürfnisse allein können ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht begründen. (Richtlinie 8.1 des Pressekodex)
Zwar könnte man sich bei “Bild” fragen, ob beispielsweise in Fällen, wo eine Mutter ihr Neugeborenes tötet, eine Ausnahme von dieser “Regel” greife (obgleich das Verhältnis von Ausnahme zu Regel bei “Bild” ohnehin eigentümlich ist). Aber der Presserat hat “Bild” die Antwort bereits gegeben: Nein und nochmals nein. Trotzdem zeigt “Bild” regelmäßig Fotos von Frauen, die ihre Kinder getötet haben oder dessen verdächtigt werden (wir berichteten hier und hier).
Auch heute wieder.
Eine 23-Jährige hat offenbar ihr Neugeborenes in der Badewanne ertränkt und versuchte später sich das Leben zu nehmen. Jetzt steht sie vor Gericht. Der “Tagesspiegel” schreibt:
Die junge Frau (…) will von den Fotografen nicht abgelichtet werden. (…) Kopf und Oberkörper versteckt sie unter einer Kapuzenjacke, die sie erst ablegt, als die Fotografen den Saal verlassen.
“Bild” zeigt ein Foto von ihr, auf dem sie gerade besagte Kapuzenjacke anhebt (siehe Ausriss). Nicht einmal einer der bei “Bild” so beliebten kleinen schwarzen Alibi-Balken verdeckt die Augen der jungen Frau.
Bild.de indes zeigte dasselbe Foto verpixelt – allerdings nur im Text. Auf der Bild.de-Startseite war das unverfremdete Foto der Frau geraume Zeit in einem großen Teaser zu sehen.
Ein Versehen? Offenbar schon.
Inzwischen nämlich ist das Foto der 23-Jährigen auch im Text bei Bild.de nicht mehr verpixelt. Und den Teaser von der Startseite können Bild.de-Leser in einer etwas kleineren Version auf der “News”-Seite begaffen:
Das ist immerhin genau so konsequent wie rücksichtslos.
Der Presserat hat aufgrund einer Beschwerde von BILDblog eine Rüge gegen die “Bild”-Zeitung ausgesprochen. Der Artikel der “Bild Bremen” (Ausriss rechts) habe gegen das Persönlichkeitsrecht zweier Kinder, das Wahrheitsgebot und die Sorgfaltspflicht verstoßen.
BILD (Bremen) erhielt eine nicht-öffentliche Rüge wegen eines Verstoßes gegen die Ziffern 8, 2 und 1 des Pressekodex. Die Zeitung hatte berichtet, dass zwei Mädchen im Alter von eins und vier Jahren auf Veranlassung ihrer Mutter zur Beschneidung nach Afrika gebracht werden sollten, was aber durch den Vater und einen Polizeieinsatz habe verhindert werden können. Ausschlaggebend für die Rüge war ein beigestelltes Foto, das beide Kinder ungeblendet zeigte. Hierfür gab es nicht die Einwilligung beider Eltern. Die Veröffentlichung dieses Fotos verletzt die Persönlichkeitsrechte der Kinder nach Ziffer 8 des Pressekodex.
Einen Verstoß gegen das Wahrheitsgebot aus Ziffer 1 des Pressekodex sah der Ausschuss zudem im Einstieg des Beitrages, wonach in einer dunklen Hütte in Afrika bereits ein Medizinmann auf die Mädchen gewartet habe. Dies war offenbar frei erfunden.
Die Zeitung verletzte außerdem die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex. Als Quellen für den Bericht wurden neben der Polizeimeldung und den Aussagen des Vaters nicht auch die Aussagen der Mutter berücksichtigt. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Mutter Beschneidungen ablehnt und ihre Kinder nicht zu diesem Zweck nach Afrika bringen wollte. Der Ausschuss hält es zwar für zulässig, dass die tagesaktuelle Berichterstattung im Wesentlichen auf der Polizeimeldung beruhte. Dies hätte jedoch für den Leser deutlich erkennbar sein müssen.
Aus Opferschutzgründen verzichtete der Ausschuss darauf, die Zeitung zum Abdruck der Rüge zu verpflichten.
Schon oft haben wir hier darüber berichtet, dass die “Bild”-Zeitung wieder und wieder die Persönlichkeitsrechte von Menschen verletzt, indem sie ihrem Millionenpublikum Fotos präsentiert, die – irgendwo aufgetrieben – kaum oder gar nicht anonymisiert (mutmaßliche) Täter und Opfer von Straftaten zeigen.
Dabei es ist ja nicht so, dass “Bild” nicht wüsste, dass und wie man anonymisieren muss. Im Gegenteil. Wir zeigen hier mal beispielhaft die gängigsten Versionen:
Neuerdings jedoch benutzt “Bild” beim Herzeigen von Menschen, für deren Herzeigen es keinerlei Notwendigkeit gibt, auch eine neue Art der Nachbearbeitung.
Aktueller Fall: Eine Frau soll vor knapp 20 Jahren drei Babys zur Welt gebracht, möglicherweise nach der Geburt getötet und in der Tiefkühltruhe eingefroren haben. Ihr 18-jähriger Sohn habe die Babyleichen nun durch Zufall entdeckt. Da sei die Frau zur Polizei gegangen und festgenommen worden. Sie befinde sich in psychiatrischer Behandlung. Aus Ermittlerkreisen heißt, die Tat sei “im Grunde aufgeklärt” – evtl. sogar verjährt.
Und “Bild” hat ein Foto der Frau. Seit gestern vormittag zeigt sie es online. Als Quelle wird der “Bild”-Fotograf Stefano Laura genannt. Nachdem er das Exklusiv-Foto offenbar bei Nachbarn/Freunden/Verwandten beschafft hatte (auch das gehört zu den Aufgaben von “Bild”-Fotografen), war die “Bild”-Redaktion am Zug, musste entscheiden, ob sie die Abgebildete bei der Veröffentlichung unkenntlich macht oder nicht. Und entschied mal wieder: nicht.
Irgendwann im Laufe des Tages jedoch kam jemand bei “Bild” auf die Idee, das Foto auf Bild.de doch noch einmal grafisch nachbearbeiten zu lassen. Das Ergebnis wollen wir nicht zeigen, nur die Methode:
Die Nachbearbeitung fand also offensichtlich nicht aus Menschlichkeit statt, sondern aus unternehmerischem Kalkül: Wer das Foto aus dem Online-Angebot von “Bild” klaut benutzt, zeigt auch gleich die Quelle.
Immerhin: Wir haben verstanden und empfehlen daher allen, die unbedingt private Fotos von sich onlinestellen wollen, dies:
Mit Dank an die Hinweisgeber – und Philipp Neuhaus fürs Symbolfoto.
P.S.: Die gedruckte “Bild” zeigt das Foto der Frau auf der Titelseite und noch einmal groß im Artikel.