Suchergebnisse für ‘focus’

Kalkofe, Acta, EVAG

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Das wahre Wulff-Interview”
(sat1.de, Video)
“Kalkofes Mattscheibe” ist nach fast vier Jahren mit einem “Web-Special” wieder auf Sendung. Darin zeigt Oliver Kalkofe das “wahre” Interview, in dem Ulrich Deppendorf (Oliver Kalkofe) und Bettina Schausten (Oliver Kalkofe) Bundespräsident Christian Wulff (Oliver Kalkofe) auf den Zahn fühlen. (Siehe dazu auch “Kalkofe hofft auf ‘Mattscheibe’-Neustart im Netz” bei dwdl.de.)

2. “Lobhudelei in traurig-krächzender Show”
(fr-online.de, Sarah Mühlberger)
“‘Wir haben eine große Künstlerin verloren’, sagte Thomas D, und richtig, damit meinte er Shelly, die gerade im ‘Unser Star für Baku’-Halbfinale ausgeschieden war. Es war eine traurige Sendung, in vielerlei Hinsicht, aber dass statt Yana nun doch Ornella im Finale gegen Roman verlieren wird, hatte damit wenig zu tun.” “Traurig” sind laut meedia.de auch die Zuschauerzahlen der Sendung.

3. “Acta und die Politik des Abgrunds”
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo sieht in den Protesten gegen das umstrittene Handelsabkommen Acta auch einen Protest dagegen, “wie eine unzureichend informierte, wenig diskussionsfreudige Politik sich intransparent von Lobby-Gruppen eine Vorgehensweise diktieren lässt, die mit der eigenen digitalen Lebenswelt überkreuz liegt.” Darin tue sich eine Reihe gefährlicher Abgründe auf: “Es beginnt damit, dass die Art, wie Acta und seine Brüder geboren werden, das ohnehin schon geringe Vertrauen in die Apparate der EU erschüttert. Was angesichts der derzeitigen Probleme des Kontinents gleich nach Überdachung des Mittelmeers das zweitdümmste ist, was passieren kann.”

4. “Im Elend für den Angeklagten”
(sueddeutsche.de, Hans Leyendecker)
Jörg Kachelmann hatte vor dem Oberlandesgericht Köln geklagt, weil unter anderem “Bild” im Detail über einvernehmliche Sexualpraktiken zwischen ihm und seiner Ex-Freundin berichtet hatte, die ihn wegen angeblicher Vergewaltigung angezeigt hatte. Das Gericht entschied, die veröffentlichten Details hätten in keinem Zusammenhang mit dem konkreten Tatvorwurf gestanden, außerdem hätten die Medien wegen der Unschuldsvermutung “zurückhaltend und ausgewogen” berichten müssen. “Übersetzt heißt das: Künftig könnte es für Journalisten riskant sein, aus einer öffentlichen Hauptverhandlung genau zu berichten.”

5. “Hit record”
(salon.com, Kerry Lauerman, englisch)
Salon.com, einer der Pioniere in Sachen Online-Magazine, hat eine erstaunliche Strategie gefunden, seine Ausgaben zu reduzieren: Die Seite produziert ein Drittel weniger Texte als vor einem Jahr — und hat um 40 Prozent höhere Leserzahlen. “It sounds simple, maybe obvious, but: We’ve gone back to our primary mission and have been focusing on originality. And it’s working.”

6. EVAG meets Streisand
(blog.atari-frosch.de)
Wunderwelt Twitter: Die Essener Verkehrs-AG (aktuell 1.193 Follower) “verbietet” dem Satire-Account VRR Fanpage (VRR = Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, aktuell 229 Follower) die Nutzung des Hashtags #evag. Seitdem ist #evag – natürlich – ein Trending Topic.

Burnout, Rudi Assauer, Daily Star

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Mit Journalismus nichts mehr zu tun”
(diepresse.com, Felix Lill)
Ein Interview mit Richard Peppiatt, Ex-Mitarbeiter der britischen Boulevardzeitung “Daily Star”: “Die meisten Storys bewegen sich in Grauzonen. Du lügst nicht, aber du sagst auch nicht die Wahrheit. Ich lernte schnell, bestimmte Fakten zu ignorieren, damit die Story den vorgesehenen Ton traf: Drogen und Einwanderung sind schlecht, Strafen müssen härter werden. In der Regel wurde den Reportern ein Thema samt Standpunkt von oben aufgedrückt.”

2. “Die Magazinmacher leiden unter dem wahren Burnout”
(faz.net, Christian Geyer)
Wie Medien den Burnout zuerst hoch-, und dann wieder niederschreiben. “Und all das, obwohl Burnout im medizinischen Sinne gar keine Diagnose sei, sondern in einem Teil der Fälle nur ein neues Wort für Depression.”

3. “Die Alzheimer-Kampagne”
(medien-monitor.com, Julian Pfahl)
Julian Pfahl versucht, herauszufinden, wie es zu den gleichzeitig erschienenen Beiträgen verschiedener Medien zur Alzheimer-Erkrankung von Rudi Assauer kam. “Es scheint unwahrscheinlich, dass Assauer selbst noch für diese Punktlandung verantwortlich ist, die dem Thema maximale Aufmerksamkeit beschert hat. Laut Focus hat er immerhin den Kontakt zu BILD hergestellt. Verleger Christian Jund vom riva-Verlag hingegen kümmerte sich wohl um den großen Rest.” Was Christian Jund bestätigt (faz.net, Bettina Weiguny): “Die Medien so zu koordinieren war harte Arbeit.”

4. “Wie die BamS eine Guttenberg-Party inszenierte”
(netzpolitik.org)
Ein ungenannter Autor beobachtet einen Fotograf der “Bild am Sonntag” beim “Guttenberg Carnival” in einem Berliner Café.

5. “Medizinberichterstattung: Die Rolle der Pressemitteilungen”
(medien-doktor.de, Marcus Anhäuser)
“Die Qualität der Pressemitteilungen scheint die Qualität der journalistischen Artikel zu beeinflussen. Und zwar im Guten wie im Schlechten. Gute Pressemitteilungen führten zu guten Presseartikeln, während schlechte Pressemitteilungen zu eher schlechten Artikel führten.”

6. “Planet der Nichtigkeiten”
(wahrheitueberwahrheit.blogspot.com, Thomas)
Meldungen aus der Wissenschaft, die dazu dienen “das jeweilige Forschungsfeld attraktiver für finanzielle Förderungen zu machen”.

Punkt 12, Meinungsfreiheit, Borgen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “RTL täuscht die Zuschauer”
(zapp.blog.ndr.de, Tina Schober)
Die RTL-Sendung “Punkt 12” verkauft eine im Herbst 2010 gedrehte und im Juni 2011 gesendete Geschichte als aktuell. “Die Zuschauer werden getäuscht und in die Irre geführt. Fünf Tage lang wird eine Aktualität suggeriert, die so nicht vorliegt. Der Fall ist längst geklärt – seit mehr als einem Jahr!”

2. “Der eisige Hitler”
(reflexion-blog.com)
“Bild” nimmt eine Meldung der Nachrichtenagentur “Ria Novosti” auf und macht daraus eine “Irre Russen-Theorie”: “Aus die­ser merk­wür­di­gen Mit­tei­lung bas­telte die BILD-Zeitung trotz­dem den noch merk­wür­di­ge­ren Arti­kel über Adolf Hit­ler, der ‘im ewi­gen Eis begra­ben sein’ könne. Die Ein­ord­nung, die die Nach­rich­ten­agen­tur vor­nahm, wird dort ver­schwie­gen. Von ‘Mythen’ ist in der BILD-Zeitung nichts zu lesen. Dafür heißt es in Anfüh­rungs­zei­chen: ‘Hit­ler liegt im ewi­gen Eis der Ant­ark­tis begra­ben’. Die­ses angeb­li­che Zitat, das als rei­ße­ri­sche Über­schrift ver­wen­det wurde, fin­det sich aller­dings nicht in der Mit­tei­lung der Nach­rich­ten­agen­tur.”

3. “Schluss mit dem Casting-Wahn!”
(focus.de, Alexander Kissler)
“Castingshows gaukeln uns eine Welt vor, in der sich Unterordnung lohnt – und in der das Denken verzichtbar ist. Hauptsache, man trifft die Töne oder hat die richtigen Magermaße. Hauptsache, man entblößt sich weit genug.”

4. “Noch’n Bild”
(ad-sinistram.blogspot.com, Roberto J. De Lapuente)
Roberto J. De Lapuente macht sich Gedanken über die Meinungsfreiheit: “Gratuliert man zu verunglimpften Mohammad-Zeichnungen, so gratuliere man auch zu gemalten Nazi-Merkels! Das ist der konsequente Imperativ. Regt man sich darüber auf, so liegt einem die allgemeine Meinungsfreiheit nicht besonders am Herzen – oder es geht wieder mal nur um die freie Meinung, die man selbst meint.”

5. “What happened in Vegas”
(harpers.org, englisch)
Ein Dialog zwischen Faktenprüfer Jim Fingal und Autor John D’Agata. “FINGAL: Well, OK… I guess… but this still seems to violate about ten different rules of journalistic integrity. D’AGATA: I’m not sure that matters, Jim. This is an essay, so journalistic rules don’t belong here.”

6. “Borgen, Gefährliche Seilschaften”
(arte.tv)
Seit gestern Donnerstag und bis zum 8. März 2012 strahlt arte jeweils am Donnerstagabend die dänische Politserie “Gefährliche Seilschaften” aus. Während einer Woche sind Folge 1 und Folge 2 online frei verfügbar.

In 80 Fehlern um die Welt (5)

Vom früheren Nationalspieler Andreas Möller ist der Ausspruch überliefert, es sei ihm ein Stückweit egal, bei welchem Verein er als nächstes spiele: “Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien!”

Offenbar arbeitet Möller inzwischen für “Focus Online”:

Italien. Clásico: Real und Özil ausgeschieden. Für die deutschen Fußball-Nationalspieler Mesut Özil und Sami Khedira ist der erste Traum vom Titel nach einem 2:2 (0:2) beim FC Barcelona ausgeträumt.

Wenn Real Madrid gegen den FC Barcelona im sogenannten Clásico spielt, dann natürlich immer noch in Spanien.

Mit Dank an Klaus B.

Nachtrag, 13.35 Uhr: Auch bei 11freunde.de und bei handelsblatt.com fand der Clásico in Italien statt. Sie haben (wie auch “Focus Online”) die dazugehörige Meldung über den Sportinformationsdienst sid bezogen, der allerdings überall “Spanien” geschrieben hatte.

2. Nachtrag, 18.05 Uhr: handelsblatt.com hat die Dachzeile in “Spanischer Pokal” geändert. Bei “Focus Online” steht immer noch “Italien”.

Und 11freunde.de hat sich für diese kreative Lösung entschieden:

Bulgarien: Clásico: Real und Özil ausgeschieden

3. Nachtrag, 27. Januar: “Focus Online” hat die Dachzeile in “Barcelona reicht Remis im Clásico” geändert. Dafür steht beim “Handelsblatt” jetzt wieder “Fußball Italien” über dem Artikel. Wir brechen unsere Beobachtung an dieser Stelle ab.

Bild  

School’s Out

Vor zwei Wochen hat “Bild” ihren Lesern ein Buch ans Herz gelegt:

Tatort Klassenzimmer: Eine Schülerin klagt an. Muslimische Machos schikanieren die christliche Minderheit. "Mono-Kulti" hat "Multi-Kulti" abgelöst. Und die deutschen Lehrer schweigen hilflos.

In vier Folgen zitiert “Bild” die Abiturientin und Jung-Autorin Viviane Cismak damit, dass es kein Schweinefleisch in der Schul-Cafeteria gegeben habe, dass man auf dem Schulhof als “Schlampe” beschimpft wurde, wenn man als 18-Jährige einen Freund hatte, dass die Qualität des Unterrichts an ihrem Gymnasium “noch einmal erheblich” nachließ, wenn die muslimischen Mitschüler im Fastenmonat Ramadan ausgehungert in der Schule saßen und dass Hartz-IV-Empfänger bei Studienfahrten ins Ausland Zuschüsse erhielten.

Wie ist das, wenn mehr als 80 Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund haben? Abiturientin Viviane Cismak (20) beschreibt in “Schulfrust” den Alltag an einem Kreuzberger Gymnasium. BILD druckt Auszüge.

“Auszüge” trifft es ganz gut: Drei Viertel Stimmungsmache gegen Menschen mit Migrationshintergrund, ein Viertel gegen Hartz-IV-Empfänger — die perfekte Mischung für “Bild”. Die erhofften Reaktionen der Leser ließen auch nicht lange auf sich warten, wie “Bild” schon am Tag nach der Veröffentlichung des ersten Teils dokumentierte:

Zu: Tatort Klassenzimmer. Das ist der Fluch des Multikulti, auch wenn es viele Politiker nicht wahrhaben wollen. Spricht man Türken auf diese Probleme an, werden sie einfach abgestritten. Von anderen Glaubensrichtungen verlangen Muslime Toleranz, aber sie selbst sind intolerant. Volker Sch. Großen Respekt vor dieser Schülerin. Ich hoffe nur, sie überlebt, dass sie die Wahrheit sagt. Die Verantwortlichen werden wieder Ausreden finden oder die Schülerin in die rechte Ecke stellen. Holger H. Sehr, sehr gut. Es wird Zeit, die Wahrheit auf den Tisch zu bringen. Mein Sohn ist in einem katholischen Kindergarten, in dem keine christlichen Feste mehr gefeiert werden, aus Rücksicht auf die moslemischen Kinder. In der Klasse meiner Tochter hängt eine türkische Flagge. Wie weit soll das noch gehen? Oliver-Peter H. Es wird langsam Zeit, dass sich unsere Politiker, allen voran die Multikulti-Grünen und die Gabriel-SPD, Gedanken über ein Gesetz zum Schutz der Deutschen ohne Migrationshintergrund machen. Thilo Sarrazin hat doch recht! Ralf Sch. Endlich wagt eine deutsche Zeitung, über die Realität in Deutschland zu berichten! Bernd Sch.

Doch wer gleich loszog, um sich “Schulfrust” zu kaufen und auf eine junge Thiletta Sarrazin gehofft hatte, dürfte von der Lektüre ziemlich enttäuscht worden sein: Von den zehn Kapiteln des Buches handelt gerade eines davon, dass “Sexismus und Chauvinismus [in der Schule] toleriert und mit kulturrelativistischen Theorien erklärt” werde, ein weiteres davon, dass “Kinder von Geringverdienern schlechte Chancen auf eine gute Ausbildung haben”.

Insgesamt geht es in dem Buch eher darum, dass Cismak aus eigenen schlechten Erfahrungen eine Kritik an Lehrern und am Bildungssystem ableitet, die mal berechtigt, mal unberechtigt erscheint. Alle Punkte, die sie aufführt, haben durchaus mediale Aufmerksamkeit verdient — und auch bekommen, als diverse Medien bei Veröffentlichung über das Buch berichteten. Im vergangenen September.

So lange hat es gedauert, bis “Bild” sich des Themas annahm und es als Steinbruch für die eigenen Skandalgeschichten benutzte. Nicht funktionierendes “Multikulti” ist eben immer ein Thema für “Bild”, wohingegen nicht eingehaltene Lehrpläne, willkürliche Notengebung und undurchdachte Schulreformen zwar ein Problem für Millionen Schüler sein mögen, aber kein Thema für diese Boulevardzeitung.

Vor mehr als einer Woche haben wir dem Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, bei dem “Schulfrust” erschienen ist, eine E-Mail mit mehreren Fragen geschrieben. Unter anderem wollten wir wissen, ob die Schwerpunkt-Setzung von “Bild” im Vorfeld klar gewesen sei und was Verlag und Autorin von der Darstellung in “Bild” halten. Wir haben, trotz nochmaliger Nachfrage, keine Antwort erhalten.

Mit Dank an Christopher und Stitch.

ARD  

Das ist doch kein Untergang!

Am Mittwochabend änderte die ARD ihr Programm und zeigte nach den “Tagesthemen” eine 15-minütige Reportage des Bayerischen Rundfunks über die Havarie der “Costa Concordia”. Darin gab es auch Amateurvideos aus dem Inneren des Schiffs zu sehen, zum Beispiel dieses hier:

Da kommt das Wasser schon die Treppe herunter:

Da gestikuliert jemand, womöglich in Richtung des Fluchtwegs:

Noch mehr Wasser, noch mehr Gesten:

Und dann geht’s die Treppe hinab:

Es sind beeindruckende Bilder, nur stammen sie offenbar nicht von der “Costa Concordia” — und schon gar nicht vom vergangenen Freitag. Seit Mai 2009 steht bei YouTube ein Video online, das den “Untergang” der “Carnival Paradise” zeigen soll. (Dass die “Carnival Paradise” nicht untergegangen ist, sondern es sich offenbar um die Fehlfunktion eines Swimming Pools handelte, soll uns an dieser Stelle nicht weiter interessieren, macht die Sache aber auch nicht besser.)

Und so sah das damals aus:

Wir haben beim Bayerischen Rundfunk nachgefragt, wie es zu dieser Verwechslung kommen konnte, und nach intensiven internen Recherchen folgende Erklärung von der Pressestelle erhalten:

Die Kollegen haben vor Ort unter extremen Bedingungen und enormem Zeitdruck die Reportage geschnitten. Natürlich wurden auch Amateurbilder, beispielsweise von Handys, ausgewertet. Es wurden auch Sequenzen von youtube abgedreht. Obwohl die Quellen vor Ort standardgemäß überprüft werden, ist dem Team in diesem Fall ein Fehler unterlaufen, der der extremen Belastungssituation geschuldet ist. Dass eine falsche Sequenz Eingang in den Film gefunden hat, ist sehr bedauerlich. Die Fehlerquelle wird analysiert.

Der Film wurde unterdessen aus der ARD-Mediathek entfernt. Die Reportage soll korrigiert und in der korrigierten Version dem Sender Phoenix zur Verfügung gestellt werden.

Übrigens: Der BR war offensichtlich nicht der einzige Sender, der die Bilder von der “Carnival Paradise” als “Costa Concordia” gesendet hat. YouTube-Kommentatoren weisen darauf hin, das Video auch auf CNN und anderen Sendern gesehen zu haben.

Mit Dank an Thorsten H.

Nachtrag, 20.05 Uhr: Die BR-Reporter hätten es wissen können: Bereits am Mittwochmorgen hatte “Focus Online” ein Video veröffentlicht, in dem es um gefälschte Amateurvideos von der “Costa Concordia” ging — die Szenen von der “Carnival Paradise” waren darin mit ihrem korrekten Datum enthalten.

Mit Dank an Michael N.

Primeur-Korruption, Xinhua, Goldglanz

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Zwischen Mainstream und Volkes Seele”
(faz.net, Harald Staun)
Harald Staun denkt über die “öffentliche Meinung” in der Causa Wulff nach. “Der genervten Öffentlichkeit aber kann man nur raten: Wer den Klatsch aus Bellevue nicht mehr hören will, weil er meint, man müsse ein Amt nur ein Weilchen in Ruhe lassen, damit sein Inhaber es wieder in Würde tragen könne, der sollte einfach nicht mehr jede neue Petitesse anklicken, die im Internet steht. Dann lässt auch ‘Spiegel Online’ das Thema fallen. Ganz automatisch.”

2. “Ausländische Korrespondenten schreiben, was sie von der Causa Wulff halten”
(welt.de)
Siehe dazu auch die Eindrücke von “Focus”-Korrespondenten.

3. “Wir brauchen Haltung”
(tageswoche.ch, Urs Buess, Philipp Loser und Christian Schnur)
Es habe sich eine “Primeur-Korruption” (Primeur = Scoop) in der Schweizer Medienbranche entwickelt, sagt WOZ-Chefredakteurin Susan Boos im ausführlichen Interview: “Da werden Medienschaffende von Interessensvertretern gezielt mit Informationen gefüttert, und die ­betreffenden Journalisten tun dann so, als hätten sie den Primeur selbst erarbeitet.”

4. “Gratis-Meldungen auf Parteilinie”
(dradio.de, Pierre-Christian Fink)
In Afrika hat die dpa drei Korrespondentenbüros – die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua dagegen 26. “Die westlichen Agenturen müssen sich zum Großteil selbst finanzieren. Xinhua hingegen bekommt Geld vom Staat.”

5. “Musik, die keine sein darf”
(taz.de, Thomas Winkler)
Die Musik zwischen den Wortbeiträgen des Deutschlandfunk: “Sie soll nicht berühren, aber auch niemanden aufregen, sie soll im besten Falle keine Emotionen wecken, also absurderweise genau das nicht tun, was sonst als die vornehmste Aufgabe der Musik gesehen wird. Es ist, kurz gesagt: Musik, die keine Musik sein darf.”

6. “Goldglanzrauschende Ballnacht schimmert fantastisch”
(oldenburger-lokalteil.de)
In welche Worte die NWZ den selbst mitveranstalteten Presse- und Opernball in Oldenburg fasst.

Know your Kennedy

Die Kennedys. Um die legendäre, womöglich verfluchte, auf jeden Fall weit verzweigte amerikanische Politdynastie ranken sich auch heute noch Mythen. Und die Medien arbeiten fleißig daran, dass es auch so bleibt.

Den Durchblick kann selbst in der Familie vermutlich niemand behalten: Familienoberhaupt Joseph P. Kennedy, Sr hatte neun Kinder, darunter den US-Präsidenten John F. Kennedy und den Senator Robert F. Kennedy, die beide erschossen wurden. Alle Sechs dieser neun Kinder hatten selbst mehrere Kinder, Robert F. Kennedy sogar derer elf, wobei der erstgeborene Sohn zumeist nach seinem jeweiligen Vater benannt wurde, die weiteren Söhne nach einem ihrer Onkel. (Für Menschen mit abseitigen Hobbys und zu viel Tagesfreizeit hält der Stammbaum sicher viel Freude und Grundlagen für außergewöhnliche Small Talks bereit.)

Die Chance, bei der Genealogie der Kennedys danebenzuliegen, ist also hoch. Lieber würde man als Journalist über die Familie Duck aus Entenhausen schreiben.

Nun hat aber ein Kennedy angekündigt, für den US-Kongress kandidieren zu wollen, und einige deutsche Medien sahen sich verpflichtet, darüber berichten zu müssen.

Aber wer könnte dieser “Joseph P. Kennedy III” genau sein?

AFP hielt gestern folgende Version für plausibel:

Der Enkel des 1963 ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy sei in den letzten Zügen der Vorbereitung für seine Kandidatur und hoffe, dem in den Ruhestand gehenden demokratischen Abgeordneten Barney Frank nachzufolgen.

Die Agentur fügte aber gleichzeitig hinzu:

Joseph P. Kennedy III. ist der Sohn von JFK-Bruder Joseph P. Kennedy II..

Nun kann Joseph P. Kennedy III nicht gleichzeitig Enkel von JFK und Sohn dessen Bruders sein. Tatsächlich ist er deshalb — keins von beidem.

Entsprechend verschickte AFP heute Vormittag eine korrigierte Fassung der Meldung, in der die Familienverhältnisse jetzt einigermaßen geordnet waren:

+++ Berichtigung: Durchgängig heißt es nun richtig, dass Joseph P. Kennedy III. Großneffe (nicht Enkel) von John F. Kennedy ist. Er ist der Enkel von JFKs Bruder Robert F. Kennedy. +++

Die falsche Version findet sich aber noch bei “Focus Online”, “RP Online” hält ein ganz besonderes Mashup von erster und zweiter Fassung bereit.

Auftritt Bild.de:

Mit Joseph P. Kennedy III. (31), Sohn des 1968 ermordeten Robert Kennedy († 42), will wieder ein Mitglied der berühmten US-Dynastie ein politisches Amt übernehmen.

Der junge Staatsanwalt ist ein Großneffe von US-Präsident John F. Kennedy († 46), der 1963 in Dallas erschossen wurde.

Ein 31-jähriger Mann als Sohn eines vor fast 44 Jahren erschossenen Mannes? Ein Großneffe vom Bruder seines Vaters? Um zu bemerken, dass das nicht stimmen kann, muss man nicht mal den Stammbaum der Kennedys studiert haben.

Mit Dank an Jan W. und Felix H.

Nachtrag, 18.55 Uhr: Bild.de hat Joseph P. Kennedy III. zum “Enkel” von JFK umgeschrieben.

Kassensturz

Es kommt selten genug vor, dass ein Medium falsch aus der “Bild”-Zeitung abschreibt, wo doch sonst meist umgekehrt ist. Heute ist aber so ein Tag.

“Focus Online” berichtet:

Im kommenden Jahr wird keine gesetzliche Krankenkasse einen Zusatzbeitrag erheben. Die “Bild”-Zeitung berichtet, sechs Betriebskrankenkassen (BKK) hätten die Abschaffung angekündigt. Bei der BKK Heilberufe entfalle der Zusatzbeitrag aufgrund der Fusion von DAK, BKK Gesundheit und Springer BKK.

Auch ohne Ahnung von der Materie zu haben, könnte die Frage aufkommen, warum denn bitte “aufgrund der Fusion von DAK, BKK Gesundheit und Springer BKK” der Zusatzbeitrag bei der BKK Heilberufe entfallen soll. Tatsächlich macht die BKK für Heilberufe zum Jahresende dicht.

So steht es auch heute in “Bild”:

Die elf gesetzlichen Krankenkassen, die Zusatzbeitrag nehmen, wollen ihn 2012 abschaffen. Durch die Fusion von DAK, BKK Gesundheit und Springer BKK entfällt er dort, sechs BKKen haben die Abschaffung angekündigt, die BKK Heilberufe schließt am 31.12. BILD erfuhr: Auch BKK Hoesch und Publik planen das Aus der Extragebühr.

Mit Dank an Ploegi.

Medien quälen Timoschenko

Am Freitag hatten wir darüber berichtet, dass sich Bild.de darüber empört hatte, dass in der Ukraine ein Video der inhaftierten ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko an die Öffentlichkeit gekommen war, das offensichtlich gegen den Willen der Politikerin entstanden war — und Bild.de dann ein Standbild aus eben jenem Video veröffentlicht hatte.

Wir waren da vielleicht ein bisschen unfair, denn Bild.de war längst nicht das einzige Medium, das diesen intellektuellen Spagat hinbekommen hatte:

Focus.de zeigte ein Standbild unter der Überschrift “Nobel-Zelle für Julia Timoschenko” und brachte dieses bemerkenswerte Satzpaar:

In ukrainischen Medien war am Donnerstag von einer “Nobel-Zelle” im Stil eines Hotelzimmers die Rede. Auch gab es Spekulationen, ob es sich um eine Inszenierung für die Öffentlichkeit handele.

Morgenpost.de und welt.de zitierten Timoschenkos Anwalt Sergei Wlasenko fünf Zentimeter unter einem Screenshot des Videos mit den Worten, einen solchen Film könnten “nur Tiere aufnehmen”, wobei welt.de sicherheitshalber auch noch mal ein paar unkommentierte Ausschnitte des Videos online stellte.

derstandard.at zeigte das Video nicht, verlinkte es aber auf YouTube. Von dort hatten 20min.ch und krone.at (“Intimsphäre verletzt: Ukraine quält Timoschenko mit Video aus Spital”) den Clip direkt eingebunden.

Intimsphäre verletzt: Ukraine quält Timoschenko mit Video aus Spital

Anders als viele andere Medien hatte sich “Spiegel Online” die Mühe gemacht, das Rohmaterial weiterzuverarbeiten, weswegen der Off-Sprecher über das Video jetzt “dieses Video hat in der Ukraine einen handfesten Skandal ausgelöst” sagen kann. Bei euronews.net führt es spätestens dann zu einer gewissen Ironie, wenn der Off-Sprecher die Aufnahmen mit den Worten “die ehemalige Regierungschefin protestiert offensichtlich gegen diese Aufnahmen” kommentiert.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nachtrag/Korrektur: In der ursprünglichen Fassung des Artikels hatten wir Julia Timoschenko als “ehemalige Präsidentin” der Ukraine bezeichnet. Richtig ist, dass sie (zwei Mal) Ministerpräsidentin des Landes war.

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