Im Juni druckte die “Bild”-Zeitung ein Foto, auf dem ein Mann stirbt. Blutüberströmt sitzt er auf dem Boden, ein Messer steckt in seinem Bauch, hinter ihm steht noch der mutmaßliche Täter.
Das Foto erschien in “Bild Hamburg”, auf Bild.de und riesengroß auf Seite 3 der Bundesausgabe:
Auf den weiteren Fotos ist zu sehen, wie sich Passanten um das Opfer kümmern und der mutmaßliche Täter, dessen Gesicht klar zu erkennen ist, festgenommen wird.
(Nachdem der Artikel erschienen war, haben wir uns übrigens mit dem Fotografen über die Bilder unterhalten. Seine Antworten können Sie hier nachlesen.)
Gestern hat sich der Presserat mit dem Fall beschäftigt und gegen “Bild” und Bild.de eine öffentliche Rüge ausgesprochen. Die Berichterstattung verstoße sowohl gegen Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) als auch Ziffer 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex. In der Pressemitteilung heißt es:
Der Vorgang des Sterbens wird in einem protokollarischen Detailreichtum geschildert, der nicht in öffentlichem Interesse liegt und somit unangemessen sensationell ist.
Auch bei anderen Artikeln der “Bild”-Medien war es vor allem die übertriebene Grausamkeit, die vom Presserat kritisiert wurde.
So erhielt Bild.de eine weitere Rüge für die Berichterstattung über eine Beziehungstat, bei der ein Mann seine Ehefrau erschossen hatte. In dem Artikel waren Porträtfotos des Opfers zu sehen, außerdem nannte die Redaktion den vollen Namen der Frau. Damit habe Bild.de zum Einen den Persönlichkeitsschutz der Frau verletzt, denn nach Richtlinie 8.2 des Pressekodex ist bei Verbrechen und Unglücken “das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich”.
Außerdem enthielt der Artikel ein Foto, das von einer Augenzeugin mit der Handykamera aufgenommen wurde. Es zeigt Täter und Opfer kurz vor der Tat auf einer Wiese sitzend, der Mann hält ein Gewehr in der Hand.
In der Kombination dieses Bildes mit dem direkt daneben platzierten Porträtfoto des Opfers sah der Beschwerdeausschuss eine unangemessen sensationelle Darstellung im Sinne der Ziffer 11 Pressekodex.
Als “unangemessen sensationell” bewertete der Presserat auch das Werk eines “Bild”-Zeichners, auf dem ein Mann zu sehen ist, der von einer Heuballen-Maschine “zerschreddert” wird (“Bild” liebt solche brutalenZeichnungen). Kritisiert wurde neben der Illustration auch die Tatsache, dass das Opfer aufgrund persönlicher Details identifizierbar wurde. Das Gremium sprach daher eine Missbilligung gegen Bild.de aus.
Ebenso missbilligt wurde ein Bild.de-Artikel mit dem Titel:
Darin zeigt das Portal ein Foto, auf dem die Frau schwer verletzt auf der Straße liegt. Da sich die Geschichte in Peking ereignet hatte, habe kein ausreichendes öffentliches Interesse an dem Fall bestanden, befand der Presserat, und auch hier erkannte er eine “unangemessen sensationelle Darstellung”.
Genau wie bei einem weiteren Artikel, diesmal in der Print-Ausgabe. Darin hatte “Bild” ein Foto gedruckt, auf dem mehrere irakische Soldaten erschossen werden, das Blut spritzt aus ihren Köpfen. Mehr muss man wohl nicht dazu sagen.
Eine weitere Missbilligung bekam Bild.de für einen Artikel über den Soldaten Bowe Bergdahl. Er enthielt ein (offenbar von Facebook geklautes) Foto der Ex-Freundin des Mannes, an dem laut Presserat kein öffentliches Interesse bestand.
Eine weitere Rüge ging an die Online-Ausgabe des “Tagesspiegel”, wo ein Original-Dokument erschienen war, das angeblich aus dem Büro des Vorsitzenden der Partei Die Linke stammte. Darin wurde aufgelistet, wer nach der Bundestagswahl eine Funktion in der neuen Fraktion haben und wer ausscheiden soll. Darüber hatte sich ein Mitarbeiter eines Regionalbüros beschwert, der in dem Papier als “zu schützende Person” namentlich genannt wird.
Der Ausschuss war der Ansicht, dass die Veröffentlichung des Namens des Betroffenen seine informationelle Selbstbestimmung verletzt. Weil er kein politisches Mandat ausübt und nicht öffentlich in Erscheinung getreten ist, durfte er nicht genannt werden.
Tagesspiegel.de habe Ziffer 2 verletzt, weil die Informationen vor der Veröffentlichung nicht sorgfältig genug auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft wurden, heißt es in der Begründung.
Die “Maßnahmen” des Presserates:
Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
einen Hinweis
eine Missbilligung
eine Rüge.
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.
Die Zeitschrift “L.A. Multimedia” wurde gleich zweimal gerügt, weil sie “die Grenze zur Schleichwerbung” überschritten hatte (Verstoß gegen Ziffer 7). In den Artikeln ging es um den Einsatz moderner Medien im Schulunterricht. Der Ausschuss sah es “als erwiesen an, dass die redaktionelle Veröffentlichung durch geschäftliche Interessen des Unternehmens [ein Anbieter von Schulmedien] beeinflusst wurden”.
Einen ähnlichen Verstoß erkannte der Ausschuss bei einer Beilage der Zeitschrift “Diabetes Journal”. Das Heft bewarb ein Gerät für Diabetiker und habe damit die gebotene Trennung zwischen Werbung und Redaktion verletzt. Das Impressum enthielt zwar den Hinweis “Mit freundlicher Unterstützung von …”, doch das reiche nicht aus, befand der Presserat und sprach ebenfalls eine Rüge aus.
Nicht namentlich genannt wurde eine regionale Tageszeitung, die eine Missbilligung erhielt, weil sie mehrere Pressemitteilungen unter dem Kürzel eines Redakteurs abgedruckt hatte. Die Zeitung habe damit gegen Richtlinie 1.3 verstoßen, nach der Pressemitteilungen als solche gekennzeichnet werden müssen, wenn sie ohne Bearbeitung durch die Redaktion veröffentlicht werden.
Insgesamt verteilte der Presserat (die vorherigenEntscheidungen mitgerechnet) sieben Rügen, 24 Missbilligungen und 25 Hinweise.
Der Beschwerdeausschuss des Presserats hat sich heute mit den Fotos der MH17-Opfer beschäftigt, die im Juli von einigen deutschen Medien veröffentlicht wurden (BILDblogberichtete). 30 Beschwerden waren dazu beim Presserat eingegangen.
Grundsätzlich seien “Abbildungen von Opfern in der Regel nicht mit dem Opferschutz nach Ziffer 8, Richtlinie 8.2 vereinbar”, schreibt das Gremium in einer Pressemitteilung. Ursula Ernst, Vorsitzende des Ausschusses, sagte:
Die Argumentation einiger Medien, den Opfern ein Gesicht zu geben, ist nachvollziehbar, dennoch: Nur weil jemand zufällig Opfer eines schrecklichen Ereignisses wird, darf er nicht automatisch mit Foto in der Presse gezeigt werden.
So erhielt Bild.de eine Missbilligung für diesen Artikel:
(Alle Verpixelungen von uns.)
Das Portal hatte 100 Opfer des Unglücks gezeigt und viele Details aus ihrem Privatleben genannt. Doch: “Ein öffentliches Interesse am Abdruck dieser Bilder bestand nicht”, so der Presserat.
Auch die Print-“Bild” wurde kritisiert, bekam aber nur einen sogenannten “Hinweis”.
Der “Spiegel” kassierte eine Missbilligung — für diese Titelseite:
Nach Ansicht des Presserats wurden die Opferfotos “für eine politische Aussage instrumentalisiert.” Damit sei auch hier der Opferschutz verletzt worden.
Ebenfalls kritisiert wurden die Beiträge des “Stern” …
… und von Bunte.de:
Beide Medien bekamen aber nur einen “Hinweis” — weil die Darstellung “weniger detailliert” sei, argumentierte der Ausschuss.
In weiteren Beschwerden ging es um Fotos vom Trümmerfeld, auf denen auch Leichenteile zu erkennen waren. Diese Fotos seien nicht unangemessen sensationell, urteilte der Ausschuss:
Die Fotos dokumentieren eindringlich die schreckliche Dimension und die Folgen des Ereignisses. Sie sind noch akzeptabel, da kein Opfer erkennbar ist und die abgebildeten Situationen nicht unangemessen in der Darstellung hervorgehoben werden.
Manchmal passieren in deutschen Zeitungsredaktionen erstaunliche Fehler. Dass im Kölner “Express” Anfang des Jahres eine große sechsteilige Serie von Artikeln erschien, in denen jeweils, ohne jede Kennzeichnung, ein Fitnessprogramm namens “fitmio” beworben wurde …
… das ist der Ressortleitung bzw. Chefredaktion des Blattes leider erst nach Abschluss der Serie aufgefallen. Natürlich hätte man dem Leser kenntlich machen müssen, dass es sich um ein Programm handelte, das von einem Unternehmen des Verlages M. DuMont Schauberg vermarktet wurde, teilte die Rechtsabteilung dem Presserat mit. Dass dieser Hinweis ausgeblieben sei, betrachte man selbst als ärgerlichen und bedauerlichen Fehler.
Online seien die Berichte sofort nach Bekanntwerden entsprechend gekennzeichnet worden. Der Presserat fasst die Zerknirschtheit mit den Worten zusammen:
Der Fehler sei der Redaktion bewusst und intern mit allen Verantwortlichen erörtert worden. Man gehe davon aus, dass alle Beteiligten daraus gelernt hätten.
Der Presserat, bei dem wir uns beschwert hatten, sah in der Veröffentlichung einen Verstoß gegen das Gebot, Redaktion und Werbung klar zu trennen. Er verwies auf Ziffer 7 des Pressekodex, in der es heißt:
Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.
Auch im “Kölner Stadt-Anzeiger”, ebenfalls ein Schwesterblatt von “fitmio”, erschienen Anfang des Jahres mehrere scheinbar redaktionelle Beiträge zum Thema Fitness und Abnehmen, die für “fitmio” warben. Die Rechtsabteilung des Verlages argumentierte hier aber anders: In der Beschreibung des Programms sei ausdrücklich erwähnt, dass es “in Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthochschule und dem Anti-Diät-Club angeboten” werde. Und den “Anti-Diät-Club” des “Kölner Stadt-Anzeigers” gebe es schon seit 2005; er sei den Lesern bestens bekannt und mit dem “Kölner Stadt-Anzeiger” untrennbar verbunden. Durch die Erwähnung des “Anti-Diät-Clubs” wüssten “Stadt-Anzeiger”-Leser, dass es sich bei “fitmio” um ein Angebot der Zeitung handele.
Der Presserat fand das nicht überzeugend und sah auch hier einen Verstoß gegen Ziffer 7 des Pressekodex. “Um dem Leser klar zu verdeutlichen, dass ein Eigeninteresse des Verlages an den Veröffentlichungen vorliegt und somit die Beiträge einen kommerziellen Charakter haben, hätte es eines eindeutigen Hinweises bedurft.” Dieser sei lediglich in einem Artikel vorhanden gewesen (Ausriss rechts), der deshalb auch nicht kritisiert wurde.
Der Presserat erteilte dem “Kölner Stadt-Anzeiger” einen “Hinweis”; beim “Express” sprach er eine “Missbilligung” aus.
Die “Maßnahmen” des Presserates:
Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
einen Hinweis
eine Missbilligung
eine Rüge.
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
2. “‘Ich habe ein breites Kreuz'” (spiegel.de)
Der Berliner Zeitungsverkäufer Olaf Forner: “Alleine konnte ich immer gut davon leben, aber eine Familie damit zu ernähren, ist schwierig. Deshalb habe ich seit anderthalb Jahren noch einen Vollzeitjob: Tagsüber bin ich Assistent bei den ambulanten Diensten, betreue Menschen mit Körperbehinderung.”
3. “‘Kein Sex in Entenhausen!'” (cicero.de, Sarah Maria Deckert)
Literaturkritiker Denis Scheck wundert sich über fehlende Kritik in anderen Bereichen: “Ich fordere Brötchenkritik, Hosenkritik, Sockenkritik, Lampenkritik! Es gibt die Kritik im kulinarischen Bereich, merkwürdigerweise in der Automobilindustrie, im Kunst- und Musikbereich, aber in vielen Feldern unseres Alltagsleben fehlt sie. So steckt auch die Kindergartenkritik noch in den Kinderschuhen. Deshalb gibt es auch ganz wenig gesellschaftliches Fortkommen.”
4. “Autorisierung von Interviews” (drehscheibe.org)
Eine Umfrage unter Lokaljournalisten zur Handhabe der Autorisierung von Interviews.
5. “Von toller Stimmung zu Nulltoleranz” (sonntagszeitung.ch, Michael Lütscher)
Vor einigen Jahren wurde in Schweizer Medien über das Zünden von Feuerwerkskörpern in Fußballstadien ganz anders berichtet als heute. Neu zur Diskussion hinzugekommen ist das Wort “Nulltoleranz”.
6. “Journalisten wetteifern um fiesesten Leserbrief” (ftd.de, Sebastian Kunigkeit und Antonia Lange)
Journalisten lesen erhaltene Leserbriefe vor: “Sie ehemaliger Schülerzeitungs-Redakteur. Sie Schreiberlein. Sie Wurm. (…) Schulen Sie um und werden doch Bioladen-Besitzer.”
Es war eine dieser Überschriften, von der Boulevardjournalisten nachts träumen:
Die Geschichte allerdings auch: Das Opfer hatte seinen späteren Mörder im Internet kennengelernt. Die beiden Männer trafen sich zum Sex in der Wohnung des Täters, dabei kam das Opfer zu Tode. Der Täter zerstückelte sein Opfer und kochte dessen Kopf.
“Bild” druckte ein Porträtfoto des Opfers, daneben ein Bild des Täters.
Bild.de berichtete unter anderem so:
Die Parallelen zum Film “Hannibal” sahen dabei so aus:
Im Film muss das Opfer Teile seines Gehirns essen. Im realen Fall fanden die Ermittler den gekochten Kopf des Opfers in einem Topf.
Wollte der Mörder sein Opfer vielleicht verspeisen, zögerte aber dann doch? “Es liegen uns keine kannibalistischen Anzeichen vor”, sagt Justizsprecher Martin Steltner.
Ein Leser beschwerte sich beim Presserat. Die Veröffentlichung eines Fotos, auf dem das Opfer deutlich zu erkennen ist, sei im Zusammenhang mit den entwürdigenden Umständen seines Todes überflüssig. Er bemängelte weiter, dass auch der Täter eine Zeitlang auf der Startseite von BILD Online ungepixelt zu sehen war und dass seine HIV-Infektion erwähnt wurde.
Die “Bild”-Rechtsabteilung erwiderte, die Abbildung des Opfers stelle keinen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex dar, da sie im öffentlichen Interesse sei. Der Beitrag befasse sich immerhin mit einem “spektakulären und aufsehenerregenden Kapitalverbrechen”.
Der Artikel sei eine “Folgeberichterstattung zu den Berichten über die polizeiliche Suche nach dem Vermissten”. Medien dürften laut Pressekodex vermisste Personen zeigen, wenn dies in Absprache mit den zuständigen Behörden erfolge. In diesem Vermisstenfall habe die Polizei das Foto im Rahmen eines Fahndungsaufrufs öffentlich gemacht, mit der erneuten Veröffentlichung sollte ein Bezug dazu hergestellt werden.
Die zeitweise Veröffentlichung des ungepixelten Fotos des Täters auf der Startseite von Bild.de hingegen sei ein bedauerliches Versehen gewesen, für das sich die Redaktion entschuldige, erklärte die Rechtsabteilung.
Davon ab habe Bild.de den Täter aber auch zeigen dürfen: Das öffentliche Interesses überwiege das Persönlichkeitsrecht des Täters. Es handele sich um einen spektakulären Kriminalfall, bei dem sich der Ablauf und die beteiligten Personen von anderen Kriminalfällen unterscheiden würden (sic!). Selbst wenn man von einem Verstoß ausginge, wäre dieser nicht schwerwiegend, weil der Teaser nur kurz, nämlich zwischen 0.22 und 9.26 Uhr, zu sehen gewesen sei.
Außerdem liege auch noch eine Situation vor, für die Richtlinie 8.1 Abs. 4 sogar ausdrücklich eine Ausnahme von dem generellen Verbot der Abbildung von Tatverdächtigen vorsehe.
Diese Stelle im Pressekodex lautet übrigens:
Die Nennung des vollständigen Namens und/oder die Abbildung von Tatverdächtigen, die eines Kapitalverbrechens beschuldigt werden, ist ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn dies im Interesse der Verbrechensaufklärung liegt und Haftbefehl beantragt ist oder wenn das Verbrechen unter den Augen der Öffentlichkeit begangen wird.
Ob sie sich nun auf die Verbrechensaufklärung berufen (der Täter hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein Geständnis abgelegt, bei dem er von einem “Sex-Unfall” als Todesursache gesprochen hatte) oder auf die Öffentlichkeit (das Opfer kam in der Zweizimmerwohnung des Täters zu Tode), ließen die Springer-Juristen offenbar offen.
Die Erwähnung der HIV-Infektion des Täters stelle ebenfalls keinen Verstoß gegen den Pressekodex dar. Sie ermögliche dem Leser eine Erklärung, warum der Mann sexuelle Dienste im Internet angeboten habe und es zu einem Treffen mit dem Opfer gekommen sei. Die Angabe trage damit dazu bei, dem Leser ein umfassendes Bild von der Tat zu ermöglichen.
Der Beschwerdeausschuss des Presserats hingegen kam zu der Einschätzung, dass Bild.de gegen den Pressekodex, Ziffer 8, verstoßen habe. Danach haben Opfer von Straftaten Anspruch auf besonderen Schutz. Bild.de aber habe das Opfer identifizierbar dargestellt, auf einem unverfremdeten Foto gezeigt, seinen Geburtsort und seinen letzten Wohnorts genannt und den Mann so für einen erweiterten Personenkreis identifizierbar gemacht. Dazu habe es keinen Anlass gegeben.
Die “Maßnahmen” des Presserates:
Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
einen Hinweis
eine Missbilligung
eine Rüge.
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.
Der Umstand, dass es um einen zunächst vermissten Mann gehe, rechtfertige keinen späteren Gebrauch des Fahndungsfotos (eine Tatsache, die “Bild” und Bild.de nichtakzeptieren).
Dass der Täter zunächst unverpixelt gezeigt wurde, sei aus Sicht des Beschwerdeausschusses presseethisch ebenfalls nicht vertretbar. Da Bild.de jedoch zeitnah reagiert hat, falle das nicht ins Gewicht. Dass der Täter in der gedruckten “Bild” dauerhaft unverpixelt zu sehen war, ist in diesem Fall unerheblich, da sich die Beschwerde gegen einen konkreten Artikel von Bild.de richtete.
Die Einschätzung des Presserates endet mit dem Satz:
Bei ausreichender Anonymisierung ist auch die Erwähnung einer HIV-Infektion nicht zu beanstanden.
Gemeint ist womöglich: “… wäre auch die Erwähnung einer HIV-Infektion nicht zu beanstanden gewesen”.
Der Beschwerdeausschuss urteilte, Bild.de habe ohne überwiegendes öffentliches Interesse tief in die Privatsphäre des Opfers und seiner Angehörigen eingegriffen. Er sprach eine öffentliche Rüge aus und bat die Redaktion traditionell, “die Rüge gemäß Ziffer 16 Pressekodex zeitnah zu veröffentlichen”.
Bild.de ist dieser Bitte nachgekommen.
Unter dem gerügten Artikel steht nun:
Hinweis der Redaktion:
Der Deutsche Presserat hat BILD.de für diese Veröffentlichung eine Rüge erteilt, weil das Opfer namentlich genannt, im Foto abgebildet und Stationen seines Lebens erwähnt wurden. Diese weitgehende Identifizierbarkeit ist nach Auffassung des Deutschen Presserates nicht mehr vom öffentlichen Interesse an dem spektakulären Mordfall gedeckt. Es lägen keine besonderen Begleitumstände vor, in denen eine Identifizierung in Einzelfällen erlaubt sei. Auch die Tatsache, dass es hier um einen zunächst vermissten Mann geht, rechtfertigt nach Meinung des Deutschen Presserates weder die Veröffentlichung des Fahndungsfotos noch die Abbildung eines anderen Fotos.
Über dem Artikel prangt weiterhin das beanstandete unverpixelte Foto des Opfers.
Der Deutsche Presserat hat die nebenstehende “Bild”-Titelseite nicht beanstandet.
Am 16. März zeigte die “Bild”-Zeitung die Portraits von 15 Kindern, die bei einem Busunglück in der Schweiz ums Leben gekommen waren. Die Bilder waren in einem Gedenkraum im Rathaus von Lommel, der belgischen Heimatstadt der Kinder, abfotografiert worden.
In der ARD sagte “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann hinterher, man habe vom Bürgermeister die Genehmigung zu dieser Art der Veröffentlichung bekommen. Der Bürgermeister dementierte. Seine Sprecherin sagte ebenfalls in der ARD, er habe die Medien von Anfang an aufgefordert, keine Fotos zu zeigen. Die Eltern der Kinder hätten ausdrücklich darum gebeten, ihre Privatsphäre zu respektieren.
Wer hat Recht? Der Beschwerdeausschuss des Presserates urteilte: “Bild”. Und wies mehrere Beschwerden als unbegründet zurück:
Die Zeitung hatte die Bilder mit Genehmigung der Stadtverwaltung in dem Gedenkraum aufgenommen. Sie konnte in gutem Glauben davon ausgehen, dass eine Einwilligung der betroffenen Eltern vorlag.
Auf Nachfrage von uns erklärt eine Sprecherin des Presserates, wie das Gremium zu diesem Urteil kam:
Wir haben uns im Zuge der Beschwerde mit dem belgischen Presserat (Raad vor de Journalistiek) in Brüssel in Verbindung gesetzt und von dort erfahren, dass nach deren Erkenntnis es von Seiten der Stadtverwaltung den Journalisten tatsächlich genehmigt worden war, in dem Gedenkraum zu fotografieren.
Dort gab es nach Veröffentlichung ebenfalls große Diskussionen wegen der Opferfotos. Inwieweit Vertreter der Stadt die Genehmigung im Namen der Eltern geben konnten, wird beim Presserat in Belgien zurzeit stark diskutiert.
Die “Bild”-Zeitung hat in ihrer Stellungnahme dem Presserat gegenüber überzeugend dargelegt, dass sie nach einer Pressekonferenz in Lommeln mindestens zwei Personen der Stadt gefragt hat, ob sie in dem Gedenkraum fotografieren dürfe. Diese hätten den Fotografen genehmigt, Aufnahmen zu machen.
Vor diesem Hintergrund hat der Presserat die Veröffentlichung akzeptiert.
Beanstandet wurde vom Presserat dagegen die Art des “Berliner Kurier”, über das Unglück zu berichten. Das Blatt hatte u.a. auf dem Titel Gruppenbilder der Kinder gezeigt; die Gesichter, die nicht von Sonnenbrillen verdeckt wurden, hatte der “Kurier” verpixelt. Der Presserat urteilte:
Die Bilder stammten aus dem privaten Bereich und standen nicht mit der Gedenkfeier in Zusammenhang. Eine Einwilligung der Eltern für eine Veröffentlichung lag offensichtlich nicht vor. In der Berichterstattung zitierte die Redaktion zudem aus dem Reisetagebuch, das die Schüler ins Internet eingestellt hatten. Darin hinterließen sie persönliche Gefühle und Nachrichten an ihre Eltern. Der Ausschuss sah in der Verbindung von Text und Fotos einen schwerwiegenden Eingriff in die Privatsphäre von Kindern und Angehörigen und sprach eine Missbilligung aus.
Die “Maßnahmen” des Presserates:
Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
einen Hinweis
eine Missbilligung
eine Rüge.
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.
Warum ein “schwerwiegender Eingriff in die Privatsphäre” von tödlich verunglückten Kindern und ihren Angehörigen nur zu einer “Missbilligung” führt und nicht zur schärfsten stumpfen Waffe des Presserates, einer “Rüge”, ist eines der nach wie vor ungelösten und mutmaßlich unlösbaren Rätsel dieses Selbstkontroll-Gremiums.
(Diese Geschichte lag ein bisschen bei uns rum, ist aber immer noch gut.)
Anfang März erschien in der “Bild”-Zeitung ein erstaunlicher Hinweis “In eigener Sache”:
Am 08.01.2011 hatten wir im Rahmen eines Interviews mit Mats Hummels dessen Tätigkeit als Werbepartner und das von ihm beworbene Produkt in unangemessener Weise betont. Wir bedauern dies.
Das ist eine erstaunlich treffende Beschreibung für das “Nutella-Frühstück”, zu dem sich “Bild” Anfang Januar mit dem Dortmunder Bundesliga-Spieler Mats Hummels getroffen hatte. Der Brotaufstrich war in Wort und Bild groß in Szene gesetzt:
Was war passiert? Nun, es könnte etwas damit zu tun haben, dass BILDblog sich beim Presserat über die Werbegeschichte beschwert hatte. Im Lauf des Verfahrens bekommt dann immer das Medium Gelegenheit zu Stellungnahme, und in diesem Fall fiel sie für “Bild”-Verhältnisse ungewöhnlich aus:
Die Rechtsabteilung der Axel Springer AG räumte ein, einen Fehler gemacht zu haben. Der Presserat fasst ihre Erklärung so zusammen:
Zwar sei der Begriff der sogenannten “Nutella-Boys” (…) in Sportkreisen und auch anderen Medien inzwischen allgemein verbreitet. (…) Dennoch hätte die penetrante Nennung des Produktnamens in BILD-(Ruhr) keineswegs erfolgen dürfen. Die Chefredaktion habe den Artikel umgehend moniert und mit den Kollegen besprochen. Leider sei zu diesem Zeitpunkt der Artikel bereits von BILD-Online übernommen worden.
Der Presserat sah in dem “Nutella-Interview” klar Schleichwerbung, wertete die Erklärung “in eigener Sache” aber zugunsten der Zeitung und sprach deshalb keine “Rüge”, sondern nur eine “Missbilligung” aus.
Es ist ja leider nicht so, dass der Pressekodex des Deutschen Presserates vollkommen eindeutig wäre. Zum Persönlichkeitsrecht heißt es etwa unter Ziffer 8:
Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen. Berührt jedoch das private Verhalten öffentliche Interessen, so kann es im Einzelfall in der Presse erörtert werden. Dabei ist zu prüfen, ob durch eine Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter verletzt werden. Die Presse achtet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.
Dass die “Bild”-Zeitung und Bild.de diese Regeln im besten Falle sehr lax auslegen und im schlechteren Falle schlichtweg missachten, ist keine Neuigkeit. Und auch die entsprechenden Reaktionen des Presserats sind keineswegs neu (s. Kasten).
Als “Bild” “nun” – ohne die zutreffende Formulierung “zum wiederholten Male” – vom Presserat (“dem obersten Sittenwächter der Presse”) “getadelt” wurde, nahm die Zeitung dies zum Anlass für einen großen Artikel in eigener Sache:
Wörtlich heißt es da:
Trotz der hohen öffentlichen Aufmerksamkeit urteilte der Presserat: “Zwar handelt es sich bei Kindesmissbrauch um eine sehr verwerfliche Straftat. Dies rechtfertigt aber nicht die identifizierende Darstellung des Täters.”
Und weiter:
Seit Wochen diskutiert ganz Deutschland über den sexuellen Missbrauch von Kindern durch ihre Lehrer an Schulen und kirchlichen Einrichtungen – aber der Presserat hält den Wunsch der Täter nach Anonymität für wichtiger als den Anspruch der Bürger auf klare und vollständige Information.
Neu ist allerdings, dass “Bild” und Bild.de die Regeln des Presserates nicht einfach nur ignorieren, sondern Stimmung gegen diese machen und versuchen, den Presserat selbst unter Druck zu setzen. Und zwar mit Hilfe ihrer Leser.
Daran schloss sich der Aufruf an die Leser an, sich per E-Mail, Post oder Fax an den Presserat zu wenden:
Die “Maßnahmen” des Presserates:
Hat eine Zeitung oder eine Zeitschrift gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
einen Hinweis
eine Missbilligung
eine Rüge.
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, tun sie es nicht.
Nun kam die “hohe öffentliche Aufmerksamkeit” nicht von ungefähr, sondern wurde ganz maßgeblich durch die Berichterstattung der “Bild”-Zeitung hervorgerufen. Würde man der Argumentation des Springer-Blattes folgen, könnte “Bild” letztlich selbst bestimmen, wer durch Ziffer 8 des Pressekodex geschützt wird und wer nicht — was die Regelung nun wirklich vollkommen ad absurdum führen würde.
Und natürlich handelt es sich nicht einfach um den “Wunsch der Täter nach Anonymität”, sondern um ein fundamentales Bürgerrecht, nämlich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Doch all diese durchaus wichtigen Aspekte unterschlägt “Bild” — mit entsprechenden Konsequenzen für die Post an den Presserat.
Bis 13 Uhr waren dort etwa 250 E-Mails von “Bild”-Lesern eingegangen, bis 16 Uhr waren es über 350. Die Mehrheit der “Bild”-Leser folgte wenig überraschend der Argumentation der Boulevardzeitung. Einige der Mails waren nach Angaben des Presserats beleidigend. Manche Schreiber unterstellten gar, der Presserat selbst sei von Pädophilen beherrscht und würde sich nur daher auf die Seite der Täter schlagen. Nur wenige Kommentatoren lobten den Presserat für sein Eintreten für die Persönlichkeitsrechte.
An der Entscheidung aber, beteuerte man beim Presserat auf Anfrage, werden weder die Kampagne von “Bild”, noch all die E-Mails etwas ändern. Falls jemand den Presserat für diese Aufrichtigkeit loben mag, hier ist die E-Mail-Adresse: [email protected]
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
2. “Lust am Frust” (merkur.de, Antje Hildebrandt)
Doku-Serien des Privatfernsehens werden vermehrt mit Laiendarstellern besetzt: “Kriterien wie Glaubwürdigkeit spielen in der Krise kaum noch eine Rolle. Der Zuschauer trifft immer häufiger auf alte Bekannte. Auf Familien wie die Birkhahns aus Schleswig-Holstein, die keinen Hehl daraus machen, dass sie den TV-Teams für einen Hunderter genau das erzählen, was sie hören wollen.”
3. “Trennung von Werbung und Redaktion” (presserat.info)
Der deutsche Presserat gibt einen Leitfaden heraus, der anhand von praktischen Beispielen aufzeigt, was geht und was nicht geht bei der Trennung von werblichen und redaktionellen Inhalten. Vom geräuschvollen Umblättern der virtuellen Seiten sollte man sich nicht irritieren lassen.
4. “Wiederholte Schleichwerbung für rosa Wundermittel bei der ARD” (blog.esowatch.com)
“Wie blöd sind eigentlich Redakteure, Filmemacher und leider auch die Patienten, die die absurde Geschichte über die preiswerte Heilung von Neurodermitis aus dem Hobbylabor sofort glauben, sobald nur laut jemand die Pharmalobby als Schuldigen hinstellt. Haben die alle zu viele Hollywoodthriller geschaut?”
5. “Lesen Sie dies bitte ohne Unterbrechung!” (ftd.de, Horst von Buttlar)
Horst von Buttlar glaubt, dass Journalisten so oft unterbrochen werden, dass sie kaum noch zum arbeiten kommen.
6. Interview mit John Ortved (artsbeat.blogs.nytimes.com, Lisa Tozzi, englisch) Die Simpsons laufen seit vielen Jahren beim Fox Network von Rupert Murdoch und erreichen bald den Bekanntheitsgrad von Disney-Produkten. John Ortved fragte Murdoch einst: “Rupert, how much money has ‘The Simpsons’ made for you?” And he just sat back, smiled and was like, “Let’s just say it’s a lot.”
“Bild” macht aus Tätern Türken Verstoß gegen Ziffer 12 (BK2-147/06)
“Bild” berichtet, dass zwei Männer, die einen Mord begangen haben sollen, festgenommen wurden und nennt sie “Murat G.” und “Nasir L.”. In Wahrheit handelt es sich allerdings um Deutsche, sogar ohne sogenannten Migrationshintergrund und mit typisch deutschen Namen. Die Zeitung hat nicht nur, ohne darauf hinzuweisen, die Namen der “Mörder” geändert, sondern auch ihre scheinbare Herkunft. Ein Leser beschwert sich beim Presserat, dass dadurch Vorurteile bedient und geschürt würden.
Die Rechtsabteilung von Axel Springer bestreitet, dass durch die Namensänderung Stimmung gegen türkische Mitbürger gemacht worden sei. Sie weist darauf hin, dass die Polizei ursprünglich nach “Tätern südländischer Herkunft” gesucht habe. Die Redaktion habe vergeblich versucht, am Tag vor der Meldung die tatsächlichen Namen der Täter in Erfahrung zu bringen. (Anmerkung von uns: Gelungen war es ihr allerdings offenbar, Details über das Privatleben des Haupttäters zu recherchieren, siehe Ausriss.) Der Zusatz “Name geändert” habe versehentlich gefehlt, erklärte die Rechtsabteilung. Schon am nächsten Tag habe man die korrekten Vornamen benutzt.
Der Presserat meint, dass “Bild” auch ohne Namensnennung über die Verhaftung hätte berichten können. Dadurch, dass ohne erkennbaren Grund türkische Namen benutzt wurden, könnten Vorurteile geschürt werden. Den Hinweis, es habe nur der Zusatz “Name geändert” gefehlt, erkennt der Presserat nicht an. Er bemängelt außerdem, dass “Bild” zwar später die korrekten Namen genannt, aber die Leser nicht auf die irreführenden Phantasienamen im ersten Bericht hingewiesen habe. (Öffentliche Rüge)
“Bild” missachtet Rechte von Lawinenopfern Verstoß gegen Ziffer 8 (BK1-144/06)
“Bild” berichtet über ein Lawinenunglück und titelt: “Todesdrama in den Alpen – Dieser Chefarzt aus … sah seine Freunde sterben”. “Bild” zeigt Portraitfotos von den drei Todesopfern. Ein Foto vom einzigen Überlebenden macht “Bild” durch einen Balken nur unzureichend unkenntlich, veröffentlicht es ohne seine Einwilligung und macht ihn durch die Angabe vieler Details unter anderem über seinen Beruf und seine Arbeitsstätte identifizierbar.
Die Rechtsabteilung von Axel Springer bestreitet, dass die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzt wurden. Sie rechtfertigt die Berichterstattung damit, dass die Öffentlichkeit über Lawinenunglücke bei Skitouren informiert werden müsse. Um die Leser betroffen zu machen und eine warnende Wirkung zu erzielen, habe man den Artikel personalisieren müssen.
Der Presserat widerspricht: “Bild” habe das Gebot, das Privatleben des Menschen zu achten, verletzt. Die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen seien wichtiger als das öffentliche Interesse daran, die Opfer identifizieren zu können. Das Unglück mache die Opfer nicht zu Personen der Zeitgeschichte. (Öffentliche Rüge)
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“Bild” schlachtet Selbstmord aus Verstoß gegen Ziffer 8 (BK1-206/06)
“Mietschulden – Als die Gerichtsvollzieherin klingelte, sprang sie in den Tod”, titelt “Bild” und berichtet minutiös über einen Suizid einer Mutter, zeigt ein großes Foto von ihr und dem Haus, von dem sie in den Tod sprang und vor dem ihre abgedeckte Leiche liegt, schildert ihre Lebensumstände und spekuliert ausführlich über das Motiv für die Tat.
Nach Ansicht der Springer-Rechtsabteilung hat die Selbstmörderin durch ihr Verhalten eine identifizierende Berichterstattung geradezu provoziert. Die Drohung, sich in die Tiefe zu stürzen, habe großes Aufsehen erregt; Feuerwehrleute hätten versucht, sie davon abzuhalten. Deshalb habe es sich um einen “Vorfall der Zeitgeschichte” gehandelt, der es rechtfertige, die üblicherweise nötige Zurückhaltung bei der Berichterstattung aufzugeben.
Der Presserat widerspricht. “Bild” habe die Persönlichkeitsrechte der Frau verletzt. Auch ein Suizid, der unter den Augen der Öffentlichkeit begangen wird, rechtfertige noch nicht per se, den Namen der Betroffenen zu nennen und die näheren Begleitumstände zu schildern. (Öffentliche Rüge)
“Bild” lässt Schulklasse dumm aussehen Verstoß gegen Ziffern 2 und 8 (BK2-252/05)
“Bild” illustriert einen großen Bericht “Pisa-Schock – So dumm sind unsere Kinder” mit dem Foto einer Grundschulklasse und ihrer Lehrerin. Die Zeitung hatte das Foto bereits 2002 veröffentlicht, damals im Zusammenhang mit einer Spendenaktion zum Weltkindertag. Der Elternbeirat der Schule beschwert sich: Die Zeitung habe weder die Kinder oder ihre Eltern noch die Lehrerin um Erlaubnis gefragt. Bereits für die Veröffentlichung 2002 habe “Bild” das Foto zweckentfremdet und ohne Genehmigung abgedruckt.
Die “Bild”-Rechtsabteilung räumt ein, dass die Redaktion es versäumt habe, das Einverständnis von Eltern und Schule einzuholen. Man habe die abgebildeten Schüler nicht als “dumm” bezeichnen wollen und versucht, sich beim Elternbeirat zu entschuldigen.
Der Presserat rügt “Bild”, weil der wiederholte Abdruck des Fotos sinnentstellend sei und gegen das Gebot der journalistischen Sorgfaltspflicht verstoße. Der “Bild”-Leser müsse glauben, die abgebildeten Kinder seien dumm. Ihre Persönlichkeitsrechte wurden so schwerwiegend verletzt, dass auch eine Entschuldigung der “Bild”-Redaktion nicht ausreiche. (Öffentliche Rüge)
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“Bild” stellt Kind an den Pranger Verstoß gegen Ziffer 8 (BK2-236/06)
Beim Versuch, eine Schulhofrangelei zu schlichten, wird eine Lehrerin von einem zwölfjährigen Jungen durch einen Faustschlag verletzt. “Bild” titelt: “Schüler (12) prügelt Lehrerin in Klinik” und zeigt mehrmals ein Foto des Jungen, darunter groß auf der Titelseite.
Die “Bild”-Rechtsabteilung erklärt, die Eltern des Kindes hätten der Veröffentlichung des Fotos schriftlich zugestimmt.
Nach dem Urteil des Presserates hat “Bild” das Persönlichkeitsrecht des Schülers verletzt: Es sei unzulässig, ihn unverpixelt zu zeigen. Die Zustimmung der Eltern sei unerheblich: Die “Bild”-Redaktion hätte die Verantwortung gehabt, das Kind zu seinem Schutz trotzdem unkenntlich zu machen. Der Rat verweist darauf, dass laut Pressekodex die Abbildung von mutmaßlichen Tätern in der Regel nicht gerechtfertigt sei; bei Straftaten Jugendlicher gelte dies ganz besonders. (Nicht-öffentliche Rüge)
“Bild” zeigt Mutter, die ihr Kind getötet haben soll Verstoß gegen Ziffer 8 (BK2-156/06)
Eine 23-jährige Mutter soll ihr neugeborenes Kind getötet, in eine Plastiktüte gesteckt und in den Müll geworfen haben. “Bild” zeigt unter der Überschrift “Sie hat ihr Baby erstickt und einfach weggeworfen” ein unverpixeltes Foto von der Frau mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen.
Die Rechtsabteilung von “Bild” sagt, erstens dürfe man laut Presserat in eindeutigen Fällen identifizierbar berichten (und die Frau sei geständig und aufgrund einer DNA-Analyse überführt). Und zweitens sei die Frau wegen des gesenkten Blickes und eines Haarbandes gar nicht zu identifizieren.
Der Presserat widerspricht in jeder Hinsicht: Das Gesicht sei gut erkennbar. Und die Identifizierbarkeit sei in der Regel unzulässig; konkret habe der Presserat sie in vergleichbaren Fällen verboten. Auch das Geständnis der Frau ändere daran nichts. (Nicht-öffentliche Rüge)
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“Bild” macht Demonstranten zum Attentäter Verstoß gegen Ziffern 2 und 13 (BK2-257/05)
“Bild” fordert in mehreren Artikeln die Ausweisung eines Türken aus Deutschland, den die Zeitung immer wieder als “Attentäter” und “Verbrecher” bezeichnet: “Schiebt diesen Verbrecher ab!”, “Schnarch-Justiz! Wird Attentäter heute verhaftet?”, “Justiz-Skandal! Attentäter nicht ausgewiesen” – mehrmals berichtet ein Boulevardblatt über den türkischen Beschwerdeführer, der immer wieder als “Attentäter” und “Verbrecher” bezeichnet wird. Der Mann hat 1993 an einer Demonstratoin teilgenommen, die mit einem Brandanschlag endete, der 37 Menschen tötete. “Bild” zeigt ein Foto von ihm mit einem schwarzen Balken vor den Augen, stellt ihn als Tatbeteiligten dar und berichtet, er sei 1993 zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der Anwalt des Betroffenen beschwert sich beim Presserat. Sein Mandant sei nie Täter bei einem versuchten Brandstiftungs- oder Tötungsdelikt gewesen und als solcher auch nie angeklagt oder verurteilt worden. Verurteilt worden sei er nur wegen Beteiligung an der versuchten Veränderung der Gesellschaftsordnung in der Türkei – dieses Verfahren sei noch nicht endgültig abgeschlossen.
Die Rechtsabteilung von “Bild” bestreitet, den Mann vorverurteilt zu haben. Nach ihm werde international gefahndet; ein Auslieferungshaftbefehl liege vor. Bei dem Fall handle es sich um ein zeitgeschichtliches Ereignis von hohem Aufmerksamkeitswert und gesellschaftspolitischer Bedeutung. Die Pressefreiheit erlaube es “Bild”, innerhalb gewisser Grenzen zu entscheiden, was eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse sei.
Nach dem Urteil des Presserates hat “Bild” wahrheitwidrig berichtet. Die Berichte hätten Gerüchte als Tatsachen dargestellt und Vorurteile enthalten. Es gebe weder sichere Fakten, noch Indizien, wonach der Türke an dem Anschlag beteiligt war. Der Begriff “Attentäter” bezeichne Straftäter, die aufgrund einer besonderen, oft politischen Motivation, neben ihrem eigenen auch andere Menschenleben aufs Spiel setzen. Bei dem Mann, den “Bild” fortwährend so nannte, könne man aber weder von einer solchen Tat, noch von entsprechenden Motiven ausgehen. “Bild” habe die Gerüchte weder sorgfältig genug geprüft noch als solche kenntlich gemacht, und ihn in einem laufenden Verfahren vor deutschen Behörden vorverurteilt. (Öffentliche Rüge)
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“Bild” zeigt zehnjähriges Todesopfer gegen den Willen der Eltern Verstoß gegen Ziffer 8(BK2-93 und 94/06)
Als bei einem Attentat in Ägypten ein zehnjähriger deutscher Junge ums Leben kommt, zeigt “Bild” ihn groß im Inneren und auf der Titelseite (Überschrift: “Dieser Junge starb in der Terror-Hölle”). Die Zeitung hatte keine Einwilligung der Eltern, das Foto zu zeigen, außerdem gibt es Zeugenaussagen, wonach sich der “Bild”-Fotograf das Foto unter Vortäuschung falscher Tatsachen erschlich. Unter anderem habe er sich auch bei Mitschülern des Kindes erkundigt.
Die Rechtsabteilung der Axel Springer AG erklärt, sie gehe davon aus, dass der Mitarbeiter ordnungsgemäß und sorgfältig recherchiert habe. Er habe auf Nachfrage erklärt, sich nicht als Mitarbeiter anderer Zeitungen ausgegeben. Die Juristen weisen darauf hin, dass sie gegenüber dem Vater des Jungen eine Unterlassungserklärung abgegeben habe – ohne eine Rechtspflicht anzuerkennen.
Der Presserat rügt “Bild”: In der Regel sei es nicht gerechtfertigt, Opfer von Unglücksfällen abzubilden. Es habe kein öffentliches Interesse gegeben, das das Persönlichkeitsrecht des getöteten Kindes überlagert hätte. Zudem fehlte offensichtlich die Einwilligung der Eltern. Ob “Bild” das Foto mit unlauteren Methoden beschafft hat, kann der Presserat nicht klären und stellt das Verfahren in diesem Punkt ein. (Öffentliche Rüge)
(Siehe BILDblog-Einträge “‘Bild’ benutzt Kinder für Recherchen” [1], [2], [3])
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“Bild” bildet Opfer einer Familientragödie ab Verstoß gegen Ziffer 8 (BK2-166/06)
“Bild” berichtet über eine Familientragödie, bei der ein Mann seine Frau und einen Sohn erschießt, bevor er sich selbst tötet; ein weiterer Sohn überlebt. “Landarzt erschießt seine Familie”, schreibt “Bild” und zeigt die Fotos aller Familienmitglieder; nur der überlebende Sohn ist verpixelt. Mit großer Detailfreude kolportiert “Bild” auch Gerüchte über die Hintergründe der Tat: “Im Dorf munkelt man außerdem, dass der Landarzt schon seit über einem Jahr im Keller schlief. Zudem soll er Alkoholprobleme gehabt haben.”
Die “Bild”-Chefredaktion nennt die von ihr veröffentlichten Fotos zeitgeschichtliche Dokumente und den Täter aufgrund seines Berufes eine Person von herausragender öffentlicher Funktion und gesellschaftlicher Stellung. Durch die Bedeutung des Landarztes sei es erlaubt, ihn und die von ihm getöteten Familienmitglieder abzubilden.
Keineswegs, urteilt der Presserat und verweist auf die Forderung des Pressekodex, bei Suiziden nur zurückhaltend zu berichten. Außerdem mache seine Tätigkeit als Landarzt den Mann noch nicht zu einer Person der Zeitgeschichte und seine Tat nicht zu einem Ereignis der Zeitgeschichte. (Nicht-öffentliche Rüge)