1. Bekloppte Nachrichten (Adrian Lobe, faz.net)
Für Facebooks Rubrik „Trending Topics“, eine Art Nachrichtenticker, waren bislang News-Kuratoren verantwortlich, doch nun hat der Konzern das fünfzehnköpfige Nachrichten-Team gefeuert und durch einen Algorithmus ersetzt. Eine Maschine sei neutraler als der Mensch, so die Begründung. Doch die ersten Ergebnisse der Algorithmen-Auslese seien eine einzige Katastrophe, berichtet Adrian Lobe in der “FAZ”: Über das Wochenende hätte das Modul ein Video eines mit einem McDonald’s-Sandwich masturbierenden Mannes sowie eine Falschmeldung über die angebliche Entlassung der Fox-News-Moderatorin Megyn Kelly in seine Trending Topics eingespeist. Der Algorithmus wähle Artikel nach bloßer Häufigkeit aus, verifiziere die Inhalte aber nicht. So gerate Facebook zum Durchlauferhitzer von Fake-Nachrichten, die das politische Klima in den Vereinigten Staaten vergiften würden.
2. Die Diktatur, die aus der Kälte kam (krautreporter.de, Martin Schibbye)
Sie interessieren sich für Länderreportagen über Regionen, die schwer zugänglich sind? Dann könnte der insgesamt dreiteilige Bericht des Autors Martin Schibbye und des Fotografs Johan Persson etwas für Sie sein, die ins abgeschottete Eritrea gereist sind. Ganz in die Nähe der nordostafrikanischen Region, in der sie 2011 gefangenen genommen wurden und 438 Tage im Gefängnis verbringen mussten. Am besten lesen Sie zunächst den ersten Teil der Reportage, bevor Sie in den aktuell geposteten Bericht einsteigen.
3. Journalistische Burkini-Selbstversuche: Wer nicht zuhören will (spiegel.de, Margarete Stokowski)
Margarete Stokowski beschäftigt sich in ihrer Kolumne mit den Burkini-Selbstversuchen der Medien. Zahlreiche Journalistinnen hätten sich die Burka übergestreift, ob “Welt”, “Zeit”, “stern.de” oder “Flensburger Tageblatt”. Mehr als etwas peinlicher Journalistinnen-Fasching sei dabei jedoch nicht herausgekommen.
4. „Arrogant und unjournalistisch“ – Jürgen Todenhöfer gewinnt Rechtsstreit mit dem Spiegel, sein Sohn rechnet ab (meedia.de, Frederic Todenhöfer)
Unter dem Titel der “Der Märchenonkel” berichtete der “Spiegel” Anfang des Jahres über den Publizisten Jürgen Todenhöfer und seine Reise zum sogenannten Islamischen Staat. In dem Beitrag kam ein Mitreisender zu Wort, der scharfe Kritik an Todenhöfers Arbeit und Buch äußerte. Todenhöfer ging juristisch gegen den Text vor, mit der Folge, dass der “Spiegel” den gesamten Artikel löschen musste und keine der 14 beanstandeten Passagen wiederholen darf. Todenhöfers Sohn Frederic rechnet auf “Meedia” in einem Gastbeitrag mit dem Hamburger Verlagshaus ab.
5. “Der beste Journalismus ist heute besser denn je” (sueddeutsche.de, Alexandra Borchardt)
Wie glaubwürdig ist die Presse noch? Der britische Medienforscher Rasmus Kleis Nielsen ist überzeugt, dass etablierte Medien durchaus noch Vertrauen genießen. Besonders in Deutschland: “Generell vertrauen die Menschen in Deutschland, den Niederlanden und Skandinavien den etablierten Medien mehr als die in Südeuropa oder den USA. Zwei Variablen beeinflussen das entscheidend: erstens politische Polarisierung. Je mehr Menschen die gegenwärtige Politik ablehnen, desto weniger vertrauen sie den Medien. Zweitens ist das wirtschaftliche Ungleichheit. Je stärker sich Menschen wirtschaftlich abgehängt und in ihren Nöten ignoriert fühlen, umso weniger vertrauen sie den Medien. Das ist nicht überraschend.”
6. Scheint zu klappen: Wie zwei Teenager Nachrichten erfinden und zehntausende Dollar verdienen (onlinemarketingrockstars.de, Martin Gardt)
Fake News sind eine neue Erwerbsquelle. Die jungen Macher der „Hot Global News“ (16 + 19) generieren damit Millionen von Klicks und was für sie viel wichtiger ist: tausende Dollar an Werbeeinnahmen. Doch bevor Sie jetzt auch ins Business einsteigen, überprüfen Sie, ob Sie die notwendige Portion Skrupellosigkeit haben: Die Methoden unterscheiden sich stark von denen eines “Postillon”…
über Dich kursieren die unterschiedlichsten Pressemeldungen. Mal sollst Du ein chinesischer Tourist sein, der aus Versehen in die Mühlen der deutschen Asylbürokratie geraten ist, mal ein urplötzlich verschwundener Asylsuchender. (Sogar beim Namen gibt es Unklarheiten. Die “Bild”-Medien nennen Dich manchmal “Junliang” und manchmal “Jinliang”.)
Zu allem Überfluss hat Dich Bild.de nun zur inoffiziellen Fahndung ausgeschrieben und veröffentlicht, wenn man ihnen glauben mag, Teile des von Dir unterschriebenen Asylantrags. Zusammen mit einem persönlichen Aufruf:
Du kennst Dich wahrscheinlich nicht so gut mit der deutschen Sprache aus, zumal manches auch nur zwischen den Zeilen steht. Wir verraten Dir deshalb, was die Mitarbeiter von Bild.de meinen, wenn sie Dir zeigen wollen, “wie schön Deutschland wirklich ist”:
Wenn Du all das erfahren willst, und zwar am eigenen Leib, dann melde Dich bei “Bild”. Die haben dort sicher schon Dutzende passender Schlagzeilen in der Schublade wie:
“Ein Chinese mit dem Kontrapass”
“Um lei Tung: Dieser Chinese kennt keine Abkürzungen”
“Junliang: Schlitzauge sei wachsam!”
“Kau der Welsch: Der Mann mit dem Mao-am-Anzug”
“Erst kam der Chinese, dann war der Hund weg!”
“Messer-und-Gabel-Allergie: Dieser Chinese isst Fisch nur mit (Fisch)stäbchen.”
Du kannst Dich aber auch statt bei “Bild” bei uns BILDbloggern melden. Wir können Dir zwar aus Zeitgründen momentan nicht zeigen, “wie schön Deutschland wirklich ist”, haben aber Tippsparat, was man machen kann, wenn die “Bild”-Zeitung unangekündigt bei einem vor der Tür steht.
Als vergangenen Freitag die ersten Eilmeldungen aus München über die Agenturen gingen, war die Lage einigermaßen unübersichtlich. Klar war eigentlich nur, dass es Schüsse am Olympia-Einkaufszentrum gegeben hatte, es vermutlich mehrere Tote gegeben hatte und die Polizei im Großeinsatz war.
Am Montag hatten sich viele offene Fragen vom Wochenende geklärt, und Julian Röpcke und Antje Schippmann konnten sich bei Bild.de an eine Art Meta-Analyse der Ereignisse machen.
Doch war der Polizeieinsatz und vor allem das Kommunikationskonzept der Polizei wirklich so gut, wie die Politiker behaupten?
Röpcke und Schippmann nutzen zur Beantwortung der Frage ein streng wissenschaftliches Konzept, das darauf beruht, den Kenntnisstand vom Montag mit dem vom Freitagabend abzugleichen:
Tatsache ist, dass es genau einen Schützen gab, der an einem Ort in der Stadt — rund um das Olympia-Einkaufszentrum, den nahen Mc Donald’s und das angrenzende Parkhaus — seine Tat beging. Trotzdem ging die Einsatzleitung der Polizei Falschmeldungen und Gerüchten auf den Leim, sprach lange von mehreren Tätern “mit Langwaffen” und unterschiedlichen Tatorten in München.
Statt “auf den Leim” hätten die beiden auch “nach” schreiben können, aber das hätte ja angedeutet, dass die Polizei diese Falschmeldungen und Gerüchte ordnungsgemäß überprüft hätte, und hätte auch gar nicht so herablassend geklungen.
Bereits am Freitag hatte Julian Röpcke, unter Zuhilfenahme des Buchs “Onlinesprache — So chatten die Jugendlichen heute” von 1998, auf Twitter seinem Unmut Ausdruck verliehen, dass die Münchener Polizei nach zahlreichen Gerüchten über weitere Tatorte sicherheitshalber mal in der ganzen Stadt davor gewarnt hatte, vor die Tür zu gehen:
Über den ganzen Abend hinweg gab es eine Vielzahl von Gerüchten, unbestätigten Meldungen und neuen Horror-Geschichten — beispielsweise über weitere Schützen im Zentrum der Stadt und der U-Bahn. Dies war wohl größtenteils der Panik der Betroffenen zu verdanken — und auch der Präsenz Hunderter schwer bewaffneter Sicherheitskräfte, die Passanten irrtümlich für Attentäter hielten. Soweit so verständlich.
Doch, dass sich die Münchener Polizei mit ihrer enormen internationalen Reichweite bei Twitter an der Verbreitung solcher — im Rückblick falscher — Meldungen über eine “Schießerei in der City” und “unconfirmed reports of more violence” (unbestätigte Berichte über mehr Gewalt) beteiligte, hat sicher nicht zur Stabilisierung der Lage beigetragen, sondern im Gegenteil die Lage noch zusätzlich verschärft.
Nun ist es “im Rückblick” leicht, das Verhalten der Polizei zu kritisieren, aber Röpcke zielt auf Twitter und in dem Artikel haarscharf am Thema vorbei: Die Polizei hat sich ja nicht im direkten Sinne an der “Verbreitung” der Gerüchte “beteiligt”, sondern darauf hingewiesen, dass ihr diese Gerüchte bekannt seien, und den Menschen geraten, sicherheitshalber zuhause zu bleiben.
(Es ist übrigens relativ sicher, dass Röpcke diese Differenzierung nicht verstehen und “keinen Sinn” darin erkennen wird — das hat er nämlich am Donnerstag schon nicht.)
Hätte die Polizei einfach mal auf “Bild” gehört, denn dort vermuteten sie schon früh, dass es keine weiteren Täter gab:
Auch darum orderte man immer weitere Einheiten in die Stadt, inklusive der Spezialeinheit GSG-9 und Polizeikräfte aus anderen Bundesländern. “Besser zu viel als zu wenig”, argumentierten später viele. Ob die Polizei aber tatsächlich einen Überblick über die Lage behielt und 2300 Polizisten zur Sicherung eines Tatorts und Ausschalten eines 18-Jährigen notwendig waren, bleibt unklar.
Man kann sich ausmalen, wie die Reaktion von Bild.de ausgefallen wäre, wenn zu wenige Polizisten im Einsatz gewesen wären. Aber auch ohne das Wissen im Nachhinein bleibt dieser Absatz perfide: Die Polizei hatte zum Beispiel schon relativ früh erklärt, warum sie von einer “akuten Terrorlage” gesprochen hatte:
Dazu sagte der Sprecher: “Wir gehen insofern von einem Terroranschlag aus, als wir mit unseren Maßnahmen bei dieser Annahme die höchstmögliche Wirkung erzielen und wir lieber zu viel als zu wenig Personal auf der Straße haben. Wenn sich herausstellt, dass es einen anderen Hintergrund hatte, haben wir den worst case auch abgedeckt.”
Und Sätze, die auf “… bleibt unklar” enden, sind natürlich eh ein journalistischer Offenbarungseid: Röpcke und Schippmann wissen es also selbst nicht — aber Hauptsache, sie haben es der Münchener Polizei mal so richtig gezeigt. Oder zumindest ein bisschen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich ist es legitim, das Vorgehen der Polizei in Frage zu stellen — auch, oder gerade besonders, wenn dieses Vorgehen und der Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins von Politikern und Medien überall gefeiert werden. Und vermutlich ist die Polizei selbst am zerknirschtesten darüber, dass sie “mitten in der Nacht zwischen 3:05 und 3:18 die Verletztenzahl erst mit 21 angab und dann auf 16 herunter korrigierte”, wie ihr Bild.de auch noch vorwirft.
Aber die “Fragen über Fragen”, die Röpcke vollmundig auf Twitter ankündigte, bleiben überwiegend unbeantwortet. Die Antwort auf die großspurige Frage “Wie erfolgreich war die Polizeiarbeit wirklich?” bleibt auch Bild.de schuldig. Es “bleibt” eben “unklar”.
1. “Le Monde” zeigt keine Bilder von Terroristen mehr (sueddeutsche.de)
Die “SZ” informiert über die neue Berichterstattungspraxis der französischen Tageszeitung “Le Monde”. Diese wolle zukünftig keine Bilder mehr von Terroristen veröffentlichen und auf die Wiedergabe von IS-Propagandamaterial verzichten. So wolle man “eventuelle Effekte der posthumen Glorifizierung” vermeiden.
2. Massenhafte Haftbefehle gegen Journalisten (reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” berichtet über die neue Verhaftungswelle gegen Journalisten in der Türkei. In den vergangenen Tagen habe die türkische Justiz gegen rund 90 Medienschaffende Haftbefehle erlassen, einige davon seien bereits vollzogen. “RoG”-Geschäftsführer Mihr dazu: “Die massenhaften Haftbefehle der vergangenen Tage zielen unmissverständlich darauf, unbequeme Journalisten mundtot zu machen. Das Versprechen der Regierung in Ankara, trotz des Ausnahmezustands Grundrechte wie die Pressefreiheit zu achten, ist offensichtlich keinen Pfifferling wert. Die Hexenjagd auf kritische Journalisten in der Türkei muss sofort aufhören.”
3. „Die postredaktionelle Gesellschaft“ (taz.de, Amna Franzke)
Der Medienethiker und Theologe Alexander Filipović ist Inhaber des deutschlandweit ersten Lehrstuhls für Medienethik. Seine Schwerpunkte: Die Ethik digitaler Öffentlichkeiten und die Zukunft des Journalismus. Amna Franzke hat sich mit dem Medienethiker über Öffentlichkeit, Tempo, Verantwortung und die “redaktionelle Gesellschaft” unterhalten, von der wir weit entfernt seien: “Die redaktionelle Gesellschaft ist als Utopie zu verstehen: Alle Leute können kompetent über die Folgen ihrer öffentlichen Kommunikation nachdenken und danach handeln. Faktisch erleben wir das Gegenteil: die postredaktionelle Gesellschaft. Wir haben keine Redaktionen für unsere öffentliche Kommunikation. Wozu das führt, haben wir nach dem Attentat in Nizza gesehen und jetzt in München. Die Menschen halten ihre Kamera drauf und verbreiten Fotos, Videos und Falschmeldungen rasend schnell.”
4. Richtungsstreit in der VG Wort (irights.info, Henry Steinhau)
Laut “irights.info” entwickelt sich in der VG Wort ein Tauziehen darum, wie es mit der Verwertungsgesellschaft weitergehen soll. Autoren würden sich gegen die Verlegerbeteiligung wenden und einen Umbau der Mitbestimmung fordern. Auf der anderen Seite würden Vorstand und Verlage den Gesetzgeber drängen, die Verlegerbeteiligung zu legalisieren. Auslöser des Streits ist das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH), das die Rechtswidrigkeit der Verlegerbeteiligung an den Autorenvergütungen feststellte.
5. Forderung nach Nachrichtenkanal − ARD: Können schnell reagieren (newsroom.de)
In den letzten Tagen tauchten immer wieder Forderungen nach einem neu einzurichtenden Nachrichtenkanal der Öffentlich-Rechtlichen auf, der rund um die Uhr berichtet. Nun hat sich der Gründungsintendant des Deutschlandradios, Ernst Elitz, in die Diskussion eingeschaltet und schließt sich dieser Forderung an.
6. „Schmähkritik“: Krah fordert Unterlassung von „DNN“ (flurfunk-dresden.de, Dirk Birgel)
Laut dem Dresdner Medienblog “Flurfunk” hat der Dresdner Anwalt und CDU-Kreisvorstandsbeisitzer Maximilian Krah den “Dresdner Neueste Nachrichten” ein Anwaltsschreiben zukommen lassen, in dem er Gegendarstellung, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz fordert. Krah hatte während des Münchner Amoklaufs einen (mittlerweile gelöschten) Tweet abgesetzt, der für bundesweite Kritik sorgte.
7. Antwort auf Mario Barths jüngste “Medienkritik” (facebook.com, Lorenz Meyer)
Mario Barth hat sich mit einer Kritik an den “Medien” (Anführungszeichen von ihm) zu Wort gemeldet. Anlass sind die Reaktionen auf seinen vorherigen Facebook-Post (“Es wird immer schwieriger zu schreiben, wie man etwas empfindet, da man entweder dann ein “Hetzer”, ein “Angstverbreiter”, ein “Natzi”, ein “Publizist” oder ein “Idiot” ist.”) Nach einer ersten Reaktion, hat 6vor9-Kurator Lorenz Meyer nun einen Antwortbrief an den Comedian verfasst. Um besser verstanden zu werden, in der Sprache des Bühnenkünstlers, also auf “MarioBarthinisch”.
1. OEZ und ein Abend mittendrin… (blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz ist ein bekannter Journalist und Medienprofi. Und seine Münchner Wohnung liegt in der Nähe der U-Bahn-Station Olympia-Einkaufszentrum. Kein Wunder, dass er in den Stunden des Geschehens ein gefragter Interviewpartner und für mehrere Stunden bei “BBC World” und “Deutsche Welle TV” on air war. Jakubetz schreibt auf seinem Blog über seinen persönlichen Zwiespalt bei der Bewertung des Geschehens. Und geht selbstkritisch mit sich ins Gericht, weil er trotz des Bemühens um journalistische Sorgfalt auch Dinge verbreitet habe, die sich später als Falschmeldungen herausgestellt hätten: “Jetzt, mit dem Abstand von einer paar Stunden, weiß ich nicht mehr, warum ich diese Meldungen abgesetzt habe, ohne sie gegenzuchecken. Allerdings, ohne dass das eine Ausrede sein soll: Man steht da plötzlich mehr oder weniger unvorbereitet und Radio- und TV-Stationen aus der ganzen Welt wollen von dir im Minutentakt etwas Neues haben. Ernsthaft hätte ich nicht mehr sagen können außer: Es gab eine Schießerei, es gibt wohl Tote, nein, wir wissen nichts über den oder die Täter. Aber so kann man natürlich keine Live-Schalte bestreiten und außerdem: Ich war an dem Abend beides, Betroffener und Journalist. Und ich habe an mir selbst festgestellt, wie groß mein Bedürfnis nach irgendwelchen Informationen ist, wie ich alles aufgesaugt habe ohne jegliche professionelle Distanz. Wie soll man auch distanziert und ruhig bleiben, wenn in deiner Nachbarschaft neun Menschen erschossen werden?”
2. Unverantwortliche Angstmacherei mit «Terror» (infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Der Schweizer Journalist und ehemalige Fernsehmoderator Urs P. Gasche bezeichnet die vielen Terror-Schlagzeilen in Zusammenhang mit dem Amoklauf in München als unverantwortliche Angstmacherei: “Die unbedarften, aber quotenbringenden Schlagzeilen dienen in den meisten Ländern Westeuropas der extremen Rechten. Je stärker die verbreitete Angst, je grösser die gefühlte Unsicherheit, je intensiver das Gefühl, dass die heute Regierenden den Terror nicht in den Griff bekommen, desto grösser das Echo auf Rufe nach der starken Partei, dem starken Mann oder der starken Frau. Desto bereitwilliger akzeptiert eine Bevölkerung den Ausnahmezustand, die totale Überwachung und eine polizeiliche und militärische Aufrüstung.”
3. Der Amoklauf von München – so war es in einer Nachrichtenredaktion (michael-draeger.com)
Michael Draeger ist Journalist und arbeitet als Nachrichtenredakteur beim NDR. Von der Schießerei im Olympiaeinkaufszentrum in München erfährt er bei der Arbeit: Draeger ist an dem Abend für die Spätnachrichten bei “N-JOY ” und “NDR2” eingeteilt und muss aus einem Wust an verschiedenen und teils widersprüchlichen Informationen herausfiltern, was stimmt. Am Ende seiner Schilderung über den besonderen Arbeitstag bricht Draeger eine Lanze für das Medium Radio: “Wer im Breaking-News-Fall statt dem stetigen Nachrichtenfluss kompakte und verlässliche Informationen sucht, der sollte stattdessen Radio hören. Sie verpassen nichts Wichtiges, versprochen. Gleichzeitig ersparen Sie sich jede Menge Spekulationen, Gerüchte und Halbgares. Auch mit gefälschten Bildern müssen Sie sich nicht herumschlagen.”
4. fiene & dann lasst uns auf text umschalten (danielfiene.com)
Journalist Daniel Fiene ist zu Hause, als er von einer möglichen Schießerei in München erfährt. Nach Rücksprache mit den Kollegen vom Newsdesk fährt er kurzerhand zurück in die Redaktion, um dort bis tief in die Nacht zu arbeiten. Fiene ist Social-Media-Profi und Fan von Tools wie Periscope und Facebook Live. Dennoch fragt er sich, ob das Veröffentlichen von Bildern und Videos immer zweckdienlich sei. “Ich nehme mir auf jeden Fall vor, bei künftigen extremen Nachrichtensituation —egal ob nah dran, oder beobachtend— auf meinen eigenen Accounts in den Textmodus zu wechseln. Es gibt Leute, die das schätzen werden und Leute, die das schätzen lernen werden und vielleicht den Textmodus auch für sich entdecken. Wir können Vorbild sein.”
5. Das Vielfache von Entsetzen (fraumeike.de, Meike Lobo)
Meike Lobo schreibt über den Impuls, bei schlimmen Ereignissen in die Timeline der sozialen Medien abzutauchen. Aus dem Bedürfnis nach Informationen, aber auch, um die Nähe von anderen zu suchen. Meike Lobo fragt sich, welchen Sinn es habe, immer wieder hektisch auf Aktualisieren zu klicken und beantwortet diese Frage für sich, indem sie irgendwann Twitter abschaltet: “Gruppendynamik bedeutet nichts anderes als dass wir Dinge sagen, tun und fühlen, weil andere sie auch sagen, tun und fühlen. Das Handeln der Allgemeinheit begründet das Handeln des Einzelnen. Menschen sind soziale Wesen; sich nach anderen zu richten, ist normal, natürlich und in vielen Fällen sinnvoll. In aufgeregten Zeiten aber, das hat der gehetzte Eilmeldungsjournalismus der letzten Jahre genauso gezeigt wie die Erfolge der AfD, macht Gruppendynamik genau eines: die Menschen noch aufgeregter. Denn das Vielfache von Entsetzen ist nicht Trost, sondern Panik.”
6. Wie die deutschen Medien Udo Ulfkotte die Wahrheit über München verschwiegen (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Udo Ulfkotte hat den Bestseller “Gekaufte Journalisten” geschrieben und ist bekannt für seine vielen Geschichten über die “Lügenpresse”. Auch am Abend des Amoklaufs wittert er eine Verschwörung der deutschen Medien und fragt auf Facebook: “+++ Wieso muss ich ausländische Zeitungen lesen, um aus LONDON zu erfahren, was wirklich gerade in München los ist +++ mindestens 6 Tote , die Zahl meldet noch KEIN deutscher Journalist …++”. Stefan Niggemeier dokumentiert auf “Übermedien” mit zahlreichen Beweisfotos, warum dies Mumpitz ist.
1. Hoax: Wie erkenne ich Falschmeldungen? (digitalcourage.de)
Immer wieder werden Falschmeldungen im Internet lanciert, die teilweise jahrelang die Runde machen. Ob über E-Mail oder Messenger, als Tweets oder auf Webseiten. Doch wie erkennt man, dass es sich um ein falsches Digitalgerücht (“Hoax”) handelt? Der sich für “Grundrechte, Datenschutz und eine lebenswerte Welt im digitalen Zeitalter” engagierende Verein “Digitalcourage” listet die Indizien auf, die für einen Hoax sprechen könnten und gibt Tipps für einen Faktencheck. Damit man sich “hinterher nicht auslachen lassen muss, weil man irgendeinen Unsinn geglaubt und weitergegeben hat.”
2. Die Schlacht um die Netzneutralität ist geschlagen und wir Journalisten haben es versemmelt (djv-bw.de, Peter Welchering)
Beim Thema Netzneutralität haben die Netzaktivisten trotz einer groß angelegten Petition anscheinend die entscheidenden Schlachten verloren. Es gelang nicht, eine breitere Öffentlichkeit für das Thema zu interessieren. Journalist Peter Welchering lastet dies in seinem Zwischenruf vor allem seinen Berufskollegen an. “Nicht selten steckte da die mangelnde Bereitschaft dahinter, sich mit technischen Fragen auseinanderzusetzen. Unschöne Erinnerungen an den Mathematikunterricht längst vergangener Tage waren da leider allzu oft Triebfeder des Nicht-Handelns. Also müssen wir Journalisten mit dem Vorwurf vieler Internet-Ingenieure leben: Das mit der Netzneutralität haben wir Journalisten versemmelt. Und wir haben keine Entschuldigung dafür.”
3. 100 Jahre Elektrischer Reporter: So geht es weiter (sixtus.net, Mario Sixtus)
Mario Sixtus feiert das zehnjährige Jubiläum des “Elektrischen Reporters”. Knapp 200 Folgen des Kurzmagazins rund ums Digitale entstanden bis zur aktuellen Sendung, die zugleich die letzte Sendung ist. Doch keine Sorge: “Aber das ist mitnichten das Ende des Elektrischen Reporter, im Gegentum! Künftig werden wir unter diesem Label für ZDFinfo Dokumentarfilme zu Digitalthemen produzieren. Die Zeiten haben sich geändert, vierminütige Beiträge werden dem Digitalen des Jahres 2016 einfach nicht mehr gerecht. Deswegen werden es künftig 45 Minuten sein. Zwei dieser Filme befinden sich bereits im Stadium der Vorproduktion.”
4. Wenn der IS Anschläge adoptiert (zeit.de, Yassin Musharbash, Video, 5:05 Min.)
Der für das Investigativressort der “Zeit” tätige Journalist Yassin Musharbash spricht über die Probleme bei der Täterzuschreibung nach Attentaten. Die Anschläge von Orlando, Nizza und Würzburg seien beispielsweise von der IS-nahen Medienstelle Amaq dem IS zugeschrieben worden. Musharbash sortiert und bewertet die verschiedenen Aspekte und rät zum Schluss zu Skepsis und sorgfältiger Prüfung. Auch, wenn dies Zeit koste: “Alleine, weil der IS etwas behauptet, ist es noch nicht wahr. Es ist oft wahr, es ist aber oft auch nur halbwahr. Und dann gilt es auch die Ermittlungsarbeiten der Sicherheitsbehörden abzuwarten, was sich in Übereinstimmung bringen lässt. Und ehrlich gesagt: Dann dauert es halt eine Woche, bis wir wissen, ob Amaq und der IS die Wahrheit gesagt haben.”
5. 21.07.1816 – Geburtstag von Paul Julius Reuter (wdr.de, Ronald Feisel, Audio 14:36 Min.)
Mit vierzig Brieftauben überbrückte Paul Julius Reuter 1849 die Telegrafen-Lücke zwischen Aachen und Brüssel. Was so klein begann, sollte später Milliarden wert sein: Die nach Reuter benannte Nachrichtenagentur wechselte im Jahr 2007 für stolze 13 Milliarden den Eigentümer und ist nun im Besitz der kanadischen Thomson-Gruppe. In “WDR-Zeitzeichen” geht es um den umtriebigen Agenturgründer und die bewegte Unternehmensgeschichte.
6. Regeln gesucht (uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Es gibt Sendungen, in denen regelmäßig medienunerfahrene Menschen mit oft geringem Bildungsgrad vor den Augen der Fernsehnation lächerlich gemacht werden. “Schwiegertochter gesucht” von RTL ist ein derartiges Format. Nachdem Jan Böhmermann („Neo Magazin Royale“) RTL einen falschen Bewerber untergejubelt hatte, gelobte der Sender Besserung. Nun hat man mit der Niedersächsischen Landesmedienanstalt „eine Reihe von Vorgaben zur Auswahl und Präsentation der Bewerber“ vereinbart. Boris Rosenkranz hat sich die Angelegenheit näher angeschaut und nachgefragt. (Um es positiv auszudrücken: Fans des unappetitlichen Demütigungs- und Voyeurformats mit ihren über den Tisch gezogenen und als skurril-schaurige Jahrmarktsattraktionen vorgeführten Mitwirkenden, brauchen sich keine allzu großen Sorgen um ihre Lieblingssendung machen.)
Wissenschaftler der Columbia University und des staatliche französischen Forschungsinstituts Inria haben neulich untersucht, wie sich Nachrichten in Sozialen Netzwerken verbreiten. Zusammengefasst sagt ihre Studie “Social Clicks: What and Who Gets Read on Twitter?” (PDF): 59 Prozent der Links, die Leute bei Twitter retweeten, wurden von der Person, die sie verbreitet, zuvor nicht gelesen. Oder anders gesagt: Für viele reicht eine knackige Überschrift, um einen Link bei Twitter verbreiten zu wollen.
Scientists have discovered a massive asteroid that is on course to hit the Earth next week, and are scrambling to find a way to divert the object.
The asteroid has been named 2016-FI and measures approximately 1 km across. If it strikes a populated area is could wipe out entire cities and potentially devastate an entire continent or … nah. I’m totally messing with you. There’s no asteroid (at least not about to strike next week).
But there is a new study by computer scientists at Columbia University and the French National Institute that has found that 59 percent of links shared on social media have never actually been clicked, meaning that most people who share news on social media aren’t actually reading it first. […]
RTFA, of course, and don’t share things you haven’t read. Being informed is being responsible.
Bei “Focus Online” muss jemand auf Bromsteins Text gestoßen sein. Idee geklaut, kurzerhand übersetzt und schnell einen eigenen Artikel veröffentlicht:
Wissenschaftler haben kürzlich einen Asteroiden entdeckt, der sich auf Kollisionskurs mit der Erde befindet. Nun versucht man herauszufinden, wie die Katastrophe abgewendet werden könnte. Ein Einschlag könnte einen ganzen Kontinent verwüsten.
Wissenschaftler haben einen massiven Asteroiden von einem Kilometer Durchmesser entdeckt, der in der kommenden Woche die Erdumlaufbahn kreuzen könnte. Solche und vergleichbare Nachrichten erregen Aufmerksamkeit und werden im Netz tausendfach geklickt.
Allerdings haben Wissenschaftler der Columbia Universität und des Französisch Nationalen Instituts nun herausgefunden, dass 59 Prozent der geteilten Links in den sozialen Netzwerken nur in den seltensten Fällen angeklickt werden. Das bedeutet, dass sich die meisten Menschen geteilte Neuigkeiten zuvor gar nicht richtig durchlesen und sie einfach blind teilen. […]
Es ist also ratsam einen Artikel zunächst aufmerksam zu lesen und erst dann zu teilen oder sich an einer Diskussion zu beteiligen. Informiert sein heißt nämlich auch Verantwortung übernehmen.
Die Redaktion hat sich auf ihrem Raubzug nicht mal die Mühe gemacht, sich einen eigenen Namen für den Fantasie-Asteroiden auszudenken.
Blöderweise hat “Focus Online” eine ganz entscheidende Stelle hingegen nicht vom “Yackler Magazine” übernommen: Die eindeutige Auflösung, dass es sich bei der bedrohlichen Lage um eine bewusste Falschmeldung handelt. Besorgte Leser bitten nun die “Gute Frage”-Community um Aufklärung. Und auch unter dem “Focus Online”-Artikel herrscht Verwirrung:
Was hat der Bericht nun mit dem Asteroiden zu tun ?? Anstatt über ihn zu berichten und Fakten mitzuteilen wird über das Verhalten der Leute im Netz gelabert. […]
wow gerade mal 5sec bekam der Asteroid am Aufmerksamkeit — er sollte vielleicht doch mal die Erde aufsuchen – dann ist er in den Topnachrichten für die nächsten Wochen
Ist das euer Ernst? Eine solche Nachricht und dann der Großteil des Berichts über das teilen von Links? Stimmt die Sache mit dem Kometen überhaupt oder soll das nur verdeutlichen, dass meistens nur die Überschrift gelesen wird? Ist auf jeden Fall nicht witzig.
Mit Dank an Christian D. und Heiko S.!
Nachtrag, 15. Juli: Neben “Focus Online” haben auch die Seiten “Macwelt”, “Gulli” und “Yahoo Nachrichten” die Geschichte vom Asteroiden, der auf die Erde prallen wird, geklaut. Im Gegensatz zu “Focus Online” haben sich die drei Portale immerhin Mühe gegeben, den Fake im Artikel aufzulösen.
“Focus Online” hat seinen Artikel inzwischen geändert. Die Überschrift lautet nun:
1. Zur Kritik am Artikel über eine Rechtsextremismus-Studie (spiegel.de, Benjamin Schulz)
Die Universität Leipzig hat vor kurzem die Studie “Die enthemmte Mitte, Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland” veröffentlicht. Die Ergebnisse stießen auf große Aufmerksamkeit. Der Branchendienst “kress” kritisierte die Berichterstattung der Medien und erwähnte explizit den Artikel von Spiegel Online: “Den Vogel schoss Spiegel Online ab – die Berichterstattung dort war so reißerisch und so selektiv, dass der Text nur noch sehr bedingt etwas mit Information des Lesers zu tun hatte, dafür umso mehr mit Klick-Zahlen und Kampagnenjournalismus.” Der Autor des kritisierten Spiegel-Beitrags bezieht nun Stellung.
2. Was die „Zeit“ über Homophobie lernen könnte, wenn sie es denn wollte (nollendorfblog.de, Johannes Kram)
In der “Zeit” vom 16. Juni 2016 konnte man auf der Titelseite einen Satz lesen, der für Irritationen sorgte („Homophobie ist nicht zuletzt eine Reaktion auf die enormen Emanzipationsgewinne der Schwulen und Lesben.“). Johannes Kram erläuterte in seinem Beitrag „Die schrecklich-nette Homophobie der “Zeit”” , warum er den Satz für “hammerhomophob” hält. Mittlerweile hat sich der Autor der beanstandeten Passage in den Kommentaren zu Wort gemeldet. Und macht die Sache nur schlimmer, wie Johannes Kram findet.
3. Wo die Zukunft der Unterhaltung produziert wird (sueddeutsche.de, Michael Moorstedt)
Die deutsche Youtube-Niederlassung in Berlin hat erstmalig 16 ausgewählte Nutzer zum einwöchigen Lehrgang eingeladen. Auf dem Lehrplan standen Dinge wie Audience Development, Selbstpromotion, Kameraführung und Beleuchtung. Michael Moorstedt von der “SZ” nimmt den Leser mit ins hippe Bootcamp der “Creator”, wie Youtube seine Videolieferanten nennt. Eine muntere Mischung der verschiedensten Genres hatte man dort zusammengeführt: Von Indie-Poesie bis zu Kiffer- und Pimmel-Witzen war alles dabei.
4. Heftige Kritik an “kress”-Bericht über “Millionen-Honorare” (dwdl.de, Uwe Mantel)
Der Branchendienst “kress pro” hat in einem Beitrag (Überschrift: “Mein teurer Scholli”) die Honorare kritisiert, die Fußballexperten wie Mehmet Scholl und Oliver Kahn bei ARD und ZDF angeblich kassieren würden. Von bis zu 50.000 Euro am Tag war die Rede. Die ARD hat mit heftigen Worten dementiert (“gleicht beinahe schon vorsätzlicher Bösartigkeit”). Als Betroffener hat sich Ex-National-Torhüter Oliver Kahn auf Facebook zu den Zahlen geäußert: “Hierbei handelt es sich um eine eklatante Falschmeldung, die jeglicher Grundlage entbehrt. Kress.de verbreitet eine Fehlinformation, die bewusst Neid und Missgunst in der Öffentlichkeit in Kauf nimmt und den Zuschauern die Freude an der Berichterstattung vermiesen soll. Auch die Redakteure der anderen Online-Dienste, die diese Fehlinformation ungeprüft weiterverbreiten, möchte ich an ihre publizistische Verantwortung erinnern.”
5. Neue Dimensionen des Hasses (amadeu-antonio-stiftung.de)
Die Amadeu Antonio Stiftung hat den “Monitoringbericht zu rechtsextremen und menschenverachtenden Phänomenen im Social Web für 2015/2016” veröffentlicht. Die Hetze in den Sozialen Medien spitze sich weiter zu. Die Dimensionen des Hasses würden von rassistischer Hetze, die Meldungen über Attacken auf geflüchtete Menschen und Brandanschläge auf Asylunterkünfte bejubeln, bis hin zur Hetze gegen ehrenamtliche Flüchtlingshelfer, Journalisten, Verwaltung und Politik reichen. Die Vorsitzende der Stiftung Anetta Kahane: “Im Social Web beobachten wir zudem die Bildung einer gefährlichen Querfront aus unterschiedlichsten politischen Spektren, die aber zunehmend einen gemeinsamen Nenner finden und das ist der »Hass gegen das System.” Link zum Bericht in voller Länge.
6. Nackt im Kartenhaus: Der Enthüllungsjournalismus der Zoe Barnes – House of Cards (journalistenfilme.de, Patrick Torma)
Patrick Torma hat sich die hochgelobte Netflix-Serie “House of Cards” näher angesehen. Obwohl man an anderer Stelle viel Gutes über die Serie sagen könne, zeige sich “HoC” in der Darstellung von Journalistinnen reichlich reaktionär.
1. Martenstein übernimmt den „Tagesspiegel“ (carta.info, Franz Sommerfeld)
“Carta”-Kolumnist Franz Sommerfeld sieht den “Tagesspiegel” durch ihren Kolumnisten Martenstein bedroht. Dieser wechsle zusehends ins Genre des politischen Leitartikels und gebe dem Blatt eine neue Farbe, die besonders AFD-Anhänger anspreche. Als Beispiel dient Martensteins jüngster Beitrag: “In seinem Leitartikel über die Flüchtlingsbewegung finden Krieg und Bombardements als Fluchtursache kaum noch statt, sondern die Fluchtursachen reduzieren sich auf die Sehnsucht, in unserem Wohlstand leben zu dürfen und uns damit, so Martenstein, „Armut und Bürgerkrieg“ zu bescheren.”
2. Nicht sauber, sondern rein (taz.de, Jürn Kruse)
Szenen randalierender Fußball-Fans im Stadion blendet die Uefa einfach aus. Dadurch verkauft der Veranstalter die Zuschauer für dumm, findet “taz”-Reporter Jürn Kruse. “Auf den internationalen Fernsehbildern sind die Arenen immer voll, die Zuschauer immer jung und attraktiv und meistens weiblich. Das klinisch reine Fußballvergnügen. Wer diese Art der Präsentation mag, mag auch: Sagrotan Wäsche-Hygienespüler, 1,5 l, EUR 3,99 sowie 2er-Set Autofahne Deutschland Flagge, EUR 4,99.” Martin Schneider von der “SZ” sieht die Sache ähnlich und prognostiziert: “Es ist gut möglich, dass die Kommentatoren von ARD und ZDF bei der EM 2016 noch häufiger zum Radioreporter werden müssen.”
3. Die Zukunft des Radios wird gerade entschieden – und das klassische Radio hat kaum noch etwas damit zu tun (marckrueger.tumblr.com, Marc Krüger)
“Rundfunkfritze” Marc Krüger hat vor kurzem aufgeschrieben, warum sich das Radio endlich auf den Weg in die Zukunft machen muss. Nun seien drei Dinge passiert, die zeigen würden, in welche Richtung die Reise ginge: Der Wechsel von Olli Schulz und Jan Böhmermann zu Spotify, der „Call-for-Papers“-Aufruf der Amazon-Tochter Audible und die Audio-Rechtevergabe der Fußball-Bundesliga-Spiele via Web/Mobile an Amazon. Krüger erklärt die Vorgänge und beschreibt die Auswirkungen auf die deutsche Radiolandschaft.
4. Nachgefragt: So will das Social-Media-Team von Bild.de das Internet für sich gewinnen (t3n.de, Andreas Weck)
“Bild” setzt stark auf Social Media, das ist bekannt. Andreas Weck von “t3n” hat das Social-Media-Team in Berlin besucht und sich nach Projekten und Arbeitsweise erkundigt. Im Axel-Springer-Hochhaus würde ein Team von acht festen und bis zu sechs freien Social-Media-Redakteuren werkeln, zuzüglich einiger Studenten im Community-Management. Interessant: Die Inhalte werden nicht nur auf den Hauptkanälen veröffentlicht, sondern zusätzlich auf sage und schreibe 61 Facebook-Fanseiten verteilt. Außerdem teste man ständig die Verbreitung über neue Kanäle wie Whatsapp oder den Facebook-Messenger.
5. Stell dir vor, das russische Staatsfernsehen kommt (faz.net, Friedrich Schmidt & Michael Hanfeld)
Hans-Joachim „Hajo“ Seppelt ist ein deutscher Journalist und Autor und gilt als Experte für die Dopingproblematik im deutschen und internationalen Sport. Nach seinem jüngsten Beitrag über systematisches und staatlich geschütztes Doping in Russland könnten sogar die russischen Athleten von den nächsten Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro ausgeschlossen werden. Seppelt hat dem russischen Staatsfernsehen ein Interview gegeben, das eskaliert ist und nun von russischen Medien gegen ihn verwendet wird.
6. Europameisterschaft wegen Gewaltausbrüchen abgesagt – oder die seltsame Geschichte um @ForestEchoNews (joca.me, Jörgen Camrath)
Am Wochenende wurden auf Twitter unzählige Nachrichten über Gewaltexzesse beim Fußball verbreitet, die sich als Falschmeldungen erwiesen. Jörgen Camrath hat sich die Quelle angeschaut, die “ForestEchoNews”, ein (mittlerweile gelöschter) Fake-Account. “Es gibt kein „ForestEchoNews“. Es gibt keine Journalisten, die für solch eine Organisation arbeiten. Und auch die Vorfälle, die über die diversen damit assoziierten Twitter-Accounts verbreitet wurden, sind so nicht passiert. Und trotzdem wurden sie geteilt. Und vielleicht haben sie sogar dafür gesorgt, dass noch mehr Öl ins Feuer gegossen wurde. Denn es ist durchaus denkbar, dass einige der Idioten, die am Samstag und in der Nacht zu Sonntag in Marseille für Tumulte sorgten, sie für bare Münze genommen haben. So ist das heute.”
Die neue Ausgabe von “Compact” ist da. Und wie jeden Monat beglückwünschen sich “Compact”-Chef Jürgen Elsässer, Redakteur Marc Dassen und CvD Martin-Müller Mertens auf Youtube gegenseitig zum neuen Heft.
Traditionell geht es dabei zuerst um das wahnsinnig originelle Titelblatt. Dassen meint, das Cover der Mai-Ausgabe zeige “sozusagen eine Christin und ihr sanftes Antlitz sozusagen, ihre Frömmigkeit”, worauf sein Chef Elsässer ergänzt: “Ihre Wehrlosigkeit auch.”
Eine sanfte, fromme, wehrlose Christin also:
Gut, ganz so sanft und wehrlos scheint die Dame allerdings doch nicht zu sein, wenn man sich mal dieses Foto von ihr anschaut:
Wir wissen nicht, ob die Coverfrau tatsächlich gläubige Christin ist, wie die Redakteure suggerieren. Zweifelsohne aber ist sie ein Modell für Stockfotos, also für relativ günstig zu lizenzierende Fotografien, die auf Vorrat produziert werden. In besonderem Maße authentisch, wie man das von einem Magazin mit dem Slogan “Mut zur Wahrheit” vielleicht annehmen könnte, ist das Bild jedenfalls nicht.
Aber schlechte Titelbilder sind kein Alleinstellungsmerkmal, also genug der Oberflächlichkeiten. Was liefert die Mai-Ausgabe von “Compact” inhaltlich?
Es geht um Christenverfolgung. Genauer gesagt: um die “neue” Christenverfolgung. Wir hatten schon vor zwei Monaten darauf hingewiesen, dass das Thema keineswegs so neu ist, wie “Compact”-Lesern glauben gemacht wird, und eher zu den Dauerbrennern der von dem Magazin so betitelten “Lügenmedien” gehört.
Nun meint Marc Dassen, Christen würden nicht mehr nur in Syrien verfolgt werden, denn:
Das gleiche sehen wir jetzt auch immer wieder, wenn wir die Medien verfolgen, zum Beispiel in den Flüchtlingsunterkünften, wo also Christen eine Minderheit sind, die sehr stark unter Beschuss ist.
Dass er das Thema selbst aus den Medien kennt, hindert ihn nicht daran, einige Sätze später zu behaupten, man habe “in den Massenmedien nicht so richtig viel darüber gelesen und gehört.” Ein außerordentlicher Fall von selektiver Wahrnehmung.
Die Wortwahl seines Chefredakteurs Jürgen Elsässer ist eindeutiger:
Die Monopolpresse spricht ja immer über die Islamophobie, dass die Muslime verfolgt werden, aber dass unsere hauptsächliche Glaubensrichtung, das Christentum, auch so stark unter Druck steht, wie wahrscheinlich noch nie in der Geschichte seit dem Mittelalter, das wird natürlich ausgeblendet vom Mainstream.
Was Elsässer ausblendet, wird klar, wenn man sich noch einmal sein offenbar etwas angestaubtes Schulwissen bewusst macht: Das Ende des Mittelalters markiert Luthers Reformation, in Folge derer sich Christen unterschiedlicher Konfession in Europa etwa 200 Jahre lang gegenseitig verfolgten und ermordeten, bis sich mit der Aufklärung langsam die Idee religiöser Toleranz durchsetzte. Elsässer setzt die heutige Situation mit dem Dreißigjährigen Krieg gleich, der verschiedenen Schätzungen zufolge zwischen drei und elf Millionen Todesopfer forderte.
Die Zahlen für eine solche irre Behauptung soll Martin Müller-Mertens und Federico Bischoffs Titelgeschichte liefern. Darin zählen sie zunächst islamistische Terrorakte rund um Ostern auf, darunter die Falschmeldung, dass ein katholischer Priester im Jemen am Karfreitag gekreuzigt worden sei.
Dann sollen Daten den Ernst der Lage untermauern. Jeder zehnte Christ lebe “in Angst vor Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung” soll der Wiener Präsident der katholischen Organisation “Pro Oriente” “offenbart” haben. Mal abgesehen davon, dass nicht nachvollziehbar ist, wie er zu dieser Zahl kommt: Diskriminierung und Ermordung sind derart unterschiedliche Dinge, dass sie getrennt gezählt werden müssten. Wenn Menschen in Angst vor etwas leben, sagt das auch wenig über die reale Bedrohung aus — man könnte sich etwa fürchten, weil man den “Compact”-Artikel zu ernst nimmt, deshalb wird man noch lange nicht tatsächlich verfolgt.
Weiter werden Zahlen des evangelikalen Hilfswerks “Open Doors” genannt — die sowohl von der evangelischen als auch der katholischen Kirche als unseriös abgelehnt werden, weil sie nicht überprüfbar sind. Der hinsichtlich heimlichen Sympathien mit Islamisten eher unverdächtige Leiter der Auslandsredaktion der Katholischen Nachrichtenagentur, Alexander Brüggemann, hat vor einem halben Jahr in einem Gastbeitrag für die “Zeit” erklärt, was die Zahlen bedeuten, und kam zu folgendem Schluss:
Die statistische Erfassung des Phänomens ist extrem schwierig.
Selbst die “Compact”-Autoren landen schließlich selbst bei viel kleineren Opferzahlen. 130.000 bis 170.000 christliche “Märtyrer” sollen es laut der Studie “The Price of Freedom Denied” pro Jahr sein. “Zahlen, die kein Gehör in der Öffentlichkeit finden”, meinen Müller-Mertens und Bischoff. Zahlen, die sie vermutlich aus der Wikipedia oder dem dort zitierten Artikel aus der “Weltwoche” haben.
Diese letztgenannten Daten kursieren tatsächlich relativ weit. Problematisch sind sie trotzdem. Der Vorsitzende der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz, Thomas Schirrmacher, hat sich für die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte mit der Zahl beschäftigt:
Es fällt mir schwer, diese Zahl wegen ihrer weiten Verbreitung zu kritisieren, zumal sie von seriösen Forschern und guten Freunden kommt. Aber als Wissenschaftler habe ich solche Zahlen zu oft vor säkularen Kollegen, Politikern weltweit, dem Deutschen Bundestag oder dem Europäischen Parlament und natürlich Journalisten zu verantworten, als dass unser Institut (das International Institute for Religious Freedom) sie einfach nur übernehmen könnte.
Außerdem wurden sie aus dem Kontext gerissen. Die Autoren von “The Price of Freedom Denied”, die sich das aufgeladene Wort “Märtyrer” nicht zueigen machen, zitieren nämlich wiederum selbst nur ihre Quelle, das päpstliche Missionswerk “Kirche in Not”. Zudem argumentieren sie in ihrer Studie genau umgekehrt zu Compact:
Grim and Finke argue that it is not religious identity itself that is the force behind much religious conflict, but legal and social restriction of religious freedom. They argue that it is in the most pluralistic and religiously liberal societies that levels of persecution are at their lowest, not in the cultural monopolies of Huntington’s theory.
Die Einschränkung der Religionsfreiheit stehe hinter religiösen Konflikten. Ein Ergebnis, das bei Compact kein Gehör findet.
Dort suggeriert man lieber, dass einzelne Vorfälle der letzten fünf Jahre, über die beispielsweise in der “Welt” berichtet wurde, Zeichen für eine breite Christenverfolgung seien. Bald könnte es in Europa zugehen wie im Islamischen Staat, so der Tenor.
Ein weiterer Artikel in der aktuellen “Compact”-Ausgabe beschuldigt Papst Franziskus, sich den “Terroristen und Islamisten” zu unterwerfen. Denn:
So ergriff Papst Franziskus – ausgerechnet am Gründonnerstag, ausgerechnet zwei Tage nach dem Blutbad in Brüssel – die Gelegenheit, in einem Asylheim bei Castelnuovo di Porto einem Dutzend Asylbewerbern in einer pompösen Zeremonie zuerst die Füße zu waschen und diese dann zu küssen.
Es seien “solche Unterwerfungsgesten”, schreibt der Autor, “die das Christentum wehrlos machen. Wenn die eigenen Werte für wichtig und richtig gehalten werden, dürfen sie nicht auf dem Altar einer falsch verstandenen Liberalität geopfert werden.” In der Bildunterschrift heißt es:
Unterwerfungsgeste: Papst Franziskus wäscht und küsst muslimischen Flüchtlingen die Füße
Dass es durchaus christliche Flüchtlinge sein könnten — an der Fußwaschung nahmen nämlich auch Katholiken aus Nigeria teil — erwähnt “Compact” freilich nicht (deutet aber immerhin im Artikel an, dass es nicht ausschließlich Muslime waren: “Unter den auf diese Weise verwöhnten waren auch vier Muslime”).
Denn, so viel sollte klar geworden sein, für “Compact” ist die von den Mainstreammedien angeblich verschwiegene Christenverfolgung bloß ein weiterer Vorwand, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren.
Der Rest des Titelthema-Abschnitts besteht dementsprechend aus Warnungen vor dem Islamismus, stets unter der Prämisse, vor diesem würde noch nicht genug gewarnt oder er sei sogar insgeheim gewollt. Auch ein Vorabdruck von Akif Pirinçcis neuesten Ausfällen soll etwas zum Thema beitragen.
Wir wissen nicht, wie es die “Compact”-Redakteure selbst mit der Religion halten. Sollte jedoch im Paradies eine ähnlich strenge Grenzpolitik herrschen, wie das Blatt sie für Europa propagiert, könnte sich die Einreise der Redaktion aufgrund von Verstößen gegen das achte Gebot erheblich verzögern.