1. Ich bin auch müde (sueddeutsche.de, Carolin Emcke)
Carolin Emcke hat eine Entgegnung auf den “SZ”-Artikel über den Pianisten Igor Levit vom 16. Oktober geschrieben. In dem herausragenden Text stecken viele kluge Fragen und Gedanken. Ein Einwurf, den man gerne auch ein zweites Mal liest, weil er nicht nur den konkreten Fall, sondern Grundsätzliches berührt.
2. “Die Zeit” bleibt im Aufwind, dickes Minus für “Die Welt” (dwdl.de, Alexander Krei)
Auch das dritte Quartal bescherte der Print-Branche deftige Minuszahlen. Besonders schwer erwischte es die Zeitungen und Zeitschriften, die ihre Auflage mit kostenlosen Bordexemplaren aufhübschen: Da der Flugverkehr coronabedingt weitgehend zusammengebrochen ist, ging auch die Verbreitung der in Flugzeugen verteilten Exemplare zurück, teilweise dramatisch. Beim “Focus” ging es von über 64.000 Heften im Sturzflug auf gerade mal 408 herunter, ein Minus von über 99 Prozent. Auch die “Bild”-Zeitung hat den Bordexemplar-Effekt zu spüren bekommen. Dort fehlten ebenfalls mehr als 60.000 Exemplare, insgesamt lag das Auflagen-Minus von “Bild” sogar bei fast 200.000, was einem Rückgang von 14 Prozent entspricht.
3. Wer, wenn nicht Google? (spiegel.de, Max Hoppenstedt & Benjamin Bidder & Patrick Beuth & Malin Möller)
Das US-Justizministerium hat eine Kartellklage gegen den Suchmaschinenkonzern Google angestrengt. Damit könnten Alternativen zu Google interessant werden. Die 64-seitige Klageschrift nenne einige davon als Konkurrenten im US-Suchmaschinenmarkt: darunter Bing aus dem Hause Microsoft, das datenschutzfreundliche DuckDuckGo sowie die russische Suchmaschine Yandex. Der “Spiegel” ordnet Eigenschaften und Chancen der Google-Alternativen ein.
4. Jetzt mit Arsch in der Hose (taz.de, Steffen Grimberg)
“USA Today” ist eine der auflagenstärksten Zeitungen in den USA und hat noch nie eine Wahlempfehlung gegeben, obwohl das dort üblich sei. Doch dieses Jahr ist alles anders: “Elect Joe Biden. Reject Donald Trump”, titelte das Blatt. Endlich, findet Steffen Grimberg: “Bei den letzten Wahlen war Trump USA Today zwar auch schon reichlich suspekt. Aber zu einem klaren Bekenntnis fehlte es 2016 noch an Arsch in der Hose.”
5. Corona-Bundeshilfen für privaten Hörfunk (blmplus.de, Lisa Priller Gebhardt)
Private Radiosender leiden in der Corona-Krise unter erheblichen Einnahmeausfällen durch entgangene Werbeeinnahmen. Von bis zu 40 Prozent Umsatzeinbußen ist zumindest in Bayern die Rede. Dort soll es nun neben Geldern aus dem Bundesprogramm Neustart Kultur auch Landeshilfen geben. Die werden wohl dringend benötigt, denn neben dem klassischen On-Air-Geschäft fallen auch Events, Spot-Produktionen für Firmenkunden sowie Konzerte als Einnahmequellen weg.
6. Zäh wie erkaltetes Kaugummi (deutschlandfunk.de, Arno Orzessek, Audio: 4:25 Minuten)
Angesichts des bevorstehenden TV-Duells zwischen US-Präsident Donald Trump und Herausforderer Joe Biden erinnert Arno Orzessek an einige große Redeschlachten der Fernsehgeschichte. Die seien jedoch alle nichts gegen Trump: “Dass man ihm im zweiten TV-Duell mit Joe Biden das Maul per Stummschaltung stopfen will, zeugt von jener tiefen Verzweiflung, die Donalds Schwester Maryanne Trump Barry in unvergängliche Worte gekleidet hat: ‘Das Ändern der Geschichten. Die fehlende Vorbereitung. Das Lügen. Heilige Scheisse.'”
1. Twitter dreht Pro-Trump-Verschwörungskult den Saft ab (netzpolitik.org, Markus Reuter)
Twitter will den rechtsradikalen Verschwörungsideologen rund um QAnon den Nährboden entziehen und hat in den vergangenen Wochen bereits 7.000 Accounts gesperrt. Weitere 150.000 seien von einer Art Reichweitenbegrenzung betroffen. Markus Reuter kommentiert: “Dem US-Präsidenten Trump könnte durch die Maßnahmen auf Twitter eine äußerst aktive User-Basis im Wahlkampf wegbrechen, da es Überschneidungen zwischen seiner Kern- und der Verschwörungsanhängerschaft gibt.”
2. Science Slams: Kampf dem Fachchinesisch (ndr.de, Jürgen Deppe)
Bei sogenannten Science Slams kämpfen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit kurzweiligen und unterhaltsamen Vorträgen um die Gunst des Publikums. Julia Offe organisiert und veranstaltet seit 2009 die verschiedensten wissenschaftlichen Wettstreite in Deutschland. Im Interview mit NDR Kultur spricht sie über Wissenschaftskommunikation und erklärt, warum der Charité-Virologe Christian Drosten ein ausgezeichnetes Beispiel für Wissenschaft auf Augenhöhe ist.
3. Bayernweite Razzia wegen Hasskommentaren im Netz (spiegel.de)
Wie das bayerische Landeskriminalamt mitteilt, habe es bayernweite Durchsuchungen im Rahmen der Initiative “Justiz und Medien – Konsequent gegen Hass” gegeben. Ein lokaler Radiosender habe auf Facebook per Livestream Bilder einer Flüchtlingsdemonstration gezeigt. Daraufhin hätten mehrere bayerische Nutzer und Nutzerinnen strafbare Kommentare geschrieben, welche die Ermittlungen gegen sie ausgelöst hätten.
4. Georg Löwisch: Es ist nicht unsere Aufgabe, Bischofsringe zu küssen (katholisch.de, Steffen Zimmermann)
“Christ & Welt” war ursprünglich eine evangelisch-konservative und lange Zeit sehr erfolgreiche “Wochenzeitung für Glaube, Geist, Gesellschaft”. Nach mehreren Eigentümerwechseln wird sie seit einiger Zeit als Sonderbeilage der “Zeit” fortgeführt. Heute erscheint die erste Ausgabe unter der Leitung des neuen Chefredakteurs Georg Löwisch, der über 20 Jahre bei der “taz” beschäftigt war, zuletzt als Chefredakteur. Im Interview spricht Löwisch unter anderem über seine publizistischen Ziele und seine Haltung: “Unsere Aufgabe ist es, gegenüber der Institution und den Mächtigen in der Kirche streng zu sein. Es wäre, glaube ich, niemandem geholfen, wenn wir den Exzellenzen nur ehrfürchtig ihre Bischofsringe küssen würden.”
5. Wie wir die Welt sehen (journalist.de, Ronja von Wurmb-Seibel)
Die Autorin, Filmemacherin und Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel hat für die “Zeit” geschrieben und ist unter anderem Autorin eines Buchs über Afghanistan, wo sie auch für eine gewisse Zeit gelebt hat (“Ausgerechnet Kabul: 13 Geschichten vom Leben im Krieg”). In ihrem “Blick auf den Journalismus” erzählt sie von ihrem beruflichen Werdegang und ihrer persönlichen Entwicklung: “Je mehr ich mich mit Angst und ihren Folgen beschäftigte, desto besser verstand ich, warum sich meine Art, Geschichten zu erzählen, so grundlegend verändert hatte: Ich sah keinen Grund dafür, die Welt noch negativer darzustellen, als sie ohnehin schon ist. Noch negativer, als wir sie ohnehin schon sehen.”
6. Mallorca: Einige Medien nutzten ein nicht gekennzeichnetes Archivbild für aktuelle Berichterstattung (correctiv.org, Kathrin Wesolowski)
“Focus Online” und Welt.de haben laut “Correctiv” in der aktuellen Berichterstattung ein altes und irreführendes Bild eines überfüllten Mallorca-Strands verwendet. Bei Welt.de illustrierte es die Schlagzeile “Hunderte Deutsche feiern am Ballermann – und missachten alle Corona-Regeln”. Aktuelle Live-Bilder einer Webcam würden jedoch einen weitgehend menschenleeren Strand ohne Strandliegen und Sonnenschirme zeigen.
1. Warum Sebastian Kurz beim EU-Gipfel auf den Fotos in Österreichs Medien so gut aussieht (moment.at, Tom Schaffer)
Wenn der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz auf Fotos eine gute Figur abgibt, liege dies oft an seinem Mitarbeiter, dem Fotografen Arno Melicharek, der seinen Chef und Auftraggeber geschickt in Szene setze. Und daran, dass Agenturen und Redaktionen die Bilder des Kanzleramts-Fotografen nur allzu gern übernähmen, weil es Geld und Aufwand spare: “Wohlgemerkt ist all das kein Fehler von Melicharek, sondern einer von weiten Teilen der österreichischen Medienlandschaft. Die hat nicht nur keine journalistischen FotografInnen mitgeschickt, keine vor Ort beauftragt und viel zu oft auch keine anderen Bilder von anderen Agenturen übernommen, sondern uns dann auch noch (einmal mehr) PR-Fotos als unabhängige Berichterstattung verkauft.”
2. “Bild”, “Welt” und “FAZ” brechen ein, “Zeit” mit Rekord (dwdl.de, Uwe Mantel)
Die Print-Auflagenentwicklung im zweiten Quartal dieses Jahres verlief einmal mehr unerfreulich für viele Verlage: Zum generellen Abwärtstrend sei bei manchen Titeln der coronabedingte Wegfall der “Bordexemplare” hinzugekommen, die kostenfrei auf Flügen verteilt werden. Beim “Focus” seien allein durch den “Bordexemplar”-Effekt über 65.000 Exemplare, nun ja, abhanden gekommen, was das gewaltige Auflagen-Minus von 30,5 Prozent zumindest teilweise erkläre. Auch die Auflagen von “Bild”, “Welt” und “FAZ” seien eingebrochen, während die “Zeit” einen neuen Allzeit-Rekord aufgestellt habe.
3. Mehr als aus der Zeit gefallen (deutschlandfunkkultur.de, Timo Grampes, Audio: 6:51 Minuten)
Bei Deutschlandfunk Kultur geht es um den ersten Kinofilm des Komikers Otto Waalkes aus dem Jahr 1985. “Otto – Der Film” wirke “mehr als aus der Zeit gefallen” und enthalte Szenen, die von vielen als rassistisch empfunden würden. Der Politikwissenschaftler und Menschenrechtsaktivist Joshua Kwesi Aikins erklärt, warum das so sei: “Rassismus soll und muss thematisiert werden. Er darf gerne auch persifliert werden, denn er ist ja nicht nur tödlich und gewaltvoll, sondern auch extrem lächerlich.” Dies müsse jedoch passieren, ohne den Rassismus “einfach nur plump zu wiederholen”.
4. Prozessauftakt gegen Stephan B. – Die Verantwortung der Medien (mdr.de, Roland Jäger)
Gestern hat der Prozess gegen Stephan B. begonnen, der am ersten Prozesstag unter anderem den Anschlag auf eine Synagoge in Halle gestanden hat. Während andere Angeklagte die öffentliche Aufmerksamkeit eher scheuen, wolle der von rechtsextremen Gedanken getriebene B. mit vollem Namen genannt werden und dürfe gern unverpixelt gezeigt werden. Auf diese Selbstinszenierung und politische Vermarktung der Tat sollten sich die Medien nicht einlassen, findet Roland Jäger vom MDR: “Weil er diese Theorien und Einstellungen nach wie vor versucht weiterzutragen, dauert das Attentat an. Es liegt in der Verantwortung von uns Prozessberichterstattern, den Opfern und Betroffenen gerecht zu werden – und die Ansichten des Angeklagten nicht weiterzuverbreiten. Nur so kann das Attentat wirklich enden.”
5. RSF-Quartalsbericht: Hetze und Desinformation (reporter-ohne-grenzen.de)
Dass Brasilien in der Rangliste der Pressefreiheit lediglich auf Platz 107 von 180 Staaten steht, hat laut Reporter ohne Grenzen mit dem sogenannten Bolsonaro-System zu tun: “Während Brasilien so schwer von der Corona-Krise getroffen ist wie kaum ein anderes Land der Welt, sehen sich Journalistinnen und Journalisten mit einer beispiellosen Welle des Hasses konfrontiert. Anfang des Jahres hetzte vor allem Präsident Jair Bolsonaro selbst gegen Medienschaffende, in den vergangenen drei Monaten taten sich vor allem seine Familie, seine engsten Regierungsmitglieder und seine treue Online-Anhängerschaft hervor.”
6. Sommerinterview mit Jörg Meuthen: So besser nicht (ndr.de, Sebastian Friedrich)
“Das Sommerinterview mit Jörg Meuthen ist ein Lehrstück, wie man besser nicht mit einem AfD-Politiker spricht”, so Sebastian Friedrichs Urteil über das 25-minütige Gespräch der ARD mit dem Bundessprecher der AfD. Der Interviewer habe es Meuthen zu leicht gemacht, zu wenig nachgefasst und ihm altbekannte Zitate von Parteikollegen vorgelegt, die ihn zu wenig herausgefordert hätten.
1. Streeck, Laschet, StoryMachine: Vom PR-Plan zum Exit-Rush – ein Update (riffreporter.de, Christian Schwägerl & Joachim Budde)
Die wirtschaftlichen, politischen und sonstigen interessengeleiteten Verflechtungen rund um die sogenannte Heinsberg-Studie des Virologen Hendrik Streeck und das Engagement der PR-Agentur “Storymachine” geben Anlass zu weiteren Diskussionen. Nach ihrem ersten, viel beachteten Text schließen Christian Schwägerl und Joachim Budde mit einem Update an und schildern, was sich in der Woche danach getan hat.
2. «Für den Journalismus als Geschäft sieht es immer schlechter aus» (medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Viele Medienhäuser waren vor der Corona-Krise schon angeschlagen und geraten jetzt in ernsthafte Schwierigkeiten. Wie soll es weitergehen in Zeiten, in denen der werbefinanzierte Journalismus kaum mehr eine Zukunft hat? Sich in die Abhängigkeit von Google und Facebook begeben, einen reichen Gönner suchen oder auf eine stärker werdende zahlende Nutzerbasis hoffen? Es sei eine Situation, bei der die Gewinner vor allem auf der anderen Seite des Ozeans sitzen, wie Adrian Lobe resümiert: “Die Krise unbeschadet überstehen werden hingegen Google und Facebook, die auch in Zukunft das Gros der Werbeeinnahmen absorbieren und den darbenden Medien mit ihrem Almosen ein prekäres Weiterleben ermöglichen.”
3. Das Versteckspiel der AfD (netzpolitik.org, Daniel Laufer & Jan Petter)
Nach Recherchen von Daniel Laufer und Jan Petter werde das neue rechtsradikale Jugendportal “Fritzfeed” offenbar von Angestellten der AfD-Fraktion in Nordrhein-Westfalen betrieben. Einer von ihnen sei sogar als Pressesprecher für die AfD-Fraktion tätig und habe sich am Telefon verleugnen lassen.
4. Wikipedia als Eldorado für PR-Abteilungen (verdi.de, Marvin Oppong)
Vor wenigen Tagen hat der Deutsche Rat für Public Relations der Online-Enzyklopädie Wikipedia eine Rüge erteilt. Für die Leserinnen und Leser sei “nicht auf den ersten Blick erkennbar, ob die Beiträge von den Autoren auf Eigeninitiative oder im Auftrag von Dienstleistern erstellt wurden.” Marvin Oppong nimmt dies zum Anlass, an die Aktivitäten eines Burda-Accounts zu erinnern, der den Wikipedia-Eintrag über den “Focus” in manipulativer Absicht und auf beschönigende Weise bearbeitet habe.
Dazu auch aus unserem Archiv: “Verlagsleitung BILD Gruppe” hübscht “Bild am Sonntag” bei Wikipedia auf.
5. Star der Inszenierung (taz.de, Ralf Leonhard)
Wenn Österreichs Boulevardzeitungen Bundeskanzler Sebastian Kurz als Helden in der Corona-Krise feiern, sei dies kein Wunder, so Ralf Leonhard: “Kurz und seine Regierung danken die Hofberichterstattung mit einem Füllhorn an Sonderförderungen. Aus dem mit 12,1 Millionen Euro dotierten Coronatopf für Printmedien bekommt die Krone mit 2,72 Millionen den üppigsten Happen, gefolgt von den nicht minder Kurz-hörigen Gratisblättern Österreich und Heute (1,81 bzw. 1,82 Millionen).”
Weiterer Lesehinweis: Coronavirus bedroht Pressefreiheit, Österreich rutscht weiter ab (derstandard.at, Doris Priesching).
6. Die Corona-WG (sueddeutsche.de, SZ-Autorinnen und Autoren)
Netflix-Aficionados und Bingewatcher kennen das Phänomen: Manchmal taucht man derart intensiv in die TV-Parallelwelt ein, dass man sich bei den Protagonistinnen und Protagonisten regelrecht zu Hause fühlt. Wie wäre es, wenn man dort gedanklich sein Home-Office aufschlägt? Die “Süddeutsche Zeitung” hat sich bei ihren Autoren und Autorinnen erkundigt, ob zum Beispiel die “Waltons”, die “Gilmore Girls” oder “Better Call Saul” eine wünschenswerte Arbeitsumgebung abgäben.
1. Wie war ich? (republik.ch, Daniel Ryser)
Daniel Ryser hat ein überaus lesenswertes Porträt des “NZZ”-Chefredakteurs Eric Gujer verfasst. Er hat ihn im Schweizer Stammhaus besucht und ist nicht davor zurückgeschreckt, Gujer auch mit unangenehmen Fragen zur wirtschaftlichen Entwicklung zu konfrontieren: “Gujer lächelt das mit einem Kopfschütteln weg, und natürlich kann man durchaus sagen, dass es völlig unwesentlich ist, dass in meinen komplett vernachlässigbaren, in Bubbles erstickenden linken Zeckenkreisen niemand mehr die NZZ liest, weil man es zum Beispiel in einer Welt der Trumps, Erdoğans, Putins, Orbáns, Bolsonaros und Johnsons irgendwann als intellektuelle Beleidigung empfand, wöchentlich erzählt zu bekommen, dass wir offenbar — zumindest in der Wahrnehmung an der Falkenstrasse — kurz vor einer totalitären Diktatur eines queerfeministischen Regenbogens stehen. Aber 30’000 verloren gegangene Print-Jahresabos lassen sich womöglich doch nicht so einfach mit Bubble und ‘lesen einfach keine Zeitung mehr’ schönreden.”
2. Was wird aus der deutschen Redaktion? (deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs, Audio: 4:51 Minuten)
Vergangenes Jahr wurde “Buzzfeed News”-Chef Daniel Drepper noch als “Chefredakteur des Jahres” ausgezeichnet. Heute bangen er und seine Redaktion um die berufliche Existenz. Die “Buzzfeed”-Zentrale will seinen mit Lob und Preisen ausgezeichneten deutschen Ableger abstoßen. Man möchte meinen, dass sich deutsche Medienhäuser um das tüchtige Team reißen, doch die derzeitigen Aussichten seien ungewiss.
3. Rechtsextreme podcasten ungestört bei Spotify (rnd.de, Matthias Schwarzer)
Rechtsextreme haben das Medium Podcast für sich entdeckt — um in der Corona-Krise die Deutungshoheit zu erlangen und um ihre Ideen unters Volk zu bringen. Matthias Schwarzer hat sich angeschaut beziehungsweise angehört, wie die Gruppierung “Ein Prozent” bei ihren Audio-Produktionen vorgeht und welche Köpfe hinter dem Netzwerk stecken.
4. Lotterie: Gewinner dürfen Fragen stellen (verdi.de, Reiner Wandler)
Pressekonferenzen der spanischen Regierung finden derzeit online und vor leeren Stuhlreihen statt. Journalistinnen und Journalisten, die eine Frage stellen wollen, müssen auf eine Art Gewinnspiel hoffen: Nur wer ausgelost werde, könne per Videoschalte auf der Pressekonferenz zu Wort kommen. Dagegen richte sich nun der Widerstand zahlreicher Medienschaffender: Mittlerweile hätten über 400 von ihnen ein Manifest mit dem Titel “Die Freiheit zu fragen” unterzeichnet.
5. Podcasts zwischen Corona-Hype und Spotify-Monopol (medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Corona-Podcasts haben viel für die Akzeptanz des Mediums Podcast getan. Gleichzeitig versuche Spotify, eine marktbeherrschende Stellung zu erreichen, so Nick Lüthi in der Schweizer “Medienwoche”: “Befürchtungen gehen dahin, dass sich Spotify zu einem Gatekeeper entwickelt, vergleichbar mit der Rolle von Google oder Facebook im Netz. Noch ist es nicht so weit, aber Spotify geht den Weg in diese Richtung ziemlich zielstrebig. Dabei profitiert das Unternehmen auch von jenen Produzenten, die ihre Podcasts dort zum Abruf einstellen. Und das sind so ziemlich alle.”
6. “Misstrauen Sie dieser Video-Kolumne!” (uebermedien.de, Boris Rosenkranz, Video: 1:19 Minuten)
“Focus”-Kolumnist Jan Fleischhauer kommentiert die Video-Kolumne von Jan Fleischhauer. Boris Rosenkranz hat eine Video-Collage mit Fleischhauer-Sprech-Schnipseln arrangiert und lässt ihn unter anderem sagen: “Misstrauen Sie dieser Video-Kolumne! Bis irgendwann die Polizei kommt.”
Wenn der Außenminister der USA bei “Bild live” ein Interview gibt, dann ist das selbstverständlich Chefsache.
Julian Reichelt durfte Mike Pompeo ein paar Fragen stellen. Und das hat der “Bild”-Chefredakteur genutzt — größtenteils um seine eigene Agenda abzuspulen: gegen Angela Merkel, gegen Heiko Maas, gegen die Berliner Landesregierung, gegen China.
Das schon mal vorweg: Keine der Fragen, die Reichelt in dem Interview unterbringen konnte, zielte auf mögliche Fehler oder Versäumnisse der US-Regierung in der Corona-Krise und die damit verbundene schlimme Lage in den USA. Keine Frage zu Donald Trumps Herunterspielen der Situation. Keine zu der späten Reaktion des US-Präsidenten auf das Coronavirus. Nicht mal ein vorsichtiges: “Hätte Ihre Regierung irgendetwas besser machen können, Herr Pompeo?”
Stattdessen: reichlich Suggestivfragen im Stile von “Derundder hat dasunddas gegen die USA gemacht. Ist das nicht schlimm?” Und, na klar: die Pflichten von Angela Merkel. Reichelt beginnt das Interview mit dieser Frage:
Amerika hat weltweit die meisten Toten in der Corona-Krise zu beklagen. Gibt es etwas, was das amerikanische Volk in dieser dramatischen Krise von Deutschland erwartet? Was ist Ihre Botschaft an Kanzlerin Angela Merkel?
Was für eine Verknüpfung: “die meisten Toten in der Corona-Krise” in den USA — was soll Angela Merkel jetzt liefern? Mike Pompeo steigt darauf nicht ein. Er lobt Deutschland und die Bundeskanzlerin als “großartige Partner”.
Weiter geht es mit mit Reichelts Frage zum deutschen Außenminister Heiko Maas, denn der hat es doch tatsächlich gewagt, die USA zu kritisieren:
Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat die USA und China in einem Atemzug kritisiert. Er hat gesagt: China hätte zu autoritär auf die Corona-Krise reagiert, die USA hingegen hätten das Problem verharmlost. Macht es Sie ärgerlich, wenn die Diktatur China und die Demokratie USA in einem Atemzug so kritisiert werden?
Was soll Mike Pompeo darauf schon antworten? “Nee, finde ich super”? Stattdessen erzählt er, US-Präsident Trump habe “sehr starke Maßnahmen ergriffen, um unser Volk zu schützen.” Die chinesische Regierung hingegen hätte nicht schnell genug Informationen geliefert. Das sei “natürlich sehr bedauerlich”.
Wenn Reichelt ein wirkliches Interesse an dem Thema hätte, könnte er da natürlich mal nachhaken und anmerken, dass Donald Trump das Coronavirus noch verharmloste, als längst sehr hohe offizielle Infektionszahlen aus China bekannt waren. Macht er in seiner Schoßhundhaftigkeit aber nicht.
Dafür die nächste Suggestivfrage:
Die Berliner Regierung hat den USA sogar Piraterie vorgeworfen, fälschlich vorgeworfen, weil angeblich die USA Masken konfisziert haben sollten auf dem Weg nach Berlin, mussten sich später dafür entschuldigen. Sind Sie besorgt über diese Form von Anti-Amerikanismus in der deutschen Hauptstadt?
Es scheint, als gehe der “Bild”-Chef noch einmal die “Bild”-Aufregerthemen der vergangenen Tage durch, mit dem Ziel, die “Bild”-Positionen durch den US-Außenminister bestätigen zu lassen.
Nachdem Reichelt gefragt hat, ob es nicht eine Möglichkeit wäre, die “Zölle auf amerikanische Produkte in Deutschland oder in der EU zu senken, um die US-Wirtschaft weiter anzukurbeln”, geht es weiter mit der Bestätigung von Feindbildern:
Sie haben es selber gesagt: Diese Krise hat begonnen in Wuhan, China. Braucht es eine globale Debatte darüber, ob der chinesischen Regierung für die massiven Schäden, die weltweit angerichtet worden sind, eine Rechnung präsentiert werden muss?
Mike Pompeo lässt sich darauf nicht ein. Er antwortet (laut “Bild”-Simultanübersetzung), dass es mehr als eine solche “globale Debatte” brauche:
Wir müssen herausfinden: Wie konnte das passieren, um sicherzustellen, dass so etwas nie wieder passiert, oder wir zumindest das Risiko minimieren, dass so etwas je wieder passiert. Das ist wirklich essenziell: Dass wir verstehen, wo dieses Virus herkam, um das Risiko zu minimieren. (…) Es wird wirklich hohe Kosten geben. Und deswegen müssen wir sicherstellen, dass kein Land auf der Welt wieder der Ursprung einer solchen Krise sein kann.
Pompeo sagt nichts zu der “Rechnung” für die chinesische Regierung, nach der Reichelt gefragt hat. Also fragt der “Bild”-Chef noch mal:
Noch einmal: Soll China für diese Schäden, die dort entstanden sind, finanziell aufkommen?
Pompeo antwortet:
There will be a time when the people responsible will be held accountable. I am very confident that this will happen. At the moment, it’s absolutely necessary to focus on the current task in order to systematically restart the American, and then also the global, economy. There will be a time for assigning blame.
Also:
Es wird eine Zeit geben, in der die verantwortlichen Personen zur Rechenschaft gezogen werden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dies geschehen wird. Im Moment ist es absolut notwendig, sich auf die aktuelle Aufgabe zu konzentrieren, um die amerikanische und dann auch die globale Wirtschaft systematisch wieder in Gang zu bringen. Es wird eine Zeit für Schuldzuweisungen geben.
Daraus macht die “Bild”-Zeitung heute:
Bei Bild.de, wo die Redaktion eine englische Version des Artikels, der auch in der gedruckten “Bild” erschienen ist, veröffentlicht hat, klingt das etwas weniger vage:
Die Aussage “China will be liable” hat hat sich die “Bild”-Redaktion ausgedacht.
1. Wohldosierte Panikmache (deutschlandfunk.de, Samira El Ouassil, Audio: 5:03 Minuten)
Samira El Ouassil beschäftigt sich in ihrer Deutschlandfunk-Kolumne unter anderem mit der medienethischen Frage, inwieweit die ständige Berichterstattung über das Coronavirus in Live-Tickern sinnvoll ist: “Tickern ist die mediale Form der Stunde. Es wird über den Virus getickert als handele es sich um ein Fußballspiel von der Dauer einer Präsidentschaftswahl. ‘Bild’, ‘Welt’, ‘Spiegel’, ‘Focus’ haben alle natürlich einen Ticker. Ja, sogar die ‘Superillu’ berichtet minutengenau über die ersten Infektionen in Brandenburg. Es stellt sich die Frage, wie sinnvoll das Vermelden jeder neuen Infektion wirklich ist, denn es vermittelt lediglich eine protokollarische Unmittelbarkeit und inszeniert eher das Informieren, als tatsächlich zu informieren.”
2. Zahlen lügen nicht (journalist.de, Carsten Fiedler)
In der empfehlenswerten Serie “Mein Blick auf den Journalismus” sprechen Mediengrößen über ihre Ideen für einen besseren Journalismus. In der siebzehnten Folge ist Carsten Fiedler zu Gast, der Chefredakteur des “Kölner Stadt-Anzeigers” und vormalige Chef des Boulevardblatts “Express”. Letzteres merkt man ihm noch etwas an: Fiedlers elf Empfehlungen tragen die Namen von erfolgreichen Popsongs.
3. Viel Brunftgebrüll (zeit.de, Daniel Gerhardt)
Als “Härtetest für die deutsche Rapszene” bezeichnet Daniel Gerhardt das Verhalten des Rappers Fler: “Wer den Einsatz von #unhatewomen schmälert oder Flers Drohgebärden verharmlost, überschreitet eine rote Linie, die nicht verhandelbar sein darf. Gerade dort, wo sich Sexismus, Misogynie, Antisemitismus und Gewaltverherrlichung vollkommen unverhohlen zeigen, ist es wichtig, sie zu benennen und dagegen vorzugehen.”
4. “Demokratie ist kein Kaufhaus” (kontextwochenzeitung.de, Susanne Stiefel)
Die Wochenzeitung “Kontext” hat sich mit der Journalistin Anja Reschke unterhalten, die bei der ARD das Magazin “Panorama” moderiert. Im Gespräch geht es um Gleichberechtigung, Antifeminismus und rechtes Gedankengut, um Freude an der Empörung und Besonnenheit.
5. Zoff um Johnsons Hausblatt (taz.de, Steffen Grimberg)
Die für ihren konservativen Grundton bekannte britische Tageszeitung “Daily Telegraph” macht wirtschaftlich schwere Zeiten durch. Die Auflage sei vergleichsweise zusammengebrochen, und das Blatt habe sich der offiziellen Auflagenkontrolle entzogen. Zu alldem sei auch noch eine Familienfehde zwischen den adligen Eigentümern entbrannt, wie Steffen Grimberg in der “taz” berichtet.
6. Fakes bei Joko und Klaas – “Wir haben Hinweise bekommen” (ndr.de, Juliane Puttfarcken, Video: 5:36 Minuten)
“Ich habe gegen meine eigenen Medienidole recherchiert.” Han Park vom Youtube-Format “Strg_F” erzählt, wie es zur Aufdeckung der gefakten Joko-&-Klaas-Videos kam. Ein angenehm unaufgeregtes Gespräch, das nachdenklich macht. Und in dem Han Park anregt, der Frage nachzugehen, was Unterhaltungsfernsehen darf und was es nicht dürfen sollte.
1. Frontex schickt FragDenStaat Rechnung über 24.000 Euro (netzpolitik.org, Arne Semsrott)
Die milliardenschwere EU-Grenzpolizei Frontex hat den wackeren Transparenz-Kämpferinnen und -Kämpfern von “FragDenStaat” einen “Gebührenbescheid” in Höhe von 24.000 Euro zukommen lassen. Es ist anscheinend die Antwort darauf, dass “FragDenStaat” im vergangenen Jahr Frontex erfolglos auf Auskunft zu Mittelmeereinsätzen verklagt hatte. Um die Grenzpolizei zum Einlenken und Storno der Rechnung zu bewegen, wendet sich “FragDenStaat” mit einer Petition an Öffentlichkeit und Frontex-Bürokratie. Von den angepeilten 50.000 Unterschriften fehlten heute morgen nur noch 8.000.
Weiterer Hinweis: Wer den Vorgang in einer Minute erklärt bekommen will, sollte sich auf Twitter das Video von “FragDenStaat” anschauen. Es lohnt schon wegen des Vergleichs der Fahrzeuge in diesem Goliath-versus-David-Konflikt.
2. Wir sind hier (zeit.de)
Als Antwort auf Deutschlands Rassismusproblem lässt “Zeit Online” 142 Menschen zu Wort kommen, die der Hass trifft, darunter auch viele Journalistinnen und Journalisten, Autorinnen und Autoren. Jede Stimme für sich ist lesens- und hörenswert — ob laut oder leise, ob nachdenklich, erschüttert, empört oder verzweifelt.
3. Studie: Hohes Maß an rechtsextremen Einstellungen bei AfD-Wählern (uni-leipzig.de, Susann Huster)
Die AfD ist dafür bekannt, medial besonders polarisierend und tabuverletzend aufzutreten. Im Sinne der Medienwirkungsforschung stellt sich da die Frage: Wählen AfD-Anhängerinnen und -Anhänger die Partei trotz oder wegen ihrer antidemokratischen Positionen? Oft wird diese Frage nur aus dem Gefühl heraus beantwortet, dementsprechend unterschiedlich fallen die Antworten aus. Doch nun hat die Universität Leipzig eine Studie vorgelegt, die den Wählerinnen und Wählern der AfD in allen Bereichen antidemokratischer Einstellungen deutlich höhere Zustimmungswerte attestiert als den Menschen, die andere Parteien wählen. Konkret ging es um die Bereiche Rechtsextremismus, Gewaltbereitschaft, Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit und Verschwörungsmentalität.
Weiterer Lesehinweis: Beim Deutschlandfunk schreibt Matthias Dell über Rechtsterrorismus in den Medien: “Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus sind Phänomene, die bundesdeutsche Medien seit mehr als 50 Jahren völlig überraschend immer wieder neu entdecken. Und immer wieder falsch verstehen müssen — wie sich am aktuellen ‘Spiegel’-Cover zeigt.”
Außerdem empfehlenswert: In Kitsch und AfD — Zur Ästhetik des aktuellen Rechtsradikalismus geht es um den ehemaligen “Focus”-Redakteur und heutigen AfD-Berater Michael Klonovsky, den “zweifelhaften Meister des neuen rechten Kitsches” (54books.de, Peter Hintz).
5. Die sprachliche Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen in den Medien (genderequalitymedia.org)
“Ohne Bild, Focus und Stern würde es ein Drittel weniger gewaltverharmlosende Berichterstattung geben”, so das Ergebnis einer Untersuchung von “Gender Equality Media” (“GEM”) zu Berichten über Gewalt gegen Frauen. In einem detaillierten und grafisch ansprechend aufbereiteten Artikel schlüsselt “GEM” die Teilergebnisse auf. Die Bilanz ist gleichzeitig ein Appell: “Medien sind Teil und Lösung des Problems zugleich. Sie tragen einen Großteil zur Meinungsbildung bei und haben somit auch Verantwortung. Nur wenn Journalist*innen verantwortungsvoll und im Kontext über die systematische Gewalt gegen Frauen berichten und Gewalt als solche benennen und sie nicht verharmlosen, können sie Verbündete für ein Ende von Gewalt gegen Frauen sein.”
6. Flugzeuge, Waschfrauen und rappende Kinder … (twitter.com, Samuel Burri, Video: 0:40 Minuten)
Das ist ganz niedlich: Samuel Burri, Afrika-Korrespondent für das Schweizer Radio und Fernsehen, setzt mehrere Male zum Sprechen an, doch immer wird er gestört — sei es von Flugzeugen, Waschfrauen oder rappenden und tanzenden Kindern.
PS: Burri konnte seinen Beitrag (Video, 2:55 Minuten) irgendwann erfolgreich beenden. Der ist dann zugegebenermaßen weniger lustig, aber dennoch sehenswert: “Jede Woche überfallen Terroristen in Burkina Faso Dörfer, sie morden und vertreiben. Nirgendwo verbreitet sich der Terror so schnell wie in der Sahelzone.”
1. Vorsicht vor “antifaschistischen Rechercheplattformen”! (welt.de, Ricarda Breyton)
Die “Welt”-Politikredakteurin Ricarda Breyton warnt vor “antifaschistischen Rechercheplattformen”: “Im Internet kursierten zuletzt fragwürdige Meldungen über den inzwischen zurückgetretenen Sprecher der Werte-Union sowie den Ostbeauftragten der Regierung. Die wurden in die Nähe von Rechtsradikalen gerückt. Diese Art der Gerüchteverbreitung muss verhindert werden.”
Auf Twitter antwortet der AfD- und Faschismus-Experte Andreas Kemper: “Ausgerechnet die WELT warnt vor antifaschistische Rechercheplattformen? Für die WELT war von 2012 bis 2015 G. Lachmann als Chefreporter in Sachen #AfD zuständig. Seit seinem Rauswurf ist er Medienberater für Höcke. Sie nahm Don Alphonso auf, als die FAZ ihn nicht mehr wollte.” Der Journalist Henrik Merker schreibt: “Antifaschistische Rechercheplattformen liefern Material von Neonazi-Versammlungen, zu denen sich manche @welt-Leute nicht auf 10km rantrauen würden. (…) Dass Journalisten das Material prüfen müssen, bevor sie drüber schreiben, sollte klar sein.” Und ergänzt in einem weiteren Tweet: “Und ne, als potentielle Quelle darf man als Journalist antifaschistische Rechercheplattformen niemals ausschließen, wie das in der @welt gefordert wird. Vielmehr sollte man häufiger mal dort nachschauen, um rechtsextreme Netzwerke frühzeitig erkennen und publik machen zu können.”
2. Trusted Brands: Kündigen Sie das Abo von Steingarts “Morning Briefing” – so wird Ihr Newsletterkonsum klimaneutral (meedia.de, Mike Kleiß)
Gabor Steingart hat in seinem Newsletter “Morning Briefing” vor wenigen Tagen dazu aufgefordert, diverse Zeitungen und Magazine zu kündigen. Mike Kleiß kommentiert ironisch: “Gut, dass der ‘Spiegel’ darauf bisher nicht eingeht, nicht zurückschießt. Etwa mit einem Cover auf dem Steingart als Kapitän zu sehen ist. An Deck der Pioneer One. Mit der Zeile: ‘Kündigen Sie einfach das Abo von Steingarts ‘Morning Briefing’ — So wird wenigstens Ihr Newsletterkonsum klimaneutral.'”
3. Influencer sollen über Produkte “informieren” dürfen (lto.de, Annelie Kaufmann)
Das Bundesjustizministerium hat einen Vorschlag zur Kennzeichnung von Social-Media-Posts erarbeitet. Demnach müssen Äußerungen auf Sozialen Medien nicht als Werbung gekennzeichnet werden, “wenn sie ohne Gegenleistung erfolgen und vorrangig der Information und Meinungsbildung dienen”. Ein möglicher Gesetzentwurf müsse jedoch eng mit der Europäischen Kommission abgestimmt werden.
4. Die 1,4 Milliarden-Dollar-Wette inmitten der Streaming Wars: Wie viel Potenzial hat Quibi? (omr.com, Tobi Bauckhage & Jon Hanschin)
Mehr als eine Milliarde Dollar lassen sich zwei amerikanische Unternehmer angeblich den neuen Streamingdienst Quibi kosten. Auf dem zahlungspflichtigen Kanal soll es Kurzvideos (“Quick Bites”) mit einer Länge von maximal zehn Minuten geben. Zielgruppe: Handynutzer und -nutzerinnen. Tobi Bauckhage und Jon Hanschin erklären, was es mit dem Kurzfilm-Netflix auf sich hat.
5. Wo bleibt die Empathie? (taz.de, Fabian Kretschmer)
Die europäische Berichterstattung über das Coronavirus mache viele Chinesen und Chinesinnen wütend, so der China-Korrespondent Fabian Kretschmer. Der Mangel an Empathie gegenüber der Bevölkerung sei erschreckend. Zumal die derzeitige Situation mit einer Quarantäne für rund 60 Millionen Menschen bislang einmalig und Schuldzuweisungen unangebracht seien.
Es gebe “Verbrechen, die sprachlos machen”, schrieben “Bild” und Bild.de vergangene Woche. Die Vergewaltigung einer 100-Jährigen gehöre dazu. Und dann erst das Urteil des Gerichts:
… titelte Bild.de auf der Startseite. In der Thüringen-Ausgabe der gedruckten “Bild” gab es ebenfalls einen größeren Artikel:
Und in der “Bild”-Bundesausgabe eine Meldung:
(Zu den unterschiedlichen Altersangaben: Bei der Tat war der Mann 18 Jahre alt, bei der Gerichtsverhandlung bereits 19.)
Damit es zu diesem vermeintlichen Justizskandal reicht, muss die “Bild”-Redaktion allerdings manche Details weglassen, andere überbetonen und noch ein bisschen Politik reinrühren.
Die Tat schildern “Bild” und Bild.de so:
Ein damals 18-jähriger Pflegehelfer, der für einen ambulanten Dienst arbeitete, hatte die Aufgabe, eine 100-Jährige in ihrer Wohnung zu betreuen. Als die Seniorin nach dem Baden aus der Wanne stieg, packte der Jugendliche die 100-Jährige, vergewaltigte sie!
“fiel er über sie her”, “packte der Jugendliche die 100-Jährige”, “vergewaltigte sie” — darunter stellt man sich beim Lesen fast unweigerlich einen erzwungenen Geschlechtsverkehr vor. Den gab es in diesem Fall allerdings nicht. Die “Ostthüringer Zeitung” berichtete ebenfalls über den Prozess am Amtsgericht Gera. Redakteur Tino Zippel beschreibt den Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Nachdem die Frau nackt aus der Badewanne gestiegen sei, habe der damals 18-Jährige sie abgetrocknet. Das habe er auch im Brust- und im Intimbereich getan. Dabei sei der Mann mit seinen Fingern in die Frau eingedrungen, was zu erheblichen Schmerzen bei der 100-Jährigen geführt habe. Bei “Focus Online” schreibt Reporter Göran Schattauer:
Im Fall der 100-jährigen Frau war der Angeklagte nach Informationen von FOCUS Online zur Tatzeit vollständig bekleidet und nicht sexuell erregt. (…)
Den Ermittlungen zufolge stand der 18-Jährige zunächst untätig im Bad herum. Dann bat ihn die Seniorin um Unterstützung. Schließlich habe er sie an den Brüsten und zwischen den Beinen abgetrocknet, so der Angeklagte. Vor Gericht gestand er, seine mit einem Handtuch bedeckten Finger in das Opfer eingeführt zu haben. Er habe noch nie eine Patientin abgetrocknet und sei von der Situation völlig überfordert gewesen. Eine sexuelle Motivation des jungen Mannes konnte in der Hauptverhandlung nicht festgestellt werden.
Um eine Vergewaltigung handelte es sich trotzdem. Denn die liegt laut Gesetz auch vor, wenn ein Täter “sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt (…), die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind”.
Zum Urteil schreiben die “Bild”-Medien:
Der Vergewaltiger der 100-Jährigen wird keinen Knast von innen sehen. Er wurde wegen Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses zu einer Jugendstrafe von 22 Monaten verurteilt — auf Bewährung.
Zwar ergänzt die Redaktion noch, dass der heute 19-Jährige die Tat “im Prozess gestanden” habe, aber auch hier fehlen manche Details. Etwa dass der Täter für die gleiche Tat auf jeden Fall einen “Knast von innen” gesehen hätte, wäre er mindestens 21 Jahre alt gewesen. Das Gesetz sieht für eine Vergewaltigung eine “Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren” vor, die dann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann.* Weil der Angeklagte mit 18 Jahren als Heranwachsender galt, wurde bei ihm allerdings das Jugendstrafrecht angewandt. Außerdem war er nicht vorbestraft und hat durch sein Geständnis dem Opfer eine Aussage vor Gericht erspart. Und es hätten “sich in der Hauptverhandlung keine Hinweise ergeben, wonach er zukünftig Sexualstraftaten oder andere Delikte begehen könnte. Der Angeklagte ist nicht mehr in einem Pflegeberuf tätig und hat dies auch künftig nicht vor”, so Göran Schattauer bei “Focus Online”. Der Mann sei einsichtig gewesen.
Die Artikel von “Bild” und Bild.de haben aber auch eine politische Ebene:
Richter am Jugendschöffengericht: Eugen Wagner, früherer Stadtrat der Grünen in Gera, der schon mal für Aufsehen sorgte, als er einen 73-jährigen Schwarzfahrer ohne Bewährung hinter Gitter steckte.
(Die Redaktion bekommt es nicht mal hin, den richtigen Nachnamen des Richters zu recherchieren.)
Die Richtung ist klar: Ein Grüner, der einen schwarzfahrenden Rentner in den Knast steckt, aber einen Vergewaltiger frei rumlaufen lässt.
Auch hier fehlt das eine oder andere Detail: Der damals 73-Jährige war notorischer Schwarzfahrer, mehrere Dutzend Mal wurde er ohne Ticket erwischt. Er war zuvor schon mehrfach verurteilt worden, auch auf Bewährung. Erst später stellte sich raus, dass der Mann an Demenz leidet. Bei dem Vergewaltigungsprozess gegen den Pflegehelfer kommt hinzu: Mit dem Urteil — ein Jahr und zehn Monate auf Bewährung plus 101 Arbeitsstunden sowie ein fünfseitiger Aufsatz über “Die sexuelle Selbstbestimmung der Frau”, den der Täter verfassen muss — lag das Gericht über den Forderungen von Jugendgerichtshilfe und Staatsanwaltschaft.
Der unvollständige Artikel, in denen die “Bild”-Redaktion geschickt Fakten wegließ, verfehlte seine Wirkung nicht: Der dazugehörige Post auf der “Bild”-Facebookseite wurde über 1200 Mal kommentiert, vor allem mit Wut auf den Richter und die deutsche Justiz:
Warum???? Wie kann das sein das er nicht hinter Gitter muss??? Es ist für mich unfassbar wie die Gerichte hier entscheiden… Ergibt keinen Sinn und schon garkeine Gerechtigkeit!! In Amerika wäre er jetzt ewig eingesessen! Hier?? Darf er frei herum spazieren
unsere Richter scheinen unfähig Recht zu sprechen..unfassbar
Manche Richter sollte man unverzüglich vom Dienst freistellen!
Was sind das für Richter, ich bin einfach sprachlos
Bei der Parteizugehörigkeit des Richters wundert mich das Urteil nicht.
Vor allem gibt es Urteile, die noch sprachloser machen !! Ist der Richter vielleicht krank, ganz vorsichtig gefragt
Und auch andere griffen den Beitrag auf. Beispielsweise Martin Sichert, Bundestagsabgeordneter der AfD, verlinkte ihn bei Facebook und schrieb dazu:
Skandalurteile deutscher Gerichte
Bewährung für Vergewaltigung
Gefängnis für Schwarzfahren
AfD-Ortsgruppen und -Kreisverbände, die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung, die Partei Die Republikaner sowie Dutzende Facebook-Seiten mit Namen wie “Baden-Württemberg Patrioten”, “Klartext für Deutschland – FREI statt bunt”, “NRW schaut nicht weg”, “Patrioten – BW Stuttgart” und “Mannheim / freiheitlich-patriotisch-traditionsbewusst” verbreiteten ebenfalls den Artikel.
Die Wut und der Hass blieben nicht nur im Internet. Göran Schattauer schreibt:
Nach Informationen von FOCUS Online ging beim Amtsgericht Gera sogar eine Todesdrohung gegen den 56-jährigen, aus Bayern stammenden Juristen ein.
*Nachtrag, 12. Februar: Ein Leser weist uns darauf hin, dass durch Paragraph 56 des Strafgesetzbuchs durchaus die Möglichkeit besteht, dass auch eine Freiheitsstrafe, die genau zwei Jahre beträgt, unter besonderen Voraussetzungen zur Bewährung ausgesetzt werden kann.