Schon möglich, dass Sven Böttcher, Hans-Jürgen Rösner und Dieter Zurwehme sich über den Besuch des Bundespräsidenten freuen würden, wie “Bild” heute behauptet. Ebenso wahrscheinlich ist es jedoch, dass es den drei wegen mehrfachen Mordes Verurteilten völlig egal sein dürfte, ob Horst Köhler bei ihnen vorbeischaut.
Aber der Reihe nach.
“Bild” echauffiert sich heute großflächig auf der Seite 2 (siehe Ausriss) darüber, dass Horst Köhler sich mit dem Ex-RAF-Terroristen Christian Klar getroffen hat, um sich persönlich ein Bild von ihm zu machen, bevor er über dessen Begnadigung entscheidet. “Bild” schreibt:
Dass sich unser Staatsoberhaupt mit einem neunfachen Mörder getroffen hat, dass er ihn besuchte ist für viele Bürger und Politiker eine unerträgliche Vorstellung!
“Bild” zitiert den bayrischen CSU-Wirtschaftsminister Erwin Huber (“Eine Privilegierung der RAF-Mörder dient nicht dem Rechtsfrieden in Deutschland.”), Bayerns CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber (“Es könnte von manchen wie ein später Sieg der Terroristen gedeutet werden, wenn der Staat so tut, als wären RAF-Mörder die besseren Mörder!”) und CSU-Generalsekretär Markus Söder, der “intern deutlich” gemacht habe, dass eine Begnadigung Klars für Köhler “eine schwere Hypothek” für eine Wiederwahl als Bundespräsident wäre. Außerdem zitiert “Bild” Joachim Zeller (CDU), der Köhler “in diesem Punkt” nicht verstehe — und übrigens angeblich “Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte” sei, in Wahrheit aber seit 2006 bloß noch stellvertretender Bezirksbürgermeister ist.
“Bild” zitiert nicht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und nicht Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), die beide gestern als Reaktion auf die Kritik an Köhler mehr Zurückhaltung in der Debatte und “Respekt” vor dem Amt, der Person und dem Urteilsvermögen des Bundespräsidenten gefordert hatten.
Aber zurück zu den mehrfachen Mördern, zu deren Besuch “Bild” den Bundespräsidenten quasi auffordert. “Bild” schreibt:
IM KLARTEXT: Muss sich der Bundespräsident auch auf den Weg zu anderen verurteilten Mördern machen, wenn sie um ein Gespräch bitten? Könnten sich Killer wie der Gladbecker Geiselgangster Hans-Jürgen Rösner, der 1988 mit seinem Komplizen Degowski einen Bus kaperte (2 Tote), dann wohl auch über einen präsidialen Besuchsdienst freuen?
“Bild” lässt diese Fragen offen. Aber wir können sie beantworten. Und zwar mit einem schlichten “nein”. Denn weder Rösner noch Böttcher oder Zurwehme hätten besonders viel mit dem Bundespräsidenten zu besprechen. Jedenfalls nicht, was eine mögliche Begnadigung angeht. In Paragraph 452 der Strafprozessordnung steht:
In Sachen, in denen im ersten Rechtszug in Ausübung von Gerichtsbarkeit des Bundes entschieden worden ist, steht das Begnadigungsrecht dem Bund zu. In allen anderen Sachen steht es den Ländern zu.
IM KLARTEXT: Der Bundespräsident wäre für Begnadigungen von Böttcher, Rösner und Zurwehme gar nicht zuständig. (was übrigens in einem lehrreichen Text von Heribert Prantl in der “Süddeutschen Zeitung” von heute recht deutlich wird). Sie alle wurden von Landgerichten verurteilt und damit nicht “in Ausübung von Gerichtsbarkeit des Bundes”. Um es mit Prantl zu sagen: “Als ‘Gnadenherr’, wie es so schön heißt, betätigt sich der Bundespräsident nur für Agenten und Terroristen (…).”
Insofern hätte “Bild” ihre Seite 2 heute ebensogut mit einem schönen Foto bestücken können.
Mit Dank an Thomas M., Christian A., Moritz A., Moritz E. und Hariolf B. für die sachdienlichen Hinweise.
P.S.: Der Bundespräsident hat mittlerweile entschieden, dass er Christian Klar nicht begnadigt (wir berichteten). “Der große BILD-TED” zur Frage, ob Köhler Klar begnadigen soll, hat sich damit erledigt. Bitte rufen Sie nicht mehr an!